Selbermach Samstag 201 (27.08.2016)

Welche Themen interessieren euch, welche Studien fandet ihr besonders interessant in der Woche, welche Neuigkeiten gibt es, die interessant für eine Diskussion wären und was beschäftigt euch gerade?

Welche interessanten Artikel gibt es auf euren Blogs? (Schamlose Eigenwerbung ist gerne gesehen!)

Welche Artikel fandet ihr in anderen Blogs besonders lesenswert?

Welches Thema sollte noch im Blog diskutiert werden?

Für das Flüchtlingsthema gibt es andere Blogs

Ich erinnere auch noch mal an Alles Evolution auf Twitter und auf Facebook.

Zur Entstehung der „Critical Whiteness“-Theorien

El Mocho schrieb einen interessanten Kommentar zu „critical whiteness“

 

Man sollte sich bei Bewertung der ganzen “Critical Whiteness“-Geschichte immer wieder vor Augen halten, dass es sich um ein spezifisch amerikanisches Konzept handelt, das von WEIßEN amerikanischen Theoretikern (die beiden Hauptvertreter, David Roediger und Noel Ignatieff sind jedenfalls weiß) entwickelt wurde, um bestimmte konkrete Fragen zu beantworten. In erster Linie ging es darum, zu erklären, warum es in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung nie zu einer Verbrüderung oder auch nur Kooperation von weißen und schwarzen Proletariern gekommen ist, und in zweiter Linie darum, zu erklären, warum seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts so viele weiße Arbeiter Reagan und Bush gewählt haben.

Diesen Ansatz auf die Situation in Deutschland zu übertragen ist, denke ich, völlig verfehlt, denn:

“In moving beyond a binary treatment of race, it is important to keep in mind that African Americans‘ experience of race differed qualitatively from that of other ethnic groups because of the involuntary nature of their immigration, their enslavement, and the unparalleled virulence of the racism directed against them.”, so der Historiker Peter Kolchin.

https://pantherfile.uwm.edu/gjay/www/Whiteness/kolchinreviewessay.htm

Das ist der entscheidende Punkt. In den USA kommt niemand auf die Idee, einen Schwarzen zu fragen, wo er herkommt oder wo er sein gutes Englisch gelernt hat, weil alle wissen, dass die Schwarzen seit Jahrhunderten im Land sind und nicht freiwillig hergekommen sind. Die ach so kränkende Erfahrung, die deutsche „PoC“ mit diesen Fragen machen, bleibt ihnen also erspart. Andererseits gibt es in den USA inzwischen durchaus eine (wenn auch nicht sehr große) schwarze Mittelschicht, schwarze Unternehmer und konservative bis reaktionäre schwarze Politiker und Richter, usw., die so in Deutschland natürlich fehlen. Und letztere haben durchaus ein Interesse daran, dass die schlechte Situation der schwarzen Mehrheit nicht durch politökonomische Analysen erklärt wird, sondern durch den „Rassismus“ der Weißen
.
Entsprechend werden die „Whitenesss-Studies“ von schwarzen Linken in den USA heftig kritisiert. Zwei Beispiele: Adolph Reed, Politologe von der Universität Pensylvania:

“Insistence on the transhistorical primacy of racism as a source of inequality is a class politics. It’s the politics of a stratum of the professional-managerial class whose material location and interests, and thus whose ideological commitments, are bound up with parsing, interpreting and administering inequality defined in terms of disparities among ascriptively defined populations reified as groups or even cultures. In fact, much of the intellectual life of this stratum is devoted to shoehorning into the rubric of racism all manner of inequalities that may appear statistically as racial disparities.”

http://nonsite.org/editorial/django-unchained-or-the-help-how-cultural-politics-is-worse-than-no-politics-at-all-and-why

Oder Barbara Fields. Historikerin von der Columbia-University:

“By its insistence upon marking and naming and making visible, whiteness scholarship first strews race and races everywhere and then, mirabile dictu, discovers them everywhere. Race then becomes so ubiquitous as to lose determinate shape. …

As an organizing concept, whiteness leads to no conclusions that it does not begin with as assumptions. Whiteness is a racial identity; therefore, white people have a racial identity. Whiteness equals white supremacy; therefore, European immigrants become white by adopting white supremacy. Whiteness entails material benefits; therefore, the material benefits white people receive are a reward for whiteness.“

http://blogs.umass.edu/weinbaum/files/2008/05/barbara-fields-article.pdf

Oder besonders gut hier:

“Probably a majority of American historians think of slavery in the United States as primarily a system of race relations—as though the chief business of slavery were the production of white supremacy rather than the production of cotton, sugar, rice and tobacco.”

“Those who create and re-create race today are not just the mob that killed a young Afro-American man on a street in Brooklyn or the people who join the Klan and the White Order. They are also those academic writers whose invocation of self propelling ‘attitudes’ and tragic flaws assigns Africans and their descendants to a special category, placing them in a world exclusively theirs and outside history—a form of intellectual apartheid no less ugly or oppressive, despite its righteous (not to say self-righteous) trappings, than that practised by the bio- and theo-racists; and for which the victims, like slaves of old, are expected to be grateful. They are the academic ‘liberals’ and ‘progressives’ in whose version of race the neutral shibboleths difference and diversity replace words like slavery, injustice, oppression and exploitation, diverting attention from the anything-but-neutral history these words denote. They are also the Supreme Court and spokesmen for affirmative action, unable to promote or even define justice except by enhancing the authority and prestige of race; which they will continue to do forever so long as the most radical goal of the political opposition remains the reallocation of unemployment, poverty and injustice rather than their abolition.”

http://www.solidarity-us.org/pdfs/cadreschool/fields.pdf

es handelt sich also um ein eindeutig auf amerikanische Verhältnisse bezogenes Konzept, dass nichts mit Rassismus in Europa zu tun hat.

Ich finde Herleitungen aus der Geschichte immer interessant, aber man sollte dabei nicht vergessen, dass ein ursprüngliches Konzept seine damalige Bedeutung verlieren kann und mit einer neuen Bedeutung versehen werden kann.

Jetzt bilden die „critical Whiteness“ Theorien eben eine Untergruppe im Bereich der intersektionalen Theorien, in denen im Bezug auf den Bereich Rassismus die Gruppe der weißen privilegiert ist, die Gruppe die „PoC“ (People of Color) hingegen diskriminiert sind. Die eigentliche Erklärung ist dabei in den Hintergrund gerückt, sie ist für diese neue Theorie relativ egal. Auch der Umstand, dass etwa Asiaten als Bestandteil der PoC zumindest in Amerika im Schnitt mehr verdienen als alle andere Menschen, wenn man sie nach Hautfarbe in Gruppen einteilt, ist in dieser Theorie ganz egal. Der Einwand, dass sie nicht für die Situation in Deutschland gemacht ist, wird daher in deren Lager wenige überzeugen. Es geht heute nicht mehr um den Aspekt, warum es nicht zu einer Verbrüderung innerhalb der Klasse gekommen ist, sondern um „Machtstrukturen“. Natürlich geht es auch darum, dass man Virtue Signalling betreiben kann und gegen „die Mächtigen“ zugunsten „der Schwachen“ kämpft und das man den Vorwurf des Rassismus abfangen kann.

vgl. auch: