Evolutionär stabile Strategien

Aus Dawkins, Das egoistische Gen, S. 69

The essential concept Maynard Smith introduces is that of the evolutionarily stable strategy, an idea that he traces back to W. D. Hamilton and R. H. MacArthur. A ’strategy‘ is a pre-programmed behavioural policy. An example of a strategy is: ‚Attack opponent; if he flees pursue him; if he retaliates run away.‘ It is important to realize that we are not thinking of the strategy as being consciously worked out by the individual. Remember that we are picturing the animal as a robot survival machine with a pre-programmed computer controlling the muscles. To write the strategy out as a set of simple instructions in English is just a convenient way for us to think about it. By some unspecified mechanism, the animal behaves as if he were following these instructions.

An evolutionarily stable strategy or ESS is defined as a strategy which, if most members of a population adopt it, cannot be bettered by an alternative strategy.* It is a subtle and important idea. Another way of putting it is to say that the best strategy for an individual depends on what the majority of the population are doing. Since the rest of the population consists of individuals, each one trying to maximize his own success, the only strategy that persists will be one which, once evolved, cannot be bettered by any deviant individual. Following a major environmental change there may be a brief period of evolutionary instability, perhaps even oscillation in the population. But once an ESS is achieved it will stay: selection will penalize deviation from it.

Ich denke, dass Überlegungen zu einer stabilen Strategie viel dazu beitragen können, evolutionäre Lösungen zu entwickeln und andere auszuschließen. Es zeigt auch noch einmal, dass Gruppenselektion häufig genau hieran scheitert: Es ist keine stabile Strategie, weil diejenige, die für die Gemeinschaft arbeiten leicht ausgenutzt werden können.

56 Gedanken zu “Evolutionär stabile Strategien

  1. 1. „‘strategy’ is a pre-programmed behavioural policy.“ Da hast Du den Grund für die Aussage, die ich letztlich getroffen habe, nämlich, dass es nicht zwingend um Konkurrenz geht. Die „Spieler“ in der evolutionären Spieltheorie treffen nämlich keine Entscheidungen, wie in der strategischen Spieltheorie. Man kann solche evolutionären Spiele dabei nach zwei Seiten betrachten, nach den Kriterien für evolutionäre Stabilität und nach der sog. Replikatordynamik, eine Gleichung, die die zeitliche Entwicklung der Population beschreibt. Wenn ich nach evolutionärer Stabilität schaue, dann nehme ich beliebige Individuen aus der Population immer wieder zufällig heraus und vergleiche den Nutzenwert ihrer Strategien. Wenn ich das mit allen Strategien mache, finde ich heraus, welche dabei stabil sind und welche nicht. Worin diese Strategien bestehen ist damit aber nicht gesagt. Das macht auch die Flexibilität des mathematischen Modells aus, das man deswegen auch benutzen kann um soziale Konventionen zu erklären. Ich habe hier noch eine etwas genauere Erklärung dessen was eine evolutionär stabile Strategie ist:

    Such a strategy is robust to evolutionary selection pressures in an exact sense. Suppose that individuals are repeatedly drawn at random from a large population to play a symmetric two-person game, and suppose that initially all individuals are genetically or otherwise „programmed“ to play a certain pure or mixed strategy. Now inject a small population share of individuals who are likewise programmed to play some other pure or mixed strategy. The incumbent stategy is said to be evolutionary stable if, for each such mutant strategy, there exists a positive invasion barrier such that if the population share of individuals playing the mutant stategy falls below this barrier, then the incumbent strategy earns a higher payoff than the mutant strategy. (aus „Evolutionary Game Theory“ von Jörgen W. Weibull, S. 33)

    Die Replikatordynamik ermöglicht dann einen zeitlichen Blick auf die Sache. Die Spieler in der Population erzeugen innerhalb einer gewissen Zeit eine bestimmte Anzahl an neuen Spielern, die dieselbe Strategie spielen, wie sie selbst. Danach verschwinden sie (d.h. wenn man das biologisch interpretiert, sterben sie). Zudem gibt es noch einen Zufallsgenerator, genannt „Nature“, der „Mutationen“ erzeugt, also veränderte Strategien bei Spielern. Der Selektionsmechanismus läuft über zeitliche Dynamik des Systems. Im Prinzip eine Gleichung, die den Reproduktionserfolg pro Zeiteinheit für die verschiedenen Strategien beschreibt und die ermöglicht das Spiel zu simulieren.

    2. „Since the rest of the population consists of individuals, each one trying to maximize his own success, the only strategy that persists will be one which, once evolved, cannot be bettered by any deviant individual.“ Hier vermengt Dawkins leider die Unterschiede. Im Gegensatz zur strategischen Spieltheorie bilden sich die Gleichgewichte bei der evolutionären Spieltheorie erst dann heraus, wenn man die Replikatordynamik (die Reproduktionsgleichung der Population) eine Zeit lang beobachtet. Die Auffassung, dass die Individuen ihren Erfolg maximieren wollen ist sogar direkt Unsinn. Die Individuen spielen eine vorgegebene Stragegie, wie er ja selbst sagt. Mit intentionalem Verhalten hat das zunächst einmal gar nichts zu tun. Man kann das zwar auch noch verkomplizieren, so dass Individuen die Strategie anderer Individuen imitieren können, aber das ist für die Biologien bei Genen eher unplausibel.

    3. „Following a major environmental change there may be a brief period of evolutionary instability, perhaps even oscillation in the population. But once an ESS is achieved it will stay: selection will penalize deviation from it.“ Es gibt natürlich auch Spiele, die gar keine oder die mehr als eine evolutionär stabile Strategie aufweisen. Je nachdem wie stark die verschiedenen ESS dann voneinander unterschieden sind, kann so ein System dann durchaus über die Zeit zwischen diesen hin und her wechseln. Es kann also sein, dass nach einem externen Schock, der einen Teil der Population auslöscht, sich das Spiel wieder auf einem anderen Gleichgewicht einpendelt, als vorher.

    • @ Christian

      Gruppenselektion kann aber – und das blenden Dawkins & Co. meiner Ansicht nach aus – dafür sorgen, dass INNERHALB einer Gruppe altruistische Verhaltensweisen, die Spannungen innerhalb der Gruppe reduzieren, die die Gruppenkohäsion verbessern, die helfen, die besser zusammenspielende Mannschaft zu formen, begünstigt und eben nicht von egoistischen Strategien überwuchert werden.

      Kurz gesagt:

      Gruppenselektion stärkt Altruismus innerhalb von Gruppen, der ansonsten, gäbe es eine Selektion auf dieser überindividuellen Ebene nicht, von egoistischen Strategien weiter zurückgedrängt würde, die dann eben später, weniger drastisch bestraft würden.

      Der Bärenjägerclan, der innerhalb seines Clans für mehr sozialen Ausgelich sorgt, der z.B. bei Jagden verletzte, jagduntauglich gewordene Mitglieder noch durchfüttert anstatt sie als Ballast ohne viel Federlesens auszusetzen/verhungern zu lassen, wird mehr Männer motivieren, bei Jagden höhere Risiken einzugehen, sich mehr zu engagieren als es einem Clan gelingen wird, bei dem die Männer denken müssen: „Obacht, werde ich verletzt, bin ich erledigt. Halte Dich also zurück, lass erst mal die anderen agieren!“

      Wenn viele im Clan insgesamt so denken, wird das Gesamtresultat eine weniger motivierte Gruppe Jäger sein, die gegenüber dem Konkurrenzclan, der insgesamt mehr Jagderfolg hat, langsam versorgungsmäßig in’s Hintertreffen gerät, so weniger Kinder durchbringt, so allmählich verdrängt wird.

      Auf Intragruppenlevelselektionsebene werden egoistische Strategien begünstigt, auf Intergruppenlevelselektionsebene erhalten altruistische Verhaltensweisen auf Intragruppenebene eine Chance durch die Selektionkräfte, die von außen auf die Gruppe wirken.

      Das Individuum überlebt ja nie nur als Individuum, sondern immer nur als Teil einer Mannschaft, die gegen andere Mannschaften um Ressourcen konkurriert.

      • @Roslin

        Ja, da hast Du wohl ganz recht. Deswegen entwickeln Gruppen ja auch Regeln sowie Mechanismen, diese zu überprüfen. Eine andere Frage ist es allerdings, ob genetische Evolution über Gruppenselektion erklärt werden kann.

      • @ Itsme

        *Eine andere Frage ist es allerdings, ob genetische Evolution über Gruppenselektion erklärt werden kann.*

        Wenn wir voraussetzen, dass menschliches Verhalten genetisch mitbestimmt wird, dann sorgt eine Selektion, die auf Gruppenniveau zufasst dafür, dass innerhalb einer Gruppe Gene, die altruistischeres Verhalten zur Folge haben, mehr Ausbreitungschancen bekommen, weil Gruppen, innerhalb derer diese Gene seltener vertreten sind, à la longue ausgerodet werden, eben durch die als Mannschaften erfolgreicher agierenden „Fortpflanzungsgemeinschaften“, „Inzucht“gemeinschaften, wie immer man das nennen will, diese extendierten Familien genetisch einander ähnlicherer Menschengruppen/Clans.

        Schönes Experiment dazu: Die Hühnerindividuen-gegenüber der Hühnerkäfigselektion.

        Legehennen werden in Käfigen gehalten.

        Ein Evolutionsbiologe (Name müsste ich erst nachschlagen) kam nun auf die Idee, das legeleistungsstärkste Huhn aus jedem Käfig zu nehmen und nur aus diesem die nächste Generation Hühner entstehen zu lassen.

        Hoffnung natürlich: jede Folgegeneration wird immer mehr Eier legen.

        DAS GEGENTEIL war der Fall.

        Die Legeleistung sank dramatisch.

        Änderung des Ansatzes:

        Der Käfig mit der besten Gesamtlegeleistung darf insgesamt die nächst Generation Legehennen produzieren.

        Folge: Die Legeleistung pro Käfig stieg an im Laufe der Generationen.

        Was war passiert?

        Bei der „Individualselektion“ hatte man immer das dominanteste Huhn selektiert (Parallelen zum Effekt von FeministInnen auf Gesellschaften sind nicht beabsichtigt, aber naheliegend), das am Erfolgreichsten darin war, die anderen Hühner durch Picken/Aggressionen am Legen zu hindern und, züchtend mit dem, so einen Käfig hochaggressiver, hochneurotischer Hühner produziert, die sich gegenseitig höchst effizient am Eierlegen hinderten, während man durch Gruppenselektion auf käfigebene die jeweils am Besten zusammenspielende „Hühnermannschaft“ mit Fortpflanzung prämierte.

