Von klugen souveränen Richterinnen und thronenden, kräftemessenden Richtern

In der Süddeutschen ist ein Bericht über immer mehr weibliche Richterinnen, Rechtsanwälte, der interessante Verhaltenszuweisungen enthält:

Zu den früheren Zuständen:

Männliche Anwälte brüllen, schmeißen mit Akten, trommeln auf den Tisch. »Das lassen die Richter an sich abtropfen«, sagt Doris Dierbach. »Das gehört offenbar zum normalen männlichen Verhalten.« Bei Frauen ist das anders. »Ich habe mal den Kopf geschüttelt, da ist ein Richter in Hamburg aufgesprungen und hat sich über die Richterbank gelehnt: ›Sie schütteln in meinem Gerichtssaal nicht den Kopf‹, rief er.« Dierbach sagte: »Ich wüsste keine Norm, wonach Sie mir das verbieten können.«

Es wäre in der Tat ein Unding, wenn Richter auf Frauen anders reagieren als auf Männer, dort sensibler sind und ein anderes Verhalten abfordern. Denn letztendlich muss es dem Richter egal sein, ob der Rechtsanwalt männlich oder weiblich ist.

Und zur gegenwärtigen Situation:

Selbst in Bayern werden seit zehn Jahren mehr Frauen in der Justiz eingestellt als Männer, vergangenes Jahr lag ihr Anteil an den Neueinstellungen bei 65 Prozent. Zwar sind immer noch die meisten Richter männlich, aber der Trend spricht für die Frauen: Mehr als die Hälfte der Richter unter 40 Jahren ist weiblich. Für Doris Dierbach bedeutet das: »Jetzt treffe ich auf viele Vorsitzende Richterinnen – kluge, souveräne Frauen. Ich weiß, bei denen kriege ich ein vernünftiges Urteil, die sind diskussionsfähig, die kann man anrufen. Die thronen nicht über einem. Das ist kein Kräftemessen, kein dummes Gezerre. Aber auch die jungen Juristen haben sich geändert, die empfinden Frauen nicht mehr als Provokation, wenn sie Widerworte geben.« Nur eine Konstante ist geblieben: Die Angeklagten sind zu 90 Prozent Männer. Kurz und ungerecht heißt das: In Zukunft sitzen die Frauen auf der Richterbank und die Männer im Knast.

Meiner Meinung nach keine Frage des Geschlechts, sondern wohl eher einer anderen, gewandelten Rechtskultur. Früher mögen Richter autoritärer gewesen sein, konnten sich das auch noch erlauben. Heute ist dies weniger der Fall. Die „Originale“, die ihre eigenen Prozessordnungen gelebt haben sterben so langsam aus. Mit den jungen männlichen Richtern und auch mit den meisten älteren wird man ebenso reden können.  Zumal man über die Diskussionsstile junger Richterinnen auch schon anderes gelesen hat.

Im ganzen ein recht sexistischer Titel: Als würden alle Richterinnen klug und souverän sein und nur vernünftige Urteile schreiben, die Richter aber nicht. Das Bild der guten Richterin und des patriarchischen Richters, der seine Allmachtphantasien auslebt, hier sehr billig gezeichnet.

Interessant aber auch eine Aufstellung von Frauen diskriminierenden, aber inzwischen abgeschafften Gesetzen auf Seite 2:

– Bis 1953 konnten verheiratete Frauen kein eigenes Bankkonto eröffnen.

– Bis 1957 gab es eine Steuervorschrift, die Ehepaare, bei denen Mann und Frau arbeiteten, höher besteuerte – die Frau sollte damit »ins Haus zurückgeführt« werden.

– Bis 1958 bestimmte der Ehemann den Wohnort.

– Die Frau war auch nicht unbeschränkt geschäftsfähig. Wenn sie einen Kühlschrank kaufte, galt das Geschäft als vom Ehemann abgeschlossen. Mancher Mann schaltete eine Zeitungsanzeige, in der er warnte, seiner Frau etwas zu verkaufen – er werde nicht dafür aufkommen. Rechtlich war das korrekt.

