Nichtprivilegiert sein und die Befreiung von persönlicher Verantwortung für den Nichterfolg

Ich bin gar nicht so sicher, ob ich es schon in anderen Artikeln mal so ausgeführt habe, habe es aber jetzt an einer Stelle gelesen und finde es ganz einleuchtend:

Ein Nichtpriviligierter ist Gefangener der gesellschaftlichen Umstände. Deswegen verdient er weniger. Nicht weil er faul ist, nicht weil er bei seiner Berufswahl Gehalt weniger Wert zugewiesen hat, nicht weil er in dem Konkurrenzkampf um Beförderung auf der Strecke geblieben ist, weil es andere mehr wollten, mehr Überstunden gemacht haben etc. All dies, bei dem denjenigen persönliche Verantwortung treffen könnte, bleibt zurück und wird zu einer abstrakten Schuld der Gesellschaft, Umstände, die derjenige nicht kontrollieren kann, eine Struktur, die man insgesamt bekämpfen muss, die aber den Einzelnen frei macht von der Verantwortung.

Die Privilegientheorie macht einen insofern schlicht von jeder Verantwortung frei. Man muss sich nicht gesünder ernähren um attraktiv zu sein, die Gesellschaft weißt nur ungerechtfertigter weise schlanken Menschen Privilegien zu.

Dazu passend gibt es nichts Schlimmeres für einen Anhänger dieser Theorien als wenn man diese Verantwortung wieder herstellt, also von der abstrakten Zuweisung von Privilegien und Nichtprivilegien durch die Gesellschaft weg nach Ursachen für Unterschiede sucht. Alle Erklärungen für die Unterschiede bringen Verantwortung zurück.

 

 

Call out Culture und Nicht-Gut-Genug-Aktivismus

Bei Kleinerdrei geht es um die „Call Out Culture„, die dort wie folgt definiert wird:

„Call Out Culture“ (call somebody out on something: jemanden wegen etwas zur Rede stellen) beschreibt das Phänomen, Menschen öffentlich auf ihr problematisches Verhalten bzw. Aussagen hinzuweisen. Dies ist wichtig: Wenn ich einen Fehler mache und durch unbedachte Tweets oder dergleichen jemanden verletze, möchte ich gerne darauf aufmerksam gemacht werden, dass das nicht in Ordnung war. Das gibt mir die Möglichkeit, aus meinem Verhalten zu lernen und um Entschuldigung zu bitten. Andererseits kann Calling Out aber auch von valider, sachlicher Kritik zu einem Shitstorm und Cybermobbing umschlagen.

„Call out Culture“ ist meines Erachtens nach ein wichtiger Bestandteil des (Netz-)Feminismus, weil in diesem Virtue Signalling und „Noch richtiger sein“ im Rahmen des „Nicht gut genug Aktivismus“ hohe Werte in der Auseinandersetzung sind. Es steht auch dafür, dass man nicht etwa darüber diskutiert, was denn nun richtig ist oder freundlich anfragt, sondern das man eine Diskriminierung anprangert.

Ab wann ist die Grenze zum Cybermobbing überschritten? Innerhalb feministischer Kreise wird schon länger darüber diskutiert, inwiefern die Call Out Culture Schaden anrichtet. Der Gedanke hinter dem Akt des Calling Out ist eigentlich nicht schlecht: Wir alle haben diskriminierende Denkmuster verinnerlicht und sie zu entlernen ist ein anstrengender, langer Prozess, bei dem man manchmal in die richtige Richtung gestupst werden muss. Es ist oft schwer, sein eigenes Fehlverhalten als solches wahrzunehmen. Es ist nicht einfach, sich einzugestehen, dass man zum Beispiel als aufgeklärte*r, tolerante*r, vorurteilsfreie*r (so zumindest das Selbstbild) Weiße*r Rassismus internalisiert hat. Es geschieht aber immer wieder, dass dieser sinnvolle Grundgedanke in gegenseitiges Fertigmachen umkippt.

