„Creeper Cards“ auf der 29C3

Aus feministischen Kreisen wollte man für den Hackercongress 29c3 etwas gegen Sexismus tun und organisierte eine Pledgebank über die Karten finanziert wurden, die dann auf dem Kongress verteilt werden sollten.

Diese sahen so aus:

creepercard-rot-de creepercard-gelb-de creepercard-grün-de

Die Karten sollten Opfern eine Möglichkeit geben, sich schnell und ohne viel zu sagen gegen Belästiger zu Wehr zu setzen, indem diesen die entsprechenden Karten übergeben werden. Dieser sollte die Karte akzeptieren, seine Fehler einsehen und so gebessert werden und sein belästigendes Verhalten abstellen. Nach der Standpunkttheorie war eine Diskussion nicht gewollt, bereits das Überreichen der Karten reicht aus um die subjektive Belästigung nachzuweisen und das Überreichen der Karten zu rechtfertigen.

Besonders bedenklich finde ich die Gewaltsandrohung auf der roten Karte.  Hier wird indirekt Gewalt angedroht.

Ich hatte das auf Twitter mal angesprochen:

Wie man dort sieht war „Classless Kulla“ der Meinung man sollte sich nicht so anstellen.

Ursprünglich war wohl geplant, dass die Karten für ernste Verstöße verteilt werden, rote Karten insbesondere sollten erheblichen Belästigungen vorbehalten bleiben. Aber da der Begriff der erheblichen Belästigungen gerade in feministischen Kreisen ein sehr vages Konzept ist und alle Belästigungen schwerwiegend sein können, wurden wohl schnell auch für Kleinigkeiten Karten verteilt, was zu entsprechenden Abwehrreaktionen führte und dazu, dass man die Karten nicht mehr ernst nahm und versuchte aus deren Erlangung ein Spiel zu machen.

Die Auswirkungen werden hier auch gut beschrieben:

Hier wird großes Potential verspielt. Ich bin tief davon überzeugt, dass sehr viele Empfänger dieser roten/gelben Karten irritiert sind und eine konstruktive Antwort möchten. Wenn man diese ihnen verweigert ist es sehr frustrierend und verwirrend für den “Schuldigen”. Wie sollen sie sich verhalten? Sie können nichts mehr tun und ziehen es dann eben ins Lächerliche, weil sie es nicht nachvollziehen können.

Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass die Leute, die sich über den Spielleiter aufregen, sich nicht verbal äußern können. Sie haben alle bei der Übergabe der Karten den Grund aufgeführt. Sie haben darüber getwittert und gebloggt. Ich verstehe nicht warum man dazu noch eine Karte dann braucht… Im Sinne der Erfinderin ist es nicht.

Auch hier wird ein Problem dieser Karten gut beschrieben:

Die Parodien und Aktionen auf die Creeper Card zeigen deutlich, dass die Strafzettelmentalität hinter ihnen nicht funktioniert. Um die Creeper Card zu akzeptieren, ist bereits Awareness erforderlich. Wenn Awareness aber zur Akzeptanz der Creeper Card führt, dann brauchten rote Karten gar nicht mehr ausgegeben werden. Außerdem führte die Creeper Card bereits zu Formen ihres Missbrauchs, wie ich eingangs schon angedeutet habe: sie wird von einigen “awaren” Menschen als Mittel der Ausgrenzung verwendet, um andere “aware” Menschen vor dem Empfänger zu warnen, obwohl der Empfänger vielleicht nur unsympathisch war oder eine Vorgeschichte mit dem Herausgeber hat – die Card hat also nichts mit einem aktuellen Ereignis zu tun. (Das Konzept der Rehabilitation ist nach meiner Erfahrung für viele “aware” Menschen schwerer zu verstehen als das der Unperson. Gelöschte Personen-Dateien verschwenden eben keinen Speicherplatz mehr im Hirn.)

Man kann eben über solche Aktionen in der Tat gut ausgrenzen und sich selbst zu einem besseren Menschen im Kampf gegen den Sexismus stilisieren. Das Konzept des Mißbrauchs der Definitionsmacht wird ja leider von den Vertretern in der Regel bereits aus ideologischen Gründen ausgeschlossen.

Fefe zu den Karten:

