Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling: Tussikratie

in einem Interview in der Brigitte erläutern die Autorinnen des Buches „Tussikratie“ einige ihrer Thesen:

Sie schreiben in Ihrem Buch: „So einen guten Ruf wie heute hatten Frauen in Deutschland noch nie.“ Das ist doch eine gute Nachricht. Warum gönnen Sie das den Frauen nicht?

Theresa Bäuerlein: Es ist nicht so, dass wir es den Frauen nicht gönnen, wir sind ja selber welche. Wir kritisieren, dass Frauen heute entweder als Weltenretter dargestellt werden, oder als arme Opfer, die von den Männern unterdrückt werden. Das ist ein Widerspruch, der verwirrend ist und unangenehm. Die beiden Extreme verstellen den Blick dafür, wie die Welt wirklich ist.

Es ist aus meiner Sicht kein Widerspruch, denn die diesbezügliche Geschichte lautet ja „Gegenwärtig werden Frauen unterdrückt, soweit sie sich aus der Unterdrückung befreien, wird die Welt besser“. Dabei muss man je nach Feminismus unterscheiden: In einem Differenzfeminismus liegt das an der besseren Art der Frauen, die eben eher Leben schaffend und nicht zerstörend sind, im einem poststrukturalistischen Genderfeminismus kann man das natürlich nicht so klar benennen, da sind Frauen lediglich der beste Garant dafür, dass jemand nicht nach dem Schema einer hegemonialen Männlichkeit auftritt und insoweit für eine bessere Welt sorgt. Hier liegt häufig der eigentliche Widerspruch, da man dann eben nicht bei einer höheren Frauenbeteiligung eine Verbesserung erreichen würde, sondern auch bei mehr Männern mit einer nichthegemonialen Männlichkeit, die also nicht „Mackerhaft“ auftreten, wobei dazu dann natürlich wieder gehören würde, dass sie Frauen im gleichen Maße an die Spitze lassen würden etc.

Theresa Bäuerlein: Natürlich sind wir in einer Übergangszeit. Aber ich halte es nicht für selbstverständlich, dass diese Zeit zu einer gleichberechtigten Gesellschaft führt. Im Moment sieht es eher so aus, als ginge es darum, den Spieß umzudrehen. Nach dem Motto ‚Die Männer haben es versaut, jetzt müssen die Frauen es richten.‘

Wäre interessant, wie sie es im Buch darstellen, denn es gibt ja die Theorie im vorherrschenden Feminismus so nicht wieder (wenn auch den abstrakteren Gedanken, der da mitschwimmt) und bietet insofern auch ein Einfallstor für Kritik. Es ist eben weniger „Männer haben es versaut“ als vielmehr „bestimmte Aspekte von Männlichkeit führen zur Unterdrückung des sozial geschaffenen Konstrukts Frau, Personen unter diesem Label können sich dadurch nicht entfalten und haben Nachteile, während die Männer dadurch privilegiert sind, in einer Welt nach unseren Vorstellung ginge es dagegen alles gut und jeder hätte gleiche Chancen, wir müssen die Rollen durchbrechen, indem mehr Frauen nach oben kommen, die noch nicht diese schädliche männliche Rolle verinnerlicht haben“.

In der Sache geht es aber ja durchaus in die Richtung und der Gedanke einer Umkehr im Sinne eines „wir waren Jahrtausende unterdrückt und ihr beschwert euch, wenn euch bei der Angleichung ein paar Privilegien weggenommen werden, dass ist doch keine Diskriminierung“ verschleiert im Feminsmus diesen Gedanken eher schwach, weil ja tatsächlich natürlich Gruppennachteile zugewiesen werden sollen und die Gründe für andere Verteilungen nicht untersucht und einfach von einer Diskriminierung ausgegangen wird.

Friederike Knüpling: Wir glauben, dass die ganze Gleichstellungdebatte den Frauen nicht guttut. Sie beschert ihnen eben nicht eine ‚Hochzeit in der Weltgeschichte der Frauen‘, wie es oft beschrieben wird. Es überfordert viele Frauen, dass sie ständig als diejenigen, die die Männer endlich überrunden sollen, dargestellt werden. Es ist eine schwierige Welt, in der wir leben, und die Probleme, die wir haben, müssen Männer und Frauen gemeinsam lösen.

