Anatol Stefanowitsch: „Sprache und Ungleichheit“

Anatol Stefanotwitsch hat einen Artikel zu „Sprache und Ungleichheit“ geschrieben.

Die einleitende Kurzzusammenfassung von ihm

Das Treffen von Unterscheidungen und damit das Potenzial zur Diskriminierung ist Kernfunktion und Strukturprinzip von Sprache. Diskriminierende Sprache lässt sich nicht ganz vermeiden; umso wichtiger ist ein bewusster Umgang mit ihr.

Peter in einem Kommentar dazu:

Die im verlinkten Artikel besprochene Thematik habe ich an anderer Stelle schon (meist kurz, stichwortartig) angesprochen (die sprachliche Unterscheidung als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für gruppenspezifische Diskriminierung / aus meiner Sicht). Da auch in diesem Blog oft die Rede von Gleichheit und Ungleichheit, feministischer Sprachkritik und Konstruktivismus/Poststrukturalismus sowie Essentialismus die Rede ist, würde ich es begrüssen, wenn er hier zur Diskussion gestellt würde.

Leszek kommentierte dann dazu:

Dass unser Wirklichkeitsverständnis AUCH durch Sprache konstruiert wird, ist natürlich richtig. Während der radikale Konstruktivismus entweder Unsinn oder Banalitäten hervorbringt, ist ein GEMÄßIGTER Konstruktivismus m.E. realistisch und mit einem erkenntnistheoretischen Fallibilismus auch grundsätzlich vereinbar. Will heißen: die materielle Wirklichkeit geht der Sprache zwar voraus, aber unser Verständnis der Wirklichkeit ist AUCH (aber nicht ausschließlich) Konstruktion. Was bei dem Autor des Artikels, wie bei den meisten Diskursanalytikern zu kurz kommt, sind die Begrenzungen, die dem konstruierenden Aspekt des menschlichen Bewusstseins innewohnen.

Die Möglichkeit zur Konstruktionen wird begrenzt: 1. durch die vorhandenen materiellen Realitäten, die sich in ihrer materiellen Beschaffenheit diskursanalytischer Sprachmagie entziehen und 2. durch wahrnehmungspsychologische Strukturen, die zumindest im Schnitt bei Menschen wirksam sind und eine einfache Grundorientierung gewährleisten müssen. Das Raster Mann-Frau als zentrales Strukturierungsprinzip für Geschlechterverhältnisse, unterschieden primär nach den äußeren Geschlechtsorganen, ist meines Wissens eine menschliche Universalie. Es gibt zwar Kulturen, die auch andere Positionierungen irgendwo zwischen Mann und Frau zulassen (und das ist gut so), aber der Umstand, dass alle Kulturen primär nach den äußeren Geschlechtsorganen die Geschlechtsdifferenzierung vornehmen, zeigt, dass es den wahrnehmungspsychologischen Strukturen des Menschen offenbar ziemlich schwer fällt, jene Vielfalt von möglichen Geschlechtskonstruktionen, auf die Diskursanalytiker und Konstruktivisten gerne verweisen, auch tatsächlich zu einem alternativen kulturellen Leitprinzip werden zu lassen.

Die Argumentation, dass es auch andere Möglichkeiten gäbe Geschlecht zu definieren bleibt sehr theoretisch. Sie ist wahr, aber Menschen neigen nicht dazu es auch zu tun, weil sich das Funktionieren wahrnehmungspsychologischer Strukturen eher an Äußerlichkeiten und ihren Häufigkeitsverteilungen festmacht.

Die Unterscheidung „erwachsen/nicht erwachsen“ besitzt ebenfalls einen konstruierten Anteil, da hat der Autor Recht, aber dieser Anteil scheint mir dennoch nicht so gewaltig zu sein. Die kulturellen Zuschreibungen, was „erwachsen“ oder „nicht-erwachsen“ jeweils in verschiedenen Kulturen bedeutet, können dagegen drastisch sein, aber die Grenze selbst, an der der Übergang vom Nicht-Erwachsenen zum Erwachsenen sich vollzieht, dürfte sich in den meisten Kulturen wiederum auf ein gewisses Spektrum beschränken. Es wird sich schwerlich eine Kultur ausfindig machen, in der Dreijährige den Erwachsenenstatus zugesprochen bekommen oder 30-Jährige den Kindstatus. Es gibt ein gewisses Spektrum, bei der die Grenze kulturell differieren kann, darüber hinaus greifen wieder die Begrenzungen menschlichen Konstruierens durch materielle Realitäten und wahrnehmungspsychologische Strukturen.

