Die biologische und medizinische Forschung zu Geschlechterunterschieden und deren Ursachen wird im Feminismus und in den Gender Studies nahezu komplett ausgeblendet (und als Biologismus abgestempelt, der nicht diskutiert werden muss).
Ein Mittel, mit dem dies gerechtfertigt werden soll, ist das Disziplinverständnis.
Khaso.Kind hat dies als Argument bereits zweimal angeführt, einmal bei mir in der Diskussion um Gender Studies
Warum schreib ich eigentlich, dass es sozialwissenschaftlich ausgelegt ist?
Natürlich ist dann nur vorwiegend die soziale Wirkmächtigkeit von Geschlecht relevant. (Und nicht etwa die biologische.)
Du hast es nicht verstanden, ganz einfach.
Soziolog/innenen forschen soziologisch und Biolog/innen forschen biologisch. Das in der Soziologie keine biologischen Ansätze berücksichtigt werden und in der Biologie keine soziologischen Ansätze berücksichtigt werden, macht die jeweiligen Ergebnisse nicht falsch.
Und wenn die GS in der Soziologie angesiedelt sind, wie in Wien, dann heißt das nur, dass sie keine Aussagen über biologische Komponenten des Geschlechter treffen sollten. Voss darf das, der ist studierter Biologe.
und einmal in einer Diskussion bei Onyx.
Philosophische Konzepte (von vor über 30 Jahren) müssen in ihre Darstellung nicht _heutige_ Biologieerkenntnisse einbinden. Muss es andersrum ja auch nicht und tut es auch nicht. Nennt sich nach wie vor Disziplinverständnis, das unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens beleuchtet. Ihnen das vorzuhalten, finde ich ziemlich witzlos aber genau darauf schießt du dich ein.
Grundlage ist also, dass jede Forschungsrichtung einen verschiedenen Blick auf ein Problem entwickelt, der seiner eigenen Fachkenntnis entspringt.
Das ist in der Tat häufig der Fall. Mit einem bestimmen Fach ist häufig eine bestimmte Denkweise verbunden und natürlich erscheinen einem Erklärungen aus seinem Fach, bei denen man die Theorien, Denkweisen und Einzelheiten umfassend kennt häufig überzeugender.
Ein Beispiel wäre zB die Frage, wie Europa die erste Welt wurde.
Ein Islamwissenschaftler mag darauf abstellen, dass Wissen aus dem Orient improtiert wurde, ein Student der römischen und griechischen Geschichte mag auf die dortigen Errungenschaften abstellen, ein Kenner der Militärgeschichte auf die diesbezüglichen vorherigen Entwicklungen, eine andere Betrachtung mag auf Geographie, vorhandene Plfanzenarten und Tierarten und deren Nutzung etc abstellen, ein Afrikainteressierter auf die Unterdrückung afrikanischer Menschen durch Kolonisation und Sklavenhandel. Hier tragen die verschiedenen Facetten zu einem Gesamtbild bei und es wird von einem Geschichtler nicht erwartet werden, dass er sich schlau macht, welche Pflanzen wie kultiviert werden konnten.
Das kann sich auf die Sichtweise auswirken: Politikwissenschaftler sehen häufig die Handlungsspielräume der Poltik, Juristen hingegen häufig eher die Einschränkungen der Politik aus den Grundrechten heraus.
Aus der Disziplin kann auch ein anderes Verständnis menschlichen Verhaltens folgen. Sozialphädagogen neigen dazu, dass Gute im Menschen zu sehen, Wirtschaftswissenschaftler hingegen neigen eher dazu den Mensch als Egoisten zu sehen.
Und natürlich neigen Biologen eher dazu Verhalten als auf einem biologischen Ursprung beruhend anzusehen, Soziologen nehmen eher soziale Gründe an.
Aber bei letztern ergibt sich ein anderes Bild als bei der Betrachtung der Gründe für die erste Welt:
Sichtweisen können entweder ein großes Bild ergeben oder sie können sich ausschließen.
