Christina Hoff Sommers: Wie kriegt man mehr Frauen (und Männer) dazu sich als Feministinnen (bzw. Feministen) zu bezeichnen?

Freundlicherweise wurde mir eine deutsche Erstübersetzung des Textes „How to Get More Women (and Men) to Call Themselves Feminists“ von Christina Hoff Sommers zugeschickt, der sich auf ihr Buch „Freedom Feminism“ bezieht. Er scheint mir ein Versuch zu sein, den Begriff Feminismus etwas zu Reframen und ihn in Richtung eines Equity-Feminismus zu entwickeln:

Wie kriegt man mehr Frauen (und Männer) dazu sich als Feministinnen (bzw. Feministen) zu bezeichnen?

Christina Hoff Sommers, 25. Juni 2013

Auf die Frage „Sind sie Feminist oder Feministin?“ antworten die meisten Amerikaner mit „Nein“. Eine vor kurzem von der Huffington Post/YouGov durchgeführte Umfrage verdeutlicht dies: Nur 23 % der Frauen und 16 % der Männer identifizierten sich als „feministisch“. So bekannte als auch unterschiedliche Frauen wie Taylor Swift, Sandra Day O’Connor, Marissa Mayer und Beyoncé lehnen diese Bezeichnung ab.

Die Emanzipation der Frauen ist eines der Ruhmesblätter der westlichen Zivilisation und eines der großartigsten Kapitel in der Geschichte der Freiheit. Warum hat der Begriff, der dieses Erbe bezeichnet, einen so schlechten Ruf?

Einige werden sagen, dass die Bewegung auf dem Rückzug ist, weil ihre wesentlichen Ziele erreicht wurden. Also warum sollte sie nicht einfach verblassen? Dies ist eine verständliche, aber dennoch falsche Schlussfolgerung. Obwohl die wesentlichen Kämpfe für Gleichberechtigung und gleiche Chancen innerhalb der Vereinigten Staaten ausgefochten und größtenteils gewonnen wurden, bleibt die Arbeit des Feminismus doch unbeendet. Über den ganzen Globus verteilt, kämpfen neugebildete Frauengruppen angesichts echter und oftmals gewaltsamer Unterdrückung darum zu bestehen. Die westliche Populärkultur beinhaltet starke Elemente von Frauenfeindlichkeit. Frauen haben weit mehr als Männer mit der Herausforderung zu kämpfen, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Trotz des immensen Fortschritts für Frauen sind Frauen mit Kindern unverhältnismäßig stark von Armut betroffen.

Wer braucht den Feminismus? Wir. Die Welt. Aber eine effektive Frauenbewegung muss von ihrem gegenwärtigen Außenseiterstatus befreit werden. Jeder Mensch mit einem Interesse daran, den Status von Frauen in der Welt zu verbessern, sollte daran arbeiten eine Frauenbewegung zu schaffen, in der sich Frauen wiederfinden können. Ein realitätsbezogener, Männer respektierender, verständiger Feminismus könnte eine große Hilfe sowohl für Frauen in den Vereinigten Staaten als auch in der ganzen Welt sein. Ich nenne dies „Freiheits- Feminismus“ („freedom feminism“).

Freiheits-Feminismus steht für die moralische, soziale und rechtliche Gleichheit der Geschlechter – und für die Freiheit der Frauen ihren gleichberechtigten Status dazu zu benutzen um auf ihre eigenen vielfältigen Arten nach Glück zu streben. Freiheits-Feminismus steht nicht mit Weiblichkeit oder Männlichkeit auf Kriegsfuß und betrachtet Männer und Frauen nicht als miteinander verfeindete Stämme. Theorien von universeller patriarchaler Unterdrückung stehen nicht auf seinen Gründungstafeln. Ebenso wenig wie Gesinnungsprüfungen für Mitstreiter: er heißt Männer und Frauen quer durch das politische Spektrum willkommen. Einfach gesagt, bejaht Freiheits-Feminismus für Frauen, was er für jede Person bejaht: Würde, Fairness und persönliche Freiheit.

Ich habe diese gemäßigte Alternative entwickelt, indem ich die Geschichte der Frauenbewegung studierte. Seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert haben Reformerinnen unterschiedliche Positionen bezüglich Geschlechterrollen eingenommen. „Egalitaristen“ betonten die wesentliche Gleichheit der Geschlechter und versuchten Frauen von konventionellen Rollen zu befreien. Im Gegensatz dazu waren „Mutterschaftsorientierte Feministinnen“ nicht gegen Geschlechterrollen. Sie wertschätzten den Beitrag von Frauen als Ehefrauen und Mütter. Gleichzeitig suchten sie nach Wegen um Frauen größeren Respekt und Einfluss in der Öffentlichkeit zu verschaffen als auch mehr Schutz vor Missbrauch und Ausbeutung daheim.

Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony, Suffragetten des 19. Jahrhunderts, waren Egalitaristinnen; ihre Rivalin und unverzichtbare Verbündete im Kampf für das Frauen-Stimmrecht war die Temperenzler-Anführerin Frances Willard, eine überzeugte Mutterschafts-Feministin. Eleanor Roosevelt war ebenfalls lebenslang eine Mutterschafts–Feministin, die Männer und Frauen als gleichwertig, aber als verschieden ansah. Sie betrachtete das häusliche Leben als „vorrangiges Feld weiblicher Aktivität“, doch auf die Frage, ob der Platz einer Frau das Haus wäre, antwortete sie „natürlich, aber wenn sie sich wirklich um ihr Heim kümmert, dann wird sie weit herumkommen“.

Die Geschichte deutet darauf hin, dass es den Frauen am besten ergeht, wenn beide Bewegungen – die progressive und die konservative – zusammenarbeiten. Wie sieht es heute aus? In den Augen vieler hat sich die gegenwärtige Frauenbewegung in eine engstirnige Spartengruppierung links von der Mitte verwandelt. Die Mehrheit der Frauen wurde dabei zurückgelassen.

Freiheits-Feminismus kombiniert Aspekte sowohl der egalitären als auch der mutterschaftlich orientierten Tradition. Mit dem Egalitarismus teilt er die Abneigung gegen vorgeschriebene Geschlechterrollen: Frauen sollen frei sein, sich von Stereotypen der Weiblichkeit zu lösen, wenn dies ihre Wahl ist. Gleichzeitig respektiert er die Wahlmöglichkeiten freier und selbstbestimmter Frauen, wenn diese sich für konventionelle weibliche Rollen entscheiden. Freiheits-Feminismus steht für gleiche Chancen, aber beharrt nicht auf gleiche Ergebnisse.

In einer Umfrage von 2013 bezüglich moderner Elternschaft, fragte das Pew Research Center Mütter und Väter was sie als ihre „ideale“ Arbeitsaufteilung bezeichnen würden. 61 % der Mütter sagten, sie würden es vorziehen in Teilzeit zu arbeiten; oder gar nicht. Väter antworteten anders: 75 % bevorzugten es in Vollzeit zu arbeiten. Catherine Hakim, Soziologin an der London School of Economics, kam zu ähnlichen Ergebnissen als sie die Präferenzen von Frauen und Männern in Westeuropa untersuchte.

Nach Meinung von vielen in der zeitgenössischen Frauen-Lobby sind diese konventionellen Wahlentscheidungen der Beweis für verwurzelten Sexismus und verinnerlichte Unterdrückung. „Die persönlichen Entscheidungen von Frauen sind voller Ungerechtigkeiten“, so die „American Association of University Women“. Die „National Organization for Women“ weist auf „hartnäckige Stereotypen“ und eine „Unzahl an Formen von Sexismus“ hin, die Frauen zu besonderen Karrierewegen und Familienrollen „hinlenken“. Aber US-amerikanische Frauen gehören zu den am stärksten selbstbestimmten Frauen in der Geschichte der Menschheit. Warum nicht ihre Wahl respektieren?

Die selbe Frage könnte man stellen bezüglich der Art von Karrieren, die Männer und Frauen einschlagen. Auch nach 40 Jahren der Bewusstseinsbildung betätigen sich Frauen beruflich eher in Bereichen wie Lehrtätigkeit, Kinderbetreuung, Sozialarbeit, Pflege und Kinderheilkunde. Männer betätigen sich eher als Ingenieure, Automechaniker, Metallurgen und Bauarbeiter. Sind diese Trends das Ergebnis von Geschlechterdiskriminierung, einem feindlichen Umfeld oder unsichtbaren Barrieren wie Gender-Aktivistinnen nicht müde werden zu betonen? Es wäre möglich. Aber ist es nicht ebenfalls möglich, dass Frauen und Männer im Streben nach Glück einfach verschiedene Wege gehen? Freiheits-Feminismus respektiert anhaltende menschliche Bestrebungen.

