Niggemeier, Martenstein und „alte weiße heterosexuelle Männer“

Stefan Niggemeier hat Harald Martenstein interviewt und es ging auch um die immer wieder erfolgten Vorhaltungen, dass er eben ein alter heterosexueller weißer Mann sei und damit alles erklärt sei. Die Ausführungen dazu finde ich interessant:

Und ich bin, Moment, jetzt muss ich meinen Zettel rausholen, „mitleiderregend“, „dummstolz“ und natürlich, dies als die Krönung, ein „weißer, heterosexueller, alter Mann“. Da habe ich mich gefragt: Woher will denn der Niggemeier wissen, ob ich heterosexuell bin? Ich kenne diesen Kollegen kaum.

Soll ich mal versuchen zu erklären, was hinter diesem Vorwurf steckt? Das ist ja scheinbar völlig sinnlos oder, wenn man so will, sogar rassistisch.

Rassistisch und sexistisch zugleich. Die Königsdisziplin. Was ist eigentlich so schlimm daran, heterosexuell zu sein?

Nichts.

Es gibt total nette Heterosexuelle da draußen.

Das ist auch nicht die Ebene, auf die dieser Begriff zielt. Er beschreibt Menschen, die außerordentlich privilegiert sind, sich dessen aber nicht bewusst sind.

Heterosexualität ist eine Angewohnheit, kein Privileg.

Aber Sie sind doch privilegiert.

In dieser Gesellschaft, heute?

Ja, aber natürlich!

Ich habe mir das ja nicht ausgesucht.

Der Vorwurf ist nicht, dass Sie sich das ausgesucht oder auf eine ungerechte Art erstritten haben, sondern, dass Sie das nicht erkennen.

Welche Privilegien habe ich genau? Schreiben dürfte ich auch, wenn ich schwarz wäre. Es wäre leichter, einen Job als Kolumnist zu ergattern als junger Mensch. Junge Kolumnisten, die gut sind, werden immer gesucht.

Hinter dem Wort „alt“ steckt der Vorwurf, unbeweglich zu sein; mit Veränderungen nicht mehr umgehen zu können.

Man nennt das “Zuschreibung“, oder? Aber ältere Menschen sind ja tatsächlich oft ein bisschen unwillig, was Veränderung angeht. Das hängt natürlich damit zusammen, dass sie alt sind. Genauso gut können sie einem jungen Menschen vorwerfen, dass er wegen seines Geburtsdatums ein bisschen radikaler ist, was junge Menschen ja häufig sind.

Worauf ich hinauswill: Es wäre völlig absurd, Ihnen vorzuwerfen, alt, weiß, heterosexuell zu sein. Der Vorwurf ist: Sie sind privilegiert, haben aber das Gefühl, benachteiligt zu sein. Sie lehnen Veränderungen ab. Und was das „heterosexuell“ angeht … Homosexuelle sind sicher nicht die besseren Menschen. Sie haben aber eine Gemeinsamkeit: Sie kennen das Gefühl, nicht normal zu sein. Das ist eine besondere Erfahrung, wenn man aufwächst und merkt: Ich bin anders als die anderen, sehe aber zum Beispiel keine schwulen Rollenvorbilder.

Das Gefühl, benachteiligt zu sein, habe ich nun auch wieder nicht. Veränderungen lehne ich nicht pauschal ab, da haben Sie nicht recherchiert. Außerdem: Heute finden Sie schwule Rollenvorbilder. Die Zeiten haben sich gottlob geändert. Und die Erfahrung, anders zu sein, machen Sie auch, wenn Sie als kleiner, dicker Junge mit Brille aufwachsen. Ich frage mich übrigens, wie lange man den Heteros noch ihr Hetentum vorwerfen kann. Würden Sie sagen: In hundert Jahren gibt es diesen Vorwurf immer noch?

Erstens ist das nicht der Vorwurf, und zweitens kommt es darauf an, in was für einer Gesellschaft wir dann leben.