Klassischer Feminismus. Dass das nervige daran ist, dass jemand vollkommen überzogene Vorstellungen von Diskriminierung hat und sie anspricht darf man nicht sagen. Man muss natürlich betonen, dass jeder irgendwo diskriminiert und dass das natürlich angeprangert werden muss. Dank der Definitionsmacht des Betroffenen ist das in vielen Fällen zwingend: Eine Weiße, die von einem PoC vorgehalten bekommt, dass sie etwas rassistisches gemacht hat, hat das hinzunehmen und nicht etwa anzuführen, dass die mal lieber halblang machen soll und hier übertreibt. Demnach muss ein solcher Artikel äußerst behutsam geschrieben werden, denn jeder Verdacht, dass man sich etwa gegen den Vorwurf der Diskriminierung wehren will oder gar meint, dass man sich wegen kleinerer Vorfälle nicht so aufregen sollte, wäre fatal.

Das sieht man auch am Folgenden:

Die Aussage, dass Gewaltandrohungen kein legitimer Ausdruck von Kritik sind, sollte nicht unter tone policing fallen. Es ist vollkommen okay, wütend zu sein, wenn jemand durch diskriminierende Handlungen auffällt, und dies auch auszudrücken. Dass sich Enttäuschung zur Wut gesellt, wenn problematische Aussagen von jemandem kommen, von dem*der man sich Besseres erhofft hat, ist mehr als verständlich. Laci Green, eine Youtuberin, die sich in ihrer Videoreihe Sex+ unter anderem mit Sexualität und Feminismus auseinandersetzt, wurde vor einigen Jahren bedroht, weil sie in einem älteren Video einen transfeindlichen Ausdruck verwendet hat. Nachdem sie sich dafür entschuldigt und das Video gelöscht hatte, hörten die Drohungen nicht auf. Warum? Was ist der Zweck von Calling Out, wenn es nicht aufhört, nachdem die betroffene Person um Verzeihung gebeten und offensichtlich aus ihrem Fehlverhalten gelernt hat, sondern sich zu Hetze steigert?

Es soll also nicht darum gehen, dass jemand sich nicht über angenommene Diskriminierung aufregen darf und das auch wütend und ohne das im Verhältnis zu setzen. Das alles wäre eben Abwehr von Kritik und Verteidigung des diskriminierenden Verhaltens. Es gibt keine kleinen oder unwichtigen Vorfälle, weil natürlich jede kleine Migroaggression Teil eines Systems ist das man ansonsten damit verteidigt.

Allenfalls will man anmerken, dass man doch bitte die Kritik stoppen könne, wenn der andere es eingesehen hat und „um Verzeihung gebeten hat“ (klingt ganz schön dramatisch). Was sie verkennt: Es gibt keine Pflicht zu Stoppen, weil es dem Diskriminierten natürlich zusteht zu entscheiden, wie lange er unter dem Fehler leidet. Wer einmal nicht hinreichend aufgepaßt hat, der war eben unsensibel und hat kein Recht darauf, dass man ihm das nicht mehr vorhält. Denn es ist ja auch nur Ausdruck der jeweiligen Privilegien, die auch nach wie vor fortbestehen.

Calling Out wird dann  zu einer Performance, zu einem Wettbewerb der Unfehlbarkeit.

Da hat sie den „Nicht gut Genug-Aktivismus“ und das damit verbundene „Race to the Bottom“ im Prinzip gut verstanden. Sie meint nur, dass das nicht ein wesentlicher Bestandteil der Theorien ist, welche eben vorsehen, dass jeder Vorfall unentschuldbar ist.

An sich bietet Calling Out/Being Called Out auch die Möglichkeit eines Dialoges, eines Nachfragens und Dazulernens. Zwei Hindernisse machen das aber schwierig. Zunächst einmal steht die natürliche Abwehrhaltung des*der Empfänger*in der Kritik einem Lernprozess im Weg. „Ich soll einen Fehler gemacht haben?“ Doch selbst wenn die Einsicht da ist, wird oftmals eine Entschuldigung nicht akzeptiert. Im Fall von Prominenten ist es sogar so, dass alle für problematisch befundenen Dinge, die sie getan haben, auf tumblr gesammelt werden. Dass Fehler normal sind und Menschen sich ändern können, wird meist völlig ignoriert.

