„Natürliche Schönheit“ vs „kulturelle Schönheit: Warum Platz für die kulturelle Ausgestaltung von Schönheit bleibt

Der Artikel „Das tägliche Prozedere“ auf dem Mädchenblog dreht sich mal wieder ums Schminken und Haare entfernen und das das doch alles eine Menge Arbeit ist, die man sich sparen könnte und einfach „natürlich schön“ sein könnte. Natürlich durfte der Hinweis darauf nicht fehlen, dass man damit nur der männerdominierten, sexistischen Gesellschaft zuarbeitet, die eben niedliche große Frauenaugen bevorzugt, die man sich anschminken will, wenn der Hinweis auch vergleichsweise zurückhaltend  ist.

Warum also kann Schönheit überhaupt betont werden? Müßte nicht die Evolution dafür gesorgt haben, dass wir so wie wir sind bereits schön sind? Sprechen die diversen Kulturpraktiken für eine Erhöhung der Schönheit nicht gleichzeitig dafür, dass auch Schönheit nur Kultur ist?

Dabei werden aber mehrere Faktoren vergessen:

  •  Attraktivitätsmerkmale, die Ausdruck einer sexuellen Selektion sind, konkurrieren mit Körperformen, die durch natürliche Selektion entstehen und für beide kann es ein unterschiedliches Optimum geben
  • Attraktivitätsmerkmale können auf bestimmte Zustände abstellen, die normalerweise nicht dauerhaft sind, diese können durch Kulturtechniken simuliert werden
  • Attraktivitätsmerkmale können auf ein Optimum ausgerichtet sein, ob dies erreicht werden kann oder nicht.

1. sexuelle Selektion

Die natürliche Selektion ist den meisten bekannt. Dabei geht es darum, dass eine Mutation einen gewissen Vorteil bietet und das entsprechende Gen daher häufiger weitergegeben wird als andere Gene, sich also im Genpool anreichert. Das kann ein besser funktionierendes Auge sein, dass dem Träger des Gens ermöglichst mehr Nahrung zu finden und seltener selbst Nahrung zu werden und damit mehr Gelegenheit zur Fortpflanzung zu haben oder besseres Sperma, dass zu einer wahrscheinlicheren Befruchtung führt und damit die Gene besser weitergibt.

 Sexuelle Selektion ist hingegen ein etwas anderer Mechanismus und berücksichtigt mehr die Interaktion zwischen den verschiedenen Mitgliedern einer Spezies in Hinblick auf die Weitergabe der Gene. Ich hatte die Grundzüge in „Queer Theorie, Evolution und Attraktivität“ bereits einmal dargelegt, aber versuche es hier nochmal. Es geht darum, wie Fortpflanzungsmöglichkeiten gegen Konkurrenten durchgesetzt werden (intrasexuelle Selektion) und welche Eigenschaften bei potentiellen Fortpflanzungspartnern die Geschlechter jeweils bevorzugen.

Ein Beispiel intrasexueller Konkurrenz ist der Gorilla: Ein Männchen lebt mit einem Harem von Weibchen und dem Nachwuchs, um den er sich durchaus liebevoll kümmert. Er kann sich ziemlich sicher sein, dass es sein Nachwuchs ist, weil er als dominanter Silberrücken des Harems jeden anderen Gorilla vertreibt, der sich seinem Harem nährt. Die Folge sind sehr kräftige und kampfstarke Männchen. Diese Kraft hat sich entwickelt, weil sich jeweils die Gorillamännchen, die die Kämpfe mit anderen Gorillamännchen gewonnen haben, fortgepflanzt haben, gehalten haben.

Ein Beispiel intrasexueller Konkurrenz der Weibchen findet sich beispielsweise bei den Odinshühnchen. Bei diesen übernehmen die Männchen die Brutpflege, die etwa 3 Wochen dauert, während das Weibchen etwa 1 Woche braucht um ein neues Gelege produzieren zu können. Dadurch wird es für die Weibchen interessant um die Männchen zu werben, da für jedes Weibchen, dass zwei Gelege mit 2 Männchen produziert ein anderes Weibchen leer ausgeht.

