Frau Dingens beschwert sich, dass sie und andere Feministinnen nicht mehr Achtung im Netz als Expertinnen für Hatespeech erhalten. Zuerst werden die Erfolge und die Wichtigkeit dargestellt:
Nachdem viele Expertinnen* in den letzten Jahren wiederholt über Hate Speech und Freiheit im Netz sprachen, sich politisch und aktivistisch engagierten, verschiedene Interessensgruppen aus Wirtschaft, Politik, öffentlicher Verwaltung, Bildung und Medien zusammen brachten, überzeugten und mit ihnen diskutierten – alles ohne nenneswerte Unterstützung, Empathie oder überhaupt Interesse von weiten Teilen der männlichen Netzgemeinde – kommt das Thema Hate Speech so langsam auch in Blogs eurer Nähe an. Das ist erst mal erfreulich, würde man meinen. In einer Szene, die Wertigkeit viel zu häufig nur noch in Aufmerksamkeit, Reichweite und Durchdringung misst, muss eine Sichtbarkeit des Themas doch gut sein, oder?
Ich nehme mal an, damit meint sie die Vortragsreihen, die einige Feministinnen zu Hate Speech gehalten haben und in denen alle, die anderer Ansicht sind als sie, permanent Hate Speech verwenden, sie hingegen trotz „All men must die“ oder diversen anderen Ausfällen der ironischen Männerfeindlichkeit und trotz des Vertretens einer Ideologie, in der der Mann nur dann nicht ein ganz so schlimmer Unterdrücker sein kann, wenn er sich ganz besonders anstrengend und seine Privilegien beständig hinterfragt, hingegen nie.
Bekommen sie aber im Netz die verdiente Aufmerksamkeit:?
Das Problem ist, dass es oft nicht strukturell um die Wirkungsweisen und vor allem den unterliegenden Strukturen von Hate Speech geht. Das merkt man auch am Nerdcore Text sehr schön, der sich nicht verkneifen kann, immer wieder in „beide Seiten“ Rhetorik zu verfallen, und somit organisierten Hass von Hate Groups wie Gamergate mit den individuellen Kompensationshandlungen Betroffener gleichsetzt.
Die Struktur aus feministischer Sicht ist einfach: Sie sind unterdrückt, also sind die anderen böse, sie hingegen machen nur „individuelle Kompensationshandlungen“. Wenn man das nicht so sieht, also eher der Auffassung, dass beide Seiten hier teilweise in ihren extremeren Lagern entsprechend handeln, dann kann das eben gar nicht sein, man erkennt dann einfach die „Strukturen“. Strukturen ist dabei letztendlich ein Begriff, mit dem im Feminismus alles gerechtfertigt wird: Weil die Struktur Männern per se Macht gibt, können sie nicht unterdrückt werden, Punkt. Weil Frauen in der Struktur die unterdrückte Gruppe sind, können sie keine Hate Speech machen. Belegt ist diese Struktur aber gar nicht, im Gegenteil, mit Nerdcore kann man eben durchaus auch ganz andere Strukturen sehen, was aber im Feminismus aus ideologischen Gründen gar nicht möglich ist. Die Realtität zu erkunden ist uninteressant, wenn man das Ergebnis schon kennt.
Das tut er, in dem er „differenziert“ – so ein schönes Wort, damit kann man so viel abwehren – also sich „beide Seiten“ vorknöpft. Doch er differenziert nicht. Er bedient sich rhetorischer Gleichsetzung, vergraben unter fünf Tonnen Text, die anscheinend nur wenige komplett und verstehend gelesen haben. Es ist eine besonders perfide Art der Gleichmacherei, denen Feministinnen immer wieder ausgesetzt sind. (Andere Beispiele: Das Blocken von Menschen, die sie online belästigen, wird mit den Belästigungen gleichgesetzt. Der Versuch, sich gegen Diffamierungen zu wehren, wird als Hetze bezeichnet. Und so weiter. Und so fort.) Er, selbst erklärter Feminist, könnte das wissen, würde er den Diskurs verfolgen.
Diverse Shitstorms, diverse Theorien, die insbesondere Männer angehen, all das ist eben nur berechtigte Interessenwahrnehmung. Und blocken an sich ist keine Belästigung, aber jemanden Sperren zu lassen, indem man ihn blockt und als Spammer meldet und die über Listen oder Aufrufe, dass ist natürlich ein Form des Hate.
