Selbermach Mittwoch

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Turds und andere entmenschlichende Abwertungen

Lucas Schoppe hat einen interessanten Thread auf Twitter:

Sein Grimmepreis ist nicht nur eine Auszeichnung für Böhmermann, sondern auch ein Signal gegen die, die von ihm angegriffen werden. Warum das ein Problem ist, lässt sich an seiner Darstellung von Feministinnen als „Kackhaufen“ (mit dem banalen Wortspiel TERFs-turds) zeigen.

Die Schmähung ist keine „satirische Aufarbeitung“ (Grimme-Jury) oder „satirische Bewertung“ (ZDF) eines sachlichen Themas, sondern etwas ganz anderes. Aber was? Welche Funktion hat das demonstrativ primitive, lahme, dafür oft wiederholte und sogar als Hashtag genutzte „turds“?

Ein Schlenker in die Linguistik: In jeder Kommunikation gehen wir stillschweigend von geteilten Voraussetzungen aus – was Weltwissen angeht, aber auch im Hinblick auf Regeln der Sprache. Wir wissen es – die anderen wissen es – wir alle wissen, dass die jeweils anderen es wissen.

Hier: Böhmermann weiß natürlich, dass es zivile Regeln bricht, andere ungehemmt als „Kackhaufen“ hinzustellen – wir wissen es – und alle wissen, dass die anderen es wissen. Dasselbe gilt für Böhmermanns genüsslich vorgetragene gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Wenn er aber Regeln zivilen Sprechens, die allen Beteiligten klar sind, offen und ohne Not bricht – dann verstehen wir das zwangsläufig als Absicht und messen ihm Bedeutung bei. Wir interpretieren es und fragen uns unwillkürlich, welche Aussage er damit treffen will.

Bei Böhmermann ist die Botschaft einfach zu entschlüsseln: Natürlich wären uns allen die Regeln zivilen Sprechens klar, WIR wären schließlich moralische Menschen. Die „TERFs“ aber wären irgendwie so verworfen, dass DIE keinen Anspruch auf üblichen zivilen Schutz mehr haben.

Aus demselben Grund fand ich z.B. auch schon den „killallmen“-Hashtag daneben. Natürlich nicht, weil ich geglaubt hätte, dass Feministinnen alle Männer töten würden – sondern weil er signalisiert, Männer wären so verkommen, dass es bei DENEN okay wäre, so über sie zu sprechen.

So etwas legitimiert sich durch die Illusion, hier würden „Mächtige“ getroffen, es würde „von unten nach oben getreten“. Das ist ohnehin unehrlich, aber ganz und gar erbärmlich wird es, wenn ein Vertreter eines milliardenschweren Senders so gegen eine junge Doktorandin auskeilt.

Das ZDF maßt sich so mit Böhmermann die Entscheidung an, wer Teil ziviler Debatten sein und wer aus ihnen ausgeschlossen (und entsprechend behandelt) werden dürfe. Preiswürdig ist das nicht, auch nicht demokratisch, und mit öffentlich-rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.

PS. So machte das ZDF bei Twitter Werbung für seine „Turds“-Sendung, ungehemmt, aber hochmoralisch. Wer lieber unabhängig von Böhmermann etwas zu den linguistischen Hintergründen lesen möchte, ein klassischer Text von H.P. Grice aus dem Jahr 1975: ucl.ac.uk/ls/studypacks/
Es passt aus meiner Sicht zu einer Identitätstheorie, dass sie Gruppen, die andere Auffassungen vertreten als sie und die ihren Grundthesen kritisch gegenüberstehen abwertende Identitäten zuweisen. Wenn alles Gruppenidentität ist, alles Zugehörigkeit zu den Guten oder den Bösen, dann bleibt natürlich nur die einen Identitäten positiv aufzubauen und die anderen Identitäten negativ. Ein klassisches „Othering“

Dazu gibt es viele Beispiele, die hier auch schon diskutiert worden sind:

Und sicherlich noch weitere Artikel. Solche Abwertungen sind ideal um „Othering“ zu betreiben bzw in eine „Ingroup“ und eine „outgroup“ zu unterscheiden. Und die beleidigende Abwertung macht um so deutlicher, dass man eben in einer bestimmten Gruppe falsch ist.

Es verhindert auch, dass man sich wirklich mit Argumenten auseinander setzen muss: Warum sollte man etwas ernst nehmen, was ein Turd gesagt hat? Es erleichtert sie alle in einen Topf zu werfen: Sie sind eben alle Turds. Man muss auch nicht mehr mit ihnen diskutieren: Warum sollte man einen Turd zuhören? Es sind eben klassische Entmenschlichungen, ideal um Feindbilder zu errichten und zu pflegen.