Über Heinz bin ich auf einen Artikel in der TAZ von Cord Richmann aufmerksam geworden, in dem es heißt:
Die sexuelle Selektion hat mit Natur nicht viel zu tun. Charles Darwin schrieb eigentlich Kulturgeschichte.
Sexuelle Selektion ist aber mehr als eine Kulturgeschichte. Denn Kultur impliziert, dass man sie frei verändern kann, dass sie nur einem Geschmack darstellt. Dies ist aber so nicht richtig. Viele Merkmale einer sexuellen Selektion starten sicherlich durch Zufälligkeiten und freie Wahl, meist aber stellen sie ein „ehrliches Signal“ im Sinne der Signaling Theorie dar und sind insoweit ein Kennzeichen für die Fitness des jeweiligen Individuums. Nur wenn solche Signale als Attraktivitätsmerkmal bei dem wählenden Geschlecht gespeichert sind, lohnen sich die Kosten für das andere Geschlecht, sie zu produzieren. Handelt es sich nur um eine reine Mode, dann ist die Gefahr zu hoch, dass irgendwann das Merkmal unattraktiv wird und die hohen Investitionskosten sich nicht mehr auszahlen. Der Pfauenschwanz als klassisches Element der sexuellen Selektion ist damit nur erklärbar, wenn die Vorliebe vererbbar ist.
Dies deutet der TAZ-Artikel dann auch im weiteren Verlauf zumindest an:
Das heißt aber nicht, dass sich nicht bestimmte Vorlieben über eine Population verbreiten können und so, über Generationen verfestigt, so etwas wie eine Wahlregel etablieren. Darwin findet sie selbst beim Menschen. Unsere Haarlosigkeit sieht er als ein Produkt genau jenes Vermögens der Wahl, das er bei den Pfauenhennen fand.
Allerdings wird deutlich, dass der genaue Zusammenhang durch den Autor nicht verstanden wurde:
Mit Stärke oder Gesundheit sind diese Merkmale bei Darwin nicht konnotiert. Und wenn man sich an seine Bemerkung über die Plan- und Regellosigkeit des Evolutionsprozesses erinnert, dann kann man aus seinen Gedanken nicht einmal schließen, dass Weibchen immer Männchen wählen müssen oder umgekehrt. Möglich bleibt alles, was sich zur Wahl anbietet. Und die Wahl trifft ein Individuum, keine Art, keine Rasse und auch kein Naturgesetz. In Darwins Konzeption kennt das Vermögen zur Wahl im sexuellen Geschehen keine normativen Vorgaben wie das Gute oder Gesunde. Die Natur verfährt ungeregelter, freier in ihrem Evolutionsprozess, als es die Gesetze der menschlichen Gesellschaften tun. Einfach auch deshalb, weil die sexuelle Selektion kein Naturgesetz ist. Sie kann, muss aber nicht stattfinden.
Die sexuelle Selektion muss zum Zeitpunkt der Entstehung in der Tat nicht stattfinden. Aber in der Evolutionsbiologie werden die Wahlkriterien behandelt, die inzwischen bereits verfestigt sind. Das Merkmal, dass der sexuellen Selektion unterliegt, bleibt damit attraktiv, sofern nicht eine neue Mutation auftritt, die dies ändert. Dass die Wahl damit durch das Attraktivitätsmerkmal beeinflusst wird ist dann quasi ein Gesetz. Das sexuelle Selektion Vererbbarkeit voraussetzt ist in der Biologie auch nahezu einhellige Meinung. Auch sexuelle Selektion beim Menschen muss daher von einer Vererbbarkeit ausgehen. Das Attraktivitätsmerkmal kann nicht plötzlich unattraktiv werden. Pfauenschwanze werden für Pfauenhennen nicht aus der Mode geraten.
Der TAZ-Artikel wirft da ein paar Dinge durcheinander. Daß im Tierreich nicht nur 0815-Heterosexualität auftaucht, ist nicht neu und nicht besonders verwunderlich. Inwiefern dies aber der Evolutionstheorie (die ja inzwischen, 150 Jahre nach Darwin, hervorragend bestötigt ist) widerspricht, bleibt ein wenig offen. Man hat den Eindruck, als ob der Artikelschreiber gar nicht begriffen hat, welche Grundprinzipien die Basis für die Theorie bilden.
