Ungleiches Verlangen nach Sex und der Umgang damit in einer Beziehung

Durch eine Suchanfrage über Google in der Blogstatistik bin ich noch mal auf einen alten Beitrag gekommen, in dem es darum geht, wie man mit ungleichem Verlangen nach Sex in der Beziehung umgeht.

Aus der Diskussion möchte ich noch mal ein paar Punkte herausgreifen:

Es ging zunächst um die Frage, was der Partner, der mehr Sex will, machen kann bzw darf. In dem Artikel ging es auch um die Schilderungen von Maren, dass der Mann das eben hinzunehmen habe und nicht versuchen sollte, sie in Stimmung zu bringen, wenn sie Nein gesagt habe.

David schrieb dazu in einem Kommentar:

Ich glaube ich habe den entscheidenden Punkt vergessen zu erwähnen, warum diese Annäherungsversuche, bei denen einer zunächst mehr Lust hat, nicht nur für einem körperlichen Bedürfnis folgen, sondern auch psychohygienisch wichtig sind: es geht um das Autonomieerleben.


Auf ein menschliches Grundbedürfnis, eine erfüllende Sexualität regelmäßig selbst Einfluss nehmen zu können, ist ein Hauptmotiv für das Eingehen einer Partnerbeziehung, sprich regelmäßiger Sex. Autonomie an sich ist ein Grundbedürfnis, eine gewisse Kontrolle der eigenen Umwelt (auch ein Grund, warum allgemeine Verlässlichkeit Beziehungen so lange erhalten kann). Natürlich lässt sich in einer Beziehung die Sexualität auch nur ansatzweise kontrollieren, aber dennoch.
Die Möglichkeit zur Masturbation ist vor allem bei gemeinsamem Wohnen erheblich eingeschränkt (auch besteht häufig „emotionaler Druck“, darauf zu verzichten).

Wird bei einem starken körperlichen Bedürfnis fast jeder Impuls zur Verwirklichung nun sofort im Keim erstickt, gelangt letztlich alle Kontrolle über wann, wie, wo, wie oft etc. in die Hände des weniger libidonösen Partners. Selbstverständlich kann dieser denselben Restriktionen unterworfen werden, aber in der praktischen Realität muss natürlich der libidonösere Part jede Gelegenheit nutzen, die der weniger libidonöse Part liefert. Der weniger libidonöse Part hat somit annähernd vollständige Autonomie über sein Sexleben, die des Partners ist hingegen kaum vorhanden.

Es nun wenigstens manchmal versuchen zu dürfen (das in Stimmung bringen), gibt das Autonomierleben zurück, selbst Einfluss auf die Erregung des Partners und somit die Erfüllung des eigenen Bedürfnisses nehmen zu können. Wenn nach einiger Zeit des Überredens/Berührens eine Zurückweisung erfolgt, ist das zwar auch frustrierend – hinterlässt aber das Gefühl „es hätte klappen können“. Somit kann das Scheitern zumindest teilweise auf die eigenen Anstrengungen attribuiert werden („vielleicht war ich zu forsch..zu wenig zärtlich..habe das falsche gesagt“) und nicht gänzlich external.
Das Gefühl kompletter Fremdbestimmung der Sexualität durch den Partner, dem Wissen das das Stattfinden von Sex niemals auch nur ansatzweise ein Überzeugen, ein erfolgreich ausgehandelter Kompromiss gewesen sein kann (enthusiastic consent), führt zur erlernten Hilflosigkeit (im Sinne Seligmans), die wohl einer der Beziehungskiller schlechthin ist.

Einer der Gründe, warum diese Consent Culture eine Utopie ist, welche in mir nur ein Grauen auslöst. Vielleicht wird dazu ja mal jemand eine entsprechende Forschungsfrage aus meinen Thesen ableiten 🙂

ich glaube auch, dass ein Ansatz, bei dem man nichts versuchen darf und Sex allein von der Laune des weniger libidonösen Teils abhängt sehr viel Frustation auslösen kann. 

Genauso sicherlich auch andersrum, wenn also jeder Sex mitgemacht werden muss (und der Partner mit der geringeren Sexualfrequenz in keiner Weise erregt ist). 

Eine andere Passage dort war:

In der Kommentardiskussion schilderte Robin ein Erlebnis mit einem Freund, der Sex wollte als sie nicht in Stimmung war und dem sie daher einen Blowjob anbot. Es störte sie aber, dass er dennoch versuchte sie durch ihr unangenehmes Betatschen in Stimmung zu bringen. 

Ich glaube viele Männer hoffen, dass die Partnerin doch noch in Stimmung kommt, weil es dann natürlich anregender ist als wenn es nur ein „Pflichtblowjob“ ist. Insofern kann es auch ein Teil „Schlechtes Gewissen“ sein, bei dem man deutlich machen möchte, dass man nicht rein passiv ist. 

Julia schrieb zu der „Problemlage“:

Zum Blowjob-Thema: „Ein Blowjob zwischendurch ist ja nun wahrhaftig auch kein Weltuntergang“ … sicherlich nicht. (Vorausgesetzt, ER kommt nicht erst nach 15 min!) Stellt es für Männer kein Problem dar, einen semi-lustvollen BJ zu bekommen? Im Hinterkopf zu wissen, dass SIE eigentlich keine Lust hat? Für mich als Frau wäre das der absolute Horror, wenn ich wüsste, dass ER lieber grade Fußball schauen würde. An einen Orgasmus gar nicht zu denken!

Wenn man passend Geil ist, dann geht alles. Aber natürlich wäre es weit weniger anregend, wenn man das Gefühl hat, dass sie es gelangweilt macht. Aber wenn sie auf Sex keine Lust hat, kann es ihr ja dennoch Spass machen dem Partner etwas Gutes zu tun und seine Lust zu erleben.

Entsprechende Ungleichgewichte können auch sonst zu merkwürdigen Partnerdynamiken führen:
Er ist dann evtl in der Rolle des Bittstellers um Sex, eine eher unterwürfige Rolle, irgendwie needy und nicht wirklich sexy. Der Gedanke aus Mitleid Sex zu haben törnt die meisten Frauen wahrscheinlich eher ab. Es macht Sex zu etwas, was man „mal wieder haben muss, weil er es lange nicht hatte“ was ihn noch unattraktiver macht. 

Gleichzeitig kann es beim Mann eine gewisse Verbitterung und Anspannung hervorrufen, ein „ich halte mich ja schon zurück, wie sie wollte, aber sie hat ja anscheinend gar keine Lust mehr, warum macht sie das mit mir?“ oder zu Resignation und einem Abfinden, bei dem der Mann nichts mehr versucht und beide nebeneinander her leben in sexueller Hinsicht.

Als kleiner Exkurs: Mir ist bewußt, dass es Frauen mit einem sehr sehr hohen Sexualtrieb oder einer sehr hohem Erregbarkeit gibt, bei denen all das überhaupt kein Problem ist und bei denen eher die Männer hoffen, dass sie nicht schon wieder will. Aber es ist eben der weitaus seltenere Fall.