„Hart aber fair“, Feminismus, der Frauenrat und der Streisand Effekt

Bekanntlich ist die Sendung „Hart aber fair – Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?“ vom 02.03.2015 aufgrund einer Beschwerde der „Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros/ Gleichstellungsstellen NRW“ in den „Giftschrank“ gewandert, also aus der Videothek des WDR genommen worden und mit einem Wiederholungsverbot bedacht (werden „Hart aber Fair“ Sendungen wiederholt? wäre mal interessant zu wissen.)

Im Internetzeitalter bedeutet das allerdings nicht viel, das Video ist auf Youtube nach wie vor leicht zu finden:

Es war auch schon einmal hier zur Besprechung eingestellt, Eine teilweise Zusammenfassung findet sich hier in dem Kommentar von Nachtschattengewächs).qfgjdlgjDer Verfahrensgang scheint so gewesen zu sein, dass der WDR selbst der Beschwerde nicht abgeholfen hat und sie demnach dem Rundfunkrat vorgelegt worden ist, der entsprechend entschieden hat.

Das Konzept von „Hart aber Fair“ wird auf der Wikipedia Seite wie folgt dargestellt:

Wie der Name andeutet, sollte die Diskussion offen und kontrovers geführt werden. Statt ideologisch und parteipolitisch geprägter Aussagen sollen dabei sachliche Argumente im Vordergrund stehen. Deshalb gehören neben Politikern auch wissenschaftliche Experten, Vertreter anderer Organisationen und direkt beteiligte oder betroffene Personen zu den Teilnehmern der Diskussionsrunde. Die Gäste werden so ausgewählt, dass unterschiedliche Positionen vertreten werden. Die Redaktion recherchiert Informationen zum Thema der jeweiligen Sendung, um zusätzliche Argumente zu liefern und die Hintergründe für die Zuschauer verständlicher darzustellen

Es ist damit ein Talkshowformat, welches für Feministinnen, wenn man dies ernst nimmt, schlicht nicht geeignet ist. Denn diese wollen ja gerade nicht kontrovers diskutieren, sondern ideologisch und allenfalls untereinander.

Leider habe ich die Beschwerde im Wortlaut nicht gefunden, wenn sie irgendwo im Netz ist, dann wäre ich für einen Linkhinweis in den Kommentaren dankbar. Die Seite des „Deutschen Frauenrates“ zitiert die Zusammenfassung des WDR wir folgt:

Im Schreiben an Tom Buhrow, den Intendanten des WDR, dessen Sender verantwortlich für die Talkshow zeichnet, heißt es:

„Hiermit legt die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros/ Gleichstellungsstellen NRW förmliche Programmbeschwerde gegen die Sendung „Hart aber fair“ vom 2.3.2015 ein. Die Sendung von Frank Plasberg lief unter dem Titel: „Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?“ Bereits in der Anmoderation verließ Herr Plasberg den Standpunkt des neutralen Moderators, indem er 190 Genderprofessuren als „Alltagswahnsinn“ bezeichnete.

Die Auswahl der Gäste war nicht dazu geeignet, eine faire Diskussion über Geschlechterforschung zu führen. Fachfrauen bzw. Fachmänner aus Wissenschaft oder Verwaltung fehlten vollständig. Dies war bewusst so geplant, wie Herr Plasberg im Verlauf der Sendung mit Überzeugung vertrat. Manipulativ wurden polarisierende Beispiele ausgewählt.  Ampelmännchen,  Unisextoiletten und brünftige Hirsche werden herausgestellt, um das gesamte Themenspektrum um Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik gezielt lächerlich zu machen.