Der Autor schreibt des Weiteren: „So klingt ein Satz wie “Frauen können nicht einparken” plausibler als “Menschen mit weiblichen Geschlechtsorganen können nicht einparken”, “Blondinen sind dumm” klingt plausibler als “Frauen mit hellen Haaren sind dumm” und “Schwarze tanzen gut” klingt plausibler als “Menschen mit dunkler Hautfarbe tanzen gut”. Das liegt daran, dass der jeweils erste Satz das eigentliche Kategorisierungskriterium implizit lässt und so den fehlenden logischen Zusammenhang zwischen weiblichen Geschlechtsorganen, Haarfarbe oder Hautfarbe mit der Geschicklichkeit beim Einparken, den intellektuellen und den tänzerischen Fähigkeiten verdeckt. Werden diese Verknüpfungen dagegen wie in dem jeweils zweiten Satz ausbuchstabiert, tritt die fehlende Logik deutlich zutage – die Sätze werden nun offensichtlich absurd, und wer sie äußert, müsste mindestens ausführlich begründen, wie und warum es zwischen den jeweiligen Eigenschaften einen Zusammenhang geben sollte.“

Das stimmt, aber Sprachverkomplizierungen sind eine schlechte Strategie um Diskriminierungen oder das Potential für Diskriminierungen zu beseitigen. Sprachverkomplizierungen setzen sich im Regelfall nicht durch, es sei denn durch massiven Zwang. Eine bereits vorhandene Sprache folgt m.E. einem ökonomischem Prinzip, nach dem Verkomplizierungen von Sprachregelungen von den meisten Menschen abgelehnt werden. Dazu hatte ich mit Zhen mal eine interessante Diskussion, Zhen hatte dazu eine eigene Theorie auf die Sprache bezogener Selektionsdrücke zu, nachzulesen hier:

https://allesevolution.wordpress.com/2012/01/15/was-finden-manner-und-frauen-korperlich-attraktiv/

Der Autor schreibt des Weiteren: „Unser Vokabular für die quasi-ethnische Kategorisierung von Menschen ist auf den ersten Blick sehr heterogen und unsystematisch: Manche Gruppen werden über ihre Hautfarbe kategorisiert (Schwarze, aber nicht (mehr) Gelbe oder Rote); andere über eine grobe geografische Region (Asiat/in, aber selten Afrikaner/in, außer im Kompositum Schwarzafrikaner/in), wobei auch Fehlkategorisierungen sich sprachlich jahrhundertelang halten können (wie bei Indianer/in); wieder andere nach Religion (Moslem). Diese verwirrende Unordnung wird erst in dem Augenblick verständlich, in dem man das Gegenteil zu all diesen Bezeichnungen denkt. Wenn der weiße, europäische Christ der als selbstverständlich vorausgesetzte Normalfall ist, dann kann jede Gruppe über das Merkmal definiert werden, anhand dessen sie am offensichtlichsten von diesem Normalfall unterschieden werden kann. Indem man aber diesen “Normalfall” voraussetzt, wird jede Gruppe, die diesem nicht entspricht automatisch zum “Fremden” und “Anderen”. Neutrale Unterscheidungen sind auf dieser Grundlage nicht mehr möglich – die Ungleichbehandlung und Herabwürdigung ist unauflösbar in dieses Modell eingebunden, und kein noch so großer sprachpolitischer Aufwand kann daran etwas ändern, solange der “Normalfall” unausgesprochen und unhinterfragt bleibt.“

Das scheint mir in dieser Form überzogener politisch korrekter Blödsinn zu sein. Hier wird ja quasi vorausgesetzt, dass jede von einem weißen europäischen Christen getroffene Kategorisierung von Menschengruppen schon allein deshalb eine Diskriminierung darstellt, weil sie eben von einem weißen europäischen Christen stammt. Das reicht mir definitiv nicht, um begründet Diskriminierungen zu konstatieren! Da müssen plausible Kriterien genannt werden.