        Letzteres war die erfolgreichere Strategie.

  2. @Roslin
    zu dem Hühnerbeispiel hatte ich schon mal Stellung genommen, das Ergebnis entspricht der Individualselektion nach dem egoistischen Gen, weil das schädigende Verhalten durch das unnatürliche Experiment selektiert wird. Im zweiten ist es dann für die eigenen Gene jedes Huhns am Besten kooperativ zu sein. Das ist keine Gruppenselektion.

    • Ergänzend noch:

      Gruppenselektion liegt vor, wenn das Ergebnis der Frage „Was müßte das Wesen tun, um seine Gene möglichst effektiv weiterzugeben“ von dem erzielten Ergebnis abweicht und dabei positiver für die Gruppe, gleichzeitig aber negativer für das Einzelwesen ist.

      Ein Huhn legt meinetwegen 1-2 Eier pro Tag. Es befindet sich in einer Gruppe mit 10 Hühnern. Es gibt 5 Hühnergruppen. Die besten 4 Gruppen kommen weiter. Das egoistische Gen kann maximal sagen wir auf 3 Eier kommen. Wenn es die Gruppe fördert, so dass alle Hühner statt 1-2 Eiern sicher 2 Eier legt, dann hat es statt einem Ei mehr wahrscheinlich 5 Eier mehr. Das wiederum stellt am effektisten den Schutz seiner eigenen Eier wieder, denn es wird nicht aussortiert, wenn es in der besten Gruppe ist. Der effektivste Weg das Überleben der eigenen Eier sicherzustellen, ist damit den anderen Eiern zu helfen. Genau dieser Effekt wird durch das Experiment bestätigt.

      Wenn nur die eigene Eierlegungsrate in Konkurrenz zu den anderen interessant wird, dann ändert sich die gesamte Spieldynamik. Es gibt zwei Wege um zu gewinnen: Selbst mehr Eier legen und dafür sorgen, dass die anderen weniger Eier legen. Da die Chance, dass man selbst eine günstige Mutation enwickelt, geringer ist als die, dass eines der anderen 10 Hühner eine günstige Mutation entwickelt (einfach weil es selbst mehr andere Hühner gibt) ist asozial sein der sicherste Weg die Gene weiterzuentwickeln. Insbesondere, da sich Kooperation in dieser Variante auch für die anderen Hühner nicht lohnt, da alle Hühner durch den Experimentsaufbau Konkurrenten sind. Der Versuchsaufbau macht die Entwicklung von Kooperation extrem schwer. Die Motivation für „Verrat“ ist sehr hoch. Denn es kommt ja nur das leistungsstärkste Huhn weiter. Jedes einzelne andere Huhn muss übertroffen werden, es gibt keine Basis für eine Förderung anderer Hühner.

      Das Experiment ist für einen Beleg für die Gruppenselektion überaus schlecht konzipiert. Es kann gar nicht zu einem anderen Ergebnis kommen, egal auf welche Meinung man sich stützt. Was das mindeste sein sollte, was ein entsprechendes Experiment leisten muss.

      • @Alexander Roslin

        Nur weil eine Gruppe von Einzelwesen selektiert wird, ist es keine Gruppenselektion.
        Gruppenselektion verlangt aus meiner Sicht, dass sich nicht die Selektion der innerhalb der Gruppe vorhandenen Einzelwesen auswirkt, sondern tatsächlich ein Gruppeneffekt eintritt, der sich nicht aus der Betrachtung des Einzelwesens ergibt.

        Den aber kann das Experiment nicht nachweisen.

        Eine klassische Gruppenselektion wäre es zB, wenn einige der Hühner ihre Eier opfern würden, weil dann die Gruppe insgesamt mehr Eier legt, etwa die schlechtesten Hühner. Wenn aber jedes Huhn das macht, was eh für es selbst am besten ist, dann ist es eine Selektion nach dem Interesse der Einzelwesen, nicht nach dem Interesse der Gruppe.

        Mich würde aber interessieren, wie du das Ergebnis des Experiments bewerten würdest, wenn man strikt auf egoistische Gene abstellen würde. Doch wahrscheinlich genauso wie ich oder kommst du zu einem anderen Ergebnis?

      • @Christian

        Vielleicht ist der Begriff der Gruppenselektion auch irgendwie nicht wirklich klar genug.

        Eine klassische Gruppenselektion wäre es zB, wenn einige der Hühner ihre Eier opfern würden, weil dann die Gruppe insgesamt mehr Eier legt, etwa die schlechtesten Hühner. Wenn aber jedes Huhn das macht, was eh für es selbst am besten ist, dann ist es eine Selektion nach dem Interesse der Einzelwesen, nicht nach dem Interesse der Gruppe.

        Vielleicht sind die Dinge nur „eh für es am besten“, weil das Huhn Teil einer Gruppe ist, und die Einbettung in die Gruppe einen Effekt auf die Auszahlungen der individuellen Strategien hat. Nehmen wir mal an, dass das Huhn, das wenige Eier legt, damit tatsächlich einen Art Boost für die anderen Hühner bewirken würde. Vielleicht belohnen die anderen Hühner es dafür, so dass dieses Verhalten beibehält. Zugegeben, ich halte die Gruppenselektion in dem Sinn, dass das schlechte Huhn sich permanent verarschen lässt, auch für unwahrscheinlich. Aber einen Feedback der Gruppe auf die Payoffs des individuellen Huhns hingegen sehr wahrscheinlich.

        Wikipedia sagt ja: „Im biologisch-evolutionären Sinn definiert man eine Gruppe als eine Menge von Individuen, die wechselseitig den Grad ihrer evolutionären Angepasstheit beeinflussen“. Nebenbei bemerkt ist das genau die verwechselseitige Verknüpfung von individuellen Präferenzen, die ich schon einmal als Schwachpunkt der Spieltheorie benannt habe.

        Gruppenselektion verlangt aus meiner Sicht, dass sich nicht die Selektion der innerhalb der Gruppe vorhandenen Einzelwesen auswirkt, sondern tatsächlich ein Gruppeneffekt eintritt, der sich nicht aus der Betrachtung des Einzelwesens ergibt.

        Um das mal in meinem Sinn umzuformulieren: Gruppenselektion ist dann relevant, wenn sich die Auszahlungen der Individuen durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe verändern. Ein Gruppeneffekt ergibt sich dann sehr wohl aus der Betrachtung der Individuen, aber nicht aus der Betrachtung der isolierten Individuen. Das ist natürlich eine Form von Gruppenselektion, die nicht voraussetzt, dass ein Teil der Gruppe „altruistisch“ ist, in dem Sinne, dass er für eine Gruppe sich selbst schädigt. Sondern die Gruppe hat die Eigenschaft den Individuen das Leben zu erleichtern.

        Ich glaube dahinter steht auch ein bisschen die alte Frage ob das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Ich denke schon, denn das Ganze ist die Summe seiner Teile plus deren Relationen, plus deren dynamische Veränderung. Aber ich denke nicht, dass das Ganze eine Art von Megaindividuum ist, dem die Teile untergeordnet sind.

        Das Problem ist ja, dass der Nutzen der Gruppe irgendwie mit dem Nutzen der Individuen zusammenhängen muss, denn die Gruppe hört auf zu existieren, wenn die Individuen verschwinden. Gruppenselektion mit absoluter Selbstlosigkeit scheint daher schlicht logisch inkonsistent.

    • @ Christian

      Innerhalb von Gruppen – wären diese isolierte Entitäten, spielte sich also alle Konkurrenz nur innerhalb von Gruppen ab, sind egoistische Strategien die erfolgreicheren.

      Dass es trotzdem so viel Altruismus gibt, ist meiner Ansicht nach (und ich folge hier den Überlegungen von David Sloan Wilson) nur erklärbar durch das In-Schach-Halten dieses auf der untergeordneten Ebene so erfolgreichen Egoismus durch einen Selektionsdruck auf Gruppeneben, der die kohärentere, kooperativere Mannschaft belohnt, damit diejenige, die in ihrem Genpool mehr Gene bewahrt, die altruistischeres Verhalten disponieren.

      http://socio.ch/evo/sobwil.html

      Es wird also der erfolgreichere soziale Organismus, innerhalb dessen das Individuum nur Zelle ist, belohnt.

      So gesehen ist auch das nur wiederum Egoismus, weil der Mensch als Individuum nicht selbstbehauptungsfähig, überlebensfähig, fortpflanzungsfähig ist.

      Er ist ja zwingend auf eine Mannschaft angewiesen.

      Auch der stärkste Mann wird leicht duch 2 schwächere Männer, die kooperieren, ausgekontert.

      Weshalb Entitäten/Organismen, die mehr kooperationsfähige Individuen aufweisen, bis zu einem gewissen Optimum („Die Dosis macht das Gift!“), sich besser schlagen als soziale Organismen, die einen Überindividualismus/Überegoismus pflegen.

      Umgekehrt mindert ein erzwungener Altruismus, der über ein „gerechtes“ Maß hinausgeht, der herausragende Anstrengung/Leistung nicht mehr herausragend belohnt, sondern gleichmacherisch vereinnahmt, ebenfalls die Gesamtleistungsfähigkeit der Mannschaft, weil es sich dann für den Einzelnen nicht mehr lohnt, sich bis zum Äußersten anzustrengen.

      Wo das Optimum liegt, kann angesichts der Komplexität der vielen Faktoren, die hier hereinspielen, nicht am Reißbrett entschieden werden, ist nur ermittelbar durch ein vorsichtiges Trial-and-Error-Verfahren, das sich an dieses Optimum schrittweise herantastet, was eben eine „fluide“, bewegliche, demokratische Ordung voraussetzt.

      Die großen Würfe à la Marxismus, diese Blaupausenkonzepte, die glauben, die ideale Gesellschaft herbeiregulieren zu können, sind nicht umsonst regelmäßig zum Desaster verdammt.

      Weil ihre Prämissen falsch sind oder sie immer nur mit primitiv-vergröberten Modellen der Wirklichkeit arbeiten, die notwendigerwweise viele Einflussfaktoren ausblenden müssen, um überhaupt handhabbar zu sein.

      Mit Wilson bin ich der Meinung, dass jenen (Dawkins vorneweg, der der große Popularisierer dieser Heiligsprechung des Individualegoismus ist) hier eine Anpassung an den konsumkapitalistischen Zeitgeist unterlief durch Überbetonung eines reichlich oberflächlichen Egoismus, der als naturnotwendig dargestellt wird.

