Kibbuz und Gender

Bei der Frage, ob die Geschlechterrollen einen biologischen Kern haben oder rein sozial begründet sind, gibt es viele biologische Argumente, wie etwa    cloacal exstrophy, CAH, genetische Grundlagen der Transsexualität und viele weitere Studien.

Es gab allerdings auch direkte Experimente, die ebenfalls nahelegen, dass es eine biologische Komponente gibt.

In den israelischen Kibbuz beispielsweise sollten die Geschlechterrollen aktiv aufgebrochen werden, indem die Arbeit geschlechtsunspezifisch durchgeführt wurde und auch die Kinderbetreuung zentral durchgeführt werden sollte.

Das Experiment ist allerdings gescheitert. Hier etwas zu dazu:

In seiner empirischen Langzeitstudie beschreibt der Anthropologe Melford E. Spiro die Kibbuz-Bewegung in Israel.

Er beschreibt die revolutionäre feministische Bewegung der Kibbuzgründer, ihre Ideale, ins­besondere ihr Ideal von einer radikalen Gleichheit von Frau und Mann. Dieses Ideal führte zur Abschaffung jeglicher auf Geschlecht basierender Arbeitsteilung und damit zu einer revolutionären Umformung von Ehe, Familienstruktur und Kindererziehung.

Zwischen 1950 und 1975 (und dann bis 1994) wird Spiro Zeitzeuge einer „weiblichen Gegenrevolution”: Die im Kibbuz geborenen Frauen setzten eine Rückkehr zu einer auf Geschlecht basierenden Arbeitsteilung durch. Auf ihr Drängen wurde die Kindererziehung erneut radikal reformiert. Die Frauen bestanden darauf, in hohem Maß wieder selbst für ihre Kinder zu sorgen. Ehe und Familie wurden dadurch wieder zu eigenständigen Einheiten mit eigener Bedeutung.

Anders als die Gründer war die neue Generation der Kibbuzfrauen nicht mehr der Auffassung, Gleichheit bedeute: „Alle tun das Gleiche”, sondern vielmehr: „Jeder tut, was ihm am besten entspricht, bei gleicher Wertschätzung von Verschiedenheit.”

Interessant ist hier, dass die Frauen und die Männer, die die Bewegung gestartet haben, die Trennung leben könnten, weil sie die passende Ideologie hatten, die Kinder hingegen, die diese Ideologie nicht teilen, sondern einfach in dem Kibbuz leben müssen, andere Konzepte umsetzen wollen und zurück zu einer Geschlechtertrennung kommen wollen.

Zu den ideologischen Hintergründen aus dem besagten Artikel:

Die Gründer der Kibbuzbewegung, Frauen und Männer, wollten Anfang des 20sten Jahrhunderts in Israel den „neuen Menschen” schaffen. Er sollte frei sein von Gier nach Gütern und Besitz, frei von partikularistischen Interessen, nur am Wohl des Ganzen orientiert, frei zur Selbstentfaltung und frei von jedem Willen zur Macht über andere. Neben einer radikalen ökonomi­schen Gleichheit sollte vor allem eine radikale soziale Gleichheit der Geschlechter gelebt werden. Die Kinder, befreit von der Herrschaft der Eltern, sollten in Kinderhäusern von ausgebildeten Pädagogen erzogen werden. Frauen sollten vom „Joch” der Familien- und Kinderversorgung befreit werden, um sich ebenso wie die Männer im beruflichen, öffentlichen und politischen Leben verwirklichen zu können. Für die Kibbuzgründer war jede auf Geschlecht basierende Arbeitsteilung Zeichen von Ungleichheit und damit von Ungerechtigkeit. Unter Gleichheit verstanden sie Unterschiedslosigkeit. Um diese durchzusetzen, nahmen sie eine radikale Umformung der Institutionen Ehe und Familie vor und setzten ein Leben „ohne Geschlechtsrollenunterschiede” durch. Anders als die „das Patriarchat“ bekämpfenden Feminis­tinnen waren die Kibbuzgründer nicht der Auffassung, dass Geschlechtsrollen­unterschiede von Männern entwickelt worden seien, um Frauen zu unterdrücken und von „einflussreichen” öffentli­chen Positionen fernzu­halten. Für die Kibbuzgründer war vielmehr die Geschlechterungleichheit eine Folge der „biologischen Tragödie der Frau”. Damit meinten sie die Begrenzungen, die die Frau durch ihre biologische Fähigkeit, schwanger zu sein und stillen zu können, erlebt. Dadurch dass Frauen die primären Ansprechpartner für ihre kleinen Kinder sind, so die Kibbuzgründer, sind sie „im Joch der häuslichen Arbeit gefangen”, während der Mann „frei” für außerhäusliche Tätigkeiten ist. Da die häuslichen Tätigkeiten Zeit und Energie beanspruchen, nehmen sie Frauen die Möglichkeit, ihre künstlerischen und intellektuellen Fähigkeiten ausbauen und politische Leitungsämter zu übernehmen.

