Politische Korrektheit in der Schule und Notendruck

Eine Lehramtsreferendarin schreibt einen Artikel dazu, warum sie keine Lust mehr darauf hat, Lehrerin zu werden: Sie findet, dass es nur noch um Noten geht und nicht mehr darum, ob die Kinder etwas lernen.

Sie führt folgendes Beispiel an: (oder hier in einer längeren Version)

Als ich in einer neunten Klasse eine Vertretungsstunde über die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen hielt, teilte ich einen Arbeitsbogen aus. Die Schüler sollten ankreuzen, welchen Thesen sie zustimmen und welchen nicht. Eine lautete: „Männer sollten immer die Hauptverdiener einer Familie sein.“ In der Auswertung zeigte sich, dass alle 25 ihr Kreuz brav bei „Nein“ gesetzt hatten.

Ich notierte die Antworten an der Tafel. Das Bild hätte jedem Gleichstellungsbeauftragten Tränen der Rührung in die Augen getrieben. Bei nahezu jeder These hatten die Schüler offenbar ein und dieselbe emanzipierte, politisch korrekte Meinung.

Ich wendete mich an die Jungs der Klasse: „Stellt euch vor, ihr wärt jetzt 30 und hättet eine kleine Familie. Eure Frau verdient 1000 Euro mehr pro Monat als ihr. Deshalb könnt ihr euch mehr leisten, das ist natürlich gut. Aber Hand aufs Herz: Wer von euch hätte heimlich ein Problem damit, dass er weniger Geld nach Hause bringt als seine Frau?“

Kein einziger Schüler zeigte auf, aber ich sah, wie einige sich gegenseitig angrinsten. „Das hier ist eine Vertretungsstunde, es gibt keine Noten“, sagte ich. Und siehe da: Ein Arm nach dem anderen ging nach oben. Von 14 Jungen beantworteten schließlich 13 die Frage, ob sie ein Problem damit hätten, wenn ihre Frau die Hauptverdienerin ist, mit „Ja“.

„Warum habt ihr da dann eben mit ‚Nein‘ geantwortet?“ – „Na ja, weil das halt die richtige Antwort ist“, sagte ein Schüler. „Aber ihr solltet ja eure persönliche Meinung äußern. Kann es da denn ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ geben?“ – „Klar, wenn es um die mündliche Note geht!“

Der Zensurendruck ist allgegenwärtig. Die Schüler würden ohne Weiteres wohl sogar das Telefonbuch auswendig lernen, wenn man ihnen dafür eine Eins in Aussicht stellt.

Das ist denke ich auch etwas, was viele Social Justice Leute nicht wirklich verstehen: Man kann Leute abgesehen von einem totalitären Staat nicht beliebig indoktrinieren, die Leute behalten nach wie vor ihre Meinungen, sie äußern sie dann eben nur nicht.

Abgesehen davon finde ich aber die Frage auch schlecht gestellt. „Männer sollten immer…“ und dann nur Ja und Nein Antworten? Das macht auch wenig Sinn da Nein anzukreuzen. Wenn sie Hochqualifiziert ist und er Hilfsarbeiter, dann macht es wohl kaum Sinn, dass er Hauptverdiener ist. Und ihre weitere Frage ist natürlich auch eine andere: Hier geht es um die jeweiligen Leute selbst und  nicht abstrakt um alle Familien. Und es geht auch nur darum, dass man damit ein „Problem“ hat. Was weit weniger ist als eine absolute Aussage, dass es immer so ist.