Aber gut, es ist nicht neu, daß man als Journalist heutzutage über Dinge schreibt, von denen man nichts versteht. Sehr viel interessanter wäre, welche Fachrichtung sich hinter der Wissenschaftshistorikerin Voss verbirgt. Daß Darwin „nicht mal den Mechanismus der natürlichen Selektion als Naturgesetz verstanden haben wollte“, ist zwar schön zu wissen, aber für die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse doch eher uninteressant. Wir wissen heute halt mehr als Darwin damals, und die natürliche Selektion ist bekannt, belegt und beobachtet. Der Zyniker in mir vermutet hier, daß die besagte Dame jedenfalls keine Biologin ist.
Die andere zitierte Koryphäe mischt sich ja auch „fachfremd“ in die Debatte ein. Vielleicht hätte man mal jemand fragen sollen, der sich auskennt? Altmodisch, ich weiß, aber manchmal erkenntnisfördrend.
Richtige Homosexualität taucht meines Wissens nach dort ebenfalls recht selten auf. Eher Bi-Sexualität. Eine strikt homosexuelle Tierart hätte ja auch nur ein sehr kurzes Leben.
Ich denke gerade bei vierbeinigen Tieren wird es beim homosexuellen Sex auch häufig um Spermienqualität gehen. Man hat ja zB bereits bei Affen festgstellt, dass diejenigen, die masturbieren, altes weniger fruchtbares Sperma „verbrauchen“ und damit ihr Fortpflanzungsfähigkeit verbessern.
Ich denke auch, dass der Artikel einer kritischen Überprüfung nicht stand hält.
Richtige Homosexualität taucht meines Wissens nach dort ebenfalls recht selten auf. Eher Bi-Sexualität. Eine strikt homosexuelle Tierart hätte ja auch nur ein sehr kurzes Leben.
Najaa, man kann ja auch nicht von einigen Artgenossen auf die ganze Art schließen, nicht wahr? Und „richtige“ Homosexualität muss somit auch nicht heissen, dass die ganze Art so veranlagt ist. Homosexualität heisst ja erstmal nur, dass ein Tier sexuell zu Tieren seines eigenen Geschlechts hingezogen ist.
Deswegen schrieb ich ja „strikt homosexuelle Tierart“
Ich stimme dir im übrigen zu, dass es natürlich homosexuelle Tiere gibt. Aber es wird ja zB bei den Giraffen schnell so getan als wären sie alle schwul, weil männliche Giraffen da schnell dabei sind.
Allerdings müsste man um zu sehen, ob es wirklich homosexualität oder nur Triebabbau ist meiner Meinung nach eine Giraffe, die gerade fruchtbar ist, „zur Auswahl anbieten“. Ich vermute, dass die männlichen Giraffen dann meist eine Wahl hin zur Frau treffen würden (einzelne natürlich nicht, aber die mehrzahl, ähnlich wie bei den Menschen)
Ich vermute, dass die männlichen Giraffen dann meist eine Wahl hin zur Frau treffen würden (einzelne natürlich nicht, aber die mehrzahl, ähnlich wie bei den Menschen)
Ich nehme an, du spielst auf die sogenannte Zwangshomosexualität an, wie sie in gleichgeschlechtlichen Internaten, Gefängnissen oder der Bundeswehr vorkommt?
@Maren
das würde ich gar nicht mal sagen, es geht vielleicht etwas in die Richtung, ist aber nicht genau das Gleiche. Giraffen leben soweit ich weiß üblicherweise getrennt nach Geschlechtern. In sofern haben sie nicht soviel Gelegenheit zu Sex. Das Girfaffenmännchen unter diesen Umständen einen starken Geschlechtstrieb entwickeln verwundert mich nicht, schließlich werden die, die jede Gelegenheit nutzen mehr Nachkommen bekommen haben, die dann die Eigenart geerbt haben und so weiter.
Zwang in dem Sinne, dass eine der Giraffen vergewaltigt wird, muss aber nicht unbedingt sein (auch wenn ich mich mit den Sexualleben der Giraffe jetzt nicht im Detail auskenne). Vielleicht ist der Sex für den anderen Mann auch okay, vielleicht ist auch interesse vorhanden, ich vermute nur, dass eine „läufige Giraffendame“ aufgrund von Geruch oder optischen Unterschieden einfach wesentlich mehr begehren auslöst.
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