Den Wert des weiteren Vorhaltens im Virtue Signalling hat die Autorin eben noch nicht verstanden. Um so länger man derjenigen die Verletzung vorhält um so deutlicher kann man machen, dass man solche Verfehlungen nicht auf die leichte Schulter nimmt. Zudem muss derjenige ja auch nicht nur den einzelnen Fehler korrigieren. Der Fehler ist Ausdruck des Privilegs von zB Laci Green als Nichttransexuelle und das bleibt sie eben weiterhin, so dass man sie auch an ihr Privileg erinnern kann.

Es muss auch dringend darüber geredet werden, welche RolleMachtstrukturen bei der Call Out Culture spielen. Jon Ronson hat das in seinem Buch „So You’ve Been Publicly Shamed“ leider nicht hinbekommen. Warum erhalten Frauen* andere Arten von Drohungen als Männer*? Wie sind Call Out Culture und Rassismus, Ableismus, Klassismus sowie Heterosexismus miteinander verwoben? Wie geht man am besten damit um, wenn man auf problematisches Verhalten angesprochen wurde? Es macht zudem einen gewaltigen Unterschied, ob der Call Out sich an einen Konzern bzw. eine bekannte Person oder Teenager auf tumblr und Co-Aktivist*innen richtet. Einzelne Personen vor einem großen Publikum bloßzustellen – was z.B. durch eine “ich stelle meiner Mention einen Punkt voran, damit meine Tausende Follower mitbekommen, wie ich dich gerade zur Sau mache”-Reply leicht geschieht – bringt eine nicht zu unterschätzende Verantwortung mit sich. Was definitiv passieren muss: Die Anspruchshaltung (relativ) privilegierter Menschen gegenüber Menschen aus marginalisierten Gruppen muss weg. Natürlich ist es hilfreich, wenn jemand nicht nur kritisiert, sondern auch gleich erklärt, was genau problematisch war – diese Person ist aber nicht dazu verpflichtet. Auf einer Erklärung zu bestehen, obwohl man sich anderweitig informieren könnte, ist inakzeptabel. Niemand schuldet uns seine*ihre Zeit.

Hier leitet sie im Prinzip zu einem neuen Thema über und führt an, dass Call outs sinnvoll sind im Kampf gegen eine „Anspruchshaltung“ die sie bekämpfen will. Und das man das natürlich nicht rechtfertigen muss, sondern theoretisch der reine Vorhalt, dass etwas diskriminierend sei ausreichen müsste. Das aus dieser Haltung, dem Kampf gegen die Anspruchshaltung und das fehlende Erfordnis zu begründen und zu debattieren, einige der Probleme stammen, die sie oben anprangert, versteht sie leider nicht.

Binäre Einteilung in Gruppen und Oben und Unten und die Erlaubnis, nach oben zu treten wie man will

Mitunter finde ich gerade wegen der notwendigen Kürze einzelne Tweets ganz passend und auf den Punkt gebracht. Zum Beispiel diesen:

„Social Justice“ paradigm consists of splitting all social markers into Binaries of Punching Up/Down & allowing Hate Speech to Punch Uppers

Das ist eine gute Zusammenfassung der intersektionalen Theorien:

  • Definiere zwei Gruppen für jede Kategorie, deren Eigenschaften deren Mitgliedern zugewiesen werden („Männer sind Privilegiert, egal was sie machen“)
  • Definiere eine Gruppe als „Oben“ und eine Gruppe als „unten“
  • Definiere alle Anfeindungen von unten nach oben als gerechtfertigte Verteidigung gegen die Unterdrückung

Man könnte ergänzen:

Wundere dich, dass Leute die Einteilung in diese starren Gruppen verbundenen mit der Zuweisung binärer Eigenschaften und die Erlaubnis, sie wegen dieser Gruppenzuordnung anzugreifen, als Feindseligkeit empfinden und rechtfertige damit noch, dass deine Arbeit benötigt wird.

Kritik an „White Privilege“

Eine kurze Kritik an den Konzept der „Weißen Privilegien„:

But the concept of white privilege has also received a lot of backlash. Here’s a quick list of seven reasons why the term has failed to resonate with many people:

1) They’re white, and don’t feel that privileged.

Many white persons have had to work hard, make sacrifices, experience repeated rejection, come from a broken family, have gone through a divorce, struggle with addiction, or are below the poverty line and trying desperately to make ends meet. #privilege?

2) It’s totalizing.

The white privilege narrative assumes that many people in our society are systematically mistreated because of blanket assumptions made based on the color of their skin. Then it claims that ALL white people are privileged simply because they’re white.

3) It seems bourgeois.

Thinking about white privilege appears itself to be a privilege of single, young adults who have the time and resources to think about it.

4) It sometimes resorts to banal examples.

A survey put out by Pacific Educational Group—a prominent promoter of the idea of white privilege —asks respondents if they “can choose blemish cover or bandages in ‘flesh’ color and have them more or less match the color of my skin.”

5) It feels like it distracts from other pressing issues.

In Intellectual Takeout’s backyard of St. Paul, MN, the public school district has spentmillions training staff to check their white privilege. Meanwhile, less than 40% of St. Paul’s students are at grade level in reading and math.

6) It seems to require a quasi-religious faith.

In a well-read article from last December, Joseph Bottum compared white privilege to the Christian idea of original sin—you can’t necessarily see it, you don’t necessarily recognize it in yourself, but you’re still supposed to believe it’s there.

7) It focuses solely on race.

Most who have gone through the modern education system have received years of instruction on the dignity of all human persons and the virtue of being colorblind. Thus, they’re confused when they hear that they are still subconsciously racist and not focusing enough on race.

As a society, we shouldn’t question the need to be self-reflective, sometimes self-critical, and we should go out of our way to help those in need. But it seems legitimate to question whether the “white privilege” narrative is the best vehicle for accomplishing those things.

vgl auch:

Zu Expertinnen, Hate Speech, und Männern als bessere Feministen

Frau Dingens beschwert sich, dass sie und andere Feministinnen nicht mehr Achtung im Netz als Expertinnen für Hatespeech erhalten. Zuerst werden die Erfolge und die Wichtigkeit dargestellt:

Nachdem viele Expertinnen* in den letzten Jahren wiederholt über Hate Speech und Freiheit im Netz sprachen, sich politisch und aktivistisch engagierten, verschiedene Interessensgruppen aus Wirtschaft, Politik, öffentlicher Verwaltung, Bildung und Medien zusammen brachten, überzeugten und mit ihnen diskutierten – alles ohne nenneswerte Unterstützung, Empathie oder überhaupt Interesse von weiten Teilen der männlichen Netzgemeinde – kommt das Thema Hate Speech so langsam auch in Blogs eurer Nähe an. Das ist erst mal erfreulich, würde man meinen. In einer Szene, die Wertigkeit viel zu häufig nur noch in Aufmerksamkeit, Reichweite und Durchdringung misst, muss eine Sichtbarkeit des Themas doch gut sein, oder?

Ich nehme mal an, damit meint sie die Vortragsreihen, die einige Feministinnen zu Hate Speech gehalten haben und in denen alle, die anderer Ansicht sind als sie, permanent Hate Speech verwenden, sie hingegen trotz „All men must die“ oder diversen anderen Ausfällen der ironischen Männerfeindlichkeit und trotz des Vertretens einer Ideologie, in der der Mann nur dann nicht ein ganz so schlimmer Unterdrücker sein kann, wenn er sich ganz besonders anstrengend und seine Privilegien beständig hinterfragt, hingegen nie.

Bekommen sie aber im Netz die verdiente Aufmerksamkeit:?

Das Problem ist, dass es oft nicht strukturell um die Wirkungsweisen und vor allem den unterliegenden Strukturen von Hate Speech geht. Das merkt man auch am Nerdcore Text sehr schön, der sich nicht verkneifen kann, immer wieder in „beide Seiten“ Rhetorik zu verfallen, und somit organisierten Hass von Hate Groups wie Gamergate mit den individuellen Kompensationshandlungen Betroffener gleichsetzt.

