Anatol Stefanotwitsch hat einen Artikel zu „Sprache und Ungleichheit“ geschrieben.
Die einleitende Kurzzusammenfassung von ihm
Das Treffen von Unterscheidungen und damit das Potenzial zur Diskriminierung ist Kernfunktion und Strukturprinzip von Sprache. Diskriminierende Sprache lässt sich nicht ganz vermeiden; umso wichtiger ist ein bewusster Umgang mit ihr.
Peter in einem Kommentar dazu:
Die im verlinkten Artikel besprochene Thematik habe ich an anderer Stelle schon (meist kurz, stichwortartig) angesprochen (die sprachliche Unterscheidung als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für gruppenspezifische Diskriminierung / aus meiner Sicht). Da auch in diesem Blog oft die Rede von Gleichheit und Ungleichheit, feministischer Sprachkritik und Konstruktivismus/Poststrukturalismus sowie Essentialismus die Rede ist, würde ich es begrüssen, wenn er hier zur Diskussion gestellt würde.
Leszek kommentierte dann dazu:
Dass unser Wirklichkeitsverständnis AUCH durch Sprache konstruiert wird, ist natürlich richtig. Während der radikale Konstruktivismus entweder Unsinn oder Banalitäten hervorbringt, ist ein GEMÄßIGTER Konstruktivismus m.E. realistisch und mit einem erkenntnistheoretischen Fallibilismus auch grundsätzlich vereinbar. Will heißen: die materielle Wirklichkeit geht der Sprache zwar voraus, aber unser Verständnis der Wirklichkeit ist AUCH (aber nicht ausschließlich) Konstruktion. Was bei dem Autor des Artikels, wie bei den meisten Diskursanalytikern zu kurz kommt, sind die Begrenzungen, die dem konstruierenden Aspekt des menschlichen Bewusstseins innewohnen.
Die Möglichkeit zur Konstruktionen wird begrenzt: 1. durch die vorhandenen materiellen Realitäten, die sich in ihrer materiellen Beschaffenheit diskursanalytischer Sprachmagie entziehen und 2. durch wahrnehmungspsychologische Strukturen, die zumindest im Schnitt bei Menschen wirksam sind und eine einfache Grundorientierung gewährleisten müssen. Das Raster Mann-Frau als zentrales Strukturierungsprinzip für Geschlechterverhältnisse, unterschieden primär nach den äußeren Geschlechtsorganen, ist meines Wissens eine menschliche Universalie. Es gibt zwar Kulturen, die auch andere Positionierungen irgendwo zwischen Mann und Frau zulassen (und das ist gut so), aber der Umstand, dass alle Kulturen primär nach den äußeren Geschlechtsorganen die Geschlechtsdifferenzierung vornehmen, zeigt, dass es den wahrnehmungspsychologischen Strukturen des Menschen offenbar ziemlich schwer fällt, jene Vielfalt von möglichen Geschlechtskonstruktionen, auf die Diskursanalytiker und Konstruktivisten gerne verweisen, auch tatsächlich zu einem alternativen kulturellen Leitprinzip werden zu lassen.
Die Argumentation, dass es auch andere Möglichkeiten gäbe Geschlecht zu definieren bleibt sehr theoretisch. Sie ist wahr, aber Menschen neigen nicht dazu es auch zu tun, weil sich das Funktionieren wahrnehmungspsychologischer Strukturen eher an Äußerlichkeiten und ihren Häufigkeitsverteilungen festmacht.