Das finde ich eine interessante Aussage, die denke ich durchaus etwas für sich hat: Natürlich schafft auch die Rolle der Frau, die es jetzt den Männern zeigen muss und auch Karriere machen muss, einigen Druck, gerade wenn man eigentlich vielleicht auch etwas kürzer treten möchte und Kinder bekommen und dann „etwas von den Kindern haben“ möchte. Denn damit sind alle Wege irgendwie belastet: Der Karriereweg macht sie zur Rabenmutter oder Kinderlos, der Mutterweg erfüllt die Erwartungen nicht, dass sie auch Karriere macht und der Mittelweg bedeutet, dass sie in beiden Richtungen Kompromisse macht. Letztendlich ist das Baby eben kein Feminist. Und hier kann dann eben der Gedanke, dass man bestimmte Probleme einer Familie eben gemeinsam löst und dies auch mit Kompromissen – häufig bei ihm bei der Zeit, die er mit den Kindern verbringt und bei ihr mit der Zeit, die sie an ihrer Karriere arbeitet verbunden ist. Wenn es als kooperatives Spiel um die Organisation einer Familie dargestellt wird ist es eben etwas anderes als wenn man sich selbst nur als ein Spielstein in einem Kampf der Gruppe Frau um Macht mit der Gruppe Mann in einem Nullsummenspiel sieht.

Theresa Bäuerlein: Die ‚Tussi‘ ist für uns keine bestimmte Person, sondern eine innere Haltung, die heute viele haben, Frauen wie Männer. Sie legen an jedes Thema die Perspektive der Frauenbenachteiligung an. Auch dann, wenn eigentlich andere Fragen wichtiger wären.

Friederike Knüpling: Auf diese Weise werden Geschlechterrollen eher zementiert als aufgelöst. Theresa und ich haben festgestellt, dass wir uns in den letzten Jahren durch die vielen Beiträge zur Frauenfrage plötzlich viel stärker ‚als Frauen‘ wahrgenommen haben als früher. Oft behindert uns das aber. Es kann einem die Energie nehmen, die in individuellen Zielen steckt. Stattdessen sieht man sich als eine von denen, die unweigerlich Opfer von Diskriminierung sind, selbst wenn sie das selbst vielleicht gar nicht spüren.

Das ist ein sehr zentraler Kritikpunkt, den ich auch schon häufiger gemacht habe: Nirgendwo ist die Frau mehr Opfer im Feminismus, nirgendwo ist ihre Lage düsterer („ Für ganz viele Frauen ist es extrem schlimm einfach schon auf die Straße zu gehen), nirgendwo lauert mehr Übel auf sie und nirgendwo ist jeder evtl Nachteil so eng mit dem Geschlecht verbunden. 

Wenn eine Frau nicht Karriere macht, sich für das falsche Studium entscheidet, lieber Mutter sein will oder einen Mann küsst, dann liegt das eben nicht an ihrer freien Entscheidung, sondern an den sexistischen Strukturen dieser Gesellschaft, einer strukturellen Diskriminierung, einer fest eingezogenen undurchlässigen Decke und dem Patriarchat. Dieser Feminismus bedient sich insoweit auch stark der „Female Hypoagency“ also der weiblichen Unterverantwortung und ist gerne ein Unmündigkeitsfeminismus.

Theresa Bäuerlein: Ja, aber es ist schon so, dass nur bestimmte Meinungen erlaubt sind. Wir nennen das auch ‚Diskurspolizei‘. Wer es wagt, ein anderes Bild von einer Frau zu zeichnen, von einer, die vielleicht keine Führungsposition oder keinen Job in einer Männerbranche will, wird abgestraft. Uns stört auch der Gruppenzwang. Wenn eine Frau keine Kinder möchte oder sich nicht automatisch auf die Seite der Mütter schlägt, wird sie angegriffen. Als würden alle Frauen das Gleiche wollen oder denken. Eine offene Diskussion sieht anders aus.

Die Diskurspolizei ist etwas sehr zutreffendes, im Diskurs darf eben falschen Positionen kein Raum gegeben werden. Es gibt auch gerade, weil es um eine Identitätspolitik des größtmöglichen Opfers und der Anerkennung und des Schutzes dieses Opfers geht kaum ein richtig, aber sehr viel falsch. Es ist insoweit ein „Nicht-Gut-Genug-Aktivismus„.

Sie sagen „Männer können heute nur alles falsch machen.“ Tun Ihnen die Männer leid?

Das an sich ist schon einmal eine interessante Frage. Man stelle sich vor, wie sie im sonstigen Netz-Gender-Feminismus beantwortet werden würde. Leidtun? Wenn sie alle Privilegien dieser Erde haben? Mimimi!!

Friederike Knüpling: Ich denke, dass Männer genauso von Rollenbildern eingeschränkt werden wie Frauen. Männer haben es zum Beispiel scheinbar viel schwerer, im Beruf auf Teilzeit zu gehen und sich mehr um die Familie zu kümmern. Es kommt mir oft so vor, als hätten Frauen insgesamt mehr Möglichkeiten zu wählen, auch in dem, was sie erleben wollen, was sie fühlen und artikulieren dürfen. Das zeigt sich schon in der Mode. Frauen können sich viel mehr ausdrücken, heute einen Anzug tragen und morgen ein Blumenkleid. Die Mode für Männer ist viel einseitiger.

