Selbermach Mittwoch

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Typische Gegenpositionen, wenn ein Mann, der der Vergewaltigung beschuldigt wird, sagt, dass er unschuldig ist

In der Taz bespricht, auch schon von Arne verlinkt, Fatma Aydemir den Fall Luke Mockridge.

Einige Passagen finde ich besprechenswert, weil sie so typisch sind:

1. Ich bin hier das Opfer

Das Video beginnt mit der Ankündigung, dass Luke Mockridge dieses Jahr nicht mehr auftreten werde. Der Comedian erzählt von einer „Welle von Hass“, die ihm seit Monaten im Netz entgegenschlägt und unter der er sehr leide: „Ich bin Comedian, ich kenne das nicht. Ich stehe für ’ne gute Zeit.“ Natürlich ist es unschön, wenn Mockridge und seine Familie anonyme Drohungen bekommen.

Jedoch bleibt das bis zum Ende der generelle Tenor seines Statements. Anstatt seine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt zu teilen, entscheidet sich Mockridge dazu, den Vorwurf lediglich als „schreckliche Nummer“ abzutun und sich voll und ganz auf sein eigenes Leiden zu konzentrieren: Ich bekomme Hassnachrichten. Mir geht es nicht gut. Will heißen: Ich bin nicht Täter, sondern das eigentliche Opfer.

Wie kann es ein Beschuldigter wagen sich einfach selbst als Opfer zu sehen? Das ist vermutlich für eine Feministin unvorstellbar. Statt dessen hätte er „eine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt“ machen sollen, also vermutlich etwas in der Art von „Sexualisierte Gewalt ist etwas fürchterliches und wir Männer müssen an uns arbeiten, damit Frauen das nicht mehr passiert. Auch wenn ich hier nicht Täter war habe ich es als Mann auch irgendwie verdient und bin immerhin als Mitglied der Gruppe Mann ja auch irgendwie Täter“.

Aber für ihn ist es natürlich ganz wesentlich, dass er hier kein Täter ist. Und das er angegriffen wird.

2. Ermittlungen eingestellt

Luke Mockridge wurde von der Betroffenen angezeigt und beschreibt seinen Schock über das, was er in der Anzeige zu lesen bekam. In einer Nacht während der gemeinsamen Beziehung habe er versucht, seine Ex-Freundin zu vergewaltigen. Die Staatsanwältin sowie der Generalstaatsanwalt hätten aber keinen Tatverdacht gefunden, damit sei die Sache juristisch erledigt, sagt Mockridge.

Was der Entertainer natürlich nicht sagt oder was ihn möglicherweise auch nicht interessiert, ist, dass in den meisten Vergewaltigungsfällen, und vor allem bei solchen innerhalb einer Beziehung, genau das passiert: Die Ermittlungen bzw. Verfahren werden oft wegen mangelnder Beweislage eingestellt. Feminist_innen kritisieren diese Schwachstelle im Justizsystem seit Jahrzehnten.

Sie spart es sich einfach einmal darzustellen, warum genau er schuldig ist, etwa eine Darstellung des Sachverhaltes und eine juristische Würdigung.
Statt dessen eher eine Art Verschwörungstheorie: Die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft (Ines Anioli muss also in die Beschwerde gegen die Einstellung gegangen sein) haben die Sache unter den Tisch gekehrt. Argument: Machen sie ja sonst auch. Patriarchat eben.

Dabei gibt der Sachverhalt selbst nach ihrer Version, seine kennen wir nicht, erst einmal wenig für eine Strafbarkeit her:

Als sie beide gemeinsam im Bett lagen, habe sie mit ihm darüber gesprochen, wie verletzt sie sei und distanzierte sich von ihm. Genervt davon, habe er zunächst angefangen, sie zu schütteln und kitzeln. Er habe ihren Oberkörper auf das Bett gedrückt, ihr die Hose ausgezogen und angefangen, an ihr “herumzuspielen”, wie sie sagt. “Ich war gerade kurz davor, dich zu vergewaltigen”, habe er demnach zu ihr gesagt und dann von ihr abgelassen. Das sei nur eine von vielen Geschichten, die sie selbst zunächst verdrängt habe.