      Die Biologie zum Thatcherismus/Radikalliberalismus sozusagen.

      Wie gesagt: Ich bestreite nicht, dass Altruismus nicht auch eine höhere (oder tiefgründigere) Art von Egoismus ist, aber die Modelle, die ihn zu erklären versuchen allein aufgrund von Selektionsmechanismen, die innerhalb von Gruppen wirksam sind, greifen meiner Ansicht nach zu kurz.

      • @ Christian

        Den Artikel habe ich in meinem in letzter Zeit ziemlich chaotisch angewachsenen Lesezeichenarchiv gesucht und endlich gefunden, Schlussbemerkung von Wilson & E. O. Wilson, den beiden Autoren:

        *: “Selfishness beats altruism within groups. Altruistic groups beat selfish groups. Everything else is commentary.” *

        http://www.jstor.org/stable/10.1086/522809?SearchDyessearchTextD2007=searchTextDWilsonsearchTextDEdwardlistDhidesearchUriD%2Faction%2=FdoBasicSearch%3Ffilter%3Djid%253A10.2307%252Fj100336%26Query%3DEdward%2BWi=lson%2B2007%26Search.x%3D12%26Search.y%3D8%26wc%3DonprevSearchDitemD4=ttlD4returnArticleServiceDshowFullText

      • @Roslin

        In-Schach-Halten dieses auf der untergeordneten Ebene so erfolgreichen Egoismus durch einen Selektionsdruck auf Gruppeneben, der die kohärentere, kooperativere Mannschaft belohnt, damit diejenige, die in ihrem Genpool mehr Gene bewahrt, die altruistischeres Verhalten disponieren.

        Man kann sich an dieser Stelle natürlich fragen, ob das „In-Schach-Halten“ nicht einfach eine Form ist, Abweichungen von der Gruppenstrategie zu bestrafen. Was sich ja individuell in erheblich verringerten Payoffs äußern würde. Damit wäre Unterordnung unter eine Gruppe womöglich wieder individuell rational.

        „Selfishness beats altruism within groups. Altruistic groups beat selfish groups. Everything else is commentary“

        Wie oben angemerkt: Grenzenloser Altruismus schlägt Egoismus keineswegs.

      • @Roslin

        Nochwas:

        Mit Wilson bin ich der Meinung, dass jenen (Dawkins vorneweg, der der große Popularisierer dieser Heiligsprechung des Individualegoismus ist) hier eine Anpassung an den konsumkapitalistischen Zeitgeist unterlief durch Überbetonung eines reichlich oberflächlichen Egoismus, der als naturnotwendig dargestellt wird.

        Ich muss Dich enttäuschen. Die Überlegungen, die hinter diesen spieltheoretischen Argumenten stehen finden sich z.B. auch schon in Leibniz Überlegungen zum Naturrecht. Leibniz war explizit der Ansicht, dass Dummheit (eigener Schaden zum Glück anderer, so seine Definition) niemals gerecht sein kann und vertrat daher gegen Hugo Grotius (der quasi einen Gruppen-Altruismus als Basis für das Naturrecht ansah), die Auffassung, dass es eine Harmonie zwischen Individual- und Kollektivinteresse geben müsse.

      • @ itsme

        *Wie oben angemerkt: Grenzenloser Altruismus schlägt Egoismus keineswegs.*

        Ja eben: DIE DOSIS MACHT DAS GIFT (oder das Heilmittel).

      • @Roslin

        Richtig, richtig. Und dann erst wird es richtig schwierig zu bestimmten unter welchen Bedingungen welches Maß an Altruismus einen stablien Zustand ergibt. Interessant ist, dass es, sowohl in manchen indigenen Kulturen, als auch in modernen Gesellschaften, es Regelungen gibt, den Individualismus im Krisenfall stark einzuschränken. Vom Übergang zu Kollektiveigentum bis hin zum staatlichen Ausnahmezustand. Interessant ist aber auch, dass Gruppen unter bestimmten Bedingungen instabil werden und kollabieren.

        Der Wilson-Artikel ist übrigens auch interessant. Ich muss, denke ich, über Gruppenselektion noch mal etwas mehr nachdenken.

      • @Leszek

        Ja, mir scheint, dass es irgendso etwas geben muss, dass Individuen zu einem evolutionärem Verbund macht. Nur wie das genau aussieht, ist mir gar nicht klar.

      • Die Antwort ist: Verwandtschaft

        Ach? Die einzelnen Zellen riechen wohl, dass sie ähnliche Gene haben, und kooperieren deshalb. Dumm nur, dass die gar kein eingebautes Genlabor haben, um Verwandtschaft zu detektieren. Auch Zellhaufen wie der Mensch schaffen das nicht. Du verwechselst mal wieder Ursache und Wirkung, was für Konkurrenzfanatiker, die mit der Logik auf Kriegsfuß stehen, nicht weiter verwunderlich ist. Wann checkst du es endlich, dass deine Aussagen nicht deshalb wahr sind, weil du genug Geld hast, um Leute mit „konkurrierenden“ Aussagen mundtot zu machen? Nicht alles ist Evolution. Deine Gated Community der gekauften „Wahrheiten“ und geistigen Armut wird das Feuer der proletarischen Erkenntnis bald hinwegfegen.

        • @zhen

          „Ach? Die einzelnen Zellen riechen wohl, dass sie ähnliche Gene haben, und kooperieren deshalb“

          Zellen clonen sich üblicherweise. Sie kooperieren auch nicht im klassischen Sinne, da ihnen dazu die Intelligenz fehlt.

          „Dumm nur, dass die gar kein eingebautes Genlabor haben, um Verwandtschaft zu detektieren. Auch Zellhaufen wie der Mensch schaffen das nicht“

          Müssen sie auch gar nicht. Es gibt bestimmte Wahrscheinlichkeiten und natürlich kann man die mit einem Unsicherheitsfaktor versehen, gerade bei der Bildung eines Verwandtschaftsverhältnisses über Männer.
          . Wir wissen in heutigen Zeiten ja auch vergleichsweise sicher, wer unsere Verwandten sind, und das ohne Gentest.
          Der Geruchssinn mag im übrigen auch tatsächlich eine Rolle spielen, auf einer unterbewußten Ebene. Und auch optische Kontrollen (über das Aussehen und Ähnlichkeiten) können genutzt werden.
          Zu den notwendigen Kalkulationen schreibt Dawkins in das egoistische Gen (S.96):

          But what a complicated calculation to expect a poor survival machine to do, especially in a hurry!* Even the great mathematical biologist J. B. S. Haldane (in a paper of 1955 in which he anticipated Hamilton by postulating the spread of a gene for saving close relatives from drowning) remarked:’… on the two occasions when I have pulled possibly drowning people out of the water (at an infinitesimal risk to myself) I had no time to make such calculations.‘ Fortunately, however, as Haldane well knew, it is not necessary to assume that survival machines do the sums consciously in their heads. Just as we may use a slide rule without appreciating that we are, in effect, using logarithms, so an animal may be pre-programmed in such a way that it behaves as if it had made a complicated calculation.
          This is not so difficult to imagine as it appears. When a man throws a ball high in the air and catches it again, he behaves as if he had solved a set of differential equations in predicting the trajectory of the ball. He may neither know nor care what a differential equation is, but this does not affect his skill with the ball. At some subconscious level, something functionally equivalent to the mathematical calculations is going on. Similarly, when a man takes a difficult decision, after weighing up all the pros and cons, and all the consequences of the decision that he can imagine, he is doing the functional equivalent of a large ‚weighted sum‘ calculation, such as a computer might perform.

        • @Zhen

          Konntest du deine Drohungen bitte in Zukunft weglassen? Wir wissen ja nur, dass zumindest ich, wahrscheinlich viele andere, nach sofort nach Ausbruch/Gelingen der Revolution an die Wand gestellt werden.

          Ich sollte gar nicht darauf eingehen, aber diesen Teil finde ich dennoch interessant:

          „Wann checkst du es endlich, dass deine Aussagen nicht deshalb wahr sind, weil du genug Geld hast, um Leute mit „konkurrierenden“ Aussagen mundtot zu machen? Nicht alles ist Evolution. Deine Gated Community der gekauften „Wahrheiten“ und geistigen Armut wird das Feuer der proletarischen Erkenntnis bald hinwegfegen.

          Wen habe ich denn mit meinem Geld jemals mundtot gemacht? oder stehe ich stellvertretend für das Kapital an sich? Das wäre ja immerhin eine Ehre….

      • „Wir wissen ja nur, dass zumindest ich, wahrscheinlich viele andere, nach sofort nach Ausbruch/Gelingen der Revolution an die Wand gestellt werden. “

        Keine Sorge, Christian. Ich würde dann dafür sorgen, dass die libertär-sozialistischen Milizen Deine Sicherheit garantieren.
        Siehst Du, es kann nicht schaden nette Menschen vieler politischer Richtungen zu kennen.

        🙂

      • Keine Sorge, Christian. Ich würde dann dafür sorgen, dass die libertär-sozialistischen Milizen Deine Sicherheit garantieren.

        Ich würde aus Sympathie ein gutes Wort für den Grafen einlegen. Er hat sich allerdings zu weit aus dem Fenster gelehnt, als dass ich ihm seine Sicherheit garantieren könnte. 😦

      • @zhen

        Wann checkst du es endlich, dass deine Aussagen nicht deshalb wahr sind, weil du genug Geld hast, um Leute mit „konkurrierenden“ Aussagen mundtot zu machen? Nicht alles ist Evolution. Deine Gated Community der gekauften „Wahrheiten“ und geistigen Armut wird das Feuer der proletarischen Erkenntnis bald hinwegfegen.

        Die Wahrheit gehört eigentlich
        immer dem Sieger und der reisst
        sich auch die Frauen unter den
        Nagel.

        Welche Revolution oder welcher
        Systemzusammenbruch kommt und
        wann, ist nicht leicht zu
        prognostizieren. Und wie dann
        vielleicht die Grenzlinien
        und Koalitionen zwischen den
        einzelnen Gruppierungen verlaufen
        werden, ist auch nicht so klar.
        Ich jedenfalls werde schauen
        dass ich über genügend Firepower
        verfügen werde wenn es dann
        mal so weit kommt.:-)

      • @ Meister Peter

        Als leicht dem Zynismus zuneigender Katholik vertraue ich lieber anständig bezahlten Schweizer Söldnern, hinter denen ich mich zu verstecken gedenke.

        Wenn’s vorbei ist, werde ich auch sammeln für ein anständiges Memorial.

        Sie sollen ja nicht vergessen werden und kommenden Generationen zum Vorbild dienen.

        Das waren noch Zeiten:

        Was sagen Sie dazu, Meister Peter?

        Würden Sie sich dahinter zur Ruhe betten lassen?

        Nach heroischem Kampf, versteht sich.

        Mir zuliebe?

        Ich hoffe doch, dass Sie mich nicht hängen lassen und ich am Ende gar noch selbst der revolutionären Bestie in’s blutunterlaufene Auge blicken muss.

        Allein bei dieser Vorstellung fällt mir das Porzellantässchen aus der Hand.

      • Wir wissen ja nur, dass zumindest ich, wahrscheinlich viele andere, nach sofort nach Ausbruch/Gelingen der Revolution an die Wand gestellt werden.

        Also ich weiß das nicht. Wenn du dich entscheidest, kein Kapitalist mehr zu sein, braucht dich auch niemand zu bekämpfen. Ob du in der Revolution Widerstand leistest, liegt bei dir. Du hast die volle Entscheidungsfreiheit. Jeder ist seines Glückes Schmied, nicht wahr? 🙂

        Wen habe ich denn mit meinem Geld jemals mundtot gemacht?

        Meinungsfreiheit ist proportional zum Vermögen. Mit Geld lässt sich Medienpräsenz kaufen. Warum wohl sind proletarische Positionen so wenig präsent in den Medien? Warum wohl sind die Gedanken der Herrschenden die herrschenden Gedanken? Deine Naivität bezüglich deiner Rolle als Kapitalist verblüfft mich immer wieder. Engels stellte sich deutlich intelligenter an. Aber es ist mal eine interessante, prickelnde, Erfahrung, mit dem absolut Destruktiven, dem absolut Irrationalen, gemütlich auf Distanz Konversation zu treiben.

        oder stehe ich stellvertretend für das Kapital an sich?

        Jeder Kapitalist stützt jeden anderen Kapitalisten. Die Kapitalisten sind im Klassenkampf untereinander solidarisch. Z.B.: Allein dadurch, dass du einen Lohn (in Höhe x) zahlst, übst du Druck auf alle Proletarier und die Reservearmee aus, und zwar weltweit. Es ist umso schwerer für Proletarier, einen höheren Lohn als x zu fordern, je mehr Kapitale nur x oder weniger zahlen. Die Relationen in der Ökonomie sind so weitreichend und dicht, dass jeder Kapitalist für das Elend aller Ausgebeuteten verantwortlich ist. Du wählst dir deine Evidenz immer sehr interessengeleitet aus, sodass die Armut der Arbeitenden (und ich spreche ausdrücklich auch von der Situation in Deutschland) und ihrer Familien in deinem Weltbild nicht vorkommt. Die bittere Wahrheit ist: Wegen dir sterben sehr viele Menschen, in Deutschland und weltweit. Wieviele du schon ermordet hast, kannst du dir leicht ausrechnen. Schätzen wir mal sehr vorsichtig, dass pro Tag 100000 Menschen an Kapitalismus sterben. (Aufschlussreicher über den Schaden durch das Kapital wäre eine Berechnung der Summe der geraubten Lebensjahre. Sie ist das Maß für die strukturelle Gewalt des Kapitals. Bei Johan Galtung wird man dazu fündig.) Diese Zahl teilst du durch die Zahl der Kapitalisten (1% der Weltbevölkerung = 70000000) und du hast die individuelle tägliche Mordrate. Die entspricht ca. einem Menschen alle zwei Jahre.

      • „Die Relationen in der Ökonomie sind so weitreichend und dicht, dass jeder Kapitalist für das Elend aller Ausgebeuteten verantwortlich ist.“

        Also, Zhen, manchmal hast Du echt eine Neigung Dich irrational in Feindbilder hineinzusteigern.
        Weder Karl Marx, noch Michael Bakunin, noch irgendein bedeutender marxistischer oder anarchistischer Theoretiker haben primär den individuellen Kapitalisten für die sozialen Mißstände des kapitalistischen Systems verantwortlich gemacht – sondern die soziologische Struktur, die diesem seinen Platz innerhalb des Systems zuweist.

        Gerade Marx hat doch herausgearbeitet, dass der individuelle Kapitalist so handelt, wie er gemäß seiner Position innerhalb einer auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Privatwirtschaft eben handeln muss.

        Die Konkurrenzlogik zwingt ihn Profite zu erwirtschaften, um sich auf dem Markt zu behaupten, (was eine Vielzahl von Mißständen nach sich zieht) – aber gemäß Marx handelt der Kapitalist nicht aus individueller Bösartigkeit, sondern gemäß dem Sozialisationsdruck, den die soziologische Struktur, auf seine Psyche auswirkt.

        Und Bakunin hat z.B. stets betont, dass man auch den radikalsten Revolutionär auf irgendeinen Thron setzen könnte und in kürzester Zeit würde er genauso schlimm oder schlimmer wie der vorherige Herrscher sein (hierin Stalin warnend vorwegnehmend).

        Das Sein bestimmt das Bewusstsein! In diesem Kontext ist diese marxistische Parole tatsächlich wahr.

        Ich finde, Du denkst hier tendenziell wie eine Konservativer. Konservative neigen stets dazu irgendwelche Personen oder Gruppen mit böser Gesinnung oder ideologischer Verblendung für irgendwelche Übel verantwortlich zu machen.

        Marxisten und Anarchisten analysieren hingegen die soziologischen Strukturen und Diskurs-Strukturen, die bestimmtem menschlichen Handeln zugrundeliegen.

        Um nicht mißverstanden zu werden – natürlich verfolgt die herrschende Kapitalistenklasse ihre Interessen – und nur diese.
        Aber eben nicht weil sie böse wären, sondern weil sie eine bestimmte Position innerhalb einer soziologischen Struktur einnehmen.

      • @ Leszek

        „Die Konkurrenzlogik zwingt ihn Profite zu erwirtschaften, um sich auf dem Markt zu behaupten, (was eine Vielzahl von Mißständen nach sich zieht) – aber gemäß Marx handelt der Kapitalist nicht aus individueller Bösartigkeit,
        sondern gemäß dem Sozialisationsdruck, den die soziologische Struktur, auf seine Psyche auswirkt. “

        Hier muss ich mal teilweise widersprechen. Sicher spricht Marx hier von Charaktermasken und ein Kapitalist verrichtet sein Tagwerk nicht aus charakterlicher Verdorbenheit (was nebenbei gesagt auch eine Denkfigur der nichtmarxistischen feuilletonistischen Krisenkritik ist: „Gierbanker“ etc.)

        Aber der Kapitalist, der gegen sein nettes Wesen zum Erwirtschaften von Profit gezwungen ist, ist schon eine komische Figur, die der „neuen Marxlektüre“ entstammt. Die Entscheidung, Kapitalist zu werden zu sein, ist schon eine bewusste.

        Hierzu folgender Text:

        Klicke, um auf HeinrichKritikausGSP208.pdf zuzugreifen

      • @ichichich und Leszek

        Ja, ich denke man sollte doch sagen: Eine Charaktermaske, also eine Rolle im antiken Theater, übernimmt und spielt man. Dazu gehört eine gewisse Aktivität. Andererseits muss man natürlich den Kapitalstock erhalten und wenn möglich erweitern, das gehört zur Rolle, die man dann spielt dazu. Übrigens sollte sich jeder klar machen: Kapitalist und Arbeiter kann man heute auch zur gleichen Zeit und zu verschiedenen Anteilen in einer einzigen Person sein. Denn Sparbücher verzinsen sich auch. Diese Zinsen müssen ja irgendwo herkommen. Oder wie wärs mit privaten Rentenversicherungen?

      • @ ichichich

        Ich bin auch kein Anhänger der Theorien subjektloser Herrschaft. Man sollte eine strukturell-soziologische Kapitalismusanalyse stets mit einer elitesoziologischen Analyse verknüpfen.

        Aber das Entscheidende hierbei ist ja, dass auch ein tatsächlich ursprünglich „netter“ Kapitalist oder ein tatsächlich „netter“ Politiker durch die vorhandenen soziologischen Strukturen „sozialisiert“ wird und diesen entsprechende Einstellungen und Verhaltensweisen annehmen muss.
        Die klare Herausstellung dieser soziologischen Prägewirkung scheint mir schon eine Errungenschaft sozialistischen Denkens zu sein, die dieses vom rein verschwörungstheoretischen Denken abgrenzt.

        Nun sagst Du, Kapitalisten hätten nicht selten bestimmte psychologische Dispositionen, die sie für das Anstreben solcher Stellungen prädestinieren. Insofern hätte ich die psychologische Dimension zu stark ausgeklammert.
        Da gebe ich Dir Recht, das kam zu kurz.

        Gewisse narzisstische und egozentrische Dispositionen sind bei Personen, die solche Positionen anstreben, sicherlich verbreiteter als im Bevölkerungsdurchschnitt.

        Aber dennoch sind die meisten Personen, die es anstreben Kapitalisten oder Politiker zu werden, ja keine Psychopathen oder Sadisten, denen es primär darum geht andere Menschen auszubeuten. (Was Du ja auch selbst betont hast.)

        Und ohne vorhandene soziologische Strukturen, die es ihnen ermöglichen in ökonomische oder politische Machtpositionen zu gelangen, kann ja für solche Leute ohnehin nichts laufen.

        Insofern ist der soziologischen Komponente hier schon eindeutig der Vorzug vor der psychologischen zu geben.

        Und obwohl ich sicher niemand bin, der ständig mit dem Begriff des „strukturellen Antisemitismus“ hausieren geht: Es ist ja leider tatsächlich wahr, dass die zu starke Fixierung auf bestimmte Personen und Gruppen – abstrahiert von ihrer soziologischen Position und deren Prägewirkung – es reaktionären Kräften erleichtert die soziale Unzufriedenheit dann einfach auf eine andere Gruppe umzulenken.

        Daher ist es m.E. schon wichtig, zu versuchen zwischen dem Irrtum der Theorien subjektloser Herrschaft und dem Irrtum der rein personalisierten Herrschaftskritik verantwortungsvoll zu navigieren.

        Dabei können dann auch schonmal etwas zu einseitige Formulierungen herauskommen, wie die von Dir kritisierte.