Das ist ja durchaus ein positives Statement, dass aus meiner Sicht noch nicht einmal so umstritten sein sollte. Es wird im Netz-Gender-Feminismus vielleicht auch durchaus geteilt, nur eben mit dem Zusatz „daran sind aber die Männer selbst schuld, weil die einschränkenden Rollen ja alleine durch die hegemoniale Männlichkeit/das Patriarchat definiert werden. In unserer feministischen Welt würde das auch alles wegfallen und jeder kann tragen was er will (es sei denn was mackerhaftes! Das geht nicht!).

Theresa Bäuerlein: Mir tun die Männer leid, weil sie bislang keine echte Männerbewegung hatten. Und offenbar glauben, das bräuchten sie nicht. Es gibt zwar ein paar Gruppen, die sich zu Wort melden, aber das ist ein wütender Protest, der nicht viel bewirkt. Es geht selten darum, was Männer wirklich wollen. Das fängt bei den Kindern an: Den Mädchen wird beigebracht, dass sie alles einfordern sollen, was sie möchten. Und den Jungen bringen wir bei, sich zurückzunehmen. Wir schlagen ihnen vor, Berufe wie Erzieher oder Altenpfleger zu wählen, von denen Mädchen jetzt auch gern mal abgeraten wird. Und trotzdem wird am Ende der Hausmann, der mit selbstgebackenem Kuchen in der Kita erscheint, belächelt. Wir alle müssen unser Männerbild hinterfragen und über echte Wahlmöglichkeiten sprechen.

Auch das ein sehr interessantes Statement. Würde mich interessieren, ob die beiden Autorinnen sich die „maskulistische Blogszene“ angesehen haben, so gesehen haben sie ja durchaus recht, wir schreiben hier zwar so einiges, aber die erreichte Öffentlichkeit ist dabei noch relativ gering im Vergleich zum Feminismus.

Auch eine aus dem gängigen Netzfeminismus so wohl nicht zu hörende Position: Mädchen wird beigebracht, etwas einzufordern, Jungen sich zurückzunehmen. das ist mit der gängigen Vorstellung, dass Frauen zur Passivität erzogen werden und daraus alle späteren Karrierenachteile herrühren nicht in Einklang zu bringen.

Und dann wird auch noch angeführt, dass bei den Männern zwar eine Abweichung vom Rollenbild gefordert wird, dass Ergebnis aber eben gerade für Frauen nicht attraktiv, sondern eher lächerlich ist. Also ein gewisser Bezug dazu, dass auch das weibliche Partnerwahlverhalten die Geschlechterrollen stützt und bewirkt.

Ein erfreulicher frischer  Wind.

Und es geht ähnlich weiter:

Nun, dabei könnte helfen, den Frauen die gleichen Gehälter wie den Männern zu zahlen. Sie kritisieren aber den Umgang mit dem ‚Gender Pay Gap‘ im Buch.

Theresa Bäuerlein: Das ist einer der Punkte, wo Frauen sich unglaubwürdig machen, weil sie die Fakten verzerren. Es wird so getan, als würden alle Frauen grundsätzlich 22 Prozent weniger verdienen als Männer, was einfach nicht richtig ist.

Friederike Knüpling: Die 22 Prozent kommen durch viele verschiedene Faktoren zustande. Die müssen wir uns genau anschauen, aber wir können nicht so tun, als sei die Frau grundsätzlich das arme Opfer und Diskriminierung der alleinige Grund. Diese Einstellung verstellt den Frauen den Weg.

Das ist eine Form der feministischen  Betrachtung, wie ich sie mir durchaus wünsche. Nämlich mit Blick auf die Fakten und dem Mut, auch alte feministische Mythen anzusprechen und sie als nachteilhaft zu benennen. Denn gerade eine falsche Darstellung des Gender Pay Gap schreckt eben doch wohl eher Frauen ab und die Faktoren sind keineswegs so einfach einer Diskriminierung zuzuordnen, sondern eben teilweise auch einfach anderen Lebensentscheidungen mit anderen Schwerpunkten.

Hiergegen wird der Netz-Gender-Feminismus eben anführen, dass ja diese Lebensentscheidungen und Schwerpunkte auch nur eine Folge der Geschlechterrollen sind, die diskriminierend zu Lasten von Frauen wirken. Wären diese nicht vorhanden, dann würde es genau so wenig Unterschiede in der Wahl von Frauen und Männern geben, wie zwischen blonden und braunhaarigen Menschen, denn auch das Geschlecht ist ja nur eine Konstruktion, bei der an bestimmten körperlichen Merkmalen gesellschaftliche Rollen festgemacht werden.