Unter dem Strich stellte sich bei Einigen die Befürchtung ein, dass es bei diesen Karten gar nicht darum geht, irgendein tatsächlich vorhandenes oder eingebildetes Sexismus- oder Übergriffsproblem zu lösen, sondern es nur um das Kaputtmachen des Kongresses geht. Es gab da im Vorfeld einige Tweets und Blogkommentare im Umfeld der Klotür-Geschichte, die sich so deuten ließen. Auf der anderen Seite soll man niemandem bösen Willen unterstellen, nur weil das Ergebnis ihrer Bemühungen negativ ist und sie ihren Kurs nicht korrigieren. Daher gab es Gespräche zwischen A-Team und der Flauscheria und (soweit bekannt) den Mitbringern der Creepercards, die am Ende in einer „Policccy“-Gesprächsrunde mündeten. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Creepercard-Verantwortlichen schoben das Versagen der Karten der Congress-Orga in die Schuhe. Einige der üblichen Verdächtigen kamen gar nicht erst zu dem Treffen. Das hat die Fronten eher verhärtet, auf Clubseite fallen jetzt vereinzelt Wörter wie „Agitation“, und es stellt sich das Gefühl ein, dass hier jemand angereist ist, um Vorwände für Empörung zu suchen, und wenn kein Problem da ist, dann konstruiert man halt eines, indem man zu einer Gameshow spät in der Nacht geht und dort die flapsige Moderation anprangert. Das fühlt sich alles an wie ein Trollversuch, nicht wie der berechtigte Hinweis auf ein tatsächliches Problem. Und der Verlierer ist am Ende der Kampf gegen den tatsächlichen Sexismus, denn hier werden Begriffe wie „Sexismus“, „Vergewaltigung“, „Rape Culture“ u.ä. so inflationär durcheinandergeworfen, dass am Ende jemand mit einem wirklichen Übergriffsproblem statt der nötigen Hilfe ein „Haha, hat dir jemand was an die Klotür gemalt?“ kriegt, weil drumherum so viel undifferenziert hyperventiliert wurde. (…)

Oder wie ist es hiermit? Die Karten haben nicht nur die Stimmung vergiftet, sondern selbst zu mehr Belästigung geführt als es vorher ohne sie gab und sie zu bekämpfen vorgaben. Klar, man kann da jetzt Unwissenheit, Naivität und Inkompetenz unterstellen. Oder man kann davon ausgehen, dass das die Absicht war. Ich habe mir meine Meinung noch nicht zu Ende gebildet an der Stelle, tendiere aber alleine aus verschwörungstheoretischen Gründen grundsätzlich zu Absicht.

Den Gedanken, dass man hier einfach nur Stimmung erzeugen wollte und den Kongress zu eigenen Propagandazwecken mißbraucht, findet man auch hier:

1.) Stilisiere dich in die Opferrolle. Am besten durch die Nutzung von Dogmen, die es dir erlauben möglichst viele Dinge als Angriff auf dich umzudeuten und dir ein moralisch-intelektuelles Erklärschema liefern, mit dem man Kritiker gut abservieren kann.

2.) Stelle die Behauptung auf deine Gegner besitzen eine Stärke, auf die sie besonders stolz sind, nicht. Am besten bezichtige sie gleich mal der Lüge (vereinfacht: „Nerds/Geeks/Hacker sind Sexisten und intollerant.“ Am besten haben sie eine inhärente Bedrohungskultur deiner Wahl.)

3.) Finde einen Ort/Veranstaltung wo möglichst viele der besagten Personengruppe zur gleichen Zeit anwesend sind um dich zu inszinieren.

4.) Erfinde ein System mit dem du einzelne Mitglieder beschuldigen/moralisch herabwerten/verurteilen kannst ohne dass diese sich wehren können und stelle sicher dass du das überraschend und ohne Erklärung einführst. So sicherst du dir die moralische Oberhand.

5.) Recherchiere akribisch jede Fehlanwendung deines Systems bevor du dich vor möglichst großem Publikum und Kameras als Opfer inszinierst.

6.) Nutze die Reaktion der sich verteidigenden Community um deine in 2. aufgestellte Behauptungen nun zu untermauern und zu festigen. Am besten beginne noch Streit mit denen die sich durch dein Verhalten am meisten getroffen fühlen bzw. verletzt sind.

7.) Etabliere dass so eine Community von elenden Verbrechern nicht das Recht hat sich gegenüber deinem offensichtlichen moralischen Feldzug zur Wehr zu setzen oder auch nur verletzt zu sein.

8.) ???

9.) PROFIT

Zeigt meiner Meinung nach recht gut auf, warum man so etwas gerade auf einer relativ sicheren Konferenz wie der 29C3 einsetzt, die eigentlich keine besondere Geschichte der Belästigung aufweist. In der Tat ist hier das Problem eher durch die Karten selbst entstanden.

Auch die weitere Schlußfolgerung auf dem Blog passt gut zum Ansatz in dieser Form des radikalen Feminismus:

Was mich zu der Schlussfolgerung bringt: Es geht hier hauptsächlich um Aufmerksamkeit für bestimmte Protagonisten und egoistisches Durchsetzen einer engstirnigen dogmatischen Agenda ohne Rücksicht auf Verluste als um das tatsächliche Bekämpfen von Sexismus.

Weil: „Wenn ICH das gut finde, muss das ja gut für alle sein!“

Es geht eben auch hier letztendlich um IDPOL: Der Darstellung, dass man gegen Sexismus kämpft und dabei besonders harte Regeln aufstellt, dass man gegen den dann zu erwartenden Shitstorm ankämpft, der eben unabhängig von der eigenen Provokation zeigt, dass man recht hatte.

Auch auf dem Blog „Blogblume“ gibt es eine interessante Meinung zu den Creeper Cards:

Creeper Cards sind keine Kommunikation. Eher der Beweis, dass man selbst unfähig ist zu Kommunizieren. Die sind Bloßstellen, Anprangern, Drohung und wohl der beste Weg, Kommunikation zu töten. Die Diskussionbereitschaft eines Menschen, der so eine rote Karte bekommt, wird sicher nicht die Größte sein und je nach Charakter sogar ein Ansporn, Karten wie diese zu sammeln und extra unhöflich zu sein.