      • @ Leszek

        „Nun sagst Du, Kapitalisten hätten nicht selten bestimmte psychologische Dispositionen, die sie für das Anstreben solcher Stellungen prädestinieren. Insofern hätte ich die psychologische Dimension zu stark ausgeklammert.“

        Das habe ich so nicht gesagt. Ich kenne eine bestimmte linke Argumentation, die darauf abzielt, zu sagen, auch Kapitalisten leiden letztendlich unter der systemischen Struktur (worin dies Leiden besteht, ist nicht so ganz klar, Anhäufung schlechten Karmas?) bzw. handeln gegen ihr Gewissen aufgrund von Sachzwängen.

        Wenn ich selbst Bertelsmann-Haupterbe o.ä. wäre, würde ich mich sicher auch auf die Legitimationsseite schlagen. Dies wäre dann aber eine bewusste Entscheidung. Das ist eigentlich alles, was ich sagen wollte.

      • @ ichichich

        Alles klar. Dann hast Du meine Aussage hier etwas überinterpretiert und ich dann Deine. 🙂

        Mir ist schon klar, dass Kapitalisten (wie die meisten Menschen in Machtpositionen) ihre Legitimationsideologien haben, mit denen sie ihr Handeln rechtfertigen. Daher betonte ich ja auch soziologische Strukturen UND Diskurs-Strukturen.

        Bei dem Satz:

        „Aber der Kapitalist, der GEGEN SEIN NETTES WESEN zum Erwirtschaften von Profit gezwungen ist, ist schon eine komische Figur.“

        hatte ich primär psychologische Assoziationen. Daher habe ich darauf fokkussiert.

        Die psychologischen Aspekte können bei einem Erben natürlich auch wieder ganz anders aussehen. Dabei wäre dann insbesondere zu berücksichtigen, dass dieser ja nicht selten von klein auf in eine kapitalismuslegitimierende Ideologie hineinerzogen worden wäre.

        Die bewusste Entscheidung würde von ihm vor dem Hintergrund des Glaubens an die kapitalistische Ideologie getroffen.

        Hast Du sonst noch in irgendeinem Punkt eine wesentlich von meiner Darstellung abweichende Meinung?

      • @ Leszek

        „Die bewusste Entscheidung würde von ihm vor dem Hintergrund des Glaubens an die kapitalistische Ideologie getroffen. “

        Ja, sicher. Mir ging es wirklich um den Punkt, dass man nicht glauben sollte, man bräuchte (jetzt aus „sozialistischer“ Perspektive) die Kapitalisten nur über den Zwangscharakter ihrer eigenen Profession aufzuklären, dann würden sie ihr eigenes „Joch“ abschütteln. Also der Punkt, dass in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Verfügungsgewalt über Kapital schon eine extrem größere persönliche Freiheit ermöglicht, als wenn jeder mal das WG-Geschirr spülen muss. Das war jetzt nicht deine explizite Aussage, aber ich wollte an dem Punkt doch Widerspruch anbringen.

        Bei den Antideutschen, die sich vor Pogromen gegen Banker fürchten und daher lieber anderen Linken für „verkürzte Kapitalismuskritik“ auf’s Maul geben, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Theoretiker unter ihnen über kurz oder lang im Neoliberalismus ihre Heimat finden.

        Dennoch finde ich das Argument des „strukturellen Antisemitismus“ durchaus teilweise zutreffend, besonders natürlich gegen die feministische Patriarchatsverschwörungstheorie.

        „Hast Du sonst noch in irgendeinem Punkt eine wesentlich von meiner Darstellung abweichende Meinung?“

        Keine Ahnung, vielleicht in tausend Punkten, aber nichts, „was gesagt werden muss.“ 😉

      • @ ichichich

        „Mir ging es wirklich um den Punkt, dass man nicht glauben sollte, man bräuchte (jetzt aus “sozialistischer” Perspektive) die Kapitalisten nur über den Zwangscharakter ihrer eigenen Profession aufzuklären, dann würden sie ihr eigenes “Joch” abschütteln.“

        Ah, o.k., nein, solche Naivitäten verbreite ich sicherlich nicht. Daher hatte ich ja auch den Aspekt der Interessenverfolgung ausdrücklich hervorgehoben.

        Ja, die Antideutschen sind schon eine kranke Sekte, aber die Antiimps genauso. Sollen sie sich ruhig gegenseitig bekämpfen, das trifft auf jeden Fall immer den Richtigen.

        „Dennoch finde ich das Argument des “strukturellen Antisemitismus” durchaus teilweise zutreffend, besonders natürlich gegen die feministische Patriarchatsverschwörungstheorie.“

        Ja, es ist was dran.
        Trotzdem ist der Begriff insofern problematisch, als er alle Personen, die von einer bestimmten Art von Kapitalismuskritik abweichen sofort als Antisemiten denunziert – selbst wenn faktisch überhaupt keine Ressentiments gegen Juden vorliegen.

        Der Begriff ist eben auch ein Kampfbegriff, mit der Funktion, von der marxistischen Kapitalismusanalyse abweichende Auffassungen ohne sachliche Auseinandersetzung zu delegitimieren.

        Ich halte die marxistische Kapitalismusanalyse grundsätzlich für richtig. Aber ich finde nicht, dass es ausreicht, bei abweichenden Auffassungen einfach nur zu sagen: Das ist strukturell antisemitisch – das ist zuviel PC-Mentalität.

        Trotzdem verweist der Begriff auf Aspekte, die etwas Wahres beinhalten – aber ich denke man müsste das idealerweise anders formulieren.

      • @ Leszek

        „Ah, o.k., nein, solche Naivitäten verbreite ich sicherlich nicht. Daher hatte ich ja auch den Aspekt der Interessenverfolgung ausdrücklich hervorgehoben.“

        Es konnte m.E. in diese Richtung interpretiert werden, insofern war mein Einwurf vielleicht weniger gegen deine explizite Aussage gerichtet, sondern an das Publikum.

        „Trotzdem ist der Begriff insofern problematisch, als er alle Personen, die von einer bestimmten Art von Kapitalismuskritik abweichen sofort als Antisemiten denunziert – selbst wenn faktisch überhaupt keine Ressentiments gegen Juden vorliegen. “

        Vollkommen d’accord. Und Schläge für „verkürzte Kapitalismuskritik“ gibt es ja wirklich, was auch eine absurde Komponente hat. 🙂

      • Ich stimme ichichich zu. Ich habe auch nicht auf die Persönlichkeit des Kapitalisten abgestellt. Das ist egal, was er sich zu seinem Geschäft denkt, ob er „böse“ gierig ist oder sich für einen Menschheitsbeglücker hält. Dennoch ist er trotz seiner Einbettung in ein System verantwortlich für sein Wirken als Kapitalist. Er hat nämlich die Freiheit der Wahl, das Ausbeuten einfach bleiben zu lassen. Diese Freiheit zur Nichtbeteiligung hat der Arbeiter nicht. Er ist, um zu überleben, darauf angewiesen, sich auf die Erpressung durch das Kapitals einzulassen. Ein Kapitalist könnte einfach seinen Betrieb den Arbeitern überlassen oder er könnte sich sein Geld auszahlen lassen und es verbrennen. Kein Kapitalist muss bei der Ausbeutung mitmachen.

        Was die Bewusstwerdung des Kapitalisten über die Funktionsweise des Systems und seine Rolle dabei betrifft, so mache ich mir keine Illusionen. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ trifft es ganz gut. In Einzelfällen (z.B. Engels oder ein marxistischer Verleger) ist Erkenntnis möglich. Im Allg. blockiert die Klassenzugehörigkeit auch ansatzweise die Erkenntnis des strukturellen Gewaltverhältnisses, wie man ja bei Christian schön sieht. Obwohl ihm Argumente am laufenden Band geliefert werden und er auch jederzeit die Beschreibung dieser Ökonomie, die seit ca. 150 Jahren bekannt ist, bei Marx nachschlagen könnte, weigert er sich, die Zusammenhänge, von denen er profitiert, zu erkennen.

        @Itsme

        Andererseits muss man natürlich den Kapitalstock erhalten und wenn möglich erweitern, das gehört zur Rolle, die man dann spielt dazu.

        Du hast dich auch ganz schön in kapitalistische Märchen verstrickt. Erstens muss ein Kapitalist gar nichts. Zweitens macht er das, „den Kapitalstock erhalten und wenn möglich erweitern“, ja gerade nicht. Das machen die Arbeiter, über die er Gewalt ausübt, für ihn. Sie erhalten und vermehren sein Kapital. Ohne die Arbeiter, wäre er gar kein Kapitalist, sein Kapital wäre sofort verloren. Den Werttransfer vom konstanten Kapital in den Produktwert und die Wertvermehrung vom variablen Kapital zum geschaffenen Neuwert leisten allein die ausgebeuteten Arbeiter.

        Kapitalist und Arbeiter kann man heute auch zur gleichen Zeit und zu verschiedenen Anteilen in einer einzigen Person sein.

        Nein, das ist ausgeschlossen. Eigentümer sind Personen, nicht Rollen. Das Eigentum ist immer an natürliche oder juristische Personen geknüpft und nicht mit wechselnden Rollen einer Person assoziiert. Ein Kapitalist wird nicht zum Teilzeitarbeiter, bloß weil er sich irgendeinen Minijob zusätzlich zu seiner Ausbeutertätigkeit gönnt. Ebensowenig ist ein Steve Jobs, der sich einen „Lohn“ von 1$ auszahlt, plötzlich deswegen ein armer Arbeiter. Du fällst auch auf jeden Taschenspielertrick deiner Herren rein. Es zählt nicht, in welchen verschiedenen Maskeraden jemand auftritt. Entscheidend ist, wie jemand in Summe über all seine Partizipationsgelegenheiten an der gesellschaftlichen Arbeit dasteht. Und an der ausbeutenden Untätigkeit eines Kapitalisten ändert sich überhaupt nichts, wenn er sich einen Dollar von seinem Kapitalkonto auf sein Lohnkonto überweist.

      • @Zhen

        Seltsam, seltsam, jetzt begehst Du nämlich die von Dir so bezeichnete fallacy of composition:

        Er hat nämlich die Freiheit der Wahl, das Ausbeuten einfach bleiben zu lassen. Diese Freiheit zur Nichtbeteiligung hat der Arbeiter nicht. Er ist, um zu überleben, darauf angewiesen, sich auf die Erpressung durch das Kapitals einzulassen.

        Ohne echte Alternative der Organisation der gesellschaftlichen Produktion (die ich nicht sehe bisher), können nämlich einzelne Kapitalisten wohl aussteigen, aber nicht der gesellschaftliche Gesamtkapitalist. Die Kapitalisten können also genauso gut aus dem Reproduktionsprozess des Kapitals aussteigen, wie jeder Mensch Kapitalist werden kann. Da Dir das zweite Argument nicht gefällt, solltest Du das erste nicht vorbringen.