Das das Thema Geschlecht nicht so einfach ist und die Biologie hier erheblich hineinspielt wird insofern nicht wahrgenommen, dass Frauen eine bewußte, ihnen durchaus vorteilhaft erscheinende Lösung wählen, die ihren Vorlieben entspricht, auch nicht.

Theresa Bäuerlein: Am Ende haben Frauen noch ein schlechtes Gewissen, weil sie sich einen dieser ‚weichen Jobs‘ ausgesucht haben, für die man so schlecht bezahlt wird. Ich selbst habe manchmal das Gefühl, dass es cooler und politisch korrekter gewesen wäre, Physik zu studieren statt Journalistik. Viele Frauen glauben, sie müssten für die Sache der Frau Karriere machen und stellen eigene Wünsche zurück. Das bringt uns doch nicht voran.

In der Tat vergrößert so gesehen jede Studentin, die Gender Studies statt Physik studiert, den Gender Pay Gap. Dennoch scheint man dort nicht nach dieser Ansicht im 2. Semester auf Physik zu wechseln und so aus den zugewiesenen Rollen auszubrechen.

Aber ist es nicht schon wieder ‚typisch Frau‘, dass wir uns gegenseitig anzweifeln? Dass Sie also diejenigen, die Frauen fördern wollen, kritisieren statt sie zu unterstützen?

Friedrike Knüpling: Nein, wir wollen auf gar keinen Fall sagen: Frauen, lasst jetzt mal die armen Männer in Ruhe. Wir wollen Frauen nur bewusst machen, dass sie sich selbst beschränken, wenn sie sich als Repräsentantin des gesamten Geschlechts betrachten.

Theresa Bäuerlein: Frauen sollten sich schon bewusst sein, dass es noch Probleme gibt, aber trotzdem nicht ständig mit einem Opfergefühl durch die Welt laufen. Wir müssen unterscheiden können, ob wir schlecht behandelt werden, weil wir eine Frau sind – oder ob es um mich als Person geht. Es kann ja auch mal sein, dass ich einen Job nicht gut mache oder mich die Kollegen nicht mögen.

„Wir müssen unterscheiden können, ob wir schlecht behandelt werden, weil wir eine Frau sind – oder ob es um mich als Person geht“. Also nicht bei jeder kleinen Sache sofort auf die patriarchischen Strukturen verweisen und alle anderen dafür verantwortlich machen? Die eigene Unmündigkeit aufgeben und das eigene Verhalten hinterfragen? Also in gewisser Weise Opferblaming machen? („habe ich mich dem Patriarchat nicht gut genug angedient,  verdammt nein, noch radikaler, habe ich vielleicht was falsch gemacht?“)

Ich halte den zitierten Satz für sehr wichtig in der Geschlechterdebatte. Nicht alles passiert, weil man unterdrückt wird. Und wer überall Unterdrückung sehen will, der wird sie auch sehen, dass bedeutet aber nicht, dass sie unbedingt dort ist.

Was für eine Debatte wünschen Sie sich?

Friedrike Knüpling: Ich wünsche mir, dass wir mehr über Ungleichheit generell reden, unabhängig vom Geschlecht. Nicht jeder Mann ist Chef und nicht jeder Mann verdient gut. Chancengleichheit hat auch etwas mit sozialer Herkunft, Branchenzugehörigkeit oder Alter zu tun. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die soziale Mobilität ’nach oben‘ zu gering ist, um diejenige aufzuwiegen, die ’nach unten‘ geht. Oben gibt es die gläserne Decke – aber keineswegs nur für Frauen, und auch nicht für alle von ihnen. Unten wiederum hat man dünnes Eis, während die Mieten munter steigen … Die Sorge, dass nur ja viele Frauen schick Karriere in diesem System machen mögen, ist mir zu kurz gedacht, denn an der Weise, wie gearbeitet und das Geld verteilt wird, ändert sich durch ein paar Karrieren nicht viel. Darüber sollten wir sprechen, das bringt die Gesellschaft wirklich weiter.

Auch ein schöner Hinweis auf die im Feminismus weit verbreitete Apex Fallacy, also den Gipfel-Trugschluss und die Theorie dort, dass Privilegien nach Gruppen, also zB Mann und Frau verteilt werden. Zwar nur mit dem Hinweis auf weitere Kategorien verbunden und insoweit in gewisser Weise auf einen Intersektionalismus, so dass auch hier viele Feministinnen sagen werden, dass es doch genau das ist, was sie eh längst vertreten, aber immerhin.