Wollte man das ernst nehmen, dann dürften weiße europäische Christen überhaupt keine sprachlichen Unterscheidungen zwischen Menschengruppen mehr treffen. Das aber ist wahrnehmungspsychologisch und kommunikationspragmatisch unmöglich. Oder sie müssten stets hinzufügen: „Ich sehe mich als weißen europäischen Christen aber nicht als den Normalfall“ – da wären wir wieder bei den Sprachverkomplizierungen.

Zur geschlechtssensiblen Sprache, auf die der Autor am Ende zu sprechen kommt, gibt es übrigens eine ausgezeichnete Kritik von Arne Hoffmann, nachzulesen in:

Arne Hoffmann – Alle Menschen werden Schwestern. Sprache. Linguistik und Feminismus in: Paul-Hermann Gruner & Eckhard Kuhla (Hg.) – Befreiungsbewegung für Männer, S. 225 – 235

http://www.amazon.de/Befreiungsbewegung-f%C3%BCr-M%C3%A4nner-Geschlechterdemokratie-Psychosozial/dp/3837920038/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1334623779&sr=1-1

Das ist die treffendste Kritik der geschlechtssensiblen Sprache, die ich kenne.

In pragmatischer Hinsicht scheitert das Projekt vulgärfeministischer sprachlicher Umerziehung wiederum an seinen sprachlichen Verkomplizierungen. Das müsste man den Menschen schon mit Gewalt einprügeln, freiwillig wird die Bevölkerungsmehrheit nicht damit anfangen so zu schreiben und zu sprechen – weder Männer, noch Frauen.

Am Ende des von Dir verlinkten Artikels heißt es: „Damit schafft Sprache (wahrscheinlich unvermeidlicherweise) die Grundlage für Ungleichheit und Diskriminierung.“

Hier zeigt sich ein wenig die Überschätzung des Sprachlichen für Diskriminierungen bei Diskursanalytikern und Konstruktivisten. Die in dem Artikel beschriebenen „Grundlagen für Ungleichheit und Diskriminierung“ innerhalb der Sprache stellen ja faktisch lediglich notwendige, ABER NICHT HINREICHENDE Bedingungen für die Entstehung von Diskriminierung dar. Hier zeigt sich, dass dieser Ansatz in seiner Verabsolutierung des Sprachlichen für die Entstehung von Diskriminierung eher vom Wesentlichen ablenkt. Die Erkenntnis, dass Sprache bestimmte Voraussetzungen für die Entstehung von Diskriminierungen beinhaltet, ist wahr, aber ich halte diesen Aspekt bei weitem für nicht so zentral wie der Autor. Die übertriebene Betonung speziell der sprachlicher Aspekte läuft m.E. Gefahr abzulenken von den soziologischen, historischen und kulturellen Ursachen von Diskriminierung, Ausgrenzung und sozialer Ungerechtigkeit. Denn dort muss m.E. im Wesentlichen angesetzt werden, um diese zu bekämpfen.

Vermutlich ist gerade dies auch der Grund, warum der PC-Diskurs so stark gefördert wurde. Für die herrschende Kapitalistenklasse hat er die Funktion, dass dadurch vom Wesentlichen abgelenkt wird.

Für Gegenmeinungen bin ich natürlich offen.

Konstruktion durch Sprache finde ich als Thema durchaus interessant, denke aber, dass es überbewertet wird. Sprache ist häufig nur ein Mittel, aber nicht die Ursache.

Was sagt ihr zu dem Artikel /Thema?

Geld, Attraktivität und Partnerwahl

Hier ein Paar Studien zu Geld und Attraktivität

Resources are a cardinal component of male mate value in the sexual exchange between men and women. Inspired by theories and research suggesting a link between mating and resource constructs as well as studies linking money and valuations of others, the current study tests the hypothesis that cues to resource availability may lead to higher mating standards for men, but not women. Participants were exposed to either stacks of paper, a small sum of money (104 Singapore dollars ∼USD$84), or a large sum of money (2600 Singapore dollars ∼USD$2100). Consistent with the hypothesis, after male – but not female – participants handled a large sum of money, they raised their minimum requirements for a date. We discuss how the results are consistent with an evolutionary perspective on mating and how future research can further investigate environmentally contingent self-assessments and strategies.

Highlights

► Handling a large amount of resources (USD2, 100) raised men’s mating standards.

► Physical attractiveness requirements drove this effect most significantly.

