Wie hinterfragt man seine Privilegien? II

„Privilegien“ ist ein großes Thema im Feminismus, wo üblicherweise erwartet wird, dass man diese hinterfragt und dann…, ja was dann eigentlich genau passiert bleibt erstaunlich unklar.

Ich hatte dazu schon einiges:

In diesem Artikel zur „Überprüfung der Privilegien“ hatte ich die Aufforderung wie folgt verstanden:

Aus meiner Sicht bedeutet „Prüfe deine Privilegien“

  • Akzeptiere, dass du die von mir erkannten Privilegien hast
  • Wenn du das diese nicht akzeptierst, dann liegt dies daran, dass du das Privileg hast nicht zu sehen wie bevorteilt du bist
  • habe ein schlechtes Gewissen und versuche, die Nachteile anderer, die die Privilegien nicht haben, dadurch zu kompensieren, dass du den Vorteil ausgleichst, den du aufgrund deiner Privilegien hast

In einem Artikel nimmt Nadine Lantzsch zur Frage, wie man seine Privilegien los wird Stellung (allerdings nicht anhand der männlichen Privilegien, sondern bezüglich der Privilegien aufgrund der Hautfarbe, aber man wird das übertragen können) und wendet sich gegen die „Rucksackmetapher

Wenn ich mir Rassismus als ein Ungetüm, als etwas Nicht-Greifbares und Privilegien als einen “unverdienten”, mir “aufgebürdeten” Rucksack vorstelle, verleugne ich meine Handlungs- und Definitionsmacht, die ich als weiße Person in Bezug auf Rassismus immer innehabe. Ich konstruiere mich damit auch ein bisschen als Opfer (Opfer werden häufig als unselbstständige, passive Personen ohne Selbstbestimmung vorgestellt) und verharmlose damit nicht nur die Diskriminierung, die Personen erfahren, die von Rassismus betroffen sind (und mache gleichzeitig deren Agency und Subjektstatus unsichtbar), sondern auch Rassismus selbst. Weil Rassismus nicht alle Menschen als Opfer und handlungsunfähig hervorbringt, sondern unterschiedliche Lebens- und Erfahrungswelten, die mit Diskriminierung und Privilegierung verbunden sind.

Es geht nicht um Schuld, es geht nicht um Sühne, es geht nicht um mein schlechtes Gewissen, es geht nicht um Befreiungshandlungen (hier: wer ist dann mein Referenzrahmen für meine Handlungen? Ich als weiße Person) Es geht nicht um “Mit- oder “Reinfühlen” in rassistische Erfahrungen, in dem ich in gebückter Haltung den Inhalt meines Rucksacks nach und nach entleere und all das “Unverdiente” aus meinen Leben werfe, weil ich mich danach besser, leichter und weniger rassistisch handelnd fühle. Schon gar nicht geht es um meine weißen Gefühle. Oder um meine Vorannahmen, meine Privilegien könnten für Menschen, die sie nicht haben, stets interessant und begehrenswert sein.

Ein Rucksack, den man ablegen kann, das wäre auch viel zu einfach. Das würde Entschuldung ermöglichen und die Privilegierten aus der Schuld entlassen, dass kann nicht sein, in IDPOL gibt es kein entlassen aus der Schuld und allein der Gedanke aus der Schuld entlassen werden zu können, zeigt schon, dass man die Opferposition abwertet.

Statt dessen sieht es wie folgt aus:

Es geht um Verantwortungsübernahme, wenn ich als weiße Person gegen Rassismus kämpfe. Verantwortung übernehmen heißt zum Beispiel: sich aktiv gegen Rassismus zu stellen, wann immer ich ihn wahrnehme. Auf vielfachen Wegen: in Gesprächen mit Freund_innen, in sozialen und_oder familiarisierten Zusammenhängen, am Arbeitsplatz, in der Uni, in der Ausbildung, in öffentlichen Räumen, in Behörden. Verantwortungsübernahme heißt für mich als weiße Person auch, über Privilegien hinaus zu gehen, Lebensrealitäten, die nicht meine sind, wahrzunehmen, anzuerkennen, zuzuhören, wahrzunehmen, Gespräche oder Zusammenarbeit zu suchen (ohne enttäuscht zu sein, wenn sie aus verschiedenen Gründen verwehrt werden, sondern daraus andere Handlungen abzuleiten), Auseinandersetzungen einzufordern, mich nicht nur für Repräsentation, sondern auch für Partizipation einzusetzen (auch wenn es bedeuten kann, dass ich meinen Platz freimachen muss), Räume zu er_öffnen, eigene Wohlfühl- und Komfortzonen zu verlassen oder aufzugeben, mich nicht von Kritik befreien zu wollen, sondern kritikfähig zu bleiben, Widersprüche und Unwohlsein auszuhalten und versuchen, einen produktiven Umgang damit zu finden, statt zu verharren, dazu zu lernen, mich nicht als “fertige_n” Antirassist_in zu begreifen. Nicht einfach nur bestimmte Dinge zu “unterlassen”, sondern aktiv Dinge zu tun. Und noch ganz viele andere Sachen, die in einer Privilegien Check List wie der von Peggy McIntosh niemals vorkommen werden oder ich nicht durch Überlegen oder Austausch mit anderen weißen auf den Schirm bekomme.