Das klassische Beispiel für intersexuelle Konkurrenz ist hingegen das Pfauenrad. Eine Mutation wird die dort enthaltenden Muster eher zerstören als verbessern und ein Tier, dass schwach ist, wird einen Pfauenschwanz weder hinreichend aufbauen noch sauber halten und unterhalten können. Der Pfauenschwanz ist damit ein Zeichen, dass besagt „Wähle mich, ich habe wie man an meinem Pfauenschwanz sieht, gute Gene“.

Ein solches Merkmal erfordert aber, dass die Weibchen Vorlieben für Männer mit schönem Pfauenschwanz eingespeichert haben und diese vererben, da ansonsten der notwendige Prozess zur Entstehung des Pfauenschwanzes nicht entstehen kann. Der Prozess wird nicht nur die natürliche Selektion gesteuert, sondern allein durch das Auswahlverhalten der Weibchen (bzw. bei einem Merkmal, das Weibchen betrifft, durch das Auswahlverhalten von Männchen).

Dabei kann das Merkmal, dass durch sexuelle Selektion entsteht, sogar nachteilig für andere Fähigkeiten sein, also einer „natürlichen Selektion“ gerade entgegenstehen. Ein Pfauenmännchen ohne langen auffälligen Schwanz würde bessere Chancen in nahezu jedem Bereich haben, abgesehen von den Chancen beim anderen Geschlecht. Da aber Gene über die Fortpflanzung weitergegeben werden, bringen diese Vorteile wenig, wenn die Gene der Tiere ohne auffälligen Schwanz nicht weitergegeben werden. Oft stellt der Nachteil hier gerade den Wert des Merkmals für die Partnerwahl dar, da es eine bessere Aussage über die Angepasstheit ermöglicht (vgl. Handicap-Prinzip und Costly Signaling).

Ein weiterer stabilisierender Faktor entstammt der „Sexy Son Theorie“ (die bei umgekehrter Wahl eine „Sexy Daughter Theorie“, die Namensgebung beruht darauf, dass Weibchen im Tierreich ganz überwiegend wählen und daher Zeichen sexueller Selektion weitaus häufiger bei Männchen zu finden sind). Die Theorie erläutert, warum es so schwer ist, sich von einer einmal in Gang gekommenen sexuellen Selektion wieder zu lösen: Eine Pfauenhenne, die den Trend bricht und lieber ein Männchen aussucht, das keinen hochwertigen Pfauenschwanz hat, dafür aber ein leichteres Leben, mischt dessen Gene mit den eigenen und hat daher eine hohe Chance, Söhne zu bekommen, die keinen schönen Pfauenschwanz haben. Diese werden dann aber von den anderen Hennen als unattraktiv bewertet werden. Mit der Wahl eines unattraktiven Partners produziert man damit weniger Nachkommen (sofern der Trend sich nicht allgemein umkehrt), so dass eine Überhöhung des Merkmals und eine Beibehaltung auch für die Weibchen sinnvoll ist. Die Geschlechter produzieren eben einander, die Gene des einen können sich jederzeit in einem Phänotyp des anderen wiederfinden, was genetische Optimierung für beide Geschlechter notwendig macht. Demnach kann sexuelle Selektion ein Merkmal wie den Pfauenschwanz fördern, obwohl dieser so gesehen für das Überleben nachteilhaft ist. Da sich die Pfauenmännchen untereinander in einem Wettrüsten um die Kunst der Weibchen befinden muss jede Generation bei Beachtung nur der sexuellen Selektion ein prächtigers Rad entwickeln um mit den positiven Mutationen innerhalb der Spezies mitzuhalten (Red Queen Race). Irgendwann würden dann aber das Pfauenrad so schwer und Kosten aufwendig werden, dass die Männchen diese Last nicht mehr tragen können und sie entweder zu schwach sind, um sich hinreichend zu ernähren oder nicht mehr vor Feinden fliehen können. Die natürliche Selektion begrenzt hier also irgendwann die sexuelle Selektion.