        Nein, das ist ausgeschlossen. Eigentümer sind Personen, nicht Rollen. Das Eigentum ist immer an natürliche oder juristische Personen geknüpft und nicht mit wechselnden Rollen einer Person assoziiert. Ein Kapitalist wird nicht zum Teilzeitarbeiter, bloß weil er sich irgendeinen Minijob zusätzlich zu seiner Ausbeutertätigkeit gönnt. Ebensowenig ist ein Steve Jobs, der sich einen „Lohn“ von 1$ auszahlt, plötzlich deswegen ein armer Arbeiter. Du fällst auch auf jeden Taschenspielertrick deiner Herren rein.

        Du willst mir sagen, das Recht sei kein gesellschaftliches Verhältnis sondern in der Person intrinsisch verankert? Also wenn das mal keine richtig flache bürgerliche Ideologie ist, lieber Zhen. 😀 Aber naja. Ist Dir eigentlich aufgefallen, dass Eigentum etwas ist, was man haben kann und auch verlieren kann? So wie Rollen ja auch. Ist Dir auch aufgefallen, dass man Geldeigentum haben kann, das sich verzinst und trotzdem einen Arbeitsvertrag bei einem Unternehmen, das einem nicht gehört? Steve Jobs ist ja nun nicht ganz das Beispiel, an das ich gedacht hätte. Es gibt da viel mundänere Exemplare und das auch in größerer Anzahl. Wenn juristische Personen Eigentümer sind, dann sind doch offenbar Organisationen Eigentümer und nicht direkt reale Menschen, oder? Weißt Du eigentlich, dass es rechtliche Regelungen gibt, die recht effizient verhindern, dass ein einzelner Manager, der meint sein Unternehmen müsste aus dem Kapitalverwertungsprozess aussteigen, dies auch tun kann? Welcher Mensch beutet dann hier eigentlich aus? Darüber hinaus leben wir in Zuständen, in denen auch Menschen aus ihrem Lohnarbeitseinkommen einen Kapitalstock aufbauen und diesen wieder investieren, beispielsweise für ihre Rente oder die Bildung ihrer Kinder. Und wenn es die Großmutter mit dem Sparbuch ist. Oder die Großmutter, die für ihre Rente bei Lehman Brothers investiert hat, weil da die Zinskonditionen besser schienen als auf dem Sparbuch, Festgeld- oder Tagesgeldkonto. Die Deutschen haben nicht umsonst jede Menge Geld angespart, das muss ja irgendwo sein, oder? Das Sparbuch funktioniert auch als Kapital, selbst wenn es dem Arbeiter mit dem Arbeitseinkommen gehört. Sofern er daraus ein Zinseinkommen bezieht, ist er zugleich Arbeiter und Kapitalist in einer Person, zu verschiedenen Anteilen. Und das hat wichtige Konsequenzen für seine materiellen Interessen, auf die ihr Marxisten ja angeblich so viel wert legt.

        Darin liegt nämlich eine der größten Schwierigkeiten in der Lösung der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise. Ein nicht unerheblicher Teil der weltweiten Finanzkapitals gehört nicht irgendwelchen gierigen Finanzhaien, sondern solchen Pensionsfonds wie dem Norwegischen Staatsfond, der die Öleinkünfte Norwegens verwaltet, um daraus die Renten der Bürger zu bezahlen; oder dem CalPERS, dem Investmentfond des Rentensystems der Angestellten des US-Bundesstaats Kalifornien. Außerdem sind in manchen Ländern der Erde eine ganze Reihe von Bildungseinrichtungen (speziell in den USA) direkt von Finanzkapitalvewertungsprozessen abhängig, weil sie selbst Vermögen haben und mit diesem direkt auf den Finanzmärkten operieren. Alle Stiftungsvermögen amerikanischer Universitäten werden heute wahrscheinlich von speziellen Investmentabteilungen irgendwo auf der Welt investiert. Wer ist jetzt hier der Ausbeuter? Das norwegische Volk, das seine Renten bezieht? Die Harvard-University? Die Manager des Investimentfonds der Harvard-University? Die Manager des Hedgefonds, in dem die Manager des Investmentfonds der Haravrd University einen Teil ihres Kapitals angelegt haben? Die Stundenten, die von der Harvard University ein Vollstipendium bekommen?

        Also wenn Du meinst es sei so leicht immer von konkreter Ausbeutertätigkeit des Einzelkapitalisten zu sprechen, bitte. Ich halte das für völlig illusionär.

        Ein Kapitalist könnte einfach seinen Betrieb den Arbeitern überlassen oder er könnte sich sein Geld auszahlen lassen und es verbrennen. Kein Kapitalist muss bei der Ausbeutung mitmachen.

        Daran erkennt man aber: Er kann das nur eine gewisse Zeit, denn sein Kapital ist endlich. Und es funktioniert nicht mehr als Kapital wenn er austeigt, d.h. es reproduziert sich nicht mehr, es sei denn er fängt alleine an auch für den Markt zu produzieren. Nach dieser Zeit findet er sich in der Lage der Arbeiter wieder. Insofern ist auch das „Können“ des Kapitalisten realtiv auf die Menge seiner Mittel und auf die gesellschaftliche Relation zu allen anderen. Er kann mit seinem Geld- oder Warenkapital ja auch nur leben, wenn andere Kapitalisten und Arbeiter weiter Kapitalisten und Arbeiter sind – oder es zu irgendeiner Veränderung der Produktionsweise kommt, womit wir wieder beim Problem deren Organisation wären.

        Entscheidend ist, wie jemand in Summe über all seine Partizipationsgelegenheiten an der gesellschaftlichen Arbeit dasteht.

        Und da ist er dann möglicherweise zu 50% Kapitalist und zu 50% Lohnarbeiter in ein und demselben Menschen.

        Obwohl ihm Argumente am laufenden Band geliefert werden und er auch jederzeit die Beschreibung dieser Ökonomie, die seit ca. 150 Jahren bekannt ist, bei Marx nachschlagen könnte, weigert er sich, die Zusammenhänge, von denen er profitiert, zu erkennen.

        Es gibt jede Menge Probleme mit Marx, die das konkrete Erkennen-Können der Einzelperson ganz gewaltig einschränken. Ein klassisches Beispiel ist das Transformationsproblem und die Kritik daran. Wenn sich die Wertebene quantitativ nicht auf die Preisebene abbilden lässt, lässt sich auch nicht erkennen, wieviel Exploitation in einem monetären Arbeitslohn eigentlich steckt.

        Das Problem ist, dass Du Marx wie eine Art ökonomischer Bibel benutzt, in der man einfach die Wahrheit „nachschlagen“ kann. Aber so einfach ist das nicht. Jeder Mensch kann die Argumente, die Marx vorbringt überzeugend finden oder eben nicht. Ich finde manches davon überzeugend, manches nicht. Mit dem Prozess des Nachdenkens darüber, ändert sich auch das, was ich überzeugend finde, und was nicht. Du möchtest gern festlegen können, was andere überzeugen muss. Ich denke das ist unmöglich, es sei denn man endet wieder in repressiven Strukturen à la Sowjetunion der 30er Jahre. Oder katholische Kirche mit ihrem Dogmensystem, weil das ja kein Alleinstellungsmerkmal der orthodoxen Marxisten ist. Ich werde sicher kein Anhänger des Lyssenkoismus, nur weil irgendwer behauptet, das liege ganz auf der ideologischen Linie. Und ebensowenig ein Anhänger des Neothomismus.

      • Die Kapitalisten können also genauso gut aus dem Reproduktionsprozess des Kapitals aussteigen, wie jeder Mensch Kapitalist werden kann.

        Nein, es gilt ohne Einschränkung: Jeder Kapitalist kann aufhören, Kapitalist zu sein. Es gibt zwei Unterschiede in dieser Freiheit zur scheinbaren Freiheit des Arbeiters, Kapitalist zu werden: 1. Kein Nachfolger rückt nach. 2. Die Aufgabe eines Kapitals kann permanent sein. Lässt sich ein Kapitalist durch seine Arbeiter enteignen und stellen die die Produktion von Warenproduktion auf bedürfnisorientierte Produktion um, so ist Eigentum vernichtet und der kapitalistischen Verwertung entzogen.

        Du willst mir sagen, das Recht sei kein gesellschaftliches Verhältnis sondern in der Person intrinsisch verankert?

        Nein. Wie kommst du auf so einen Unsinn? Bleib mal an meinem Text! Eigentum ist ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis, das an Personen geknüpft ist. Es gibt keinen spontanen Eigentumswechsel. Du stellst dir den Eigentümer als eine Rolle vor, die jeder mal „spielen“ kann, die Welt als lustige Bühne der Selbstverwirklichung. Dazu passt aber nicht, dass spontane Eigentums- und Eigentümerwechsel weder von selbst passieren, noch von Leuten veranlasst werden. Dazu braucht es immer Gewalt, ob vom Straßenräuber oder vom Staat.

        Das Sparbuch funktioniert auch als Kapital, selbst wenn es dem Arbeiter mit dem Arbeitseinkommen gehört.

        Es wird immer lustiger. 🙂 Schauen wir uns mal die Situation an, in der Arbeiter Geld anlegen oder mehr oder weniger verpflichtend für sie Geld für die Rente angelegt wird, und vergleichen sie mit der Situation ohne Geldanlagen. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich. Im ersten Fall zahlt das Kapital einen Sofort-Lohn v*+s* (v* ist Teil des Lohns v, s* ist Teil des Mehrwerts). Davon fließt s* direkt an das Kapital über die Anlagen der Arbeiter zurück. Vom erbeuteten Mehrwert s wird ein Betrag s’=s* * s/(c+v) als Dividende an die Anleger=Arbeiter ausgezahlt. Die Arbeiter erhalten einen Gesamtlohn von v=v*+s‘. Im zweiten Modell zahlt das Kapital einen Lohn v* und entrichtet im Umlageverfahren einen Anteil vom Mehrwert s'<s an die Rentenkasse. Die Arbeiter erhalten wiederum als Gesamtlohn v=v*+s'. Im ersten Modell sind die Arbeiter zu keinem Zeitpunkt Kapitalisten, da sie immer auf das Kapital als Quelle für ihre Reproduktionsmittel angewiesen sind. Das Gefühl, ein Kapitalist zu sein, ist trügerisch. Denn das erste Modell ist im Vergleich zum zweiten ein Nullsummenspiel, ein riskantes und kostspieliges obendrein. Die Arbeiter teilen ein individuell verschiedenes Verlustrisiko für beträchtliche Teile ihres Lohns. Darüber hinaus finanzieren sie noch eine Schar an Wegelageren, nämlich die Finanzindustrie, die „berät“ und die Anlagen verwaltet und selbst auch noch einen Profit einstreicht. Eben weil diese faux frais (falschen Kosten) zusätzlich vom Lohn abgehen, darf z.B. die Riester-Rente als gescheitert gelten.

