„Sei eine Dame, sagen sie“

Aus einem Artikel dazu:

 

„Look sexy. Look hot. Don’t be so provactive. You’re asking for it. (…) You look like you’ve let yourself go. Don’t be too fat. Don’t be too thin.“
Sätze, die Frauen auf der ganzen Welt mitunter tagtäglich hören. Diese und so viele andere Sätze, die Anforderungen der Gesellschaft, die an uns, uns Frauen, gerichtet werden. Vorgetragen von der Schauspielerin und Politikerin Cynthia Nixon in einem Video des Girls.Girls.Girls Magazine, welches sich derzeit auf den sozialen Plattformen verbreitet.

Gezeigt werden Bilder, die all diese Anforderungen, Vorstellungen oder gar Wünsche an Frauen veranschaulichen. Alles in einem rasanten Tempo mit einem heftigen Beat, der sich durch die mahnende Stimme von Nixon in das Gehör und Gehirn der Zuschauerinnen und Zuschauern hämmert.

„Save yourself. Be pure. Don’t be a whore. Don’t sleep around. Men don’t like sluts. Don’t be prude. Don’t be uptight.“

Nina Power zur digitalen Streitkultur und

Arne hatte auch schon über ein sehr interessantes Interview mit Frau Nina Power berichtet, welches ich auch sehr interessant finde:

Power: Weil ich glaube, dass es ein Fehler ist, Menschen auf der Grundlage dessen, was sie zu wissen glauben, zu verurteilen. Es ist viel nützlicher, mit Menschen über ihre Beweggründe und seine eigenen zu sprechen. Wir kommen dadurch verschiedenen Positionen viel näher, die wir verstehen können. Und ich denke, es ist möglich, die Meinung eines Menschen zu verändern. Es ist nicht sinnvoll, Menschen zu ächten und zu sagen, diese Person hat Ansichten, die so unerträglich sind, dass ich nicht mit ihr sprechen kann. So etwas treibt die Menschen noch weiter auseinander. Sie fühlen sich dadurch noch mehr entfremdet und isoliert von dem, was wir sozialen Austausch nennen.

Einen Dialog zu eröffnen ist auch aus meiner Sicht häufig sehr konstruktiv. Und das auch mit sehr extremen Personen.
Ein Beispiel, welches mir da einfällt, ist zB Daryl Davis, ein Schwarzer, der sich mit KKK-Mitgliedern angefreundet hat und nach seinen Angaben 200 davon überzeugt hat, dass sie ihre Roben an den Nagel hängen.

Das wäre aus meiner Sicht ein ganz extremes Beispiel, aber es zeigt, dass es sinnvoll sein kann miteinander zu reden, Argumente auszutauschen und den anderen merken zu lassen, dass da auf der anderen Seite ein Mensch ist.
Das war und ist ja durchaus einer der Vorteile dieses Blogs, dass hier teilweise Leute mit sehr unterschiedlichen Ansichten zusammen kommen, die dennoch diskutieren. Sicherlich sind inzwischen nicht mehr so viele Feministinnen hier, die die Diskussion suchen, wie zu den besten Zeiten, aber es treffen dennoch immer noch ganz unterschiedliche Positionen aufeinander.

Smarzoch: Es gibt auch diese seltsame Tendenz online, jeden innerhalb kürzester Zeit einen Nazi oder Faschisten zu nennen, der konservative oder rechtsgerichtete politische Ansichten vertritt. Und ich spreche jetzt nicht einmal von rechtsradikalen Positionen. Was ist problematisch an diesem – wie Sie es sagen – gedankenlosen Gebrauch von Worten?

Power: Wenn Sie jemanden fragt, was die schlimmste Bezeichnung für jemanden anderen ist, dann wird wahrscheinlich dieses Wort sein: Nazi. In den meisten Fällen wird es also eher losgelöst vom historischen Nazitum verwendet. Wenn sich die Leute gegenseitig Faschisten nennen, dann beziehen sie sich nicht wirklich auf die Doktrin Mussolinis oder auf die korporatistische Politik Nazi-Deutschlands. Verstehen Sie, was ich meine? Es gibt eigentlich überhaupt keinen historischen Bezug. Sie sagen einfach: ‚Ich mag dich nicht.‘ Das ist extrem gefährlich, weil es das Spezifische an autoritären und mörderischen Regimen untergräbt. Es ist eine zu beiläufige Verwendung dieses Begriffs. Vielleicht befinden wir uns jetzt tatsächlich in der Postmoderne, weil es eine Art Zusammenbruch von Bedeutungen gibt – Begriffe werden sehr frei verwendet. Aber es kommt wirklich auf die Definition bestimmter Wörter an. Das Internet ermöglicht es, Wörter von ihrer eigentlichen Bedeutung loszulösen. Online sehen sich die Menschen nicht. Sie haben nicht wirklich Zugriff auf eine materielle Realität und können daher alles über sich behaupten. Das hat eine gnostische, religiöse Dimension. Menschen trennen sich völlig von ihrem Körper, auch in Bezug auf Fragen der Identität. Wir leben wirklich in einem Regime von Identitäten, in dem das, was die Menschen sagen, wichtiger ist als das, wie sie sich verhalten.