Einer Frau gegen ihren Willen die Hose auszuziehen ist schon schwer genug und jeder Sachverhalt dazu, dass sie das nicht wollte, dass sie das verhindert hat, dass sie sich gedreht und gewunden hat oder auch nur Nein gesagt hat fehlt in der Schilderung. Wenn seine Version ist, dass er sie gekitzelt hat, sie darauf positiv reagiert hat und er dann zu Sex übergeleitet, weil er dachte, dass wäre eine gute Versöhnung und davon ausging, dass sie das gut findet, dann sagt sie ihm, dass er es lassen soll und er lässt es, dann ist eben ein Vorsatz, der für eine Vergewaltigung erforderlich ist, nicht nachzuweisen.

Es wird nicht besser, wenn sie angibt, dass sie es verdrängt hat.

3. Disneyland

Mockridge erklärt, dass sich die Anschuldigungen nicht mit dem decken, was er und seine Ex-Freundin erlebt hätten. Das Paar sei nach der besagten Nacht noch zusammen gewesen und hätte in Disneyland Urlaub gemacht. Was Mockridges Erzählung suggeriert, ist etwas, was sehr häufig gegen Betroffene verwendet wird: Wenn man wirklich versucht hat, dich zu vergewaltigen, warum hast du dich nicht sofort getrennt und bist zur Polizei gerannt? Warum haben wir mit Mickey-Mouse-Ohren Selfies geschossen?

Bei dieser Argumentation werden nicht nur die widersprüchlichen Dynamiken in toxischen Beziehungen völlig außer Acht gelassen, sondern auch der Umstand, dass Betroffene meist über Monate oder gar Jahre hinweg das Erlebte verdrängen können oder müssen, um schlicht zu überleben.

Es ist ja auch verständlich, dass es als Argument verwendet wird. Gerade bei einer Prominenten, die noch nicht einmal – wenn ich es richtig verstehe – mit ihm zusammen gewohnt hat, also einfach die Sache hätte beenden können. Sie war in keiner Abhängigkeitssituation von ihm.

Und natürlich gibt es genauso die Fälle, bei denen Leute sich zur Verarbeitung einer Trennung bestimmte Erinnerungen so zurecht denken, dass sie zu ihrer Wut oder ihrer Vorstellung davon wer schuld ist passen.
Es kann auch durchaus sein, dass sie es so gesehen hat, aber selbst dann war es keine Vergewaltigung, wenn er keinen Vorsatz hatte.

4. Der anonyme Mob

Mockridge behauptet, hinter seinen Kritiker_innen steckten vor allem anonyme Twitter-Accounts. Er versucht somit das Bild eines hysterischen, ungerechten Mobs zu erzeugen. ­Dabei haben sich etliche Feminist_innen auch unter Klarnamen und mit Foto zu diesem Thema geäußert, etwa im Rahmen der von Aktivist_in Jorinde Wiese gestarteten „Luke-Challenge“ auf Instagram, bei der sich User_in­nen mit vorgegebenen Handzeichen mit der Betroffenen solidarisierten und kritische Stellungsnahmen von Mockridges Auftraggebern Sat.1, WDR und 1 Live forderten.

Auch geil. Da haben sich AUCH etliche Feministinnen mit Klarnamen beteiligt. Das schließt natürlich einen im übrigen anonymen Twittermob aus.
Eine kurze Suche nach „Mockridge“ auf Twitter zeigt auch deutlich, dass da viele Stimmen dabei waren, die nicht identifizierbar sind.

Und auch unter seinem Statement finden sich genug anonyme Accounts, die ihren Unmut äußern.

5. Echte Betroffene

Es habe aber auch „echte Menschen“ gegeben, die unter dem Hashtag #KonsequenzenfürLuke ihr Leid geteilt und Solidarität erfahren hätten, auch von ihm, betont Mockridge, selbst wenn all das auf seinem Rücken ausgetragen worden sei. „Das ist mein Wertesystem“, sagt Mockridge und erläutert nicht weiter, was damit genau gemeint ist.