Das finde ich schon einmal interessant. Ich würde es ja auch gut finden, wenn „Fachfrauen und Fachmänner aus der Wissenschaft“ zur nächsten Sendung geladen werden und einmal ausführlich über feministische Theorie erzählen. Vielleicht könnte Plasberg sie einmal folgende Theorien erläutern lassen:

  • soziale Konstruktion der Geschlechter unter Darlegung inwiefern es biologische Anteile gibt (und wenn ja welche) unter Nennung der Studien, auf die sie sich dazu stützen
  • Rape Culture und wie Männer davon profitieren
  • Die Verantwortung von Männern und Frauen an den Geschlechterrollen
  • Was der Gender Pay Gap eigentlich genau bedeutet
  • etc

Aber weiter in der Beschwerde:

Herr Plasberg stellte seine Fragen ebenso manipulativ. Beispiele: Er fordert Frau Wizorek auf, die Welt über die Nützlichkeit von Unisextoiletten aufzuklären, dabei liegt ihre Fachlichkeit auf dem Gebiet des Alltagssexismus. Sie wird in die Ecke gedrängt und genötigt, Thesen zu vertreten, die sie nicht selbst aufgestellt hat.

Fachlichkeit ist ein schönes Wort. Meines Wissens nach hat Wizorek ein Buch über allgemeinen Feminismus geschrieben und sollte insoweit ohne Probleme in der Lage sein auch etwas zu Unisextoiletten zu sagen. Ansonsten hätte es sich ja auch angeboten, dass Wizorek auf die Anfrage hin, ob sie an Sendung zum Thema „Nieder mit den Ampelmännchen“ teilnehmen möchte einfach angibt, dass das nicht ihre Thema ist und auf andere Fachfrauen im Feminismus verweist. Anscheinend hat sie das aber nicht – verständlicherweise, sie muss ja auch im Gespräch bleiben und ihre Buch verkaufen.

Herrn Kubicki wird die Antwort auf die Frage, ob man Geschlechtergerechtigkeit bei der Hirschbrunft braucht, direkt in den Mund gelegt. Herr Hofreiter wird abgekanzelt und belehrt, als er auf die Unwichtigkeit dieser Beispiele in Bezug auf die Gesamtproblematik hinweisen will. Frau Thomalla wurde anscheinend eingeladen, um Spott und Häme zu verbreiten, die Fragen die sie erreichten, hatten keinen anderen Zweck, als das Thema unbeleckt jeder Fachlichkeit lächerlich zu machen. Frau Kelle wirkte wie die Anwältin des Moderators, bei dem er seine Meinung bestätigt bekam.

Das wäre erst einmal aus meiner Sicht ein Ansatzpunkt für eine Beschwerde, die nicht den Inhalt rügt, sondern eine unfaire Parteinahme. Ich bin allerdings sicher, dass die Gleichstellungsbeauftragten gegen vergleichbare Konstellationen im ungekehrten Fall wenig gehabt hätte. Tatsächlich meine ich nicht, dass Plasberg einseitig war. Er hat eher ein Mittel eingesetzt, welches ich für durchaus zulässig halte: Den Platzhirsch bzw. die herrschende Meinung unter Druck setzen. Der Feminismus ist eben die Meinung, die hier den stärkeren Rückhalt hat, die sich auf „Genderforschung“ berufen können sollte, an der Kritik eher gerechtfertigt werden muss. Also ist es auch die, die für eine kritische Sendung abgeklopft werden muss, bei der man den Druck ansetzt und die hinterfragt wird. Das muss nicht per se unfair sein, wenn man die passenden Argumente zur Hand hat. Beispielsweise wäre es hier ja ein leichtes gewesen zu sagen „Ja, bestimmte Sachen gehen etwas weit und erscheinen als Einzelfall sinnlos, da stimme ich ihnen zu. Aber das ist in vielen Gebieten so. Wir sollten hier auf eine gewisse Kontrolle hinarbeiten, aber gleichzeitig nicht mit extremen Einzelfällen ein wichtiges Thema herunterreden.“

Es handelt sich um einen ungeheuerlichen Machtmissbrauch des „Moderators“, die neutrale Position zu verlassen und auf diese Art und Weise ZuschauerInnen manipulieren zu wollen. Es schien so, als solle der „gesunde Menschenverstand“ beschworen und bedient werden, der sich seit Monaten montags auf der Straße zeigt.

Derart unfaire Sendungen mögen vielleicht im Pay-TV hinnehmbar sein, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen dürfen sie unseres Erachtens keinen Platz haben. Die Sendung von Herrn Plasberg hat unseres Erachtens gegen die Programmgrundsätze („Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen“) des WDR verstoßen.