Die Unterscheidung „erwachsen/nicht erwachsen“ besitzt ebenfalls einen konstruierten Anteil, da hat der Autor Recht, aber dieser Anteil scheint mir dennoch nicht so gewaltig zu sein. Die kulturellen Zuschreibungen, was „erwachsen“ oder „nicht-erwachsen“ jeweils in verschiedenen Kulturen bedeutet, können dagegen drastisch sein, aber die Grenze selbst, an der der Übergang vom Nicht-Erwachsenen zum Erwachsenen sich vollzieht, dürfte sich in den meisten Kulturen wiederum auf ein gewisses Spektrum beschränken. Es wird sich schwerlich eine Kultur ausfindig machen, in der Dreijährige den Erwachsenenstatus zugesprochen bekommen oder 30-Jährige den Kindstatus. Es gibt ein gewisses Spektrum, bei der die Grenze kulturell differieren kann, darüber hinaus greifen wieder die Begrenzungen menschlichen Konstruierens durch materielle Realitäten und wahrnehmungspsychologische Strukturen.
Der Autor schreibt des Weiteren: „So klingt ein Satz wie “Frauen können nicht einparken” plausibler als “Menschen mit weiblichen Geschlechtsorganen können nicht einparken”, “Blondinen sind dumm” klingt plausibler als “Frauen mit hellen Haaren sind dumm” und “Schwarze tanzen gut” klingt plausibler als “Menschen mit dunkler Hautfarbe tanzen gut”. Das liegt daran, dass der jeweils erste Satz das eigentliche Kategorisierungskriterium implizit lässt und so den fehlenden logischen Zusammenhang zwischen weiblichen Geschlechtsorganen, Haarfarbe oder Hautfarbe mit der Geschicklichkeit beim Einparken, den intellektuellen und den tänzerischen Fähigkeiten verdeckt. Werden diese Verknüpfungen dagegen wie in dem jeweils zweiten Satz ausbuchstabiert, tritt die fehlende Logik deutlich zutage – die Sätze werden nun offensichtlich absurd, und wer sie äußert, müsste mindestens ausführlich begründen, wie und warum es zwischen den jeweiligen Eigenschaften einen Zusammenhang geben sollte.“
Das stimmt, aber Sprachverkomplizierungen sind eine schlechte Strategie um Diskriminierungen oder das Potential für Diskriminierungen zu beseitigen. Sprachverkomplizierungen setzen sich im Regelfall nicht durch, es sei denn durch massiven Zwang. Eine bereits vorhandene Sprache folgt m.E. einem ökonomischem Prinzip, nach dem Verkomplizierungen von Sprachregelungen von den meisten Menschen abgelehnt werden. Dazu hatte ich mit Zhen mal eine interessante Diskussion, Zhen hatte dazu eine eigene Theorie auf die Sprache bezogener Selektionsdrücke zu, nachzulesen hier:
https://allesevolution.wordpress.com/2012/01/15/was-finden-manner-und-frauen-korperlich-attraktiv/
Der Autor schreibt des Weiteren: „Unser Vokabular für die quasi-ethnische Kategorisierung von Menschen ist auf den ersten Blick sehr heterogen und unsystematisch: Manche Gruppen werden über ihre Hautfarbe kategorisiert (Schwarze, aber nicht (mehr) Gelbe oder Rote); andere über eine grobe geografische Region (Asiat/in, aber selten Afrikaner/in, außer im Kompositum Schwarzafrikaner/in), wobei auch Fehlkategorisierungen sich sprachlich jahrhundertelang halten können (wie bei Indianer/in); wieder andere nach Religion (Moslem). Diese verwirrende Unordnung wird erst in dem Augenblick verständlich, in dem man das Gegenteil zu all diesen Bezeichnungen denkt. Wenn der weiße, europäische Christ der als selbstverständlich vorausgesetzte Normalfall ist, dann kann jede Gruppe über das Merkmal definiert werden, anhand dessen sie am offensichtlichsten von diesem Normalfall unterschieden werden kann. Indem man aber diesen “Normalfall” voraussetzt, wird jede Gruppe, die diesem nicht entspricht automatisch zum “Fremden” und “Anderen”. Neutrale Unterscheidungen sind auf dieser Grundlage nicht mehr möglich – die Ungleichbehandlung und Herabwürdigung ist unauflösbar in dieses Modell eingebunden, und kein noch so großer sprachpolitischer Aufwand kann daran etwas ändern, solange der “Normalfall” unausgesprochen und unhinterfragt bleibt.“
Das scheint mir in dieser Form überzogener politisch korrekter Blödsinn zu sein. Hier wird ja quasi vorausgesetzt, dass jede von einem weißen europäischen Christen getroffene Kategorisierung von Menschengruppen schon allein deshalb eine Diskriminierung darstellt, weil sie eben von einem weißen europäischen Christen stammt. Das reicht mir definitiv nicht, um begründet Diskriminierungen zu konstatieren! Da müssen plausible Kriterien genannt werden.
Wollte man das ernst nehmen, dann dürften weiße europäische Christen überhaupt keine sprachlichen Unterscheidungen zwischen Menschengruppen mehr treffen. Das aber ist wahrnehmungspsychologisch und kommunikationspragmatisch unmöglich. Oder sie müssten stets hinzufügen: „Ich sehe mich als weißen europäischen Christen aber nicht als den Normalfall“ – da wären wir wieder bei den Sprachverkomplizierungen.
Zur geschlechtssensiblen Sprache, auf die der Autor am Ende zu sprechen kommt, gibt es übrigens eine ausgezeichnete Kritik von Arne Hoffmann, nachzulesen in:
Arne Hoffmann – Alle Menschen werden Schwestern. Sprache. Linguistik und Feminismus in: Paul-Hermann Gruner & Eckhard Kuhla (Hg.) – Befreiungsbewegung für Männer, S. 225 – 235
Das ist die treffendste Kritik der geschlechtssensiblen Sprache, die ich kenne.
In pragmatischer Hinsicht scheitert das Projekt vulgärfeministischer sprachlicher Umerziehung wiederum an seinen sprachlichen Verkomplizierungen. Das müsste man den Menschen schon mit Gewalt einprügeln, freiwillig wird die Bevölkerungsmehrheit nicht damit anfangen so zu schreiben und zu sprechen – weder Männer, noch Frauen.
Am Ende des von Dir verlinkten Artikels heißt es: „Damit schafft Sprache (wahrscheinlich unvermeidlicherweise) die Grundlage für Ungleichheit und Diskriminierung.“
Hier zeigt sich ein wenig die Überschätzung des Sprachlichen für Diskriminierungen bei Diskursanalytikern und Konstruktivisten. Die in dem Artikel beschriebenen „Grundlagen für Ungleichheit und Diskriminierung“ innerhalb der Sprache stellen ja faktisch lediglich notwendige, ABER NICHT HINREICHENDE Bedingungen für die Entstehung von Diskriminierung dar. Hier zeigt sich, dass dieser Ansatz in seiner Verabsolutierung des Sprachlichen für die Entstehung von Diskriminierung eher vom Wesentlichen ablenkt. Die Erkenntnis, dass Sprache bestimmte Voraussetzungen für die Entstehung von Diskriminierungen beinhaltet, ist wahr, aber ich halte diesen Aspekt bei weitem für nicht so zentral wie der Autor. Die übertriebene Betonung speziell der sprachlicher Aspekte läuft m.E. Gefahr abzulenken von den soziologischen, historischen und kulturellen Ursachen von Diskriminierung, Ausgrenzung und sozialer Ungerechtigkeit. Denn dort muss m.E. im Wesentlichen angesetzt werden, um diese zu bekämpfen.
Vermutlich ist gerade dies auch der Grund, warum der PC-Diskurs so stark gefördert wurde. Für die herrschende Kapitalistenklasse hat er die Funktion, dass dadurch vom Wesentlichen abgelenkt wird.
Für Gegenmeinungen bin ich natürlich offen.
Konstruktion durch Sprache finde ich als Thema durchaus interessant, denke aber, dass es überbewertet wird. Sprache ist häufig nur ein Mittel, aber nicht die Ursache.
Was sagt ihr zu dem Artikel /Thema?