        Und da ist er dann möglicherweise zu 50% Kapitalist und zu 50% Lohnarbeiter in ein und demselben Menschen.

        Die Summe von 50% und -50% ergibt bei mir 0. Das Merkmal Kapitalist/Arbeiter ist echt diskret. Jemand ist entweder das eine oder das andere. Die Wenigen, die sich in einem Übergangsbereich befinden oder zwischen Kapitalist und Arbeiter fluktuieren, stellen kein Problem für die Theorie dar. Ab wann ist man eigentlich Kapitalist? Sobald man seine Existenz allein aus fremder Arbeit bestreiten kann, ist man Kapitalist. Soll ein Brutto-Einkommen, von dem man in D leben kann, also etwa 40000 € pro Jahr, bei einer Profitrate von 3% aus fremder Arbeit erwirtschaftet werden, so ist dafür ein Vermögen (angelegt als Kapital) von etwa 1,33 Mio € erforderlich. Zu berücksichtigen ist noch, dass die Produktivität in Deutschland so hoch ist, dass diese Summe nicht reicht, um als Kapital verwertbar zu sein. Man könnte nicht genug konstantes Kapital kaufen, um Arbeiter profitabel zu beschäftigen. Realistischer dürften 10-15 Mio. € sein. Oder was sagst du Christian? Du könntest doch mal deine Buchhaltung online stellen (natürlich anonymisiert), damit wir mal mit realistischen Zahlen rechnen können. Das wäre für dich auch eine schöne Gelegenheit zum monetären Schwanzvergleich. 😉 Wie auch immer der genaue Millionenbetrag sei, es ist gezeigt, dass ein Arbeiter auf keinen Fall Kapitalist sein kann. Wäre ein Lohn so hoch, dass ein Arbeiter 10 Mio € ansparen kann, dann wäre er ja kein Lohn mehr, weil der Arbeiter sich dann nicht mehr auf die Erpressung des Kapitals einlassen müsste.

        Es gibt jede Menge Probleme mit Marx, die das konkrete Erkennen-Können der Einzelperson ganz gewaltig einschränken. Ein klassisches Beispiel ist das Transformationsproblem und die Kritik daran.

        Itsme, du bist echt ein lustiger Vogel. Christian hat noch keine Zeile Marx gelesen und du glaubst, das Transformationsproblem könnte sein Erkennen-Können einschränken. Christian hat noch nicht mal das begriffliche und theoretische Handwerkszeug, um das Transformationsproblem überhaupt zu formulieren! Gib ihm dazu noch ein paar Jahre. Im Übrigen ist das Problem seit gut 30 Jahren gelöst. Wir können das gerne vertiefen. Ich finde nur, wir driften immer weiter davon ab, hier im Blog ein bisschen ökonomische Wissenschaft der hirnlosen Spieltheorie entgegenzusetzen. Das wird hier immer mehr zum Expertenseminar in Marxismus, wo vermutlich die Wenigsten noch folgen können. Ich finde es sinnvoller, erst mal die Grundlagen zu etablieren. Dann können wir uns immer noch den Spezialproblemen, die die Marxsche Theorie als Ganzes ja ohnehin nicht gefährden, widmen.

      • @Zhen

        Es gibt zwei Unterschiede in dieser Freiheit zur scheinbaren Freiheit des Arbeiters, Kapitalist zu werden: 1. Kein Nachfolger rückt nach. 2. Die Aufgabe eines Kapitals kann permanent sein.

        Der ganze Punkt war, dass Du dasselbe Argument benutzt hast, was Du mir vorher als falsch vorgeworfen hast. Ich verstehe Deinen Einwand auch nicht wirklich. Den zweiten Punkt mit der dauerhaften Aufgabe des Kapitals hatte ich ja auch schon genannt, aber ausgeklammert. Denn die permanente Aufgabe der Kapitals setzt voraus, dass man halbwegs eine Idee hat, wie Produktion gesellschaftlich anders organisiert werden soll.

        Nein. Wie kommst du auf so einen Unsinn? Bleib mal an meinem Text! […] Dazu passt aber nicht, dass spontane Eigentums- und Eigentümerwechsel weder von selbst passieren, noch von Leuten veranlasst werden. Dazu braucht es immer Gewalt, ob vom Straßenräuber oder vom Staat.

        Also Du meinst wirklich, dass jede Form von Eigentümerwechsel ein Raub ist? Also das erscheint doch irgendwie sehr absurd. Aber vielleicht verwirrt mich dein Text auch nur. Ich meine wir sprechen hier jetzt nicht über sowas wie ursprüngliche Enteigungen von Landeigentum im Schottland vor einigen Jahrhunderten oder so.

        Davon fließt s* direkt an das Kapital über die Anlagen der Arbeiter zurück.

        Aber genau hier übersiehst Du doch gerade das wesentliche. Denn was heißt „fließt zurück“ eigentlich? Er bleibt ja Eigentümer dessen, was da zurückfließt. Das ist ein fundamentaler Unterschied gegenüber dem Rechtsanspruch der gesetzlichen Rentenversicherung. Die letztere ist in der Tat nicht mit Kapitaleigentum verbunden. Eine private Rentenversicherung aber schon. Und damit einher geht eine unterschiedliche Interessenlage. Dass dabei weniger rauskommt ändert nichts daran, dass es einmal eben Kapitaleinkünfte sind. Übrigens ist auch das Umlageverfahren ein „Leben von der Arbeit anderer“, allerdings nicht auf die Kapitalverwertung.

        Im ersten Modell sind die Arbeiter zu keinem Zeitpunkt Kapitalisten, da sie immer auf das Kapital als Quelle für ihre Reproduktionsmittel angewiesen sind. Das Gefühl, ein Kapitalist zu sein, ist trügerisch. Denn das erste Modell ist im Vergleich zum zweiten ein Nullsummenspiel, ein riskantes und kostspieliges obendrein. Die Arbeiter teilen ein individuell verschiedenes Verlustrisiko für beträchtliche Teile ihres Lohns.

        Aber sind nicht eigentlich alle auf „das Kapital als Quelle für ihre Reproduktionsmittel angewiesen“? Deswegen sagt ich ja, dass Kapitalisten nur dann aussteigen können, wenn sich die gesellschaftliche Produktionsweise ändert. Im Kapitalismus ist das Kapital natürlich an der Reproduktion der Gesellschaft, und das heißt auch an seiner eigenen Reproduktion überall beteiligt.

        Ab wann ist man eigentlich Kapitalist? Sobald man seine Existenz allein aus fremder Arbeit bestreiten kann, ist man Kapitalist.

        Das ist doch eine komische Defintion. Kinder und alte Menschen bestreiten ihre Existenz auch aus fremder Arbeit. Aber vielleicht erklärt das, warum wir uns eigentlich streiten: Mein Begriff von „Kapitalist“ wäre eher gebunden an das Eigentum an Kapital. Und ich neige eher dazu, dass Kapital-Arbeit-Verhältnis weniger als konkrete persönliche Antagonismen zu sehen, als vielmehr als eine Art gesellschaftlich-ökonomischer Grundprozess, der sich in einer Entwicklungstendenz äußert. Die persönlichen Antagonismen entstehen dann, wenn dieser Grundprozess bestimmte Machtungleichgewichte schafft. Was er immer wieder tut, wenn gleich auch nicht überall im gleichen Maß.

        Oder was sagst du Christian? Du könntest doch mal deine Buchhaltung online stellen (natürlich anonymisiert), damit wir mal mit realistischen Zahlen rechnen können.

        Was für ne Firma hat er denn? Es kommt ja doch sehr drauf an, was man als Firma so macht, wenn es um das „konstante Kapital“ geht, dass man investieren muss, um Leute zu beschäftigen.

        Gib ihm dazu noch ein paar Jahre. Im Übrigen ist das Problem seit gut 30 Jahren gelöst. Wir können das gerne vertiefen.

        Das würde mich wirklich interessieren. Wenn gleich nicht als Diskussion hier, das macht wenig Sinn, da hast Du Recht. Hast Du da Literatur zu?

  3. @ alle, speziell aber an Leszek

    Mich würde Eure Meinung zu …

    http://www.bpb.de/apuz/130411/sprache-und-ungleichheit

    interessieren. Die im verlinkten Artikel besprochene Thematik habe ich an anderer Stelle schon (meist kurz, stichwortartig) angesprochen (die sprachliche Unterscheidung als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für gruppenspezifische Diskriminierung / aus meiner Sicht). Da auch in diesem Blog oft die Rede von Gleichheit und Ungleichheit, feministischer Sprachkritik und Konstruktivismus/Poststrukturalismus sowie Essentialismus die Rede ist, würde ich es begrüssen, wenn er hier zur Diskussion gestellt würde.

    @ Christian

    Wäre das möglich, als Wunschdiskussion meinerseits?

    • @ Peter

      Dass unser Wirklichkeitsverständnis AUCH durch Sprache konstruiert wird, ist natürlich richtig. Während der radikale Konstruktivismus entweder Unsinn oder Banalitäten hervorbringt, ist ein GEMÄßIGTER Konstruktivismus m.E. realistisch und mit einem erkenntnistheoretischen Fallibilismus auch grundsätzlich vereinbar. Will heißen: die materielle Wirklichkeit geht der Sprache zwar voraus, aber unser Verständnis der Wirklichkeit ist AUCH (aber nicht ausschließlich) Konstruktion. Was bei dem Autor des Artikels, wie bei den meisten Diskursanalytikern zu kurz kommt, sind die Begrenzungen, die dem konstruierenden Aspekt des menschlichen Bewusstseins innewohnen.