Aus solchen Bagatellen einen Verstoß herzuleiten, der eine Aufnahme in den „Giftschrank“ rechtfertigt, finde ich etwas viel. Wobei es aus meiner Sicht durchaus auch als Beschwerde wiederum nicht unbedingt die Grenzen der Lobbyarbeit verlässt, die dieses Gremium ja letztendlich leistet. Da beschwert man sich eben gegen alles, was gegen die eigene Richtung geht.

Wollen Sie auf diese Art und Weise mehr Frauen und junge Menschen für den WDR begeistern? Als Gebührenzahlerinnen verlangen wir Auskunft darüber, ob diese Art der Sendungsgestaltung prägend für den WDR werden soll.“

So heißt es in der Programmbeschwerde der LAG der nordrheinwestfälischen Gleichstellungsbeauftragten.

Als Lobbyist/Gebührenzahler zu protestieren und ein faireres Diskussionverhalten einzufordern ist erst einmal auch nichts falsches. So erleichtert man zukünftigen Interessenvertretern die Arbeit in weitern Talkshows. Es wäre interessant, ob es ihnen eher darum oder tatsächlich um den „Giftschrank“ ging.

Die Entscheidung, dass die Sendung in den „Giftschrank“ kommt, wurde durch erstaunlich viele Tageszeitungen aufgegriffen (Gute Übersichten auch zu kritischen Stellungnahmen bei Genderama 1, 2, 3)  und löste jedenfalls einen Streisandeffekt aus: Seinerzeit wollte Barbara Streisand nicht, dass Fotos ihres Anwesens veröffentlicht werden und die Berichte über ihren Protest führten dazu, dass die Leute interessiert daran waren, wie ihr Anwesen nun eigentlich aussieht. Ebenso wurden wahrscheinlich viele erst durch die Meldungen über den Giftschrank erst neugierig, was da nun eigentlich schlimmes gesagt worden ist.

Es ist schwer zu sagen, wie oft das Video noch auf Youtube angeschaut worden ist, es gibt ja auch viele Versionen davon. Ich habe mir aber mal die Statistik des obigen Videos angeschaut, die eigentlich recht gut als Paradebeispiel eines Streisandeffekts nutzbar ist.

Hart aber fair Ampelmännchen

Hart aber fair Ampelmännchen

Also ein Rumdümpeln mit geruhsamen Anstieg und dann innerhalb sehr kurzer Zeit von ca. 15.000 auf 90.000 (die Statistik scheint nicht ganz aktuell zu sein, 3 Tage später am Tag des Schreibens, also dem 25.08.2015, war das Video schon bei 138.000)

Meiner Meinung nach sollte an die Kritik an der Entscheidung aber auch nicht vorschnell einer Zustimmung an Feminismuskritik zuordnen: Journalisten sind sehr verständlicherweise häufig Vertreter einer umfassenden Meinungsfreiheit und dagegen, sich Lobbygruppen zu beugen, weil das ihre Arbeit direkt betrifft.

Ein auch bei Genderama zitierter Beitrag stützt sich demnach auch genau darauf:

Mag der öffentlich-rechtliche Rundfunk sonst um den möglichst langen Verbleib seiner Beiträge im Internet heftig kämpfen, vollzieht der WDR in diesem Fall, was Lobbygruppen gerne sehen: Der Sender zensiert sich selbst, um weiteren Ärger zu vermeiden. Er stellt einen prominenten Mitarbeiter bloß und nimmt den Zuschauern die Möglichkeit, sich selbst ein Urteil zu bilden. Ein krasseres Versagen einer journalistischen Institution ist kaum denkbar. Der WDR verzichtet freiwillig auf die Presse- und Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes. (…) Wo die Diskussion beginnen müsste, blendet sich der Sender aus und kniet vor denen nieder, die Andersdenken Sprechverbote erteilen wollen. So sieht ein journalistischer Offenbarungseid aus.

