Selbermach Samstag XIV

Welche Themen interessieren euch, welche Studien fandet ihr besonders interessant in der Woche, welche Neuigkeiten gibt es, die interessant für eine Diskussion wären und was beschäftigt euch gerade?

Welche interessanten Artikel gibt es auf euren Blogs oder auf den Blogs anderer? Welches Thema sollte noch im Blog diskutiert werden?

Evolutionäre Psychologie, Partnerwahl und Kritik

Leserin Rex hat auf meine Frage:

Du meinst, dass keine These aus der evolutionären Psychologie von der Wissenschaft angelangt ist? erscheint mir als Kritik sehr pauschal. Nehmen wir z.B. mal den Eltern Kind Konflikt oder die grundsätzlichen Thesen der Sexual Strategies Theorie. Hältst du die für unseriös?

geantwortet:

Nachdem wir über Jahrtausende nicht fähig waren, den Partner nach eigener Entscheidung zu wählen, und das auch jetzt eher selten tun – weil eben nur die Wenigsten wirklich freie Wahl haben, sowohl Männer, als auch Frauen – weiß ich nicht, was ich von der sexual strategies-Theorie halten soll.

Was außerdem gegen die EvoPsych-Erklärung spricht, wären die unzähligen unglücklich kinderlosen Paare.

Das größte Problem, was ich mit EvoPsych habe, ist dass das, was ich darüber höre, immer sehr einseitig ist. Vielleicht liegt das an den Leuten, die sich hauptsächlich damit beschäftigen (denjenigen, von denen man in der Öffentlichkeit, also außerhalb der Universitäten zu hören bekommt).

Mir drängt sich jedenfalls das Bild auf, dass EvoPsych sich mit kaum etwas anderem befasst, als dem Thema Mann/Frau und Partnerschaft. Vielleicht ist es falsch, sie komplett zu verteufeln, aber immer wenn ich mit Leuten spreche, die sich (hobbymäßig) damit beschäftigen, habe ich den Eindruck, dass sie die Steinzeit als einzige Prägung der menschlichen Psychologie vorziehen und Epigenetik und Kultur als Faktoren völlig außer Acht lassen.

Ich denke es lohnt sich, auf diese Kritik in einem eigenen Artikel einzugehen, schon weil es einige grundlegende Fragen aufwirft und das Thema des Artikels, zu dem der Kommentar eingestellt wurde, ohnehin ein gänzlich anderes war.

1. „Es gab keine frei Partnerwahl über Jahrtausende“

Hiergegen habe ich Einwände:

a) Wenn wir über die Evolution der Partnerwahl reden, dann reden wir nicht über die letzten Jahrtausende, sondern mehrere Millionen Jahre

Der Mensch ist nicht einfach so als Mensch auf die Welt gekommen. Er ist langsam durch Evolution entstanden und Partnerwahl ist ein sehr, sehr altes Problem, mit dem sich Lebewesen auseinander setzen mussten, seit es mehrere Geschlechter und Sinnesorgane gibt. Ich hatte dies schon einmal in dem Artikel „Nochmal: Schönheit, Attraktivität und Evolution“ dargelegt

Grenzt man die evolutionären Grundlagen auf Menschenartige ein, dann sprechen wir über den folgenden Zeitraum:

Neuere Analysen bestätigen diese Datierung und geben für die Aufspaltung eine Zeitspanne von 80 bis 116 Millionen Jahre an.[10] Sie nennen ferner für die Abspaltung der zu den Meerkatzenverwandten (zu den Meerkatzen, Pavianen und Makaken) führenden Linie von der zu den Menschenartigen führenden Linie einen Zeitpunkt vor rund 23 Millionen Jahren, am Beginn des Miozäns.[11] Die Menschenartigen trennten sich dieser neueren Datierung zufolge vor rund 15 Millionen Jahren in die Gibbons und die Menschenaffen.

Für den Zeitpunkt der Aufspaltung der Menschenaffen in die asiatischen Arten (die Vorfahren der Orang-Utans) und in die afrikanischen Arten wurden 11 Millionen Jahre errechnet, für die Abtrennung der Gorillas von den Schimpansen rund 6,5 Millionen Jahre und für die Abtrennung der Schimpansen von den Hominini schließlich 5,2 ± 1,1 Millionen Jahre. Wie vorläufig diese Zeitangaben allerdings derzeit noch sind, zeigen folgende Beispiele:

Während mit Hilfe der molekularen Uhr das Entstehen der Primaten in die Kreidezeit vor rund 90 Millionen Jahren datiert wurde, gilt aufgrund von Fossilienfunden ein Zeitpunkt vor rund 56 Millionen Jahren – im Paläozän – als am ehesten wahrscheinlich.[10] Als mögliche Erklärung für diese erhebliche Diskrepanz wurde 2012 darauf verwiesen, dass kleinwüchsige Primaten eine kürzere Generationenfolge und deshalb eine höhere Mutationsrate aufweisen als großwüchsige Primaten, da die Mehrzahl der Mutationen in Geschlechtszellen sich während der Replikation ereignet; der Größenzuwachs bei den Primatenarten seit dem Paläozän sei daher vermutlich einhergegangen mit einer Verringerung der bei den frühesten Primaten noch „außergewöhnlich rasanten“ Mutationsrate.[12] Die „in früheren Studien“ zugrunde gelegten Mutationsraten ergaben nach Entschlüsselung der Gorilla-Genomsequenz für die Trennung der Gorillas von den Schimpansen 5,95 Millionen Jahre; unter Verweis auf Fossilfunde wurde diese Datierung aber relativiert und – unter Zugrundelegung von Mutationsraten in heute lebenden Homo sapiens-Populationen – eine geringere Mutationsrate unterstellt, die eine Trennung dieser Entwicklungslinien vor 10 bis 6 Mio. Jahren ergab. [13]

Auf der Basis von Fossilienfunden datierte Terry Harrison Anfang 2010 die Trennung der Schimpansen von den Hominini in die Zeit vor 7,5 Millionen Jahren,[14][15] C. Owen Lovejoy datierte diese Trennung 2009 hingegen in die Zeitspanne vor etwa 6 bis 5 Millionen Jahren.[16] Nach einer Revision der Annahmen über die Häufigkeit von Mutationen wurde 2012 dann wieder eine Trennung vor 8 bis 7 Millionen Jahren errechnet.[8]

Wir können davon ausgehen, dass Wirbeltiere, Säugetiere und Primaten Partnerwahl betreiben und betrieben haben, weil sie es noch heute tun und sich die dabei zu lösenden Probleme von den heute zu lösenden Problemen nicht unterscheiden.  Die menschliche Partnerwahl hat sich also nicht in den letzten Jahrtausenden von Null auf entwickelt, sondern in den letzten 100 Millionen Jahren immer verändert. Interessant sind insoweit natürlich die Partnerwahlkriterien der Primaten: Es zeigt sich hier, dass neben körperlichen Gesichtspunkten bei vielen Arten, insbesondere unseren nächsten Verwandten, also insbesondere Schimpansen, Bonobos und Gorillas Status eine große Rolle spielt. Um so mehr die Art in einer kooperativen Gruppe lebt, um so wichtiger wird auch Status. Zu einer möglichen Herleitung der Partnerwahlsysteme verweise ich auf Gearys hier zitierte Ausführungen.

Es ist insbesondere zu bedenken, dass 1000 Jahre in Generationen gerechnet mit einer Generationenlänge von 25 Jahren gerade einmal 40 Generationen umfasst. Um bis an das Ende der Jungsteinzeit (ca. 2000 v. Chr) zurückzukommen benötigt man nach dieser Rechnung lediglich 160 Generationen. Um 5 Millionen Jahre zurück zu kommen benötigt man mit dieser Generationenfolge etwa 20.000 Generationen (tatsächlich wohl mehr, da die Generationenfolgen früher schneller gewesen sein dürften).

Nachdem sich das heutige Partnerwahlsystem mit Paarbindung und dadurch bedingter relativ sicherer Vaterschaft herausgebildet hatte, was der Körperchemie des Verliebens nach jedenfalls geschehen sein muss, bestand die biologische Interessenlage nahezu unverändert fort.

Die letzten paar tausend Jahre sind dabei evolutionstechnisch ein vergleichbar kurzer Zeitraum für tiefgreifende Veränderungen der Partnerwahl.

b) Gab es tatsächlich eine Partnerwahl?

Es wird gerne behauptet, dass Partnerwahl eine neue Erfindung ist. Ich hatte dazu schon einmal einen Artikel „Sind romantische Beziehungen bzw. langfristige Liebesbeziehungen eine vergleichsweise moderne Erfindung?

Ich denke nicht, dass es die letzten Jahrtausende keine Liebe gegeben hat. Insbesondere beim „einfachen Volk“ wird es begehren, Liebe, Partnerwahl gegeben haben. Und selbst wenn Eltern die Hochzeit arrangiert haben, dann werden sie die Interessen ihrer Kinder durchaus berücksichtigt haben und von den Kandidatinnen, die in Frage kamen, einen gewählt haben, der den Kindern auch gefiel. Und wenn nicht, dann bleiben die Kriterien über die Eltern aktiv, die den Partner für die Kinder aussuchen. Auch diese werden auf Status gesetzt haben, auf gutes Aussehen, auf Anzeichen dafür, dass der andere ernste Absichten hat.

c) Was würde es verändern, wenn es keine Partnerwahl gegeben hätte?