In der Tat kann man im Internet alles sein und es kann leicht dazu kommen, den anderen nicht mehr als Mensch zu sehen, sondern nur als Buchstaben, als Position, weil eben die Emotionen in Text weniger übertragen werden als in einem direkten Gespräch. Das kann auch vorteile bringen, eben weil es Emotionen herausnehmen kann und man sich auf Inhalte konzentrieren kann. Aber es erleichtert eben auch jemanden nur als Vertreter eine Position, als Stellvertreter einer Gruppe zu sehen.

Smarzoch: Damit geht auch die Tendenz einher, online Grenzen zu überschreiten, indem man unverschämte und provozierende Dinge sagt. Ich muss da zum Beispiel an die Hashtag-Kampagne „Men Are Trash“ denken, Männer sind Müll. Wie nützlich ist so etwas für die Etablierung eines Dialogs zwischen Männern, die gern dazulernen möchten und Frauen, die daran interessiert sind, dass Männer sich verändern?

Finde ich sehr interessant, dass das hier endlich mal kritisch aufgegriffen und nachgefragt wird.

Power: Auf der einen Seite würde ich sagen, wenn man Redefreiheit oder freie Meinungsäußerung ernst nimmt, wird sie auch Dinge beinhalten, die unangenehm, beleidigend oder beunruhigend sind. Es gibt keine Gruppe, die man nicht kritisieren oder über die man nicht lachen darf. Wenn wir anfangen zu sagen, dass man über bestimmte Gruppen nicht lachen darf, befinden wir uns auf gefährlichem Gebiet, weil wir Hierarchien und Privilegien aufbauen. „Über diese Gruppe darf gelacht werden, aber nicht über die andere…“

Das ist auch eines der Probleme in den intersektionalen Theorien: Sie sind zu fanatisch, nehmen die Hierarchien zu wichtig, sehen jeden Witz als Mikroaggression, die die große Unterdrückung stabilisiert.

Auf der anderen Seite sind aber weiße Männer zu einer massiven Zielscheibe geworden. Das zeigt der Hashtag, den Sie erwähnt haben. Es gab auch noch einen anderen, der viel ernster war, nämlich „Kill All Men“, „töte alle Männer“. Das ist in gewisser Weise natürlich ein Witz, weil er nicht der tatsächlichen Gewalt in der realen Welt entspricht. Frauen neigen nicht sehr oft dazu, Männer zu töten – es ist vielmehr umgekehrt. Es ist schon seltsam: Man muss die Möglichkeit verteidigen, diese aggressiven und unangenehmen Statements äußern zu dürfen. Und doch braucht man Zeit, um eine vernünftige Diskussion über gute und schlechte Maskulinität zu führen. „Das Medium ist die Botschaft“, sagte Marshall McLuhan. Ein Medium wie Twitter ist aber sehr schnelllebig. Es ermöglicht nicht wirklich diese Art von tiefgehender Untersuchung eines komplizierten Themas zum Beispiel darüber, wie sich Männer verhalten sollten. Was bedeutet es, ein „guter Mann“ zu sein? Es gibt viele gute Männer. Wir haben also eine Art Problem mit der Zerstreuung. Diese großen Themen werden mit einer gewissen Schnelligkeit behandelt, dabei gehen sie viel tiefer.

Die Verkürzung von Diskussionen auf Schlagworte, die irgendwie ein Scherz und nicht ernst gemeint sind, gleichzeitig aber sehr aggressiv angeführt werden und damit wieder Ernsthaftigkeit und Abwertung transportieren, die eigentlich eine Diskussion unmöglich machen ist in der Tat ein Problem.

Wichtig wäre es aus meiner Sicht in der Tat das ganze zu Individualisieren und von der Gruppenschuld zu lösen. Statt „was müssen Männer machen, damit die Männlichkeit aller Männer nicht mehr toxisch ist“, was letztendlich eine nicht lösbare Aufgabe in der Form, wie es angefragt und vertreten  wird, ist müsste man dazu kommen, was der Einzelne machen kann, damit sein Verhalten an sich „Gut“ ist. Also eine Loslösung von der „Erbschuld“ des Mannseins. Erst dann kann ein fairer Dialog stattfinden.