Vermutlich möchte Mockridge damit sagen, dass er natürlich gegen Vergewaltigungen ist, doch er erklärt nicht, was für ihn eine „echte“ Vergewaltigung ist, was eine „echte“ Betroffene ausmacht, ob er sich über die Grauzonen Gedanken gemacht hat, die Tätern oft nicht bewusst sind, gerade wenn es um Gewalt innerhalb einvernehmlicher Beziehungen geht. Solange Mockridges Position zu all diesen Punkten unklar ist, hört sich diese Solidarisierung eher nach einem Versuch an, die Betroffenen gegeneinander auszuspielen.

Auch ein interessanter Vorwurf. Er sagt: Ich habe sie nicht vergewaltigt. Eine echte Betroffene ist dann wohl jemand, der tatsächlich vergewaltigt worden ist.

Sie kritisiert ihn und fordert, dass er sich damit auseinandersetzt und meint anscheinend, dass er ja schon irgendwie in einer Grauzone war. Er müsse da ganz klar sein.

Sie selbst macht aber nichts klar. Sie wechselt zwischen „er ist ein Vergewaltiger“ und „er war zumindest in einer Grauzone“ hin und her als wäre es das Gleiche. Dabei liegen dazwischen Welten.

Sie führt nicht an, was er nun eigentlich gemacht hat. Sie bleibt selbst in ihren Vorwürfen vollkommen vage. Er ist anscheinend schuldig. Irgendwie. Unhinterfragbar. Einfach weil es eine Frau gesagt hat.

6. Schwierige Trennung

Mockridge beschreibt die Trennung von seiner Ex-Freundin als sehr emotional und erzählt, die Betroffene habe noch Monate danach seine Brüder und Kollegen kontaktiert. Diese Information wird nicht weiter kommentiert, aber darauf folgt die angeblich überraschende Anzeige. Die Erzählung von der verletzten Ex, die sich mit Vergewaltigungsvorwürfen rächen will, ist eine klassische Strategie zur Täter-Opfer-Umkehr.

Die Erzählung von der verletzten Ex ist aber schlicht auch immer wieder mal wahr. (siehe auch). Da einfach davon auszugehen, dass das nicht sein kann ist eine sehr simple Sache.

7. Ruhm

Die Betroffene, ebenfalls Comedienne und Podcasterin, sprach in der Vergangenheit immer wieder öffentlich von ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, allerdings ohne ihren Ex-Partner namentlich zu nennen. Auch Mockridge nennt ihren Namen nicht. Deshalb wird er auch an dieser Stelle nicht genannt. Dennoch spricht Mockridge im Video sein Unbehagen darüber aus, persönliche Erfahrungen medial auszuschlachten, etwa in Podcasts und auf der Bühne.

Er wirft seiner Ex-Freundin damit unterschwellig vor, sich an diesem Vorwurf bereichern zu wollen. Abgesehen davon, dass diese These nicht aufgeht, da die Betroffene Mockridges Namen nicht einmal in den Mund genommen hat – Social-Media-User_innen haben Mockridge über eigene Recherchen als mutmaßlichen Täter identifiziert: Auch diese Argumentation ist eine häufig genutzte Methode des Victim Blamings, um der Betroffenen ihre Glaubwürdigkeit zu entziehen.

Sie kann auch Mitleid und Aufsehen abgreifen ohne seinen Namen zu nennen, gerade wenn er dann auch noch sehr leicht zu ermitteln ist.

Und natürlich kann man auch vertreten, dass ein Promi nicht identifizierbar über einen Expartner reden sollte und dort intime Details ausplaudern sollte, die nur die beiden betreffen. Das ist sicherlich kein guter Stil. Das gilt aus meiner Sicht um so mehr, wenn anscheinend beide ihren Teil zu Streitigkeiten beigetragen haben.

Natürlich kann man ihr andererseits nicht absprechen, dass sie über eine Vergewaltigung erzählt. Aber sie macht damit eben gerade in einem Fall, wo dies durchaus nicht so klar ist ein Fass auf, bei dem er, wenn er sich rechtfertigen will, gleichzeitig über sie reden müßte und weitere Details aus seinem Privatleben und ihrem in einem sehr intimen Bereich verraten müsste.

Das sollte man sich eben gut überlegen.