Wie sie die Struktur sieht:
Strukturell sind wir momentan in folgender Situation: ein Großteil der männlichen Blogger, politisch Aktiven oder einfach der Netzaktivisten haben jahrelang die Arbeit von Expertinnen zu Hate Speech ignoriert. Unsere Texte werden von ihneneuch nicht geteilt. Unsere Stimmen werden nicht zu Podcasts oder Veranstaltungen eingeladen. Mit einer Ausnahme: wenn es darum geht, zu begaffen, wie schlecht es den armen Frauen im Internet geht. So werden Artikel groß mit „Verreck du Schlampe“ überschrieben, um dann über Hate Speech zu sprechen. Medien fragen bei uns nicht an, um unser Fachwissen zum Thema abzugreifen, sondern um medial wirksame „edgy“ Themen wie „hey du triffst deinen Hater, mal sehen was passiert“** zu pushen, das Opfer-Narrativ immer im Blick. Aufmerksamkeit mit Sensationen. Wie bei einem Autounfall stehen dann alle da und gaffen. Bis der nächste passiert. Mit Fachleuten über verbesserte Sicherheit zu sprechen? War lange Zeit zu langweilig, weil alle diese Fachleute Frauen waren. Jetzt, wo sich langsam Männer zum Thema äußern, dürfen sie zum Beispiel auf Podien mit Politikerinnen sitzen, auch wenn sie noch Monate zuvor starkes Victim Blaming betrieben, sich wiederholt nicht als Ally sehen möchten und eigentlich mit diesem ganzen „feministischen Gedöns“ nichts zu tun haben wollen. Die Perlen rauspicken, ohne die blöde Arbeit drum rum.
„Expertinnen“ ist da immer ein großes Wort. Denn viele, die sich da Expertinnen nennen, sind einfach nur Bloggerinnen, die meinen, dass sie besonders viel Hate Speech erleben, dabei aber auch keineswegs neutral sind.
Und deren Texte einfach nur eine sehr „unterkomplexe“ Erklärung geben: Das Patriarchat, die männlichen Privilegien, Männer sind böse und bedrohen Frauen. Da ist nicht viel Raffinesse drin, da wird nicht viel ausgewertet, da werden schlicht ein paar Tweets herausgegriffen und sich beschwert.
Damit ist man nicht per se ein Experte und viele dieser „Expertinnen“ wären bei gleichen Erlebnissen als Mann ebenfalls nicht geladen worden. Es freut mich aber, das anscheinend auch andere es durchaus so sehen, dass man sich nicht unbedingt eine radikale Feministin zu einem solchen Thema einladen möchte, denn sie wird nicht diskutieren wollen, sie wird bestimmte Erklärungen feststellen und bei Kritik daran beleidigt sein. Insofern werden sie vielleicht gerade eingeladen, weil sie nichts mit „feministischen Gedöns“ zu tun haben wollen, denn dieses Gedöns ist häufig das Ende jeder Diskussion. Vielleicht äußern sich die Männer insofern einfach allgemeiner zum Thema, geben fundiertere Stellungnahmen ab und sind weniger die Beteiligten eines Kampfes. Vielleicht ist es nicht einfach nur Unterdrückung und Benachteiligung, sondern es liegt daran, dass sie sich besser verkaufen können. Vielleicht möchte man sich keine „Experten“ einladen, der selbst mit „All Men must die“ sehr angreifbar ist oder zickig ist, wenn man nicht alles so macht, wie er das will.
Für Männer ist, sich als „feministisch aware“ zu labeln, etwas Positives. Einige haben das erkannt, und nutzen das – bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt – zu ihrem Vorteil. Sie schmücken sich mit ihrem Quest für Diversität, für vielleicht den einen oder anderen Retweet einer Frau, mit dem Teilen feministischer Texte von außerhalb Deutschlands, mit der Aufmerksamkeit, der sie auf die Opfer von Hasskampagnen lenken (obwohl das letzte, was diese Personen oft brauchen, Aufmerksamkeit ist, aber das ist ein anderes Thema) um zu zeigen, wie sehr sie sich all den schlimmen Dingen bewusst sind, die Frauen(tm) passieren.