      Die Möglichkeit zur Konstruktionen wird begrenzt: 1. durch die vorhandenen materiellen Realitäten, die sich in ihrer materiellen Beschaffenheit diskursanalytischer Sprachmagie entziehen und 2. durch wahrnehmungspsychologische Strukturen, die zumindest im Schnitt bei Menschen wirksam sind und eine einfache Grundorientierung gewährleisten müssen. Das Raster Mann-Frau als zentrales Strukturierungsprinzip für Geschlechterverhältnisse, unterschieden primär nach den äußeren Geschlechtsorganen, ist meines Wissens eine menschliche Universalie. Es gibt zwar Kulturen, die auch andere Positionierungen irgendwo zwischen Mann und Frau zulassen (und das ist gut so), aber der Umstand, dass alle Kulturen primär nach den äußeren Geschlechtsorganen die Geschlechtsdifferenzierung vornehmen, zeigt, dass es den wahrnehmungspsychologischen Strukturen des Menschen offenbar ziemlich schwer fällt, jene Vielfalt von möglichen Geschlechtskonstruktionen, auf die Diskursanalytiker und Konstruktivisten gerne verweisen, auch tatsächlich zu einem alternativen kulturellen Leitprinzip werden zu lassen.
      Die Argumentation, dass es auch andere Möglichkeiten gäbe Geschlecht zu definieren bleibt sehr theoretisch. Sie ist wahr, aber Menschen neigen nicht dazu es auch zu tun, weil sich das Funktionieren wahrnehmungspsychologischer Strukturen eher an Äußerlichkeiten und ihren Häufigkeitsverteilungen festmacht.

      Die Unterscheidung „erwachsen/nicht erwachsen“ besitzt ebenfalls einen konstruierten Anteil, da hat der Autor Recht, aber dieser Anteil scheint mir dennoch nicht so gewaltig zu sein. Die kulturellen Zuschreibungen, was „erwachsen“ oder „nicht-erwachsen“ jeweils in verschiedenen Kulturen bedeutet, können dagegen drastisch sein, aber die Grenze selbst, an der der Übergang vom Nicht-Erwachsenen zum Erwachsenen sich vollzieht, dürfte sich in den meisten Kulturen wiederum auf ein gewisses Spektrum beschränken. Es wird sich schwerlich eine Kultur ausfindig machen, in der Dreijährige den Erwachsenenstatus zugesprochen bekommen oder 30-Jährige den Kindstatus. Es gibt ein gewisses Spektrum, bei der die Grenze kulturell differieren kann, darüber hinaus greifen wieder die Begrenzungen menschlichen Konstruierens durch materielle Realitäten und wahrnehmungspsychologische Strukturen.

      Der Autor schreibt des Weiteren: „So klingt ein Satz wie „Frauen können nicht einparken“ plausibler als „Menschen mit weiblichen Geschlechtsorganen können nicht einparken“, „Blondinen sind dumm“ klingt plausibler als „Frauen mit hellen Haaren sind dumm“ und „Schwarze tanzen gut“ klingt plausibler als „Menschen mit dunkler Hautfarbe tanzen gut“. Das liegt daran, dass der jeweils erste Satz das eigentliche Kategorisierungskriterium implizit lässt und so den fehlenden logischen Zusammenhang zwischen weiblichen Geschlechtsorganen, Haarfarbe oder Hautfarbe mit der Geschicklichkeit beim Einparken, den intellektuellen und den tänzerischen Fähigkeiten verdeckt. Werden diese Verknüpfungen dagegen wie in dem jeweils zweiten Satz ausbuchstabiert, tritt die fehlende Logik deutlich zutage – die Sätze werden nun offensichtlich absurd, und wer sie äußert, müsste mindestens ausführlich begründen, wie und warum es zwischen den jeweiligen Eigenschaften einen Zusammenhang geben sollte.“

      Das stimmt, aber Sprachverkomplizierungen sind eine schlechte Strategie um Diskriminierungen oder das Potential für Diskriminierungen zu beseitigen. Sprachverkomplizierungen setzen sich im Regelfall nicht durch, es sei denn durch massiven Zwang. Eine bereits vorhandene Sprache folgt m.E. einem ökonomischem Prinzip, nach dem Verkomplizierungen von Sprachregelungen von den meisten Menschen abgelehnt werden. Dazu hatte ich mit Zhen mal eine interessante Diskussion, Zhen hatte dazu eine eigene Theorie auf die Sprache bezogener Selektionsdrücke zu, nachzulesen hier:

      https://allesevolution.wordpress.com/2012/01/15/was-finden-manner-und-frauen-korperlich-attraktiv/

      Der Autor schreibt des Weiteren: „Unser Vokabular für die quasi-ethnische Kategorisierung von Menschen ist auf den ersten Blick sehr heterogen und unsystematisch: Manche Gruppen werden über ihre Hautfarbe kategorisiert (Schwarze, aber nicht (mehr) Gelbe oder Rote); andere über eine grobe geografische Region (Asiat/in, aber selten Afrikaner/in, außer im Kompositum Schwarzafrikaner/in), wobei auch Fehlkategorisierungen sich sprachlich jahrhundertelang halten können (wie bei Indianer/in); wieder andere nach Religion (Moslem). Diese verwirrende Unordnung wird erst in dem Augenblick verständlich, in dem man das Gegenteil zu all diesen Bezeichnungen denkt. Wenn der weiße, europäische Christ der als selbstverständlich vorausgesetzte Normalfall ist, dann kann jede Gruppe über das Merkmal definiert werden, anhand dessen sie am offensichtlichsten von diesem Normalfall unterschieden werden kann. Indem man aber diesen „Normalfall“ voraussetzt, wird jede Gruppe, die diesem nicht entspricht automatisch zum „Fremden“ und „Anderen“. Neutrale Unterscheidungen sind auf dieser Grundlage nicht mehr möglich – die Ungleichbehandlung und Herabwürdigung ist unauflösbar in dieses Modell eingebunden, und kein noch so großer sprachpolitischer Aufwand kann daran etwas ändern, solange der „Normalfall“ unausgesprochen und unhinterfragt bleibt.“

      Das scheint mir in dieser Form überzogener politisch korrekter Blödsinn zu sein. Hier wird ja quasi vorausgesetzt, dass jede von einem weißen europäischen Christen getroffene Kategorisierung von Menschengruppen schon allein deshalb eine Diskriminierung darstellt, weil sie eben von einem weißen europäischen Christen stammt. Das reicht mir definitiv nicht, um begründet Diskriminierungen zu konstatieren! Da müssen plausible Kriterien genannt werden.
      Wollte man das ernst nehmen, dann dürften weiße europäische Christen überhaupt keine sprachlichen Unterscheidungen zwischen Menschengruppen mehr treffen. Das aber ist wahrnehmungspsychologisch und kommunikationspragmatisch unmöglich. Oder sie müssten stets hinzufügen: „Ich sehe mich als weißen europäischen Christen aber nicht als den Normalfall“ – da wären wir wieder bei den Sprachverkomplizierungen.

      Zur geschlechtssensiblen Sprache, auf die der Autor am Ende zu sprechen kommt, gibt es übrigens eine ausgezeichnete Kritik von Arne Hoffmann, nachzulesen in:
      Arne Hoffmann – Alle Menschen werden Schwestern. Sprache. Linguistik und Feminismus in: Paul-Hermann Gruner & Eckhard Kuhla (Hg.) – Befreiungsbewegung für Männer, S. 225 – 235

      http://www.amazon.de/Befreiungsbewegung-f%C3%BCr-M%C3%A4nner-Geschlechterdemokratie-Psychosozial/dp/3837920038/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1334623779&sr=1-1

      Das ist die treffendste Kritik der geschlechtssensiblen Sprache, die ich kenne.
      In pragmatischer Hinsicht scheitert das Projekt vulgärfeministischer sprachlicher Umerziehung wiederum an seinen sprachlichen Verkomplizierungen. Das müsste man den Menschen schon mit Gewalt einprügeln, freiwillig wird die Bevölkerungsmehrheit nicht damit anfangen so zu schreiben und zu sprechen – weder Männer, noch Frauen.

      Am Ende des von Dir verlinkten Artikels heißt es: „Damit schafft Sprache (wahrscheinlich unvermeidlicherweise) die Grundlage für Ungleichheit und Diskriminierung.“

      Hier zeigt sich ein wenig die Überschätzung des Sprachlichen für Diskriminierungen bei Diskursanalytikern und Konstruktivisten. Die in dem Artikel beschriebenen „Grundlagen für Ungleichheit und Diskriminierung“ innerhalb der Sprache stellen ja faktisch lediglich notwendige, ABER NICHT HINREICHENDE Bedingungen für die Entstehung von Diskriminierung dar. Hier zeigt sich, dass dieser Ansatz in seiner Verabsolutierung des Sprachlichen für die Entstehung von Diskriminierung eher vom Wesentlichen ablenkt. Die Erkenntnis, dass Sprache bestimmte Voraussetzungen für die Entstehung von Diskriminierungen beinhaltet, ist wahr, aber ich halte diesen Aspekt bei weitem für nicht so zentral wie der Autor. Die übertriebene Betonung speziell der sprachlicher Aspekte läuft m.E. Gefahr abzulenken von den soziologischen, historischen und kulturellen Ursachen von Diskriminierung, Ausgrenzung und sozialer Ungerechtigkeit. Denn dort muss m.E. im Wesentlichen angesetzt werden, um diese zu bekämpfen.
      Vermutlich ist gerade dies auch der Grund, warum der PC-Diskurs so stark gefördert wurde. Für die herrschende Kapitalistenklasse hat er die Funktion, dass dadurch vom Wesentlichen abgelenkt wird.

      Für Gegenmeinungen bin ich natürlich offen.

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  5. Guten Tag,

    mir ist bei dem Dawkins-Zitat eine Frage eingefallen: Charles Darwin ist ja mit einem Buch berühmt geworden, das den Titel „On the origin of species“ trägt, mit bekanntermaßen aufsehenerregenden „philosophischen“ Implikationen.

    Nun liest sich dieser Ausschnitt so als sei das „subtile Konzept“ der evolutionär stabilen Strategien gerade nicht in der Lage, ausgerechnet diese Urfrage der Evolutionstheorie zu beantworten, weil sie ja gerade solche Bifurkationen nicht zulässt. Es liest sich so, als sei die Entstehung zweier unterschiedlicher Arten aus einem gemeinsamen Vorfahren geradezu ausgeschlossen, oder?

    Man mag zwar einwenden, dass es vordergründig nur um Verhalten geht und nicht allgemein um Evolution von Merkmalen, aber wenn ich mich nicht täusche ist es ja gerade die Besonderheit der „selfish gen“ Idee, das gesamte Evolutionsgeschehen als ein Konkurenzkampf zu deuten, bei dem aber nicht die Individuen, sondern das Verhalten der Gene der Evolution unterliegt

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