► Differential exposure to resources did not alter women’s mating standards.

► Having resources lead to increased mating opportunity for men more than women.

► Therefore, exposure to resources adaptively alters mating standards of men.

Quelle:Cash in hand, want better looking mate: Significant resource cues raise men’smatingstandards

Das entspricht in der Tat dem, was man nach den gängigen Evolutionären Betrachtungen erwarten würde. Männer mit mehr Ressourcen konnten vermutlich wählerischer sein, während dies bei Frauen, bei denen es weniger auf Ressourcen ankommt keine Rolle spielte.

Und umgekehrt zu den Vorteilen von Attraktivität in Bezug auf Geld

It turns out having a male agent is bad for the selling price of a house. Both male listing agents (those acting on behalf of the seller) and male selling agents (those acting on behalf of the buyer) are associated with lower house prices than their female counterparts. The gender of the agent, however, has no effect on how long a house is on the market.

Being attractive, for both listing and selling agents, is associated with higher final sale price for a house, with the effect on house prices of having an attractive listing agent is about twice as large as that of an attractive selling agent.

Where homeowners lose out on having an attractive listing agent, however, is in having their house on the market for longer. The attractiveness of the selling agent has no effect on length of time on the market (which makes sense since, presumably, the characteristics of the buyer’s agent only matter when the house is finally sold).

Interessant wäre es eine Aufstellung nach Geschlecht des Käufers vorzunehmen. Ich könnte mir vorstellen, dass Männer hier zur Kaufpreissteigerung beitragen.

Verwandtenselektion, Gruppenselektion, Selektion des Einzelwesens in einer Gruppe

Ein alter Streitpunkt innerhalb der Evolution ist, auf welcher Ebene die Selektion stattfinden kann.

Hier zunächst die drei Definitionen aus der Wikipedia:

Genzentrierte Betrachtung:

The gene-centered view of evolution, gene selection theory, or selfish gene theory holds that evolution occurs through the differential survival of competing genes, increasing the frequency of those alleles whose phenotypic effects successfully promote their own propagation, with gene defined as „not just one single physical bit of DNA [but] all replicas of a particular bit of DNA distributed throughout the world“.[1] The proponents of this viewpoint argue that, since heritable information is passed from generation to generation almost exclusively by genetic material, natural selection and evolution are best considered from the perspective of genes.

This is in contrast to the organism-centered viewpoint adopted historically by biologists. Proponents of the gene-centered viewpoint argue that it permits understanding of diverse phenomena such as altruism and intragenomic conflict that are otherwise difficult to explain from an organism-focused perspective.

The gene-centered view of evolution is a synthesis of the theory of evolution by natural selection, the particulate inheritance theory and the non-transmission of acquired characters. It states that those genes whose phenotypic effects successfully promote their own propagation will be favorably selected in detriment to their competitors. This process produces adaptations for the benefit of genes that promote the reproductive success of the organism, or of other organisms containing the same gene (kin altruism and green-beard effects), or even only its own propagation in detriment to the other genes of the genome (intragenomic conflict).

Gruppen Selektion

In evolutionary biology, group selection refers to the idea that alleles can become fixed or spread in a population because of the benefits they bestow on groups, regardless of the alleles‘ effect on the fitness of individuals within that group.

Verwandtenselektion (Kin Selection)

Kin selection refers to changes in gene frequency across generations that are driven at least in part by interactions between related individuals, and this forms much of the conceptual basis of the theory of social evolution. Indeed, some cases of evolution by natural selection can only be understood by considering how biological relatives influence one another’s fitness. Under natural selection, a gene encoding a trait that enhan
ces the fitness of each individual carrying it should increase in frequency within the population; and conversely, a gene that lowers the individual fitness of its carriers should be eliminated. However, a hypothetical gene that prompts behaviour which enhances the fitness of relatives but lowers that of the individual displaying the behavior, may nonetheless increase in frequency, because relatives often carry the same gene; this is the fundamental principle behind the theory of kin selection. According to the theory, the enhanced fitness of relatives can at times more than compensate for the fitness loss incurred by the individuals displaying the behaviour. As such, this is a special case of a more general model, called inclusive fitness (in that inclusive fitness refers simply to gene copies in other individuals, without requiring that they be kin)