Ich glaube ja in einer typischen Variante des „Nicht gut genug-Aktivismus“ mag sie diejenigen, die sich „feministisch labeln“ aber sich dennoch nicht in ihre Rolle der Unterordnung als Ally einfügen noch weniger als echte Gegner, die man ja eh besser ignoriert. Solche „falschen Allys“ wollen doch tatsächlich selbst vorankommen, statt ihre eigenen Interessen zurückzustellen und sich ganz auf die Förderung (der teilweise arbeitslosen) Feministinnen zu konzentrieren, dass ist natürlich eine ausserordentliche Frechheit, und die fühlen sich auch noch gut dabei.
Sie fühlen sich gut dabei, denken, sie tun doch was. Vor allem aber kratzen sie nicht an Macht, Positionen oder Privilegien. Sie werden automatisch auf der nächsten Konferenz sprechen, auch wenn es zwei Dutzend besser qualifizierte Frauen zum Thema gibt.
Es gibt allerdings meist nicht zwei Dutzend besser qualifizierter Frauen. Weil die Kompetenz anders bewertet wird als im Feminismus, wo man zum einen als Feministin per se neutral (=auf der Seite der Guten) und im Recht ist und zum einen das Opfer Deutungshoheit hat.
Sie werden keine Reichweite abgeben und sich in die zweite Reihe verziehen. Sie werden Konferenzen organisieren, die sich mit Diverstität schmücken, aber nur 10% nicht-weiße-Männer sprechen lassen. Sie werden auf feministischen Veranstaltungen die Speakerinnen belästigen und online beschimpfen und danach weiter steif und fest behaupten, dass sie Feministen sind. Sie werden sich von Frauen das alles erklären lassen, mit den Schultern zucken und dann ehrfürchtig staunen wenn ein Mann das alles wiederholt. Und ihr lasst sie. Ihr lasst sie gewähren. Ihr applaudiert ihnen. Ihr feiert sie für ihre Reflektiertheit, teilt ihre Texte, dankt ihnen. Und silenct damit all die Expertinnen, verbannt sie in den Schatten eurer Helden, wo sie wieder, ohne dass es jemanden kümmert, sich mit all dem Abuse und Hass alleine auseinandersetzen müssen.
Nemmt – mich – und – meine – Freundinnen – statt – denen! Das sind MÄNNER, die darf man doch nicht zu Wort kommen lassen! Es muss muss muss mehr qualifizierte Frauen geben, weil wir hier über HASS reden, also über Opfer!
Es ist ja schon an sich eine naive Haltung, dass Leute, die davon Leben, dass sie zu solchen Themen im Netz angehört werden, großartig zurückstecken, wenn sie eingeladen werden. Ich würde vermuten, dass Marthadear Anne Wizorek auch ihre intersektionalen Grundlagen vergessen hat und nicht darauf bestanden hat, dass man statt ihrer Person eine PoC zum Thema Feminismus befragt. Oder dass sie den Anteil der PoC am Aufschrei verwiesen hat und dort an eine Tweeterin verwiesen hat, die man lieber interviewen sollte als sie. Jeder schaut auf seinen Vorteil, wenn er damit Geld verdienen muss.
Und dann applaudieren die Leute denen auch noch, obwohl sie Männer sind und buhen sie nicht deswegen von der Bühne.Skandalös.
Das Ding ist: niemand will euer Mitleid. Gestern, nachdem ich all das hier in wenigen Tweets anriss, wurde mir geantwortet, dass wir uns ja alle wünschen würden, dass der Hate aufhöre. Wie auch dort geantwortet sage ich das hier noch mal (andere Frauen werden das ggf. anders sehen, was genauso legitim ist!): das sind Wünsche für den Ponyhof. Natürlich möchten alle, dass Hass aufhört. Alles andere wäre auch soziopathisch. Aber wenn ich mir hier ne Stunde nehme, um das alles – mal wieder – runter zu reißen, in dem Bewusstsein, dass die meisten Männer das ohnehin ignorieren werden, dann geht es mir nicht um einen kindlichen Wunsch dass ein Held aufm weißen Pferd kommt und mich magisch beschützt.
Das hat schon was lustiges. Da wirft eine Anhängerin der Ideologie, dass alle Probleme dieser Welt aufhören, wenn es endlich kein Patriarchat mehr gibt, den anderen vor, dass sie gefälligst realistisch bleiben sollen. „Wünsche sind kein Ponyhof“ das ist ja gerade das, was man vielen Feministinnen in ihrer (Alb-)Traumwelt der Unterdrückung gerne einmal zurufen würde.
