Die „Dating Apokalypse“: Begünstigen Apps wie Tinder eher die Männern?

Arne hatte bereits ein Stück aus einem interessanten Artikel in der Vanity Fair zitiert:

Elizabeth Armstrong, a professor of sociology at the University of Michigan who specializes in sexuality and gender. „Young women complain that young men still have the power to decide when something is going to be serious and when something is not — they can go, ‘She’s girlfriend material, she’s hookup material.’ … There is still a pervasive double standard. We need to puzzle out why women have made more strides in the public arena than in the private arena.“

Aus meiner Sicht leicht mit Spieltheorie zu erklären: Männer haben aufgrund ihres stärkeren Sexualtriebs, der zudem eher auf Casual Sex ausgerichtet ist, weniger Probleme mit Sex einfach so. Insofern ist ihre Bereitschaft für Sex einfach zu bekommen, die Bereitschaft für Bindung aber schwieriger. Sex ist heutzutage etwas, was relativ weit am Anfang einer Beziehung liegt, es kann von einer modernen Frau nicht mehr sehr weit aufgeschoben werden. Wenn man ein paar Mal miteinander rumgemacht hat wird es komisch, wenn man nicht bald miteinander schläft. Damit ist das Zeitfenster für die Frau recht kurz geworden und sie ist im Endeffekt vorleistungspflichtig. Da aber evtl mit dem Sex bereits alles erfüllt ist, was der Mann von ihr wollte, fällt es ihnen schwer bei Männern, für die sie sich interessieren, die Regeln zu setzen. Dies um so mehr, da in einer anonymen Gesellschaft, in der vorehelicher Sex normal ist, auch keine soziale Bestrafung oder Verpflichtung daraus entsteht, erst recht nicht bei Sex über eine App, bei der die Wahrscheinlichkeit, dass man gemeinsame Bekannte hat, noch weiter sinkt.

Natürlich stimmt das aber auch nicht ganz: Es ist eher eine „eingeschränkte Apex-Fallacy“. Ja, einige Männer haben es sehr einfach über solche Apps an Sex zu kommen, sei es weil sie gut aussehen oder Game haben. Aber die Auswahl, wer überhaupt eine Gelegenheit bekommt, etwas zu schreiben und in eine nähere Bekanntschaft zu treten, liegt weitaus eher bei den Frauen. Viele Männer nutzen auf diesen Apps eher den „Trick“ einfach immer oder sehr überwiegend auf „ja“  zu klicken und dann zu schauen, bei welcher Frau etwas hängen bleibt, welche also ihrerseits „Ja“ klickt. Das kommt daher, das Frauen in der Regel wählerischer sind bzw der Mann sich denkt, dass man bei geringen Interesse ja erstens noch Nein sagen kann oder zweitens eben vielleicht zumindest Sex hat. Genug Männer werden hier schlicht keine Bedingungen stellen können und vielleicht froh sein, wenn überhaupt einmal ein „Ja“ hängen bleibt.

Das bewirkt wiederum, dass eine Frau sich bei einem Ja weitaus unsicherer sein muss, ob der Mann wirklich interessiert an ihr ist und verstärkt den obigen Punkt noch: Sie weiß, was sie will, ist es aber eine Beziehung, dann kann sie wesentlich unsicherer sein, was er eigentlich vor hat und ob er ehrlich spielt. Das obige Dilemma schlägt zu, weil gerade die besser aussehenden, die sie ausgesucht hat, es im Zweifel nicht ehrlich meinen werden, wenn sie einen höheren Partnermarktwert haben als sie selbst.

Sprich: Um so besser der Kandidat, um so höher die Chance, dass er nicht an einer Beziehung mit ihr interessiert ist. Das kann hart für das Ego sein.

Der Artikel enthält einige andere interessante Ausführungen dazu:

And is this “good for women”? Since the emergence of flappers and “moderns” in the 1920s, the debate about what is lost and gained for women in casual sex has been raging, and is raging still—particularly among women. Some, like Atlantic writer Hanna Rosin, see hookup culture as a boon: “The hookup culture is … bound up with everything that’s fabulous about being a young woman in 2012—the freedom, the confidence.” But others lament the way the extreme casualness of sex in the age of Tinder leaves many women feeling de-valued. “It’s rare for a woman of our generation to meet a man who treats her like a priority instead of an option,” wrote Erica Gordon on the Gen Y Web site Elite Daily, in 2014.

Das dürfte auch davon abhängen, wie „hoch“ man rangeht bei der Partnerwahl. Und inwiefern man sich auch seinen eigenen Marktwert bewusst macht. Aber in der Tat verlockt die Anonymität dazu, eben nur auf Sex aus zu sein.

Immerhin lassen sie dann einen Experten zu Wort kommen:

It is the very abundance of options provided by online dating which may be making men less inclined to treat any particular woman as a “priority,” according to David Buss, a professor of psychology at the University of Texas at Austin who specializes in the evolution of human sexuality. “Apps like Tinder and OkCupid give people the impression that there are thousands or millions of potential mates out there,” Buss says. “One dimension of this is the impact it has on men’s psychology. When there is a surplus of women, or a perceived surplus of women, the whole mating system tends to shift towards short-term dating. Marriages become unstable. Divorces increase. Men don’t have to commit, so they pursue a short-term mating strategy. Men are making that shift, and women are forced to go along with it in order to mate at all.”

Warum sich binden, wenn man eine große Auswahl hat? Gerade für Leute, die nachgefragt sind oder gut über Nachrichten flirten können, sicherlich verlockend.

