Genetische Grundlagen politischer Überzeugungen

In der Zeit findet sich ein interessanter Artikel zu den genetischen Grundlagen der politischen Überzeugung. Dass auf die politische Ausrichtung einen gewissen Rückhalt in der Biologie haben kann, hatte ich auch bereits in dem Artikel „Biologische Grundlagen der politischen Überzeugung“ dargestellt.

Aus dem Zeitartikel:

Einen Anfang machten Nicholas Martin, Lindon Eaves und Hans Eysenck 1986. Im Fachblatt PNAS veröffentlichten sie eine klassische Zwillingsstudie. Dabei machten sich die Forscher zunutze, dass eineiige und zweieiige Zwillinge zwar dasselbe Elternhaus und Umfeld haben, aber nur eineiige Zwillinge auch ihr gesamtes Erbgut teilen. Ähneln sich eineiige Zwillinge in einer bestimmten Eigenschaft im Schnitt mehr als zweieiige, so liegt das also an den Genen. Aus den Unterschieden der beiden Zwillingsgruppen in einer bestimmten Eigenschaft lässt sich errechnen, wie stark der Einfluss der Gene darauf ist. Die Eigenschaft, die Martin und Kollegen an 4.600 Zwillingspaaren aus Australien und Großbritannien untersuchten, war ihre politische Überzeugung, also etwa ihre Einstellungen zu Todesstrafe und Abtreibung, Gewerkschaften und Einwanderung. Im angelsächsischen Raum werden diese Einstellungen meist auf einer Skala Liberal-Konservativ verortet, was in Deutschland in etwa Links-Rechts entspricht. Das Ergebnis der Forscher war ein Tabubruch: Die Unterschiede in den politischen Ansichten seien etwa zur Hälfte auf die Gene zurückzuführen.

Also zur Hälfte auf die Gene, das ist schon ein recht deutlicher Wert. Ich kann mir gut vorstellen, dass bestimmte Gehirnausrichtungen biologisch sein können. Bestimmte Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsfaktoren passen besser zu bestimmten politischen Vorstellungen und die „Big 5“ haben starke vererbbare Komponenten.

Widerstand gegen die Forschung zeigte sich schnell:

der Politikwissenschaftler John Hibbing von der Universität Nebraska. 2005 veröffentlichte er eine Studie, die die gleichen Zusammenhänge zwischen Genetik und Politik zeigte. Dieses Mal gab es ein Echo, wenn auch kein freundliches. „Die meisten Politikwissenschaftler fanden die Behauptung, Genetik könnte bei der politischen Orientierung eine Rolle spielen, absurd und sogar gefährlich“, sagt Hibbing. Er erhielt etliche anonyme E-Mails, die seine Arbeit schmähten. Viele Menschen schienen das Ergebnis instinktiv abzulehnen.

Ein bekanntes Problem. Biologie scheint den freien Willen auszuhebeln und an diesem Festzuhalten ist für viele Leute sehr wichtig.

Die weitere Forschung bestätigt die Ergebnisse aber:

Genetiker hingegen überraschte das Ergebnis kaum. Schließlich zeigen ihre Untersuchungen seit 40 Jahren, dass die Gene die Persönlichkeit eines Menschen prägen. Tatsächlich sind inzwischen zahlreiche Studien in Australien, Dänemark, Schweden und anderen Ländern zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Zuletzt erschien im September eine Analyse von Pete Hatemi und Rose McDermott in Nature Reviews Genetics. Darin haben sie alle Zwillingsstudien, die in den Jahren 1974 bis 2012 veröffentlicht wurden, zusammengefasst. Für die meisten politischen Themen fanden die Forscher einen großen genetischen Anteil.

Interessant auch die Forschung der beiden dazu, warum politische Einstellungen bei Paaren so häufig gleich sind:

Most social science research portrays attitudes and behaviors as a product of one’s environment or social upbringing. Recently, however, scholars have begun to expand upon this paradigm by showing that biological factors such as genes, which are passed from parents to offspring, can also help explain differences in political attitudes and behaviors. As a result, illuminating how spouses select one another is the first step toward understanding both the genetic and social transmission of political preferences from parents to offspring. Yet the question of whether individuals actively seek out mates who are more politically similar is unknown. To address this lacuna, data were gathered from Internet dating profiles. These data show that most individuals are reluctant to advertise politics when attempting to attract a mate. However, the correlates of political attitudes and behavior, such as education and civic engagement, do predict whether a person uses politics as a way to attract a mate. Thus, although spouses share such predilections more than almost any other trait, individuals do not appear to initially select potential dates along political lines.