Hier wird es einmal anders herum benutzt: Ihr dürft nicht hoffen, ihr müsst die Benachteiligung beseitigen. Denn hier ist es eine Aufforderung an Männer und da darf man eben eine Gruppenschuld und damit auch eine Pflicht zum beseitigen errichten, während jede Aufforderung an die Frauen selbst, etwa sich etwas angepasster geben, damit man besser in die Medien passt, oder differenziertere Positionen einnehmen, damit man vermittelbarer ist, schlicht viktimblaming wäre
Werdet erwachsen. Es geht schlicht und einfach um Respekt gegenüber der Arbeit, die so viele seit so langer Zeit leisten, und die immer und immer wieder ignoriert und durch Texte und Verbreitung von Texten wie der Nerdcores boykottiert werden. Das muss nicht absichtlich geschehen, das glaube ich nicht – und deswegen auch dieser lange Text – aber jetzt könnt ihr nicht mehr sagen, ihr hättet es nicht besser gewusst.
„Werdet erwachsen“ – es wäre lustig, wenn es nicht so bizarr wäre. Frau Dingens führt jedenfalls erst einmal die Bösgläubigkeit herbei – jetzt kann keiner mehr sagen, er hätte es nicht gewußt. Und brav den Job an eine Frau abgeben, das Ally sein erfordert eben harte Opfer „werde erwachsen“ in Richtung von Frau Dingens kommt einen da erneut in den Sinn. Erkenne mal, warum die anderen eingeladen werden und was du machen musst, damit sich das ändert. Aber das ist natürlich alles leugnen der sexistischen Strukturen.
Ihr schadet uns. Ihr macht uns müde, zeigt uns, dass egal wie sehr wir uns anstrengend und arbeiten, es reicht ein zusammen gepappter Text in Palast der Winde Länge, um all das unsichtbar zu machen. Ihr zeigt uns, dass wir das nicht mal kritisieren können, weil der Autor selbsterklärter Feminist ist und drölfzig Links verbastelt hat, und dann wird er es schon wissen („Male privilege comes in many different ways, and one of them is that men will always have more credibility attached to them than women“). Ihr zeigt uns, dass unsere Mühen umsonst sind, und wir nur als Projektionsflächen für die weibliche Unterlegenheit dienen können, als eure Vorzeigeopfer. Ihr sprecht uns damit unsere Expertise ab, und zwängt uns in genau nur diese eine Rolle: die armen Feministinnen, oder, falls dem Thema gegenüber kritischer eingestellt: die kalkulierenden Radikalfeministinnen.
Die Männer hauen einfach ein paar Texte zusammen, die bei Frauen keine Beachtung finden würden. Alles ganz einfach. Das Nerdcore sich eine umfangreiche Basis mit seiner Seite geschaffen hat, bei der viele Beiträge erscheinen und Diskussionen stattfinden und das seine Zugriffszahlen die von „Frau Dingens“ und den anderen Expertinnen problemlos in den Schatten stellen und das Leute vielleicht differenziertere Texte aus einem gewissen Grund lieber lesen, dass kommt Frau Dingens nicht in den Sinn. Es ist eben einfach alles ungerecht. Das der Text seriöser sein könnte als der ihre oder der anderer Feministinnen, weil er die Erklärung nicht per se einfach so vorgibt und beide Seiten betrachtet kommt ihr nicht in den Sinn: Es ist mal wieder das männliche Privileg, doh! Lustig auch, dass sie sich beschwert, dass hier Frauen zu opfer gemacht werden, wenn ihre gesamte Theorie genau darauf aufbaut und sogar ihre Anschuldigungen Nerdcore gegenüber genau diesen Inhalt haben, sie sind dort eben Opfer der Privilegien der Männer.
Wenn ihr lange und hart über diesen Text und die Implikationen nachdenkt, würde das schon was bringen. Die verlinkten Texte lest, die verlinkten Videos guckt. Andere Stimmen featured, hört und darüber nachdenkt. Entschuldigungen an alle Frauen und Betroffenen, die ihr durch euer Handeln in die beschriebenen Strukturen gepresst habt, sind auch immer ein guter Schritt, auch wenn das schon ziemlich viel Reflektion erfordert.
Was auch helfen würde und im Feminismus deutlicher angesprochen werden sollte, ist die Büßerpeitsche, die sie sich bitte über den Rücken ziehen sollen. Aber immerhin erwähnt sie, dass man sich Entschuldigen sollte. Was wohl beinhaltet, dass man in Zukunft Frauen in den Mittelpunkt rückt
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …