Überlegungen zu „Jeff Hawkins / Sandra Blakeslee: On Intelligence“

Ich lese gerade das Buch „On Intelligence“ von Jeff Hawkins und Sandra Blakeslee. Es enthält einige interessante Theorien

1. Mustererkennung

Nach der dortigen Theorie – wenn ich sie richtig verstanden habe – ist Intelligenz im wesentlichen die Fähigkeit Muster und Systeme zu erkennen und anhand dieser erkannten Muster Vorhersagen über ähnliche Zukünftige Situationen zu erstellen. Dabei werden die Muster erkannt, indem aus kleinen gespeicherten Teilen das Ganze erkannt wird. Danach wäre der Neokortex im wesentlichen eine Mustererkennungseinheit. Aus den eingehenden Signalen wird ein Muster ermittelt und in ein hierarchisches System eingeordnet. Weitere eingehende Signale werden mit diesem Muster verglichen und entsprechend eingeordnet. Über Verknüpfungen können dann Assoziationen hergestellt werden. Wenn wir beispielsweise den Anfang einer Melodie hören, dann reicht dieser Anfang für ein Erkennen des Liedes und es wird eine Assoziationskette in Gang gesetzt die uns von Erinnerungsschnipsel zu Erinnerungsschnipsel das ganze Lied erkennen lässt. Weil diese Kette aus einem Ereignis errechnet, welches als nächstes kommt, können wir problemlos das einmal verinnerliche Alphabet aufsagen, wenn wir es aber rückwärts aufsagen sollen, dann haben wir erhebliche Probleme und müssen uns anstrengen.

Dabei funktioniert das System in beide Richtungen. Zum einen können wir mittels einem kleinen Schnipsels den Zusammenhang erkennen und dadurch ermitteln, was als nächstes kommt, zum anderen bereitet das System uns auch darauf vor, welcher Sinneseindruck als nächstes kommt, weswegen wir mitunter sehen, was wir gerne sehen wollen und nehmen bekanntes eher war.

Hier noch einmal die Darstellung in der Wikipedia:

The central concept of the memory-prediction framework is that bottom-up inputs are matched in a hierarchy of recognition, and evoke a series of top-down expectations encoded as potentiations. These expectations interact with the bottom-up signals to both analyse those inputs and generate predictions of subsequent expected inputs. Each hierarchy level remembers frequently observed temporal sequences of input patterns and generates labels or ’names‘ for these sequences. When an input sequence matches a memorized sequence at a given layer of the hierarchy, a label or ’name‘ is propagated up the hierarchy – thus eliminating details at higher levels and enabling them to learn higher-order sequences. This process produces increased invariance[disambiguation needed] at higher levels. Higher levels predict future input by matching partial sequences and projecting their expectations to the lower levels. However, when a mismatch between input and memorized/predicted sequences occurs, a more complete representation propagates upwards. This causes alternative ‚interpretations‘ to be activated at higher levels, which in turn generates other predictions at lower levels. Consider, for example, the process of vision. Bottom-up information starts as low-level retinal signals (indicating the presence of simple visual elements and contrasts). At higher levels of the hierarchy, increasingly meaningful information is extracted, regarding the presence of lines, regions, motions, etc. Even further up the hierarchy, activity corresponds to the presence of specific objects – and then to behaviours of these objects. Top-down information fills in details about the recognized objects, and also about their expected behaviour as time progresses. The sensory hierarchy induces a number of differences between the various layers. As one moves up the hierarchy, representations have increased: Extent – for example, larger areas of the visual field, or more extensive tactile regions. Temporal stability – lower-level entities change quickly, whereas, higher-level percepts tend to be more stable. Abstraction – through the process of successive extraction of invariant[disambiguation needed] features, increasingly abstract entities are recognized. The relationship between sensory and motor processing is an important aspect of the basic theory. It is proposed that the motor areas of cortex consist of a behavioural hierarchy similar to the sensory hierarchy, with the lowest levels consisting of explicit motor commands to musculature and the highest levels corresponding to abstract prescriptions (e.g. ‚resize the browser‘). The sensory and motor hierarchies are tightly coupled, with behaviour giving rise to sensory expectations and sensory perceptions driving motor processes.

Jeff Hawkins scheint davon auszugehen, dass alle Muster direkt im Wege eines Lernprozesses im Neokortex erkannt werden und es keine „Festverdrahtungen“ gibt. Das erscheint mir unwahrscheinlich, schon bei der Sprache gibt es gute Argumente dafür, dass die Mustererkennung eine gewisse Unterstützung bekommt und das scheint mir auch die Erkenntnis, dass man solche Muster dennoch lernen muss, die Muster hier zuordnen und ausfüllen muss, nicht zu beeinträchtigen.

Ein solches System würde gerade davon leben, dass im Leben möglichst viel Muster erkannt werden und ein System erstellt wird, welches dann die eingehenden Daten auswertbar macht und uns erlaubt uns überhaupt in der Welt zurechtzufinden. Ohne das Erkennen von Mustern wäre ein Vorhersagen von zukünftigen Ereignissen nach einem Schema schlicht nicht möglich.

