Leserin Erzählmirnix schreibt in einem Kommentar:
Aber müssten evolutionsbiologisch frauen nicht mindestens so stark sein wie männer? ich meine, eine vergewaltigung muss doch irgendwie abgewehrt werden können und da für eine frau die kosten für (unerwünschten) sex viel höher sind, wohingegen der mann quasi keine kosten hat… das muss doch erstmal auf der biologischen schiene laufen bevor wir mit gesellschaftlichen strukturen kommen. und auf der biologischen ebene muss die wahl der fortpflanzungspartner klar bei der frau liegen. wenn nun jeder dahergelaufene mann sich eine frau ins gebüsch zerren könnte und die wäre nicht mindestens so stark wie er… genetisches sodom und gomorrha. also ist es doch nur logisch dass die geschlechter prinzipiell gleich stark konzipiert sind.
Das ist noch einmal eine gute Gelegenheit klassische Fehler in Argumentationen dieser Art aufzuzeigen:
1. Die Betrachtung eines einzelnen Merkmals statt der Gesamtkosten
Üblicherweise werden drei Bedingungen genannt, die für eine evolutionäre Adaption vorliegen müssen.
- Die Eigenschaft ist eine Abwandelung einer früheren Form
- Die Eigenschaft ist durch Gene vererbbar
- Die Eigenschaft gibt einen Vorteil in Hinblick auf Fortpflanzung
Relevant ist hier insbesondere, dass ein Vorteil in Hinblick auf die Fortpflanzung bestehen muss. Dabei reicht es nicht, wenn die gewünschte Adaption einen Vorteil bietet, der Vorteil muss größer sein als der Nachteil, der ebenfalls hierdurch noch entstehen könnte.
Um es an einem anderen Beispiel festzumachen: Es wäre sicherlich von Vorteil, wenn der Dodo fliegen könnte. Allerdings müßte er dazu teure Muskeln vorhalten und sich auch ansonsten erheblich einschränke .
Bei dem Stärker sein als der Mann bestehen viele Nachteile;
- hohe Unterhaltskosten für die Muskeln
- Eintreten in ein Red Queen Rennen mit den Männern um Körperkraft
- Höhere Kampfkraft müßte über Schwangerschaft und Stillen aufrechterhalten werden
- Kampfvorteil über Körpergröße müßte ausgeglichen werden
- Nachteile über sexuelle Selektion
2. Anatomische Einschränkungen
Eine Selektion hin zu stärkeren Frauen müsste einige Hürden nehmen:
Man sollte sich bewußt machen, dass Testosteron bereits ein Dopingmittel ist und Männer deutlich mehr davon haben. Dazu viele andere Unterschiede:
- Männer wiegen etwa 15% mehr als Frauen
- Männer sind im Schnitt 15 cm größer als Frauen
- das Hüfte-Taile Verhältnis ist anders, Männer haben schmalere Hüften
- Das Brust-Tailen Verhältnis ist anders: Männer haben normalerweise einen größeren Brustumfang
- Der Oberkörper von Männern ist im Schnitt 40-50% stärker
- der Unterkörper von Männern ist im Schnitt 30% stärker
- Männer haben relativ zu ihrer Körpergröße mehr Lungenvolumen (ca. 30%)
- Ellenbogen und Knie sind beim Mann c42-60% stärker
- die Haut von Männern ist dicker und fettiger
- Männer haben mehr Körperbehaarung als Frauen
- Frauen haben einen höheren Körperfettanteil
- Frauen haben einen niedrigeren Blutdruck, Frauenherzen schlagen dafür etwas schneller
- Männer haben mehr androgene Hormone, Frauen mehr Estrogene
- Männer haben im Schnitt 5,2 Millionen rote Blutkörperchen pro Kubikmililiter, Frauen 4,6 Millionen
- Männer haben mehr Hämoglobin als Frauen und können daher mehr Sauerstoff speichern
- Männer haben im Verhältnis zu ihrem Körper ein um 10% größeres Herz
- Der Grundumsatz von Männern ist etwa 10% höher als der von Frauen
- Männer haben stärkere Knochen
- Frauen wandeln mehr ihrer Nahrung in Fett um, Männern mehr in Muskeln
- Männer können mehr Hitze abgeben, weil sie mehr Schweißdrüsen haben
- Frauen haben mehr weiße Blutkörperchen (bessere Imunabwehr)
- Männer haben mehr Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren im Blut (schnellere Wundheilung)
Es ist recht einfach zu sehen, dass viele dieser Anpassungen gute Adaptionen für körperliche Auseinandersetzungen sind. All diese Adaptionen müsste die Frau damit eine positive Selektion zur Wehrhaftigkeit hin erfolgreich ist ausgeglichen haben.