Und noch einmal mit eigenen Worten Nach der wohl deutlich vorherrschenden Ansicht in der Biologie ist auf der Ebene der Gene anzusezten. Danach erfolgt stets eine Selektion anhand der „Interessen“ der Gene des Einzelwesens und was als Gruppeneffekte hervortritt ist lediglich ein Ausdruck der egoistischen Interessen der Gene des Einzelwesens mit deren Hilfe diese Gene im Genpool angereichert werden. Das Bild des egoistischen Gens setzt dabei nicht voraus, dass die darauf beruhenden Wesen egoistisch sind. Vielmehr können diese von ihren Genen hoch kooperativ gebaut werden, wenn auf diesem Weg die eigenen Gene eher weitergegeben werden und sich daher im Genpool anreichern. Es verbleibt nach dieser Betrachtung dabei, dass sich entsprechende Strukturen nur über Selektion nur entwickeln können, wenn sie zu einer Anreicherung der Gene des Einzelwesens führen. Etwas verwirrend für viele ist dabei, dass diese Gene des Einzelwesens nicht in dem Einzelwesen selbst stecken müssen. Da Verwandte bei statistischer Betrachtung einen gewissen Anteil eigener Gene tragen lohnt es sich, die eigenen Gene auch in fremden Körpern zu fördern.

Dazu muss man sich die Prozentzahlen bewußt machen.

  • Mutter: 1/2 –
  • Vater: 1/2 –
  • Geschwister 1/2 –
  • Onkel oder Tante: 1/8 –
  • Großeltern: 1/4 –
  • Cousins 1/8 –
  • Couisin 2. Grades: 1/32
  • Cousin 3 Grades 1/128

Ein Gen, dass Altruismus gegenüber seinen Eltern und seinen Geschwister bzw. seinen Kindern fördert, hat gute Chancen sich im Genpool anzureichern. Es handelt sich hier nur um eine Abwandlung des „egoistischen Gens“, welches weiterhin der Maßstab für die Selektion bleibt. Bei inzestiösen Verbindungen steigt der Verwandtschaftsgrad weiter. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit hinzuzurechnen, dass die Förderung der eigenen Gene in einem anderen Körper noch zu einer weiteren Anreicherung der Gene im Genpool über das bereits bestehende hinaus führt. Ein Großmutter beispielsweise hat nach der Menopause keine Möglichkeit mehr weitere Kinder zu produzieren, aber ein Interesse daran, die Geschwister, Enkel etc zu fördern. In Zeiten mit hoher Kindersterblichkeit mag die Förderung der eigenen Eltern mehr bringen als die Förderung von noch jungen Geschwistern (wenn diese nicht gerade die Kindersterblichkeit stark verringert).

Nach der Theorie der Gruppenselektion hingegen werden nicht mehr Einzelwesen, sondern Gruppen selektiert. Es kommt nach dieser Definition nicht mehr auf die Gene des Einzelwesens an, sondern darauf, dass die Gruppe insgesamt Vorteile hat, unabhängig davon, ob diese Fitness auch alle Mitglieder der Gruppe erreicht. Es soll also die Gruppe selbst eine Basis der Selektion sein, die damit über die Interessen ihrer Einzelmitglieder hinauswächst. Logisch abzugrenzen ist dies von der Individualselektion nur, wenn man eine Selektion findet, bei der einzelne Mitglieder Nachteile für die Gruppe eingehen ohne kompensierende Vorteile zu haben. Dem stehen meiner Meinung nach eine Vielzahl von Argumenten entgegen: – Das erste ist, dass eine Gruppenselektion aus Sicht der Einzelwesen keine stabile evolutionäre Strategie sein kann. Wenn ein Wesen Nachteile eingeht, die anderen zugute kommen, ohne damit seine Gene zu fördern, dann verringert sich die Anzahl seiner Gene im Genpool. Es steigt hingegen die Anzahl der Gene derer, die Vorteile mitnehmen, aber die Nachteile nicht eingehen. Die Strategien haben daher ein automatisches Freerider-Problem. Die beste Strategie für das Einzelwesen zerstört die Gruppenselektion.