Viele Männer sehen in dummen Sprüchen ein Spiel, ein Versuch ihre Überlegenheit und Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Herzlichen Glückwunsch, Creeper Cards sind hier die passenden Achievements. Sie sind die Auszeichnung dafür, rebellisch und nicht politisch korrekt zu sein. Wer ist bitte auf die total hirnrissige Idee gekommen, dass diese Art von Auszeichnung etwas ändert?

Redet miteinander und wenn ihr das nicht könnt, dann hilft euch auch keine Creeper Card, aber sie kann verhindern, dass das letzte Stückchen Diskussionsbereitschaft das Klo runtergespült wird.

Dass beleuchtet gut die Reaktion, die solche Karten haben: Sie erzeugen Widerstand und werden von gewissen Leuten dann eher als Anstachelung verstanden. Dieser Gedanke ist radikalen Feministen, die an IDPOL und Definitionsmacht glauben aber wohl eher nicht zu ermitteln: Aus ihrer Sicht ist das Vorhalten von falschen Verhalten niemals falsch und ein Zurückhalten aufgrund von verschärfenden Folgen eher ein Einknicken vor dem Feind.

Wie das Verteilen solcher Karten wirkt, ist auch hier Thema:

Doof auch wenn man Karten verteilen möchte wie ein Schiri, aber im Gegensatz zu diesem die anderen Spieler nicht auf einen hören. Wenn einem einfach alle glauben sollen das man Recht hat und sich über einen dummen Spruch/Moderator nicht lustig machen kann, wenn man ihn doch so doof fand. Echt doof.

Es wirkt eben auch aufgrund der fehlenden Gesprächsbereitschaft schnell Oberlehrerhaft.

Und zum Klima vorher fand eine weibliche Besucherin auch deutliche Worte:

Bevor ihr mit eurem verzehrten Weltbild, eurem staendigen bedroht fuehlen in eurer sorgsam zusammen konstruierten Geschlechtsidentitaet, anfingt den Kongress und aehnliche Veranstaltungen vergiften gab es de facto kein Problem. In den letzten Jahren konnte ich mich als Frau frei auf dem Kongress bewegen. Niemand hat gesagt „Oh Titten. Was willst du denn hier?“ oder „Oh du bist eine Frau bitte habe Sex mit mir.“ Die boesen, maennlichen Kongressbesucher haben mir keine dreckigen Sprueche hinter her gerufen, mich nicht als potentielle Geschlechtspartnerin behandelt – sondern oh Wunder: mein Geschlecht war einfach kein Thema.

Seitdem ihr bei jeder Kleinigkeit „Sexistische Kackscheisse1111!!!!111mimimi“ schreit, in schoener regelmaessigkeit Shitstorms bei Twitter los tretet wegen jeder noch so kleiner Kleinigkeit und ihr jetzt auch noch mit laecherlichen bunten Zetteln ankommt (ich hoffe ihr meint das ironisch) sind viele maennliche Kongressteilnehmer einfach nur verunsichert. Ihr habt mit eurem Gift mein Geschlecht erst zum Thema gemacht. Wenn ihr euch hier nicht wohl fuehlt und mit dem normalen menschlichen Miteinander zwischen Maennern und Frauen nicht klar kommt – dann bleibt doch einfach zu Hause.

Setzt euch mit euren *cis/trans/eichhoernchen/awaren-Freunden in euer Wohnzimmer und versteckt euch vor der boesen, boesen Welt da draussen und pflegt weiter eure Minderwertigkeitskomplexe.

Dass der feministische Ansatz häufig erst die Geschlechter betont, obwohl die Geschlechter ja eigentlich weniger in den Vordergrund gestellt werden sollen, wurde hier ja auch schon häufig geäußert. Indem das Bild der Frau als Opfer und des Mannes zumindest als potentiellen Täters hervorgehoben wird entsteht erst eine Atmosphäre, in der es zu Sexismus kommt. Wer zuviel Awareness fordert, der hebt damit gerade das Geschlecht hervor. Im radikalen Feminismus wird man natürlich sagen, dass vorher eben der Sexismus einfach nur totgeschwiegen wurde und genau so präsent war und dadurch nur öffentlicher wird und damit die gute Sache gefördert wird. Es scheint aber jedenfalls aus Sicht vieler Teilnehmer gerade nicht der Fall gewesen zu sein.

Einen Einsatz der Karten, sogar der roten Karten, kann man hier bei der „Jeopardy-Veranstaltung“ sehen:

Die erste rote Karte gab es um 1:36:20, die zweite um 1:52:50 und noch einige andere um 1:54:50. Danach verließen wohl auch Leute den Saal, weil sie den Sexismus nicht mehr aushielten.

Ich fand den Moderator jetzt vergleichsweise harmlos. Ich sehe da nichts, was eine Karte, schon gar nicht eine rote Karte, gerechtfertigt hätte.