Es gibt ja durchaus berechtigte Ängste in dieser Richtung:

Meiner Meinung nach hat sie damit die Position auch vollkommen falsch aufgebaut für eine tatsächlich kontroverse Diskussion. Sie hat von vorneherein nur die Jungs gefragt, nicht auch die Mädchen, ob sie sich etwa einen Partner vorstellen könnten, der weniger verdient. Sie hätte auch eine geheime Abstimmung machen können oder jeden drei Ängste und drei Vorteile auf eine Karte schreiben lassen können. Oder sie hätte einen kontroversen Text als Einstieg nehmen können (ich hätte da wie man oben sieht welche für sie) in denen es um entsprechende Ängste geht. Aber dann hätte sie natürlich auch selbst weniger politisch korrekt sein müssen, und das als Referendarin mit ihrer Ausbildungslehrerin im Hintergrund. Es wäre interessant, ob sie sich das getraut hätte, auch in Bezug auf ihre eigene Note (meines Wissens nach ist bei Gymnasiallehrern mit ihrer Fächerkombination der Markt gerade ziemlich dicht). Wer eine kontroverse Diskussion möchte, der muss eben Vertrauen aufbauen, deutlich machen, dass er nicht verurteilt und verhindern, dass er die Leute in eine Alles oder Nichts, Dafür oder Dagegen Situation bugsiert, sondern auch die Möglichkeit gibt, Ängste oder Gründe, die es nicht ausschließen, die aber auftreten können und die Nachteilhaft sein können zu artikulieren. Wer ein Thema für eine Diskussion aussucht, bei dem sie davon ausgeht, dass es keine guten Gründe für die Gegenposition geben kann, der hat eben ein schlechtes Thema ausgesucht.

Ein anderer Beispiel in dem Text ist dieses:

Aber unser Bildungssystem ist so leistungsorientiert, dass es individuelle Bedürfnisse der Kinder völlig außer Acht lässt. Entwickelt werden sollen lediglich Kompetenzen, nicht Persönlichkeiten – und zwar so schnell und gleichzeitig soumfassend wie möglich, was natürlich schon ein Widerspruch in sich ist. Und bei Schülern wie Fridolin schlichtweg nicht funktioniert.

Der 14-Jährige ist, euphemistisch ausgedrückt, eine Herausforderung. Schon in meiner ersten Stunde ließ er mich auflaufen. Er kritzelte auf sein Namensschild „Kevin-Mercedes“ anstatt seines richtigen Namens und lachte ausgiebig über seinen Gag. Lautstark unterhielt er sich über mehrere Reihen hinweg mit seinen Kumpels, begann zu singen, fiel mir ungefragt und frech ins Wort und zeigte sich immun gegenüber jedem Aufruf zur Räson. Kurzum: Der Backfisch sprengte mir die ganze Stunde. Er bettelte förmlich um meine Aufmerksamkeit und sei diese noch so negativ.

„Nehmen Sie das nicht persönlich“

Sauer war ich auf Fridolin nicht. Man muss kein Psychiater sein, um zu checken: Das Kind hat Probleme. Er verhält sich doch nicht so, weil er so gern vom Lehrer getadelt wird – da steckt doch etwas anderes dahinter.

Ich sprach eine Kollegin auf ihn an. „Ja, er ist sehr schwierig. Nehmen Sie das nicht persönlich“, sagte sie sofort. Sie wisse auch nicht, was da los sei. Aber das Einzige, was wir machen könnten, sei Druck über Noten ausüben. „Wenn er stört, sagen Sie ihm einfach, dass Sie ihm für die Stunde eine Fünf oder eine Sechs eintragen. Das wirkt.“

Das wäre dann der typische Klassenclown, der wahrscheinlich meist ein Junge sein wird. Negative Aufmerksamkeit ist in der Tat zumindest Aufmerksamkeit, allerdings ist „Widerstand“ gegen die Autorität des Lehrer mitunter auch einfach eine Möglichkeit „Cool“ zu sein und insofern Status aufzubauen. Ich finde ihre Einstellung, dass man da schauen muss, was eigentlich dahinter steht gut. Natürlich kann es für einen Lehrer schlicht bequemer sein, ihn einfach mit schlechten Noten zur Ordnung zu bringen und das Problem auf diese Weise zu lösen.