Now hold on there a minute. “Short-term mating strategies” seem to work for plenty of women too; some don’t want to be in committed relationships, either, particularly those in their 20s who are focusing on their education and launching careers. Alex the Wall Streeter is overly optimistic when he assumes that every woman he sleeps with would “turn the tables” and date him seriously if she could.

In der Tat gibt es auch genug Frauen, die kein Problem mit „Sex einfach so“ haben. Aber ihre Zahl ist eben geringer als die der Männer, deutlich geringer, und die meisten Frauen wollen zumindest eine gewisse Verbundenheit, Vertrauen etc. Die Faszination für pure Abwechselung und die neue Eroberung dürfte bei Männern doch noch größer ausgeprägt sein. Was denen, die die Auswahl haben, meist den entsprechenden Vorteil bringt: Es interessiert sie weniger, ob es etwas schief läuft bzw schief laufen ist vollkommen anders definiert. Wenn sie erklärt, dass sie ihn nach dem ersten Sex nicht mehr sehen will und er ansonsten genug Auswahl und das passende Selbstvertrauen hat, dann gilt der alte Grundsatz „Doesn´t matter, had Sex“ und evtl ist es ihm ganz recht, dass die Abwicklung so verläuft.

Insofern müssen die Frauen, die bei einer solchen Dating App auf Suche nach einem festen Partner sind, eher aufpassen, denn im Vergleich zum sonstigen Flirten senden sie mit dem „Ja“ schon deutliche Zeichen von Interesse, so dass sie sich wesentlich mehr aus der Deckung gewagt haben.

Auch dieser Abschnitt ist aus meiner Sicht interessant:

They say they think their own anxiety about intimacy comes from having “grown up on social media,” so “we don’t know how to talk to each other face-to-face.” “You form your first impression based off Facebook rather than forming a connection with someone, so you’re, like, forming your connection with their profile,” says Stephanie, smiling grimly at the absurdity of it.

When it comes to hooking up, they say, it’s not as simple as just having sex. “It’s such a game, and you have to always be doing everything right, and if not, you risk losing whoever you’re hooking up with,” says Fallon, the soft-spoken one. By “doing everything right” she means “not texting back too soon; never double texting; liking the right amount of his stuff,” on social media.

“And it reaches a point,” says Jane, “where, if you receive a text message” from a guy, “you forward the message to, like, seven different people: ‘What do I say back? Oh my God, he just texted me!’ It becomes a surprise. ‘He texted me!’ Which is really sad.”

“It is sad,” Amanda says. “That one A.M. text becomes ‘Oh my God, he texted me!’ No, he texted you at one A.M.—it’s meaningless.”

They laugh ruefully.

Gut, dass nur das herzlose Pickup plant und analysiert. Und nicht etwa bei Frauen die Textnachrichten von ihm in eine Whattsapp-Gruppe kopiert werden, damit man sie mit den Freundinnen besprechen kann (was ganz lustig sein kann, ich war schon mehrfach coach bzw. bei entsprechenden Runden dabei, aber das ist eine andere Sache)

“If he texts you before midnight he actually likes you as a person. If it’s after midnight, it’s just for your body,” says Amanda. It’s not, she says, that women don’t want to have sex. “Who doesn’t want to have sex? But it feels bad when they’re like, ‘See ya.’ ”

“It seems like the girls don’t have any control over the situation, and it should not be like that at all,” Fallon says.

“It’s a contest to see who cares less, and guys win a lot at caring less,” Amanda says.

“Sex should stem from emotional intimacy, and it’s the opposite with us right now, and I think it really is kind of destroying females’ self-images,” says Fallon.

“It’s body first, personality second,” says Stephanie.

Honestly, I feel like the body doesn’t even matter to them as long as you’re willing,” says Reese. “It’s that bad.”

“But if you say any of this out loud, it’s like you’re weak, you’re not independent, you somehow missed the whole memo about third-wave feminism,” says Amanda.

Tja, die Nachteile, wenn Frauen und Männer gleich sind und man nicht zugeben darf, dass man in dem Spiel verliert, weil man anders denkt als ein Mann und – im Schnitt – andere Ziele hat. Lustig auch, dass der „Frauen wollen ja auch Sex einfach so“-Trope auch in dem Text mehrfach ganz deutlich angesprochen wird, um ihn dann hier wieder etwas zu relativieren. Ich finde dazu immer noch diesen Spruch sehr passend:

„A woman proud of getting laid is like an alcoholic proud of getting drunk. Where you win is in securing the commitment of a man“

Wenn in der App die nächste Frau, die Sex will, eben nicht sehr weit entfernt ist, dann beseitigt das für die passenden Männer die Logistikprobleme, die sie sonst hindern, ihre Vorstellungen eines guten Sexlebens auszuleben. Allerdings dürfte dies, wie gesagt, eben nur bei den wenigsten Männern der Fall sein. Es zieht sich aber dennoch als Problem durch. Die männliche 10 hat eben vielleicht nichts dagegen mit der 7 zu schlafen, ist aber sonst nicht weiter an ihr interessiert. Die männliche 7 ist vielleicht bereit mit der weiblichen 4 zu schlafen, aber ansonsten eben nicht weiter interessiert. Die weibliche 4, die denkt, dass der schnuckelige Kerl ja auch auf „Ja“ geklickt hat, kann sich insofern eben nicht sicher sein, was er eigentlich von ihr will oder ob sie nur in der „Fuckzone“ ist. Was auch zu Frustation führen kann.