Auch wenn die Menschen „zwangsverheiratet“ worden wären, dann würde dies noch nicht bedeuten, dass eine Selektion gegen die zuvor erworbenen Partnerwahlkriterien stattfindet. Zum einen wären diese immer noch interessant, wenn die Auswahl für die Kinder stattfindet. Dann bliebe bei einer unvorteilhaften Ehe das Erkennen dieser und ggfs. die Auswahl des richtigen Seitensprunges. Dass sie für die Heirat nicht wählen konnten bedeutet nicht, dass die Kriterien unwichtig worden sind oder durch andere ersetzt werden.

Letztendlich sprechen sowohl Homosexualität und ihre biologischen Grundlagen als auch Asexualität als auch die beispielsweise von Buss festgestellten sehr gleichartigen Partnerwahlkriterien überall auf der Welt dafür, dass es Partnerwahlkriterien gibt.

2. Kinderlose Paare sprechen gegen die Theorien

Warum kinderlose Paare gegen die Theorien aus der evolutionären Psychologie sprechen sollen, leuchtet mir nicht ein.

Dies wäre nur dann der Fall, wenn es anderweitig bessere Kriterien geben würde, die eine sicherere Partnerwahl zulassen würden. Die meisten körperlichen Partnerwahlkriterien scheinen aber in einem durchaus engen Zusammenhang mit Fruchtbarkeit zu stehen.

Geht man davon aus, dass eine gewisse Unfruchtbarkeit nicht zu verhindern ist, dann wäre bei ansonsten wirkenden Partnerwahlkriterien davon auszugehen, dass sich Paare mit hoher Anfälligkeit bilden (da mangelnde Schönheit mit Fruchtbarkeit bei beiden Geschlechtern in Verbindung stehen würde).

Auch die Gründe für Unfruchtbarkeit müsste man näher untersuchen. Alles, was mit modernen Umwelteinflüssen, etwa hormonellen Rückständen im Trinkwasser oder Weichmachern im Plastik zusammenhängt wäre schlicht zu jung um evoltuionär berücksichtigt zu werden.

3. Evolutionäre Psychologie beschäftigt sich nur mit Mann/Frau Problematiken

Den besonderen Stellenwert von Fortpflanzung in der evolutionären Psychologie kann man nicht genug betonen. Nur Gene, die in die nächste Generation weitergegeben werden, können den Genpool dieser nächsten Generation prägen. Gene, die dem Träger ein perfektes Leben ermögliche, ihn beliebt machen, ihn stark und erfolgreich machen, müssen um älter als eine Generation werden zu können, in die nächste Generation weitergegeben werden.

Natürlich nimmt die Mann/Frau Problematik daher einen zentralen Punkt ein, da eine Weitergabe der Gene nur über Mann/Frau Verbindungen erfolgen kann.

Daneben gibt es aber auch die folgenden Themen (nach Buss, 2004):

1. Probleme des Überlebens und des Wachstums: den Organismus an den Punkt zu

bekommen, an dem er zur Reproduktion fähig ist

2. Probleme der Sexualität und Partnerwahl: Auswahl, Anziehung und Bindung eines

Partners und Vollzug des sexuellen Verhaltens, das für eine erfolgreiche Reproduktion

erforderlich ist

3. Probleme der Kindererziehung: Den Nachkommen beim erleben und wachsen zu

helfen, bis sie selbst zur Reproduktion fähig sind

4. Probleme der Hilfeleistung für genetische Verwandte: Aufgaben, die mit Hilfe bei

der Reproduktion von Verwandten verbunden sind, die Kopien der eigenen Gene in

sich tragen

5. Probleme der Kooperation mit Nichtverwandten: Reziproker Altruismus

6. Probleme der Aggression und Kriegsführung

7. Status, Prestige und soziale Dominanz

Natürlich stehen auch diese allgemein in einem Zusammenhang mit Reproduktion.

4. Epigenetik und Kultur werden ausgeblendet

In der evolutionären Psychologie geht es natürlich darum, die evolutionär herausgebildeten Regeln darzulegen. Dass diese einer kulturellen Ausprägung unterliegen ist insoweit nach meiner Auffassung innerhalb der evolutionären Psychologie nicht umstritten.

Ich denke eher in anderen Bereichen wird unterschätzt welch weitreichenden Einfluss die Biologie hat beispielsweise indem es Interesse für Kunst schafft  aber natürlich nicht die vielfältigen Ausdrucksformen von Kunst vorgibt. Auch bei Betrachtungen innerhalb der evolutionäre Psychologie verbleibt damit genug Spielraum für den Einfluss von Kultur und auch Epigenetik, wie hier etwa bei der Homosexualität.

Beides unterliegt allerdings eben gewissen Grenzen und hat bestimmte Gestaltungsspielräume. Mit einem Sozialkonstruktivismus ist dies insofern nicht vereinbar.