Zu der Gegenbewegung:

Was bereits vor 1950 begonnen hatte, ging zwischen 1950 und 1975 und auch danach noch weiter. Die Sabra-Frauen, d.h. die im Kibbuz geborenen Frauen, initiierten eine radikale Reformbewegung. Sie setzten eine Rückkehr zu einer auf Geschlecht basierenden Arbeitsteilung durch. Auf ihr Drängen wurde die Kindererziehung erneut radikal reformiert. Die Sabra-Frauen bestanden darauf, in hohem Maß wieder selbst für ihre Kinder zu sorgen. Ehe und Familie wurden dadurch wieder zu eigenständigen Einheiten mit eigener Bedeutung. Die Mütter setzten es durch, dass ihre Kinder nicht mehr gleich nach der Geburt ins Kinderhaus kamen, sondern von den Müttern zuhause versorgt wurden, bis sie acht Monate alt waren. Die Mütter reduzierten ihre Arbeitszeit und nahmen zusätzlich für alle Kinder im Vorschulalter noch eine Stunde Extra-Pause, die „Stunde der Liebe”, wie man es nannte. Anders als am Anfang durften die Eltern jetzt jederzeit in die Kinderhäuser kommen, um ihre Kinder zu sehen. Verbrachten die Kinder anfangs täglich zwei Stunden mit ihren Eltern, so waren es 1975 täglich vier bis fünf Stunden, in denen die Eltern ihren Kindern ungeteilte Aufmerksamkeit gaben. Am Abend aßen die Kinder auch nicht mehr im Kinderhaus, sondern gemeinsam mit den Eltern im Gemeinschaftsraum. Samstags und feiertags verbrachten sie den ganzen Tag mit ihren Eltern und oft den Großeltern. Am Abend brachten die Eltern, nicht mehr die Erzieherinnen, die Kinder zu Bett. Die weitreichendsten Veränderungen fanden erst nach 1975, nach Beendigung dieser Studie statt und sind an anderer Stelle dokumentiert.3 Obwohl schon 1976 sich die Mehrheit der Mütter dafür einsetzte, dass ihre Kinder auch zuhause schliefen, sollte es noch Jahre dauern, bis sich das durchsetzen konnte.

a) Die Sabra-Frauen Den Sabra-Frauen ging es um eine radikale Reform – in der Ideologie und Kultur ebenso wie in der Sozialstruktur. Kulturell war es eine Abkehr von einem radikalen Gleichheits­feminismus hin zur Betonung der Weiblichkeit. Sie wandten sich gegen die Auffassung ihrer Gründer, Geschlechtsrollenunterschiede seien nur kulturell konstruiert. Viele Sabras waren überzeugt, dass psychische und andere Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen auch biologisch mitbestimmt seien. Viele Sabra-Frauen meinten, dass sich Frauen eher verwirklichen, wenn sie mit Menschen arbeiten und ihnen helfen können; Männer eher, wenn sie mit Maschinen arbeiten und Dinge tun können, die ihnen ein Gefühl von Leistung und etwas Beherrschen geben. Eine Sabra-Frau erklärte im Interview: „Ich meine, eine Frau sollte die Arbeit tun, die ihr entspricht – nicht auf dem Traktor und nicht auf dem Feld. Von ihrer Natur her können Frauen nicht aktiv in der landwirtschaftlichen Produktion sein, vor allem nicht, wenn Familienleben und Arbeit integriert werden sollen.”4 Anders als die Gründerinnen sahen die Sabra-Frauen die Fürsorge für ihre Familie und die Kinder nicht als Hindernis auf dem Weg zur Emanzipation und Gleichheit, sondern als einen Weg zu persönlicher Erfüllung. Die Überzeugung ihrer Mütter und Großmütter, dass Gleichheit nur erreicht werden könne, wenn Frauen und Männer das Gleiche tun, lehnten die Sabra-Frauen ab. Gleichheit bedeutete für sie nicht mehr: „Alle tun das Gleiche”, sondern: „Jeder tut, was ihm am besten entspricht bei gleicher Wertschätzung von Verschiedenheit.”

Ein der Frauen dazu:

Eine junge Frau auf einer Kibbuzkonferenz zum Thema Gleichheit im Sinn von Unterschieds­losigkeit: „ (…) Ich bin im Kibbuz geboren und hatte nie das Bedürfnis nach solcher Gleichheit. Was Arbeitsaufteilung und Verwaltungspositionen angeht, empfinde ich die Geschlechtsrollen­unterschiede als natürlich und überhaupt nicht als diskriminierend… Muss eine schwangere Frau wirklich einen Panzer fahren können? Was die theoretischen Möglichkeiten angeht, gibt es solche Gleichheit. Allerdings wird sie gar nicht beansprucht.”

Auch hier zeigt sich, dass das Aufwachsen frei von Rollenzwängen nicht dazu führen muss, dass man diese  ablehnt. Im Gegenteil: Innerhalb dieser Freiheit kann gerade der Wunsch entstehen Geschlechterrollen zu leben.

Interessant auch die Verteilung bei den politischen Ämtern:

Die statistisch gleiche Beteiligung von Frauen an Politik und Ökonomie war eines der zentralen Ziele der Gründer. Die meisten Männer setzten sich dafür ein, dass Frauen in Leitungspositio­nen und Verwaltungsgremien tätig waren und waren auch von ihren Fähigkeiten überzeugt. Doch 1969 waren im zentralen Leitungsorgan von Kirjat Yedidim neun Männer und nur vier Frauen tätig, im Finanzausschuss acht Männer und nur eine Frau. In verschiedenen Gremien, etwa dem Gremium für Betriebsmittel, gab es gar keine Frau. Das Gremium für Kinderfürsorge dagegen hatte neun Frauen und zwei Männer. 1975 waren in der Leitung der Kibbuzföderation, zu der Kirjat Yedidim gehörte, 71% der Stellen von Männern belegt. Weder eine eingesetzte Kommission, die das „Problem der Ungleichheit” untersuchte noch verbindliche Quotenregelungen konnten das ändern. Die meisten Frauen und Männer im Kibbuz waren überzeugt: Männer und Frauen haben unterschiedliche motivationale Interessen und Bedürfnisse. Die Frauen sind intensiver mit ihrer Familie beschäftigt und wollen das auch sein. Männer dagegen sind mehr mit den Angelegenheiten des Kibbuz als Ganzem beschäftigt.

Auch hier also ein schleichender Übergang hin zu mehr Arbeitsteilung statt zu weniger.

Aus der Schlußfolgerung:

Wenn eine Gesellschaft Frauen überredet, dass Gleichheit nur erreicht werden kann, wenn Frauen wie Männer werden und berufliche Karrieren wie Männer anstreben, und dabei weibliche Begabungen und Aufgaben wie die Mutterschaft als minderwertig abtut, als etwas, das den Frauen nur von einem sexistischen Umfeld aufgezwungen worden sei, können die Folgen sehr destruktiv sein. Es kann dann sein, dass Frauen, die sich darauf einlassen, dadurch einer bedeutsamen Quelle der Freude und tiefer Selbsterfüllung beraubt werden. Mehr noch: Die Studie von Ruth Moulton zeigt: Wenn eine Ideologie die Frau überreden will, dass Gleichberechtigung nur durch Aufhebung aller Geschlechtsrollenunterschiede möglich sei, die Frau aber andere motivationale Grundlagen bei sich erlebt, kann der daraus resultierende innere Konflikt zu Depressionen und anderen ernsthaften psychischen Problemen führen.

Das wären dann potentielle Folgen einer erzwungenen Gleichheit.