– Bis 1959 hatte der Vater das »Letztentscheidungsrecht« darüber, wie das Kind zu erziehen sei.

– Bis 1974 bekamen nur die Kinder deutscher Väter, aber nicht die Kinder deutscher Mütter die deutsche Staatsbürgerschaft. Erkannte zum Beispiel ein amerikanischer Soldat das Kind mit seiner deutschen Freundin nicht an, war das staatenlos.

– Bis 1977 musste der Ehemann zustimmen, wenn seine Frau arbeiten wollte. Und das ging auch nur dann, wenn sie ihre »häuslichen Pflichten« nicht vernachlässigte.

– Bis 1977 war die Frau verpflichtet, den Haushalt zu führen, also, ihrem Mann hinterherzuputzen.

– Erst von 1978 an konnten Frauen in den ersten Bundesländern Schutzpolizisten werden.

– Bis 1995 durften nur Männer Feuerwehrleute werden, Frauen nicht.

Kann ja mal wer was in den Kommentaren zu schreiben.

Dann noch ein Verweis auf ein altes Urteil:

Manche Richterin zitiert noch heute sarkastisch das Urteil des Bundesgerichtshofs, der 1966 den Frauen die Ehe erklärte: »Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.«

Das Urteil wird ja gerne als tatsächliche, richterlich angeordnete Pflicht zum Beischlaf mit Freude angesehen, dabei geht es nur darum, wer nach dem damaligen Schuldprinzip am Scheitern der Ehe schuld war. Und da werden es wohl die meisten es wohl verständlich finden, dass man nicht alle schuld von sich weisen kann, wenn man beim Sex nur daliegt wie ein Brett.

Der Sachverhalt wird im Urteil wie folgt dargestellt:

Im weiteren Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, die Zerrüttung der Ehe sei aus der Einstellung der Beklagten zum ehelichen Verkehr entstanden. Sie habe ihm erklärt, sie empfinde nichts beim Geschlechtsverkehr und sei imstande, dabei Zeitung zu lesen; er möge sich selber befriedigen. Der eheliche Verkehr sei eine reine Schweinerei. Sie gebe ihm lieber Geld fürs Bordell. Sie wolle auch nicht mit einem dicken Bauch herumlaufen; mit Kindern wüßte sie garnichts anzufangen. – In diesem Sinne habe die Beklagte sich auch Dritten gegenüber geäußert.

Die Beklagte habe sich beim ehelichen Verkehr entsprechend verhalten. Auf dieser Einstellung beruhe es, daß er sich mehr und mehr seiner Angestellten, der Zeugin Da., zugewandt und die Zeugin in seine Stuttgarter Wohnung aufgenommen habe. Zum letzten Verkehr mit der Beklagten sei es 1950 gekommen.

Die Beklagte hat der Scheidung widersprochen. Sie hat behauptet, die Zerrüttung der ehelichen Gesinnung beim Kläger habe ihre Ursache in dieser Hinwendung zu der Zeugin Da.. Bis 1950 hätten die Parteien etwa wöchentlich miteinander verkehrt. Sie habe nie Widerwillen oder Gleichgültigkeit gegen den Geschlechtsverkehr oder gegen eine Mutterschaft geäussert. Im November 1950 habe ihr die Zeugin Beziehungen zum Kläger eingestanden. Trotz dieser Belastung des ehelichen Verhältnisses sei es aber bis zum März 1952 durchweg noch alle vier Wochen zum Verkehr gekommen.

Klingt nicht so idyllisch.

Aber weiter damit, warum Frauen besser sind:

»Frauen theoretisieren nicht so viel«, sagt Lore Maria Peschel-Gutzeit. »Frauen haben weniger Zeit, die müssen das Kind vom Kindergarten abholen, noch einkaufen und die Waschmaschine füllen. Die Rechtsprechung wird durch mehr Frauen flotter werden. Meine Herren im Senat gingen stundenlang zum Essen, ich habe durchgearbeitet.« Sie musste ja heim zu den drei Kindern. Frauen erklären auch mehr. »Männer schreiben nur: A – B – C. Frauen erklären, warum aus A erst B und dann C folgt«, sagt die Richterin am Oberlandesgericht München Andrea Titz. Sie erlebt das, wenn sie Examensklausuren korrigiert. »Für ein Urteil ist es ja kein Schaden, wenn man es auch verstehen kann

Also Frauen theoretisieren nicht so viel, begründen aber besser? Erfordert das begründen keine Theorie? Das die Männer dann eben später weitergearbeitet haben und sich dazwischen noch über den Fall ausgetauscht haben bleibt dann eben unerwähnt.