Natürlich sind solche radikalen Wechsel möglich. Die Tüpfelhyäne beispielsweise hat größere und stärkere Weibchen, die evolutionäre Umstellung war jedoch mit einer deutlichen Vermännlichung der Weiblichen verbunden:
Eines der außergewöhnlichsten Merkmale der Tüpfelhyäne ist die Maskulinisation („Vermännlichung“) der Weibchen. Die Besonderheit der Anatomie der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane war bis in das 20. Jahrhundert Anlass von Spekulationen, obwohl bereits 1877 die erste wissenschaftlich-anatomische Beschreibung vorgelegt wurde.[2] Die Weibchen haben keinen Scheidenvorhof und keine Vulva. Die Gebärmutter ist zweihörnig, der Gebärmutterkörper durch ein Septum partiell geteilt (Uterus bicornis subseptus). Der Gebärmutterhals ist nur wenige Millimeter lang und undeutlich. Die Vagina verschmilzt – wie sonst nur bei männlichen Säugetieren – mit der Harnröhre zu einem Harn-Geschlechtsgang (Urogenitalkanal), der durch den Kitzler verläuft. Der Kitzler ähnelt dem Penis der Männchen, er erreicht rund 90 % von dessen Länge und ist ebenso erigierbar. Somit erfolgen das Urinieren, die Begattung und die Geburt durch diesen Urogenitalkanal. Vom Penis unterscheidet er sich durch das Fehlen des Harnröhrenschwellkörpers, durch eine starke Faltung der Schleimhaut und den unterschiedlichen Ansatz des Rückziehmuskels (Musculus retractor penis beziehungsweise clitoridis), der sich bei Männchen an der Penisunterseite, bei Weibchen an der Seitenfläche des Kitzlers anheftet. Diese Faktoren ermöglichen die Passage der relativ großen, bis zu 1,6 Kilogramm schweren Welpen zur Geburt. Der Geburtskanal hat durch die besonderen anatomischen Verhältnisse eine Biegung um 180° am Beckenausgang, was gelegentlich zu Geburtsproblemen führt. Die Schamlippen verwachsen und ähneln dem Hodensack (Skrotum) der Männchen (Pseudoskrotum). Die Geschlechter können an der Form der Spitze des Penis beziehungsweise des Kitzlers unterschieden werden: Männchen haben eine zugespitzte Eichel, was die Kopulation erleichtert, während die Spitze des Kitzlers vorne stumpf ist.[3]
Die physiologische Ursache dieser „Vermännlichung“ liegt nicht – wie früher vermutet – ausschließlich darin, dass die Föten im Frühstadium Androgenen ausgesetzt sind. In Versuchen wurden trächtige Weibchen mit Anti-Androgenen behandelt, ohne dass die neugeborenen Weibchen einen säugetiertypischen Kitzler oder eine offene Vagina gezeigt hätten. Bei den neugeborenen Männchen glich sich der Penis äußerlich der Klitoris an.[4] Die Androgene beeinflussen allerdings das Verhalten und den Rang: Höherrangige Weibchen haben in der Endphase der Tragzeit einen höheren Androgenspiegel als niederrangige Tiere; ihre neugeborenen Welpen sind aggressiver.[5]
Die evolutionären Gründe hinter der Maskulinisation sind nicht geklärt. Manche Autoren vermuten, dass das Begrüßungsritual mit dem erigierten Geschlechtsteil (siehe unten) dermaßen wichtig für den Gruppenzusammenhalt ist, dass sich für die Weibchen Vorteile daraus ergaben, daran teilzunehmen.[6] Eine andere Sicht hält die Maskulinisierung für ein „Nebenprodukt“ der Entwicklung der Weibchen hin zu stärkeren, aggressiveren Tieren,[7] was beim Aufwachsen in den Auseinandersetzungen mit den Geschwistern und beim Kampf um Nahrungsressourcen von Vorteil ist. Letztendlich bleibt es aber schwierig, die evolutionären Schritte nachzuvollziehen, die zu diesem unter Säugetieren einmaligen Phänomen geführt haben.