Und auch aus dem feministischen Lager finden sich Stimmen dazu, dass der Beitrag wieder in die Mediathek gehört, zB von Zana Ramadami auf Facebook:

„Dummer Sexismus gehört bekämpft.“ Hofreiter

Die Sendung muss wieder in die Mediathek!!!!

Egal was Frau/Mann von dieser dummen Sendung und einigen dummen Gästen halten mag, es ist lächerlich diese Show verbieten zu wollen?!

In den ersten Minuten hätte ich ebenfalls schon losschreien können!

1. ein Kompliment ist nicht = Sexismus
2. ja, wir sind ALLE unterschiedlich! Die biologischen Unterschiede sind nicht das große Problem, sondern die anerzogenen sozialen Unterschiede!
3. Gender Mainstreaming ist eigentlich ganz gut und einfach verständlich. Leider verstehen das auch sehr viele Feministinnen falsch.
4. Männer sind nicht an allem schuld! Frauen (siehe Kelle) sind auch ganz vorne dabei positive Entwicklung einer Gesellschaft zu verhindern.

Perfekter Start ins Wochenende!

schmerzerfüllt.

Und auch in verschiedenen Parteien finden sich Politiker, die dies kritisieren:

Ziemlich uncool“, nannte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, die Entscheidung des Senders. „Wenn künftig all das entfernt wird, was irgendeinem nicht gefällt, dann haben wir bald leere Mediatheken“, sagte Lischka der „Bild“-Zeitung vom Montag.“

Bei derSendung von Moderator Frank Plasberg im März hatte sich die „Genderwahnsinn“-Fraktion um FDP-Mann Wolfgang Kubicki, Publizistin Birgit Kelle und Schauspielerin Sophia Thomalla mit Grünen-Chef Anton Hofreiter und Feministin Anne Wizorek in die Haare bekommen.Frauenverbände und Gleichstellungsbeauftragte kritisierten später den Sexismus der Sendung.

„Mehr als irritierend“, findet es die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner, „wenn ein Fernsehsender daraufhin reflexartig eine Sendung aus der Mediathek löscht“.

Mike Mohring, Parteikollege aus dem Thüringer Landtag sieht das ähnlich. „Mir fehlt jegliches Verständnis für die Zensur durch den WDR“, sagte Mohring der „Bild“ und fügte an: „Auf der Höhe der Zeit scheint beim WDR auch niemand zu sein, denn auf YouTube erfreut sich die Zensursendung größerer Beliebtheit.“

Plasberg hat angekündigt, dass ihn die Kritik nachdenklich gemacht hat und das es eine weitere Sendung zum Thema geben wird. Hier wird es interessant: Wird er ein Rebell sein oder nicht?

Er kann die Sendung neu auflegen und diesmal zurückhaltender in der Moderation sein, aber doch zum gleichen Ergebnis kommen oder er kann einen Kniefall machen und eine Diskussionsrunde starten, bei der es kein echtes Kontra gibt, allenfalls eine Diskussion darum, wie man es richtig bzw. besser macht. Dann hätte die Beschwerde – Streisandeffekt hin oder her – durchaus etwas erreicht: Diese Sendung wäre dann zwar noch einmal kurz im Spotlight, aber zukünftige Sendungen wären sicherer.

Interessant wäre, ob die gleiche Konstellation noch einmal zusammenkommt. Die „Antigender“-Seite hat meine ich bereits angekündigt, dass sie erneut teilnehmen würde, die Frage ist, wie die Bereitschaft auf der anderen Seite wäre.

Wen soll man einladen um die „Fachlichkeit“ auf der Gender-Seite zu erhöhen? Ich vermute mal, dass sich neue Gäste genau versichern lassen, was diesmal in der Sendung passieren soll. Und ob ein Professor aus den Gender Studies Lust hat, sich der Kritik auszusetzen. Interessant wäre es natürlich einmal einen Experten für Geschlechterbiologie auf die andere Seite zu setzen.

Falls das Plasberg-Team erneut eine kritische Sendung machen möchte und zufällig auf diese Seite stoßen sollte, verweise ich hier noch einmal auf meinen Artikel „Diskussionsstrategien mit Feministinnen