Die natürliche Selektion hat aber nicht zwangsläufig feste Grenzen. In Gegenden oder Zeiten mit hohem Nahrungsangebot und geringen Beutegreifern können Gene für größere Pfauenschwänze erfolgreich sein als ine Gegenden oder zu Zeiten, in denen ein niedriges Nahrungsangebot oder viele Beutegreifer bestehen. Dies macht Nischenbildung (Gene für schlechte oder sehr schlechte Zeiten bzw. Gene für gute oder sehr gute Zeiten möglich). Dadurch kommt es gerade bei Merkmalen, die auf sexueller Selektion beruhen zu schwankungen. Das bedeutet aber nicht, dass ein bestimmtes Merkmal nicht aus biologischen Gründen von der Mehrzahl als attraktiv angesehen wird.

Auf den Menschen übertragen bedeutet dies, dass beispielsweise große Augen aufgrund einer Übertragung der Schutzbedürftigkeit aus dem Kindchenschema heraus gewisse Vorteile boten und dies im Wege der sexuellen Selektion zu einem Attrkativitätsmerkmal wurde, dass Gene für große Augen förderte. Gleichzeitig steht dem aber die natürliche Selektion entgegen, die Augen auf klares Sehen hin optimiert, sie vielleicht zur Vermeidung einer zu leichten Verwundbarkeit eigentlich kleiner produzieren würde. Das durch sexuelle Selektion bestimmte Maß an Augengröße kann damit von dem durch natürliche Selektion bestimmten Maß an Augengröße abweichen. Die erzielte Größe wird dann irgendwo in der Mitte liegen. Deswegen haben kulturell geschaffene Mittel, die die Augengröße optisch dem Ideal, welches bei alleiniger sexueller Selektion bestehen würde, angleichen, einen Ansatzpunkt.

Bei Haaren kann sich dies ähnlich verhalten. Haarlosigkeit bietet einen Vorteil bei Parasitenfreiheit und betont zudem Jugendlichkeit (was beides wahrscheinlich zusammenhängt: Jugendliche waren aufgrund schwächerer Gesamtkonstituion anfälliger für Parasitenbefall, was Haarlosigkeit weiter begünstigt). Gleichzeitig haben Haare innerhalb der natürlichen Selektion einen Vorteil geboten. Sie stellen einen gewissen Schutz gegen Kälte dar, erlauben eine schnellere Verdunstung von schweiß, in dem sich wiederum Bakterien entwickeln können oder leiten Schweiß wie bei den Augenbrauen von den empfindlichen Augen weg. Auch hier kann es dann dazu kommen, dass sexuelle Selektion andere Vorgaben macht als die natürliche Selektion, und man sich dem Optimum nach sexueller selektion durch kulturelle Maßnahmen nähren kann.

Beine können eine optimale Länge zum Laufen haben, aber gleichzeitig eine optimale Länge für sexuelle Erregung. Eine Annährung an die sexuelle Selektion kann hier durch eine optische Verlängerung der Beine durch Absätze erfolgen.

Reine, gleichmäßige Haut ist ein gutes Merkmal für Genqualität. Sie kann aber auch erzielt werden, indem man Unregelmäßigkeiten überdeckt.

Symmetrie ist ein gutes Anzeichen für gute Gene und daher geeigent für sexuelle Selektion, weswegen viel dafür spricht, dass zB Brüste durch sexuelle Selektion entstanden sind. Gerade bei den Brüsten dienen BHs daher auch dazu, die Brüste symmetrischer zu machen.

2. Attraktivität als temporärer Zustand

Attraktivitätsmerkmale können sich nicht nur als Zeichen guter Gene entwickeln sondern auch und gerade bei sozialen Gruppentieren als Zeichen einer sexuellen Gelegenheit oder einer besonderen Bindung.

Gerade bei Männchen, die meist die geringeren Kosten eines sexuellen Kontakts haben (etwas Sperma gegen das Risiko einer Schwangerschaft) lohnt es sich solche Anzeichen attraktiv zu finden, um sie nicht zu vergeuden. Ebenso lohnt es sich Anzeichen dafür, dass eine besondere Bindung besteht, attraktiv zu finden, damit diese höher gewichtet wird.

Viele Schminktricks nutzen genau dies aus. Sie erzeugen leicht gerötete Wangen, wie sie etwa nach einem Orgasmus auftreten oder wenn jemand aufgrund einer gewissen Zuneigung leicht nervös ist. Pupillenvergrößerungen wurden im Mittelalter durch Belladonna erzielt und sind ein Zeichen einer gewissen Zuneigung.