Hierzu hatte ich beim ersten Auftreten dieses Arguments das Autismusbeispiel genannt:
Ich bringe noch einmal ein anderes Beispiel:
Autismus wurde lange Zeit auf Erziehung zurückgeführt, die „Eisschrankmütter“ sollten schuld sein, die ihrem Kind nicht genug Liebe gaben. Die Sozialwissenschaften konnten es eben nicht anders erklären. Macht es dies für dich, jetzt da wir wissen, das es rein biologische Ursachen hat, zu einer neben der biologisch stehenden Erklärung für den Autismus? Oder würdest du sie aufgrund der neueren medizinisch-biologischen Studien ablehnen?
Hier können nicht beide Sichtweisen gegeneinander stehen, weil zumindest eine falsch ist. Auf seinem Disziplinverständnis zu bestehen bedeutet hier den Bereich der Forschung für ein „Na und, so sehen wir es eben nicht“ zu verlassen
In diesem Bereich steht das Disziplinverständnis dem wohl wichtigsten Prinzip der Wissenschaft entgegen:
Dem Anspruch, dass ein Verständnis für die tatsächlichen Vorgänge ermittelt werden soll.
Meiner Meinung nach kann eine wissenschaftliche Vorgehensweise bei sich widersprechenden Meinungen nur dazu führen, dass man die Argumente der Gegenseite aufgreift und sich mit ihnen auseinandersetzt. Der simple Verweis darauf, dass man eine andere Disziplin vertritt entbindet nicht von der Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite.
Ich hatte dann bei Onyx noch weitere Beispiele angeführt, die dies verdeutlichen sollten:
Wie will man denn verschiedene Aspekte vernünftig beleuchten, wenn man die andere Forschung komplett ignoriert.
Nach der These wäre es vollkommen okay in einem anderen Zweig weiter davon auszugehen, dass die Erde eine Scheibe und der Mittelpunkt des Universums ist – wir beleuchten das Erdkörperproblem nur aus unterschiedlichen Aspekten.
Und da soll man dann nicht einwenden können, dass sie eben eine Kugel ist und nicht der Mittelpunkt des Universums, weil es eben eine andere Disziplin ist?
Unter dem Gesichtspunkt ist Kreationismus dann immerhin eine ernst zunehmende Wissenschaft.
Würde mich interessieren, wie du dieses Verständnis am Beispiel Kreationismus durchziehst: „Sie dürfen ignorieren, dass Fossilien älter als 6000 Jahre sind, sie betreiben theologische Archäologie, dass ist ein anderer Gesichtspunkt, vollkommen seriöse Forschung“
In dem Bereich der Geschlechterdebatte verhält es sich ähnlich. Wenn die Geschlechter eine deutliche biologische Komponente haben und diese durch besondere biologische Fallkonstellationen (CAIS, CAH etc) nachgewiesen wird, dann ist eine Auffassung, nach der die Unterschiede zwischen den Geschlechtern allein durch die Gesellschaft hervorgerufen wird falsch.
Sie muss dann entweder erklären, warum die biologischen Fallkonstellationen gar kein sind, sondern allein auf der Gesellschaft beruhen oder aber es müssen die Theorien angepaßt werden, bis sie zumindest diese Fälle ebenfalls erklären können.
Der einfache Hinweis, dass man einen anderen Blickwinkel hat, ersetzt dies nicht. Er ist dann eine simple Ausrede um sich mit den Gegenargumenten nicht auseinander setzen zu müssen.
Dies gilt um so mehr, wenn die andere Auffassung nicht eine schlichte Meinung einiger Verwirrter ist, sondern innerhalb der Biologie und Medizin führend ist.
Vor diesem Hintergrund wäre der „wissenschaftliche Feminismus“ gehalten, auf diese Argumente zu reagieren.
Er kann sich nicht hinter seinem Disziplinverständnis verstecken.