Homosexualität als Komplizen männlicher Herrschaftsstrukturen

Leser Leszek zitiert eine interessante Passage zu feministischen Strömungen, die Homosexualität als Bestätigung männlicher Herrschaftsstrukturen sieht:

 

(…) so definiert doch eine wesentliche Strömung des Lesbischen Feminismus schwule Männer als Komplizen männlicher Herrschaftsstrukturen und betrachtet sie konsequenterweise als weniger geeignete Verbündete von Lesben als heterosexuelle Frauen. Sheila Jeffreys z.B. betont die Solidarität zwischen Frauen und Lesben – eine Solidarität, die ihr zufolge für den gesamten Feminismus selbstverständlich sein sollte – , während sie gleichzeitig ein vergleichbares Bündnis zwischen Lesben und Schwulen verneint. Indem sie geschlechtliche Identitätskategorien höher bewertet als sexuelle, stellt Jeffreys “das ganze System männlicher Vorherrschaft” in den Vordergrund. Damit kann sie das weitgreifende und vom Geschlechterstandpunkt geprägte Argument begründen, dass alle Männer, einschließlich schwuler, Frauen unterdrücken. (Jeffreys 1994b, 460) Darüber hinaus macht sie schwule Männer als diejenigen aus, die eine besonders wichtige Funktion an dieser allgemeinen Unterdrückung haben: “Durch ihre Beteiligung in den Medien und in der Modeindustrie spielen Schwule eine einflussreiche Rolle bei der Definition dessen, was in einer Kultur männlicher Vorherrschaft als weiblich gilt.” (ebd.., 461) Die Darstellung von Schwulen als Verkörperung patriarchaler Werte hat eine bedauerliche homophobe Geschichte innerhalb der feministischen Theorie. Außer im bereits diskutierten Aufsatz von Rich taucht diese Idee auch in den Schriften von Irigaray (1981, 107-11) und Frye (1983) auf (…).
Jeffreys stimmt dem Argument von Marilyn Frye zu, wenn es, ähnlich formuliert, behauptet: “Schwule verhalten sich konformistisch zur männlichen Vorherrschaft, weil sie sich entscheiden, diejenigen zu lieben, die in diesem politischen System jeder lieben soll, nämlich Männer.” (…) (Jeffreys1994 b, 468)
(…)
“Ein Blick auf einige der Prinzipien und Werte der männerdominierten Gesellschaft und Kultur legt unmittelbar nahe, dass homosexuelle Bürgerrechtsbewegung und schwule Kultur, wie diese sich in ihren öffentlichen Äußerungen darstellt, in wesentlichen Punkten eher im Einklang als im Widerspruch zur männlichen Herrschaft stehen. Diese ist jedoch feindlich gegenüber Frauen wie der Frauenliebe, der sich Lesben verschrieben haben.” (ebd., 130)
Zu diesen “Prinzipien und Werten”, die laut Frye heterosexuelle und homosexuelle Männer mit den Banden unerschütterlicher Männlichkeit verknüpft, gehören der Kampf für männliche Bürgerrechte, Homo-Erotik, Frauenhass und männliche Zwangsheterosexualität. Schärfer als Rich und Jeffreys betont Frye diese vermeintliche Nähe zwischen phallokratischer Kultur und der Homo-Befreiungsbewegung. Doch sie schließt daraus sogar, dass Schwule, weit entfernt davon, bloß heterosexuellen Männern ähnlich zu sein, “im allgemeinen in allen wichtigen Punkten nur noch loyaler zu Männlichkeit und männlicher Herrschaft stehen, als andere Männer”. (ebd., 132)
Frye argumentiert weder als erste noch als letzte lesbische Feministin, die Männerbündelei, die den heterosexuellen Austausch ermöglicht, unterscheide sich eher graduell als im Wesen vom Männerbund, der Homosexualität unterstützt.
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Nachdem sie (…) behauptet hat, dass sich heterosexuelle und schwule Kulturen in ihrer Liebe zu Männern und ihrem Hass auf Frauen einig sind, macht Frye das Prinzip hinter der männlichen Zwangsheterosexualität ausfindig: “Es ist sehr wichtig für die Aufrechterhaltung männlicher Herrschaft, dass Männer Frauen ficken und zwar oft. Es ist also erforderlich, es ist zwingend. Es bedeutet Pflichterfüllung und ist auch Ausdruck von Solidarität.” (ebd., 140)
Der Diskurs der Homo-Befreiung steht zu dieser Anforderung anscheinend im Gegensatz oder trägt sie zumindest nicht mit. Frye erkennt zwar an, dass Schwule im allgemeinen nicht daran interessiert sind, in diesem Sinne “ihre Pflicht zu erfüllen”, hält jedoch dagegen, dass der Grund dafür ein überentwickelter Frauenhass ist: “In vielen Fällen sind (Schwule) nur deshalb abgeneigt, ihre Pflicht zu erfüllen, weil sie ihre Lektion in Frauenhass nur zu gut gelernt haben. Sie weigern sich, diesen Teil des Mannseins auszuspielen, weil der geforderte Frauenhass, eine Form und Intensität angenommen hat, die andere Erfordernisse der Männlichkeit überwiegen.” (ebd.)
(…)
Ihr Beharren darauf, dass Geschlecht die wesentliche Unterdrückungskategorie ist, stellt die Projekte des Lesbischen Feminismus und die Schwulenbefreiungsbewegung als unvereinbar dar: “Ich sehe überhaupt keine natürliche Affinität zwischen Lesbischem Feminismus und der Schwulen-Befreiungsbewegung, ihre Politik steht in den meisten Fällen vielmehr im direkten Gegensatz.” Diese Annahme löste eine langwierige Debatte aus. Obwohl sie keine notwendige Voraussetzung des Lesbischen Feminismus ist, beeinflusst sie doch weiterhin die Auseinandersetzung um die Darstellung sexueller Identitäten.

Aus: Annamarie Jagose – Queer Theory. Eine Einführung, S. 69 – 72

Inzwischen wohl eher eine Randmeinung im Feminismus, bei dem Homosexualität in den poststrukturalistischen interesektionalen Ausrichtungen als Nachteil, Heterosexualität hingegen als Privileg gesehen wird, wobei der als männlich gelesene Homosexuelle aufgrund seines Geschlechts durchaus Privilegien als Mann hat.