Zum Verhältnis von Sprache und Realität bei Judith Butler

Leser El Mocho hat eine interessante Kritik an Judith Butler geschrieben, die ich gleich mal etwas prominenter herausstellen möchte:

Judith Butler ist bekannt für ihre Theorie, die sich „gegen die Annahme eines faktischen, materiellen körperlichen Geschlechts (wendet), das mit einem sozialen Konstrukt (gender) überschrieben wird. Sie geht davon aus, dass der Begriff des biologischen Geschlechts und der damit zusammenhängende Rekurs auf Naturalität selbst „eine kulturelle Norm, die die Materialisierung von Körpern regiert“ ist. (http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6rper_von_Gewicht#Materialit.C3.A4t_des_Geschlechts)

Das da die Frage naheliegt, wer denn der Konstrukteur dieses Konstruktes sei, bzw. woher denn diese kulturelle Norm stammt, wenn sie schon bei der Identitätsbildung von Menschen ansetzt, also praktisch bevor diese überhaupt handelnd aktiv werden können, weiß Butler selber. Sie schreibt:

„If gender is a construction, must there be an “I” or a “we” who enacts or performs that construction? How can there be an activity, a constructing, without presupposing an agent who precedes and performs that activity? How would we account for the motivation and direction of construction without such a subject?“ (Bodies that matter, p. 7)

Und antwortet auf die Frage:

„I would suggest that it takes a certain suspicion toward grammar to reconceive the matter in a different light. For if gender is constructed, it is not necessarily constructed by an “I” or a “we” who stands before that construction in any spatial or temporal sense of “before.” Indeed,- it is unclear that there can be an “I” or a “we” who has not been submitted, subjected to gender, where gendering is among other things, the differentiating relations by which speaking subjects come into being. Subjected to gender, but subjectivated by gender, the “I” neither precedes nor follows the process of this gendering, but emerges only within and as the matrix of gender relations themselves.” (a.a.O.)

“Suspicion toward grammar” verstehe ich so, dass sie meint, die Grammatik würde uns zwingen, zu einem Verb (einer Tätigkeit) immer ein Subjekt (das die Tätigkeit ausführt) hinzu zu denken, obwohl dies in der Realität keineswegs notwendig wäre. Etwas später im Text heißt es entsprechend:

„Construction is neither a subject nor its act, but a process of reiteration by which both “subjects” and “acts” come to appear at all. There is no power that acts, but only a reiterated acting that is power in its persistence and instability.” (p. 9) und weiter:

“Construction is neither a single act nor a causal process initiated by a subject and culminating in a set of fixed effects. Construction not only takes place in time, but is itself a temporal process which operates through the reiteration of norms; sex is both produced and destabilized in the course of this reiteration.” (p. 10)

Für mich ergeben sich da ein paar fundamentale Fragen: Wie ist das Verhältnis von Sprache und Realität? Muss nicht die Realität der Sprache notwendig voraus gehen? Muss es nicht erst Menschen (und vor allem erst eine Welt, die zumindest so stabil ist, dass in ihr evolutionäre Prozesse ablaufen können) geben, bevor es Sprache geben kann? Ist nicht der Übergang von Nicht-Sprache zu Sprache höchst fließend, von den einfachen Signallauten niedriger Tiere bis zu den schon relativ komplexen Signalsystemen nichtmenschlicher Primaten? Und wenn dem so ist, ist dann nicht Sprache notwendig von der Welt konstruiert durch Evolution (indem sie einer bestimmten Spezies einen erheblichen Selektionsvorteil verschafft) und nicht umgekehrt?

Vielleicht kenn ich Butlers Werk nicht genug, aber in diesem Buch geht sie auf diese Fragen nirgendwo ein. Und andere Sozialkonstruktivisten tun dies auch nicht; ist dies nicht ein Schwachpunkt, an dem jeder Sozialkonstruktivismus scheitern muss?

Dies gilt aus meiner Sicht zumindest für radikale Formen des Sozialkonstruktivismus, die nicht nur davon ausgehen, dass es keinen nicht durch die Gesellschaft bestimmten Zugang zur Realität gibt, sondern dass die Realität überhaupt nur das Ergebnis sozialer Prozesse ist.