Man muss doch auch irgendwann gut sein lassen und sagen: Du bist hetero, aber trotzdem okay, ich lass dir das durchgehen und letzten Endes weiß ich es ja auch gar nicht so genau, ob du wirklich heterosexuell bist.

Sie ziehen den Vorwurf wieder auf eine wörtliche Ebene. So ist er ja nicht gemeint. Es geht um das Gefühl, „normal“ zu sein, und dadurch blind zu sein für die Erfahrungen von Menschen, die anders sind. Die Begriffe zielen auf eine Geisteshaltung, eine gewisse Blindheit.

Man sollte einen Menschen nicht auf Heterosexualität und Altsein reduzieren, und das ist auch nicht meine Geisteshaltung. Ich mache keine Ideologie daraus. Es ist halt ein Schicksal. Man kann nichts dagegen tun.

Aber man kann versuchen, beweglich zu sein, empathisch …

Das versuche ich die ganze Zeit. Wo bin ich unbeweglich? Physisch vielleicht ein bisschen.

Also Niggemeiers Argument wäre:

Das ist auch nicht die Ebene, auf die dieser Begriff zielt. Er beschreibt Menschen, die außerordentlich privilegiert sind, sich dessen aber nicht bewusst sind.

Der Vorwurf ist: Sie sind privilegiert, haben aber das Gefühl, benachteiligt zu sein. Sie lehnen Veränderungen ab. Und was das „heterosexuell“ angeht … Homosexuelle sind sicher nicht die besseren Menschen. Sie haben aber eine Gemeinsamkeit: Sie kennen das Gefühl, nicht normal zu sein.

Sie ziehen den Vorwurf wieder auf eine wörtliche Ebene. So ist er ja nicht gemeint. Es geht um das Gefühl, „normal“ zu sein, und dadurch blind zu sein für die Erfahrungen von Menschen, die anders sind. Die Begriffe zielen auf eine Geisteshaltung, eine gewisse Blindheit.

Die Argumentation hat aus meiner Sicht viele Schwächen. Denn zum einen behauptet sie Privilegien einer Gruppe, die so erst einmal belegt werden müssten, auch in ihren Auswirkungen, was aber viel wichtiger ist: Die Art, wie es gebraucht wird ist häufig abwertend und es wird dazu gebracht, das was die Person sagt allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe abzulehnen.

Auch das Leute nicht das Gefühl kennen, dass sie „nicht normal“ sind ist bei so heterogenen Gruppen eine mutige Aussage. Auch weiße heterosexuelle Männer können das Gefühl haben, etwa weil sie Nerds sind, weil sie sozial nicht gewandt sind, weil sie es nicht schaffen dazu zu gehören. Weil alle eine Freundin haben, nur sie nicht.

Es sind ja nicht umsonst Männer, die die höchste Selbstmordrate haben.

Dagegen wird man sicher anführen, dass all diese Probleme bei den Minderheiten ja noch oben drauf kommen zusätzlich zu den Problemen, die sich aus ihrem Minderheitenstatus ergeben.

Aber zumindest bei Männern und Frauen bin ich mir recht sicher, dass viele Frauen genau wissen, wie es ist, normal zu sein und sich viele Frauen nicht als „das andere“ in ihrem Bereich ansehen.

Was einen natürlich auch an dem Privilegienbegriff stört ist, dass nie wirklich konkretisiert wird, was man dann machen soll. „Seine Privilegien erkennen“ ist unglaublich vage und bewahrt einen auch nicht davor, dass einem allein deswegen eine Meinung abgesprochen wird.

Des weiteren gibt es auch ein „Gruppenwissen“ nur sehr eingeschränkt. Wenn zwei Personen der gleichen Gruppe beträgt werden kann Mann eben vollkommen verschiedene Meinungen hören. Ein Dritter kann auch Probleme besser verstehen als jemand aus der Gruppe, etwa weil er insgesamt zb gesellschaftlich Problems besser versteht oder schlicht weil jemand aus der Gruppe eine Ego schonende Erklärung mit einem Sündenbock lieber glaubt als eine Auflistung von Punkten, die seine eigene Gruppe mühsam abarbeiten muss, um die Lage zu ändern.