Interessant auch die Passage zur Entwicklung im Familienrecht:

. So wie Peschel-Gutzeit, die lange die einzige Richterin an ihrem Familiensenat in Hamburg war. Häufig ging es darum, ob eine Ehefrau nach der Scheidung wieder arbeiten muss. »Mein Senatsvorsitzender sagte immer: ›Das kann man doch dieser armen Frau nicht zumuten‹«, berichtet Peschel-Gutzeit. »Und ich sagte: ›Wieso? Die Kinder sind groß, sie hat zwei gesunde Hände.‹« Dann hatte der Familiensenat den umgekehrten Fall: Eine Frau, die schon lange erfolgreich im Beruf stand, und ihr Mann, der ewige Student, verlangte nach der Trennung Unterhalt von der Frau. »Da waren meine männlichen Kollegen alle der Meinung, der Mann soll arbeiten«, sagt Peschel-Gutzeit. »Ich habe gesagt: ›Der arme Mann. Ob man ihm das zumuten kann?‹« Natürlich bestimmt die eigene Lebenserfahrung auch das Urteil, weiß die ehemalige Richterin. »Wenn da drei Junggesellen sitzen oder drei geschiedene Männer, die Ärger mit dem Unterhalt für ihre Frauen haben – das fließt alles ein.«

Ich denke auch, dass viele männliche Richter, mit Frau zuhause, die sich um den Haushalt kümmert, eher für Männer ungünstige Urteile gesprochen haben als Richterinnen, die täglich selbst arbeiten und das dann auch von anderen Frauen erwarten.

Und zur Familienfreundlichkeit:

Aber die Zeit der Junggesellen und der Patriarchen ist vorbei. Stattdessen kommen nun – die Mütter. »Es war eine Revolution von oben«, sagt die Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts München, Ursula Schmid-Stein. Das bayerische Justizministerium hat die Gerichtspräsidenten dazu vergattert, die Mütter sofort wieder unterzubringen, wenn sie aus der Babypause kommen. Jede Stelle ist nun auch teilzeitfähig – »nur die des Präsidenten nicht«, sagt Schmid-Stein. Der ist ein Mann.

Das OLG München, zu dessen Bezirk mehr als 1000 Richter gehören, hat erkannt, worin der große Reiz des Staatsdienstes für viele Juristinnen liegt: Sie können einen verantwortungsvollen Beruf und die Familie verbinden. Trotz besserer Noten gehen deswegen viele Frauen ganz bewusst nicht in die Großkanzleien, wo sie oft 16 Stunden am Tag arbeiten müssen. Sie wählen die freie Zeiteinteilung, das große Geld in den Law firms machen die Männer. Die Justiz hingegen – wird Frauensache.

Dass das dann auf der anderen Seite den Gender Pay Gap vergrößert wird hier nicht erwähnt. Beide Seiten der Medaille werden selten zusammen in einem Artikel erwähnt.

Und hier noch einmal ein kleiner Hieb:

Uta Fölster, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Schleswig, sagt, natürlich sei es sinnvoll, dass Männer und Frauen gemeinsam Recht sprechen: »Frauen können Frauen besser einschätzen und Männer Männer. Die Welt besteht nun mal aus Männern und Frauen. Auch die Welt vor Gericht.« – Ihre Kollegin Schmid-Stein aus München meint: »Juristisch macht es keinen Unterschied, aber ein Gericht sollte die gesellschaftliche Wirklichkeit spiegeln.«

Ein weiterer Beleg für die Effizienz von Juristinnen – die männlichen Kollegen haben für dieselbe Erkenntnis Jahrhunderte gebraucht.

Allerdings auch in anderen Zeiten und damals würden ihnen viele Frauen zugestimmt haben.