Der Prozess der Konstruktion wird genauer so beschrieben:

„To “refer” naively or directly to such an extra-discursive object will always require the prior delimitation of the extra- discursive. And insofar as the extra-discursive is delimited, it is formed by the very discourse from which it seeks to free itself.” (p. 11)

Und an anderer Stelle: „The body posited as prior to the sign, is always posited or signified as prior.” oder : “To posit by way of language a materiality outside of language is still to posit that materiality and the materiality so posited will retain that positing as its constitutive condition.” (p 30)

Demnach konstruiert der Diskurs also, indem er zwischen sich selbst und den außerdiskursiven Objekten unterscheidet? Damit wird der Relativismus auf die Spitze getrieben, als würde die Existenz der Welt davon abhängen, ob sich irgendwelche menschlichen Diskurse auf sie beziehen. Hier wird ganz deutlich, dass Butler offenbar unfähig ist, sich eine unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existierende Welt vorzustellen, sie existiert immer nur in Beziehung auf den sie erkennenden Menschen.

Natürlich ist die Welt für uns nur zugängig, indem wir uns erkennend auf sie beziehen, aber daraus folgt ja nicht, dass die ohne dieses Erkennen nicht existieren würde.

Butler fragt nirgendwo nach der Sprache, sie wird einfach als gegeben vorausgesetzt. Das ist aus meiner Sicht eine große Ignoranz, aber sie ist üblich bei geisteswissenschaftlich orientierten Philosophen. Letzten Endes läuft dies auf eine solipsistische Position heraus, die das eigene Subjekt für absolut setzt, indem es die Existenz der Welt von sich abhängig macht.

Aber Butler geht ja wesentlich um Sex und Gender und nicht um allgemeine Erkenntnistheoretische Fragen. Sie schreibt:

„To “concede” the undeniability of “sex” or its “materiality” is always to concede some version of “sex,” some formation of “materiality.” Is the discourse in and through which that concession occurs not itself formative of the very phenomenon that it concedes? … there is no reference to a pure body

which is not at the same time a further formation of that body.“ (p. 10) und:

“What will and will not be included within the boundaries of “sex” will be set by a more or less tacit operation of exclusion. … there is no reference to a pure body which is not at the same time a further formation of that body.” (p. 11)

Hier passiert wieder das gleiche wie oben. Das Sexualität eine besondere Strategie im Rahmen der natürlichen Auslese sein könnte und nicht davon abhängt, wie Menschen dieses Phänomen verstehen und beurteilen, bleibt außerhalb von Butlers Horizont.

Warum kommen Menschen fast ausschließlich mit bestimmten physischen Geschlechtsmerkmalen zur Welt? Warum gibt es zwei Geschlechter?

Judith Butler hat auf diese Fragen keine Antwort und übergeht sie stillschweigend.

Die Einleitung zu Butlers Buch kann übrigens hier: http://schwarzemilch.files.wordpress.com/2009/02/butlerintroduction.pdf

Herunter geladen werden.

17 Gedanken zu “Zum Verhältnis von Sprache und Realität bei Judith Butler

  1. Butler ist, wie ich sie verstehe, keine Idealistin. Im aktuellen ‚Philosophie Magazin‘ gibt es ein Interview mit ihr:

    „Ich sage nicht: Es gibt gar keine materielle Körperlichkeit, es gibt nur Diskurse, und allein Diskurse sind Auslöser und Bedingung für die Erzeugung dessen, was wir Körperlichkeit nennen. Nein!“

      • @Christian

        „Was ich meine, ist: Wir versuchen immer, den Körper zu beschreiben. Doch es gibt keinr Beschreibung, die den Körper erfasst. Jede Beschreibung scheitert, weil sich ihr etwas Eigensinniges widersetzt, eine Art „Persistenz“. Ich meine nicht, dass wir frei wählen können, was wir sind, oder dass wir uns, je nach Bedarf, unbegrenzt umgestalten können.“

        Habe ihre Antwort etwas gekürtzt.