Wie gesagt: Man denke sich statt Rasssimus Sexismus und statt Weißen die Männer.

Es ist wieder die Pflicht alles zu tun, was man machen kann, damit man den Sexismus ausbaut, die Handlungspflicht ist vollkommen auf den Mann verlagert. Er muss Verantwortung übernehmen, Partizipation betreiben, das alles uneigennützig, er muss Unwohlsein aushalten und eben aktiv Dinge tun. Genug kann es niemals sein, weil das Patriarchat ja immer fortbesteht.

Die Grundregeln für den männlichen Feministen, die daraus folgen, hatte ich hier schon einmal zitiert:

  1. Männer können nicht mit Anerkennung rechnen, wenn sie sich antisexistisch verhalten – und wenn sie nur erste Schritte in diese Richtung machen, müssen sie weiterhin kritisiert werden für ihr Verhalten.
  2. Wer sich unfrei oder unsicher fühlt, weil er/sie Grenzverletzungen begehen könnte, muss diese Möglichkeit ausräumen und sich nicht über das Gefühl der Unfreiheit und Unsicherheit beklagen.
  3. Männer sollten ihre Erfahrungen mit antisexistischem Verhalten unter Gleichgesinnten produktiv nutzen, anstatt sich darüber zu beklagen.

Meine Stellungnahme damals dazu:

Über weiche Begriffe wie Mackertum oder patriarchalisches Verhalten wird gerade in Verbindung mit der Definitionsmacht eine unerfüllbare Hürde aufgebaut. Wer versucht, sie zu erfüllen, der wird allenfalls erleben, dass der Begriff immer weiter nach unten schraubbar ist. Es wird dann eben so etwas darunter fallen wie die Auffassung aufgrund seines Geschlechts Geschirr nicht abräumen zu müssen (was ich durchaus kritikwürdig finde), aber auch eine breitbeinige Sitzhaltung, wie der Artikel zeigt. Wenn er dann endlich geschlossen sitzt dann kann man ihm vorwerfen, dass er nicht genug lächelt und damit eine innere Abwehrhaltung gegen die Befreiung der Frau und die Abschaffung des Mackertums demonstriert und damit den Frauen Angst vor der Kontrarevolution macht. Lächelt er genug, dann vielleicht nicht ungezwungen genug etc. Es fehlt also ein limitierender Faktor.

Diesen könnte man dadurch hereinbringen, dass man ein Feedbacksystem einführt, nachdem aus dieser Sicht gutes Verhalten angesprochen wird. Das ist aber gerade nicht erwünscht. Vielmehr soll man ihn nicht loben oder positives Feedback geben, denn seine Verbesserungsbemühungen sind selbstverständlich. Hingegen darf weiterhin vollständig kritisiert werden, eben bis hin zur Sitzhaltung oder seiner Art zu sprechen einschließlich der Stimmlage. Er wird also beständig weitere Anforderungen an sein Verhalten gestellt bekommen, dass es immer weiter vom “Mackertum” entfernen. Es ist im auch nicht möglich, selbst ein Feedback einzufordern oder seine Sicht der Dinge darzustellen, denn damit würde er ja den Feminismus in seiner Arbeit behindern. Er muss sich also andere Männer suchen und mit diesen die “Mackertumbekämpfungsspirale” weiter nach unten schrauben. Auf das beste, was er hoffen kann, ist dann das Fehlen der Kritik. Gleichzeitig wird eine sehr harte Eigenkritik verlangt: Wenn Zweifel vorhanden sind, ob etwas nicht doch mackerhaft ist, dann muss er es im Zweifelsfall lassen bzw. ändern. Und was bitte ist nicht mackerhaft in irgendeiner Form, wenn man es nur genug hinterfragt? (…)

Also: Was der profeministsche Mann auch macht, er wird immer weiter im Hamsterrad laufen. Und sich selbst noch dabei antreiben, obwohl er niemals ins Ziel kommen kann.

Das zeigt aus meiner Sicht, wohin das Privilegiensystem führt. Es schafft letztendlich nicht umsetzbare Anforderungen, die in einer Selbstgeißelung enden und bei der man noch nicht einmal etwas dagegen sagen darf. Dabei versucht man ein nichtexistentes System wie das Patriarchat abzuschaffen, ein Kampf der von vorneherein sinnlos ist, weil er auf falschen Theorien beruht.