Einseitige Liebe

Im Spiegel ist eine Schilderung einer „einseitigen Liebesgeschichte“ aus Männer- und aus Frauensicht

Ihre Sicht: Erst war es wohl spannend, dann aber der Umschwung:

Er war laut, herzlich und intensiv. Trug mir beim Burger-Essen direkt einen seiner Poetry-Slam-Texte vor, lachte viel und war herrlich zynisch. Auf einer Halloween-Party haben wir uns das „Beißversprechen“ gegeben, blutroten Likör aus Reagenzgläsern getrunken und geknutscht. Für mich zuerst nur ein Gag, aber bei ihm gings da schon los. (…) Ich habe ihn dann auch vermisst. Wir hatten uns ein paar Wochen nicht gesehen oder zumindest nur per Videochat. Ich nahm mir ein Herz und erzählte ihm von meinen Gefühlen, sagte aber gleich, dass ich mich kenne, dass sich so was bei mir sehr schnell wieder ändern kann. Ich hätte es nie erwähnen sollen. Denn schon beim nächsten Treffen war alles anders. Seine Nähe wurde mir zu viel. Er war extra zu meiner Geburtstagsfeier nach Dresden gekommen. Er schenkte mir eine Mate-Kalebasse, einen Kürbis, aus dem man das koffeinhaltige Aufgussgetränk Mate trinken kann. Ich war gerührt. Aber im Lauf des Abends fühlte ich mich von Kai eingeengt, wollte einfach nur weglaufen und suchte die Nähe anderer. Am nächsten Tag nahm ich mir wieder ein Herz. „Gerade ist das Gefühl nicht mehr da“, sagte ich. Er war verletzt, aber wollte auch nicht aufgeben.

Ich würde vermuten, dass er etwas needy wurde und etwas viel gemacht hat. Erst war er zynisch und konnte coole Poetry-Slam-Texte vortragen und es war spannend, ob sie ihn bekommt oder nicht. Als es dann klar war, dass sie ihn auch will, ist aus seiner Sicht erst mal alles super und er will bei ihr sein. Er verliert die Aura des Mysteriösen und aus „Krieg ich ihn?“ wird „will ich ihn behalten?“. Und plötzlich, mit anderer Fragestellung, werden dann eben die ganzen Needy-Signale deutlich. Er schenkt ihr etwas, er kommt vorbei, er engt sie ein. Sie verliert das Interesse.

Bei ihm:

Irgendwann ganz am Anfang hatte ich die Wahl. Flight or Fight: laufen oder kämpfen. Ich wusste, worauf ich mich einließ. Inga machte deutlich, dass sie keine Beziehung wollte, mochte mich aber. Ich genoss ihre Nähe und sie meine. Ich wollte für sie, um sie, zur Not sogar gegen sie kämpfen. Einen Rückzug hätte ich mir damals nie verziehen. Ich wollte für sie Troja belagern, Drachen erwürgen und böse Zauberer vertreiben. Stattdessen ging ich mit der Zeit: schrieb ihr nette Nachrichten, backte ihr einen Schokokuchen und ging nach der Arbeit verbissen joggen.

Als sie mir sagte, dass sie keine Gefühle mehr für mich habe, wäre das ein guter Zeitpunkt gewesen, das Handtuch zu werfen. Aber da war es schon zu spät. Der Gedanke an Inga war inzwischen eine billige Art geworden, Glückshormone in meinem Hirn ausschütten zu lassen. Inga war über die letzten Monate von einer Person zu einem Gefühl mutiert. Inga war das Letzte, woran ich vor dem Einschlafen dachte. Inga war, was mich nicht wieder einschlafen ließ, wenn ich mitten in der Nacht aufwachte. Inga ließ mich direkt morgens wieder zum Smartphone greifen und das Spiel von letzter Nacht wiederholen. Ich fühlte mich Inga

Dann kam eines Tages die erhoffte Nachricht – allerdings mit dem Satz, vor dem sich Männer am meisten fürchten: „Du Kai, müssen uns mal unterhalten.“ Warum folgt auf so einen Satz nicht einmal „Ich habe mich unsterblich in dich verliebt.“ oder „Das mit dem Schlussmachen habe ich gar nicht so gemeint!“ Aber nein. Zum verabredeten Zeitpunkt erschien beim Videochat ein Gesicht, darin ein kleiner Mund. Und heraus purzelte: „Ich hab jetzt einen Freund.“

Nette Nachrichten, Kuchen backen, sich ganz seiner Liebe hingeben. Günstiger wäre es wohl gewesen, wenn er, gerade weil sie gesagt hat, dass sie sich nicht so sicher ist, einen Gang zurückgeschaltet hätte und etwas Spannung in die Sache gebracht hätte. Etwas Push-Pull beispielsweise oder nur die zynischere Art von früher statt Schokokuchen und nette Nachrichten.

Meiner Meinung nach hätten ihm ihr ein paar Gameelemente helfen können oder ihm zumindest deutlicher machen können, dass er auf dem von ihm gewählten Weg nicht weiter kommt, wenn sie einen gewissen Abstand hält. Dann muss man seinerseits ihr wieder das Gefühl geben, dass sie auch etwas verlieren kann, dass sie nicht noch mehr Abstand nehmen muss, sondern wieder anfangen muss, sich auch um einen zu verlieren. So hatte sie das Gefühl, ihn gerade nicht mehr einbeziehen zu können, weil er jedes Einbeziehen gleich genutzt hätte, um noch mehr um sie zu werfen.

Seine Idee zu kämpfen wäre also mit den falschen Mitteln umgesetzt worden.