    • Soweit ich Butler verstehe sieht sie schon materielle Körperlichkeit, der aber über Diskurse geschlechtliche Eigenschaften zugewiesen werden. Ab wann wir etwas als Mann oder Frau definieren ist in ihrer Sicht nicht fest, man könnte eben diskursiv auch in andere Kategorien, etwa nach der 5 Geschlechter Theorie oder immer feiner in beliebig viele Geschlechter einordnen.
      Und die zuordnung von Eigenschaften erfolgt eben auch anhand der Körper, ein Körper wird „männlich gelesen“ und dann dazu die Zuordnungen vorgenommen, die die Geschlechterrollen hergeben.

      ich schrieb damals in meiner Butler Besprechung:
      https://allesevolution.wordpress.com/2012/02/22/judith-butler/

      Butler überträgt diesen Gedanken, wie Foucault bereits vor ihr auf das Geschlechterverhältnis, wo nach ihrer Auffassung ebenfalls bestimmte Geschlechternormen errichtet worden sind, die die Errichtung der Geschlechter und deren Verhalten bewirken. Diese knüpfen an die unterschiedlichen Körper von Mann und Frau an, die aber insoweit lediglich das Unterscheidungsmerkmal bilden, dass dann über verschiedene kulturell geschaffene Regeln zur Errichtung der Geschlechterrollen führt. Körper materialisieren sich nie unabhängig von ihrer kulturellen Form, sind also immer an ihre kulturspezifische Wahrnehmung gebunden.
      Diese kulturspezifischen Merkmale der Geschlechterrollen werden dann durch beständige Wiederholung gleichsam eingeübt.
      Nach dieser Vorstellung gibt es ersteinmal keine Frau als Subjekt, sondern das was als Frau definiert wird ist beständig einer kulturellen Betrachtung und Veränderung unterworfen. Eine “Frau” mit einem männlicheren Körper ist in dieser Hinsicht teilweise schon wieder den männlichen Regeln unterworfen, ist also nicht per se Frau, sondern irgendwo dazwischen. Ein Transsexueller wäre nach erfolgter Operation über seinen Körper neuen Geschlechternormen unterworfen, die aber wiederum im Fluss sind und wer welchen Normen unterworfen ist, ist ebenso im Fluss, was die Abgrenzung der Geschlechter schwierig macht. Allein der Diskurs kann nach diesen Vorstellungen festlegen, was eigentlich eine Frau und was ein Mann ist. Denn der Diskurs hätte nach diesen Theorien etwa die Macht, einem Mann mit einem zB geringen Bartwuchs die Männereigenschaft abzusprechen und ihn den Frauen zuzuordnen (wenn ich es richtig verstehe). Darauf, dass die Abgrenzung dennoch in den meisten Kulturen abgesehen von den geringen Zahlen der Intersexuellen und Transsexuellen unproblematisch ist, geht sie meines Wissens nach nicht ein.
      Für Butler schafft der Diskurs damit auch gleichzeitig den Körper -durch die Sprache materialisert sich das Geschlecht, Diskurs und Materie sind insofern miteinander verbunden. Die Sprache und der Diskurs stehend damit auf einer Stufe mit der Materie. Das Sprache und Diskurs die Materie nicht verändern und die Materie unterschiedlich bleibt ist nicht relevant, weil das übergeordnete Subjekt aus den drei Elementen, Diskurs, Sprache und Materie, eben durch diese alle drei geschaffen wird.

      • „Ab wann wir etwas als Mann oder Frau definieren ist in ihrer Sicht nicht fest, man könnte eben diskursiv auch in andere Kategorien, etwa nach der 5 Geschlechter Theorie oder immer feiner in beliebig viele Geschlechter einordnen.“
        das ist doch Unsinn. das Geschlecht wurde doch immer streng als biologische Funktion im zusammenhang mit der fortpflanzung betrachtet.das war doch in allen gesellschafteneins der wesentlichsten Kriterien zur Unterscheidung. m.w. tat man sich z.b schwer, eunuchen als Mann anzuerkennen.
        natürlich sind die Erwartungen an Mann oder Frau kulturabhängig (aber eben auch nicht beliebig wandelbar!).
        das getue um mehr als zwei Geschlechter ist ein temporäres luxusproblem in gesellschaften, wo man glaubt, dass es nicht mehr wichtig sei, dass Frauen Kinder bekommen.

        • @Robert

          „das ist doch Unsinn“

          Natürlich. Aber dennoch ihre Sicht. Es scheint ja auch Kulturen zu geben, die im Intersexbereich noch einige Geschlechter eingeführt haben. Aber damit haben sie meines Wissen nach Männer und Frauen nicht in Frage gestellt.

          „das Geschlecht wurde doch immer streng als biologische Funktion im zusammenhang mit der fortpflanzung betrachtet.das war doch in allen gesellschafteneins der wesentlichsten Kriterien zur Unterscheidung. m.w. tat man sich z.b schwer, eunuchen als Mann anzuerkennen.“

          Ich denke es wird schon recht deutlich auf den Phänotpy abgestellt. Eunuchen werden demnach schon als Männer eingeordnet. Schwierig wird es, wenn der Körper nicht eindeutig ist.

        • “ Ich denke es wird schon recht deutlich auf den Phänotpy abgestellt. Eunuchen werden demnach schon als Männer eingeordnet“
          naja, einem eunuchen wurden aber doch immer andere gesellschaftliche Funktionen zugewiesen, als einem Mann.

  2. Soweit ich Butler verstehe, ist das Sokalsches Geschwätz, hochtrabendes Wortgeklingel, das verschleiern soll, wie wenig die Schwätzerin zur Aufhellung beizutragen, zu sagen hat, wie wenig sie ihr Wunschdenken (Geschlecht/Geschlechterrollen möchten naturfrei und allein dem Wollen/Konstruieren des Menschen unterworfen sein) mit NACHVOLLZIEBAREN Argumenten unterfüttern kann.

    Ärgerlich und symptomatisch, dass so ein gehaltloses, wolkiges Geschwätz in der postmodernen Geisteswissenschaft so viel Beachtung findet.

    „Die Kaiserin ist nackt!“

    • Heutzutage donnern die Filosofhän und andere Geistes“Wissenschaftler“ ihre Mentalfürze ungehemmt in den Äther und lassen sich das mitunter fürstlich vom Staat und der Intiligenzlerschickeria finanzieren.
      Der deutsche Bundeswehrsoldat, der derweil im Dingo seine Runden durch den Hindukush dreht u.a. um Mädchen zu ermöglichen die Schule zu besuchen (auch wenn hierzu der ein oder andere von den Taliban vereinnahmte Junge sein Leben lassen muss) und damit mehr für die Sache der Frauen leistet als alle Genderistas zusammen, darf freilich nicht auf eine zusätzliche Metallplatte am Boden seines Fahrzeugs hoffen, schließlich ist ja Finanzkrise und der Staat muss den Gürtel enger schnallen.
      Kann man nicht evtl. das Gehalt dieses Privilegienpimmels kürzen? Dann könnte man doch Massageseesel für die Frauenbeauftragtösen in den Universitäten anschaffen, auf das diese ihre für unsere Gesellschaft so überaus wichtige Aufgabe noch work-Life-gebalencter in Angiff_In nehmen können.

  3. was ist von einer person zu erwarten die nichtmal die analytischen fähigkeiten besitzt eine terror gruppe wie die hamas als das zu erkennen das sie ist.
    stattdessen erklärt sie sich solidarisch bzw die hamas als teil der linken.

    hamas fordert, in einem eigenen artikel ihrer gründungscharta, ein judenfreies israel.

    wie kann ein mensch der von sich behauptet, mehr zu sehen als andere, zu geplanten genozid schweigen.
    es ist offensichtlich das frau butler genau das nicht erkannt hat, aber was sagt das über ihre restlichen erkenntnisse aus?

    und was sagt das über menschen aus die ihr im blinden ‚gehorsam folgen’…

  4. es gibt m.w. Theorien, die behaupten, dass man ausserhalb der Sprache nicht denken könnte. Leute, die derartiges vertreten, kommen m.E. dann auch auf solche Ideen, wie dass Sprache Realität konstruiere.
    ich erlebe es eigentlich anders und kämpfe oft genug um die passenden Worte, um meine Gedanken beschreiben zu können. für mich ist Realität der Sprache eindeutig vorgelagert.

    Exkurs: ich unterscheide zwischen Realität ( das was ist) und wirklichkeit (die Welt in der wir handeln). die Wirklichkeit wird hier ganz klar von den eigenen vorstellungen/Gedanken/etc. erzeugt (deshalb kann auch jeder seine eigene haben!), während die Realität unabhängig von mir ist (und es größte Schwierigkeiten macht, die Realität zu erkennen). ich stimme den ganz radikalen konstruktivisten, die die Existenz der einen Realität verneinen, übrigens nicht zu.
    Fr. Butler gehört wohl zu den „ganz radikalen konstruktivisten“

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