Quelle: Do bedroom eyes wear political glasses? The role of politics in human mate attraction

Aus der Diskussion:

First, humans desire compatibility in their long-term relationships (Vandenberg 1972); from an evolutionary perspective, compatibility should increase the likelihood of a mate pair being able to successfully raise offspring (Geary et al., 2004). Accordingly, while we might not be choosy on politics at the outset of a relationship, individuals are likely to make a long-term association with a partner who shares critical values, such as their political attitudes. Thus, it is only the majority of those who share political views who remain in long-term relationships. Second, people could be making long-term mate choices on the basis of nonpolitical characteristics that correlate with political predilections, such as religiosity (Botwin, Buss, & Shackelford, 1997), physiology (Amodio, Jost, Master, & Yee, 2007) or intelligence (Kanazawa 2010; Mare 1991; Rushton & Nicholson 1988). Consequently, when one assorts on any of these nonpolitical characteristics, one is also likely to assort on politics, even if such a pairing is unintended

Wenn zwar offiziell politische Ansichten bei der Partnerwerbung nicht in der Vordergrund gestellt werden, aber inoffiziell oder zumindest aufgrund allgemeiner Gleichheit auch wieder eine wichtige Rolle spielen, dann würde es erklären, warum Personen, die in einer Partnerschaft sind, häufig in ihren politischen Ansichten gleicher sind.

Gleichzeitig würde es auch erklären, warum Kinder häufig eine ähnliche politische Einstellung wie ihre Eltern hätten.

Der Zeit-Artikel zum Einwand der Determiniertheit:

Ohnehin behauptet kein Forscher, dass es ein Gen für Konservatismus oder Sozialdemokratie gibt. Vermutlich haben Hunderte oder Tausende Gene einen Einfluss auf unsere politischen Überzeugungen. Und diese Gene geben dem Individuum lediglich eine Prädisposition mit, sie beeinflusst ein wenig, wie der Mensch die Welt sieht, wie er auf sie reagiert. Der Rest passiert ganz von allein.

Wiederum geht es also um eine Prädisposition, nicht um Determiniertheit. Hier können sich die Lebensumständen natürlich wieder auswirken

Es gibt verschiedene Theorien zu bestimmten Ursachen:

So sind zum Beispiel Menschen, die eine bestimmte Variante des Dopaminrezeptors D4 tragen und viele Freunde haben, liberaler als der Durchschnitt. Menschen, die diese Genvariante tragen, das ist aus anderen Untersuchungen bekannt, suchen häufiger nach neuen Erfahrungen. Zusammen mit einem großen sozialen Umfeld könnte das dazu führen, dass sie mehr verschiedene Erfahrungen machen, was wiederum dazu führen könnte, dass sie liberale Überzeugungen entwickeln. Andere Studien haben andere Botenstoffe im Gehirn wie NMDA, Serotonin oder Glutamat mit liberalen oder konservativen Überzeugungen verknüpft.

Hier scheint also noch einiges an Forschung erforderlich zu sein.

Und schließlich noch die evolutionäre Herleitung:

Was hat die Biologie mit der Ideologie zu tun? Sehr viel, sagen Psychologen. Bei vielen politischen Fragen unserer Zeit geht es um dieselben Themen, mit denen sich schon unsere Vorfahren beschäftigen mussten: Fortpflanzung, Verteidigung, Kooperation, Überleben. So berührt Einwanderungspolitik die uralte Frage, wen wir als Teil unserer Gruppe akzeptieren, soziale Sicherungssysteme werfen die Frage auf, wie Ressourcen am besten aufgeteilt werden, und Außenpolitik beschäftigt sich maßgeblich mit dem Schutz der eigenen Gruppe gegen andere Gruppen. Jonathan Haidt hat fünf moralische Fundamente ausgemacht, auf denen unsere Werturteile gründen: Fürsorge, Fairness, Loyalität, Autorität und Reinheit. Für jedes dieser Module sieht Haidt gute evolutionäre Gründe. So habe die Evolution Frauen und Männer begünstigt, die der Anblick eines leidenden Kindes berührt und zum Handeln animiert (Fürsorge). Ein Gerechtigkeitsempfinden sei wichtig gewesen, um in einer kooperativen Gemeinschaft nicht über den Tisch gezogen zu werden (Fairness) und Ekel vor Körperflüssigkeiten oder bestimmten Tieren habe Menschen davor geschützt, sich mit einer Krankheit anzustecken (Reinheit). Für Haidt sind die fünf Kategorien so etwas wie die Primärfarben unserer Moral. Aus ihnen lassen sich die verschiedensten Charaktere mischen – und offenbar ist genau das bei Liberalen und Konservativen der Fall. Während Liberale ihre politischen Überzeugungen vor allem aus Fairness und Fürsorge ableiten, werten Konservative alle fünf Module etwa gleich stark.