All diese Zustände können künstlich erzeugt und dauerhaft gemacht werden. Dadürch wird dann zwar das zeichen seines Sinnes beraubt, aber das ist ein typischer Zustand innerhalb der Evolution, die eben zu langsam verläuft um solche kulturellen Umstände zu berücksichtigen.

3. Abstellen auf ein Optimum

Es ist des weiteren zu bedenken, dass Schönheitsmerkmale nicht gerecht oder moralisch sein müssen, sondern nur effektiv für die Weitergabe von Genen, und dies unter den Umständen der Entstehung der Merkmale.

Die Evolution muss insbesondere nicht einplanen, dass es mühsam ist ein vollständiges Ideal zu erreichen, im Gegenteil, dies kann gerade der Vorteil sein („Costly Signal“) oder aber für die Effektivität schlicht unbeachtlich sein.

Nehmen wir reine, glatte, weiche Haut. Sie spricht für das Fehlen von Mutationen, einen geordneten Hormonhaushalt, ein gut durchlebtes Leben, Jugend (und damit Fruchtbarkeit) etc. All dies bietet sich für eine sexuelle Selektion an. Eine Regel „Nimm die mit der reinsten, glattesten , haarlosesten Haut“ kann diese Umstände effektiv ausnutzen. Das es theoretisch immer eine Frau mit glatterer, schönerer Haut gibt und das jede Frau gewisse Ungereimtheiten hat, steht der Effektivität der Regel nicht entgegen.

Es begünstigt aber natürlich gleichzeitig einen Wettbewerb unter Frauen, bei diesem Merkmal mit kulturellen Mitteln nachzuhelfen. Wenn eine Frau mit Schminke und Puder eine glattere Haut vortäuscht, dann steht die Frau mit natürlicher, aber deswegen schlechter werdender Haut, schlechter dar. Sie muss ebenfalls nachhelfen, hat dann evtl. den Vorteil, dass dies dann bei ihr natürlicher wirkt.

Wenn sich also alle Frauen darauf einigen würden, natürlich zu sein, dann ist dies von Nachteil für die Frauen, die eine unreinere Haut hatten und diese bisher aufwerten konnten. Es ist von Vorteil für die Frauen, die eh eine reinere Haut haben. Es handelt sich damit bei Schminke etc. weniger um ein Mittel der männlichen Unterdrückung, sondern vielmehr um einen intrasexuellen Wettkampf unter Frauen. Sie setzen die Maßstäbe nach oben und wundern sich dann, wenn Männern nach diesen Maßstäben urteilen und diese höheren Maßstäbe normal werden.

Ein weiteres Problem ist, dass die optimalen Zustände bestimmter Eigenschaften sich widersprechen können und dies aber teilweise durch kulturelle Praktiken ausgeglichen werden kann.

Ein klassisches Beispiel wäre „Große, symmetrische Brüste sind ein Zeichen guter Gene“ vs. „ein schlanker Bauch ist ein Anzeichen dafür, dass sie nicht schwanger ist (und sich die Investition in sie damit eher genetisch lohnt)„. Ein flacher Bauch ist besser bei wenig Körperfett zu sehen. Große Brüste aber sind leichter mit mehr Körperfett auszubilden. Die kulturelle Antwort auf dieses Problem sind Silikonbrüste, für diejenigen, die den Spagat zwischen beiden Prinzipien aus genetischen Gründen nicht schaffen. Gut gemachte Silikonbrüste wiederum (gerade in Verbindung mit dem in den Medien erhöhten Wettbewerb) lassen den Gegensatz zu Lasten des intrasexuellen Wettbewerbs kleiner erscheinen.

Aus Sicht der Biologie sind allerdings beide Kriterien sinnvoll, auch nebeneinander. Das sie nur von wenigen Frauen umgesetzt werden können ist dabei egal.

4. Zusammenfassung

Es gibt demnach gute Gründe dafür, warum man auch bei Zugrundelegung biologischer Schönheitsideale noch einen gewissen Spielraum hat, der durch kulturelle Ausgestaltung dieser Merkmale genutzt werden kann.