3. „Es sollte so sein, weil es dann besser wäre“
Wunschträume bewirken keine Evolution. Es mag wünschenswert sein, dass Frauen sich besser wehren können. Ein Selektionsprozess muss aber vorteilhaft sein, was hier in einer Gesamtbetrachtung eher nicht der Fall ist.
Der Rückwärtsschluß aus einer angestrebten Eigenschaft auf eine sichere Evolution in diese Richtung ist nur sehr eingeschränkt möglich. Das liegt eben an den Einschränkungen evolutionärer Adaptionen:
- Anatomische Einschränkungen
- Genetische Einschränkungen
- Zeitliche Einschränkungen
- Einschränkungen durch die Kosten
- Einschränkungen durch die Schwankungen in den Lebensumständen
Das „eigentlich müsste es ganz anders sein“ ist eigentlich nur dann zulässig, wenn man eine bestimmte evolutionäre Regel benennen will, deren Inhalt einem mögliche Ziel entgegensteht.
Das ist hier aber gerade nicht der Fall. Die These, dass Männer stärker sind, wird eher durch evolutionäre Regeln gestützt:
- Ist bei Lebewesen eines der Geschlechter größer, dann ist es auch meist (überproportional) stärker, weil Größenunterschiede üblicherweise entstehen, wenn eines der Geschlechter in körperlicher intrasexueller Konkurrenz stehen, also untereinander kämpfen
- Das Geschlecht, welches mehr in intrasexueller Konkurrenz steht, wird in der Regel stärker sein. Das sind bei Primaten die Männchen. Auch beim Menschen spricht alles für größere intrasexuelle Konkurrenz unter Männern
Wenn eine Regel dafür spricht, dass eigentlich ein anderes Ergebnis vorliegen müsste, dann kann man dies als evolutonäres Rätsel sehen und versuchen es zu lösen. Dies ist aber hier gerade nicht der Fall
4. Es ist auch nicht so
Letztendlich bleibt eine Kontrolle des Endzustandes. Athleten mögen teilweise recht dicht bei einander sein, aber untrainierte Männer sind in aller Regel stärker als Frauen. Wer 18jährige Männer gegen 18jährige Frauen im Armdrücken antreten läßt, der sollte sein Geld auf die Männer setzen.
Wie Roslin hier schon zitierte bleiben die Unterschiede relativ gleich:
*A stabilization of the gender gap in world records is observed after 1983, at a mean difference of 10.0% ± 2.94 between men and women for all events. The gender gap ranges from 5.5% (800-m freestyle, swimming) to 18.8% (long jump). The mean gap is 10.7% for running performances, 17.5% for jumps, 8.9% for swimming races, 7.0% for speed skating and 8.7% in cycling. The top ten performers’ analysis reveals a similar gender gap trend with a stabilization in 1982 at 11.7%, despite the large growth in participation of women from eastern and western countries, that coincided with later- published evidence of state-institutionalized or individual doping. These results suggest that women will not run, jump, swim or ride as fast as men.*