Frauen sind vielfältig. Trotz mehrerer Jahrzehnte des Warnens und Anprangerns bezüglich traditioneller Geschlechterrollen ist das häusliche Leben eine wesentliche Priorität für Millionen von Frauen geblieben. Und alle Überredungsversuche haben Frauen nicht davon abgeschreckt, sich weiterhin für typische Frauenberufe im Pflege- und Sozialbereich zu entscheiden. Obwohl sich die britische Komödienautorin Caitlin Moran als „streitbare Feministin“ bezeichnet, vermitteln viele Passagen in ihrem humorvollem Buch „How to be a Woman“ den Geist des Freiheits-Feminismus. Sie stellt die Frage: „Was ist Feminismus?“ und antwortet: „Ganz einfach, die Überzeugung, dass Frauen genauso frei sein sollten wie Männer, egal wie durchgeknallt, dämlich, schlecht gekleidet, fett, faul und eingebildet sie sein mögen.“

Wie würde sich die Frauenbewegung verändern, wenn Freiheits-Feminismus ihre vorherrschende Philosophie wäre?

Erstens würden geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Löhnen, politischer Führung und Berufen nicht mehr automatisch als Beweis für Diskriminierung angesehen werden. Freiheits-Feministinnen berücksichtigen, dass es harmlose Erklärungen für Unterschiede geben kann. Stattdessen würden sie sich auf tatsächliche Ungerechtigkeiten konzentrieren.

Zweitens würde die Frauenbewegung den Mut aufbringen um auf eine wesentliche Ursache der Armut in Amerika hinzuweisen: fehlende Väter. Freiheits-Feministinnen würden wohl mit ihren eher progressiven Schwestern darin zusammenarbeiten Initiativen zu unterstützen, um von Armut betroffenen alleinerziehenden Müttern zu helfen; aber ihr Hauptaugenmerk läge darauf, eine gegen Männer gerichtete Erziehungs- und Sozialpolitik zu bekämpfen, die dazu beigetragen hat, hat eine zerrüttete Kultur der Vaterlosigkeit zu erzeugen.

Drittens würde sich der geographische Schwerpunkt von den Vereinigten Staaten hin zu den Entwicklungsländern verschieben. In ganz Asien, Afrika und dem Mittleren Osten kämpfen moderne Elizabeth Cady Stantons und Frances Willards mutig für eine Lebensverbesserung der Frauen. Sie fragen nach unserer Hilfe. Die Geschichte legt nahe, dass eine Koalition von konservativen und progressiven Frauen eine starke Kraft für einen Wandel sein könnte. Dadurch, dass der Freiheits-Feminismus Frauen aus einem breiten weltanschaulichen Spektrum willkommen heißt, würde er diese beeindruckende Koalition erschaffen.

Mein Rat an die jungen Frauen von heute: Reformiert den Feminismus. Gebt gemäßigten und konservativen Frauen eine Stimme. Und vor allem, macht gemeinsame Sache mit den Frauen in der Welt, die für ihre grundlegenden Freiheiten kämpfen. Die Unterstützung wirklich unterdrückter Frauen würde dem heutigen westlichen Feminismus etwas geben, das ihm seit vielen Jahren gefehlt hat: ein zeitgemäßes Ziel, das seiner ruhmvollen Vergangenheit entspricht.

Christina Hoff Sommers hatte ich hier schon ein paar Mal:

Vieles, was sie an Kritik am Feminismus bringt, finde ich sehr gelungen. Gleichzeitig bin ich immer etwas vorsichtig, wenn von einem konservativen Feminismus und der Mutterrolle die Rede ist. Natürlich sollen Frauen auch die Mutterrolle übernehmen können, aber wenn man darunter versteht, dass sie immer und für lange Zeit das Wahlrecht haben müssen, ausschließlich Mutter zu sein, dann bedeutet das eben, dass dies jemand bezahlen muss. Irgend jemand muss das Geld dafür zahlen, was Unterhalt oder Steuern bedeutet. Dabei könnte das Rad für die Männer auch zurückgedreht werden, eben indem die Absicherung der Frauenrolle Lasten zum Nachteil von Männern begründet. Ich bin eigentlich recht froh darüber, dass das deutsche Unterhaltsrecht in diesem Zusammenhang die Eigenverantwortung mehr betont als früher und zumindest die Reduzierung auf einen Nachteilsausgleich statt einer strikten Lebensstandardgarantie in Gespräch gebracht hat. Wie Christina Hoff Sommers sich die Ausgestaltung der Mutterrollenwahlmöglichkeit vorstellt wäre da also im Detail interessant. Vielleicht hat ja jemand schon ihr neues Bucht gelesen und kann berichten?

Ein Umschwung des Feminismus dahin gehend, dass aus Unterschieden nicht mehr auf Diskriminierung geschlossen wird wäre hingegen ein eindeutiger Schritt nach vorne. Bei ihren anderen Punkten bin ich eher skeptisch. Was haltet ihr davon?