Ein Einwand ist, dass sich aber erfolgreiche Gruppen gegen unerfolgreichere Durchsetzen und die Nachteile für alle aus der Gruppe eben ausgeglichen werden, indem die erfolgreichere Gruppe die weniger erfolgreichere ausbeuetet. Aber auch hier hat man es meist damit zu tun, dass nicht hinreichend beachtet wird, dass Einzelinteressen mit Gruppeninteressen übereinstimmen können und dadurch ein Gruppeneffekt entstehen kann, der aber nichts mit Gruppenselektion zu tun hat. Nehmen wir an eine Gruppe ist aufgrund eine Selektion hierauf besonders kriegerisch und unterwirft dabei alle anderen Gruppen, die friedlicher sind. Auch eine solche Gesellschaft muss aber entstehen, was man nicht ausblenden darf. Sie wird nur dann biologisch aggressiver, wenn sich die entsprechenden Gene anreichern. Dazu muss es vorteilhaft sein, aggressiver zu sein, und dies wieder auf der Ebene des Individuums. Den Kampf der Gruppen untereinander kann man dann wieder als Selektion der Einzelwesen untereinander abbilden. Eine echte Gruppenselektion würde erfordern, dass einige die Nachteile des kämpfens auf sich nehmen, dies aber keine anderweitigen Vorteile bringt. Viele Insekten schaffen dies mit einer sterilen Kämpferkaste, allerdings haben diese den Vorteil, so eng verwandt zu sein, dass sie diesen Altruismus vollständig auf Verwandtenselektion stützen können. Bei menschlichen Kämpfern hingegen ist dies nicht der Fall. Sie kämpfen üblicherweise für Verwandte, für Luxus, für Ruhm, für ihre eigenen Interessen. Eine menschliche Gesellschaft, die ihre genetischen Kämpfer schicht opfern würde, würde deren Gene schlicht aus dem Genpool entfernen und wäre dann eine Gesellschaft ohne solche genetischen Kämpfer. – Die Abgrenzungsproblematik: Nimmt man Gruppenselektion ernst, dann müßte man auch fragen, was überhaupt eine sinnvolle Gruppe ist. Die Kleingruppe im Sinne eines Stammes? Die Großgruppe der näheren Umgebung? Die Subspezies? Die Spezies? Die Gattung? Löwen und Gazellen sind beide Säugetiere, also auch Bestandteil einer Gruppe. In der Löwen-Gazellen-Säugetier-Gruppe wäre es daher eine Form der Gruppenselektion, wenn der Löwe Vögel fressen würde. Das ist natürlich ein sehr weitgehendes Argument, aber eine logische Abgrenzung innerhalb der Theorie der Gruppenselektion zu finden, erscheint mir schwierig. Gruppenselektion hätte unsere Vorfahren dazu bringen sollen nicht das letzte Mammut zu erlegen oder auf der Osterinsel sparsamer mit dem Holz zu sein. Spieletheorie besagt hingegen, dass es dem egoistischen Gen nichts bringt, dass letzte Mammut zu verschonen, weil es sonst lediglich von einem anderen Jäger erlegt wird. Die Geschichte zeigt, dass Tiere und Menschen immer wieder auf diese Weise gegen ihre Gruppeninteressen verstoßen haben und keine Schonung zugunsten der Gruppe vorgenommen haben. Lediglich in jüngster Geschichte der Menschheit scheitn dies in Gesellschaften, die eh einen Überfluss haben, möglich zu sein, wenn auch nur sehr eingeschränkt. Zur Abgrenzung von Verwandtenselektion und Groupenselektion auch noch das folgende bei Dawkins aus „Das egoistische Gen“S. 94:

E. O. Wilson, in his otherwise admirable Sociobiology: The New Synthesis, defines kin selection as a special case of group selection. He has a diagram which clearly shows that he thinks of it as intermediate between ‚individual selection‘, and ‚group selection‘ in the conventional sense—the sense that I used in Chapter 1. Now group selection—even by Wilson’s own definition—means the differential survival of groups of individuals. There is, to be sure, a sense in which a family is a special kind of group. But the whole point of Hamilton’s argument is that the distinction between family and non-family is not hard and fast, but a matter of mathematical probability. It is no part of Hamilton’s theory that animals should behave altruistically towards all ‚members of the family‘, and selfishly to everybody else. There are no definite lines to be drawn between family and non-family. We do not have to decide whether, say, second cousins should count as inside the family group or outside it: we simply expect that second cousins should be 1/16 as likely to receive altruism as offspring or siblings. Kin selection is emphatically not a special case of group selection.* It is a special consequence of gene selection.