Gleichzeitig müsste auch die Einordnung in die Muster bzw. die Zuordnung von ähnlichen Vorgängen zu bestimmten Mustern möglich sein. Um so schneller man erkennt, dass man in einer bestimmten Situation auch so reagieren kann, wie es zu einer anderen Situation gepasst hätte, um so schneller kann man angemessen reagieren. Das gilt natürlich auch für das Erkennen, dass eine bestimmte Situation nicht zu einem Muster passt und eine Ausnahme zu bilden ist.

Dabei können wir diese Muster nicht nur durch eigenes Erleben, sondern auch durch Erzählungen oder das Lesen der Erfahrungen Anderer lernen.

Das würde zunächst einmal bedeuten, dass Vorurteile und Stereotype nicht vermeidbar sind und das diese insbesondere dann entstehen, wenn sie durch die Mustererkennung bestätigt werden. Es würde also nicht verwundern, dass Stereotype und Vorurteile häufig einen gewissen wahren Kern haben.

Ein tatsächlich poststrukturalistischer Zustand wird damit für Menschen nicht zu erreichen sein. Wir brauchen und entwickeln immer Strukturen, Muster etc, weil wir sie brauchen um anhand dieser Vermutungen über die Zukunft anstellen zu können.

Es wäre auch zu vermuten, dass wir offensichtlich falsche Muster erkennen, so dass es nicht so einfach ist, uns falsche Muster einzugeben, wenn diese nicht durch „höhere Glaubenssätze“ wie eine Ideologie oder Religion in ein übergeordnetes Muster eingeordnet sind, dass schwerer aufzubrechen ist, weil es mit vielen anderen Mustern verbunden ist.

Aufklärung und wissenschaftliches Arbeiten würde demnach ein Denken fördern in dem Wissen hinterfragt wird, ideologische Einordnungen würden dies hingegen erschweren.

Das erklärt vielleicht auch, warum man von einem falschen Grundmuster schlecht wegkommt, wenn es zumindest einigermaßen passt. Hat man beispielsweise als Grundmuster den Kampf der Gruppe Mann gegen die Gruppe Frau im Macht akzeptiert, dann reagiert die Mustererkennung auf Machtsignale, die es in das bestehende Muster einordnen will. Solange diese Einordnung möglich ist wird diese Denkweise immer weiter ausgebaut.

Das macht aber nicht alle Vorstellungen lernbar. Wenn bestimmte Reaktionsmuster oder Reaktionen durch andere Bereiche beeinflusst sind, zB die Reaktion auf Attraktivitätsmerkmale mit Interesse und Erregung , dann muss dies nicht unbedingt durch andere Punkte überspielbar sein.

2. Bodymap

Bewegungen wären nach dieser Theorie auch nur das Aufrufen bestimmter Muster, also das mentale Abrufen des Bildes, wie man etwas macht zB aufgrund einer bestimmten Vorhersage, dass dann in untergeordneten Prozeduren in bestimmte Bewegungsmuster umgesetzt wird. Das würde erklären, warum wir mitunter aus Gewohnheit bestimmte Sachen machen, weil wir sie gewohnt sind: Das Gehirn hangelt sich die Vorsagenkette entlang und setzt sie in Bewegungsimpulse um, weil wir die Kette nicht durch andere Ziele unterbrechen.

Um diese Bewegungen ausführen zu können muss das Gehirn zunächst wissen, welche Körperteile es überhaupt gibt. Es muss also anhand der vorhandenen Leitungen und Nervenbahnen ein Muster des Körpers anlegen, welches dem Gehirn erklärt, was für Körperteile eigentlich vorhanden sind.

Das Gehirn ist in gewisser Weise von der Aussenwelt abgeschnitten, es kann nur in dem Gehirn eingehende Daten verwerten und sich hieraus ein Muster bzw. einen Plan errechnen.

Verliert man beispielsweise einen Arm, dann wird dieser Plan anscheinend nicht vollständig nach zB optischen Daten aktualisiert, sondern es werden anscheinend die noch vorhanden Daten zumindest teilweise beibehalten, weswegen man Phantomschmerzen in einem nicht mehr vorhandenen Arm haben kann.

Ist der Plan falsch angelegt oder wird zB durch eine Schädelverletzung beschädigt, dann kann es zB sein, dass der Arm in dem Bodyplan nicht mehr vorhanden ist und als Fremdkörper wahrgenommen wird („Alien Hand Syndrom„).

Interessant könnte es sein, diese Theorie mit Transsexualität abzugleichen: Dass auch Transsexuelle das Gefühl kennen im falschen Körper zu stecken könnte darauf hindeuten, dass der Körper die ursprüngliche Bodymap nach genetischen/hormonellen Vorgaben erstellt und nicht rein aus den eingehenden Signalen herausfiltert. Transsexuelle würden dann teilweise eine falsche Bodymap haben und zB am Penis eine Art  Alien Hand Syndrom erleben bzw das Gefühl haben, dass da etwas sein sollte, was nicht da ist.