Die Struktur aus feministischer Sicht ist einfach: Sie sind unterdrückt, also sind die anderen böse, sie hingegen machen nur „individuelle Kompensationshandlungen“. Wenn man das nicht so sieht, also eher der Auffassung, dass beide Seiten hier teilweise in ihren extremeren Lagern entsprechend handeln, dann kann das eben gar nicht sein, man erkennt dann einfach die „Strukturen“. Strukturen ist dabei letztendlich ein Begriff, mit dem im Feminismus alles gerechtfertigt wird: Weil die Struktur Männern per se Macht gibt, können sie nicht unterdrückt werden, Punkt. Weil Frauen in der Struktur die unterdrückte Gruppe sind, können sie keine Hate Speech machen. Belegt ist diese Struktur aber gar nicht, im Gegenteil, mit Nerdcore kann man eben durchaus auch ganz andere Strukturen sehen, was aber im Feminismus aus ideologischen Gründen gar nicht möglich ist. Die Realtität zu erkunden ist uninteressant, wenn man das Ergebnis schon kennt.

Das tut er, in dem er „differenziert“ – so ein schönes Wort, damit kann man so viel abwehren – also sich „beide Seiten“ vorknöpft. Doch er differenziert nicht. Er bedient sich rhetorischer Gleichsetzung, vergraben unter fünf Tonnen Text, die anscheinend nur wenige komplett und verstehend gelesen haben. Es ist eine besonders perfide Art der Gleichmacherei, denen Feministinnen immer wieder ausgesetzt sind. (Andere Beispiele: Das Blocken von Menschen, die sie online belästigen, wird mit den Belästigungen gleichgesetzt. Der Versuch, sich gegen Diffamierungen zu wehren, wird als Hetze bezeichnet. Und so weiter. Und so fort.) Er, selbst erklärter Feminist, könnte das wissen, würde er den Diskurs verfolgen.

Diverse Shitstorms, diverse Theorien, die insbesondere Männer angehen, all das ist eben nur berechtigte Interessenwahrnehmung. Und blocken an sich ist keine Belästigung, aber jemanden Sperren zu lassen, indem man ihn blockt und als Spammer meldet und die über Listen oder Aufrufe, dass ist natürlich ein Form des Hate.

Wie sie die Struktur sieht:

Strukturell sind wir momentan in folgender Situation: ein Großteil der männlichen Blogger, politisch Aktiven oder einfach der Netzaktivisten haben jahrelang die Arbeit von Expertinnen zu Hate Speech ignoriert. Unsere Texte werden von ihneneuch nicht geteilt. Unsere Stimmen werden nicht zu Podcasts oder Veranstaltungen eingeladen. Mit einer Ausnahme: wenn es darum geht, zu begaffen, wie schlecht es den armen Frauen im Internet geht. So werden Artikel groß mit „Verreck du Schlampe“ überschrieben, um dann über Hate Speech zu sprechen. Medien fragen bei uns nicht an, um unser Fachwissen zum Thema abzugreifen, sondern um medial wirksame „edgy“ Themen wie „hey du triffst deinen Hater, mal sehen was passiert“** zu pushen, das Opfer-Narrativ immer im Blick. Aufmerksamkeit mit Sensationen. Wie bei einem Autounfall stehen dann alle da und gaffen. Bis der nächste passiert. Mit Fachleuten über verbesserte Sicherheit zu sprechen? War lange Zeit zu langweilig, weil alle diese Fachleute Frauen waren. Jetzt, wo sich langsam Männer zum Thema äußern, dürfen sie zum Beispiel auf Podien mit Politikerinnen sitzen, auch wenn sie noch Monate zuvor starkes Victim Blaming betrieben, sich wiederholt nicht als Ally sehen möchten und eigentlich mit diesem ganzen „feministischen Gedöns“ nichts zu tun haben wollen. Die Perlen rauspicken, ohne die blöde Arbeit drum rum.

„Expertinnen“ ist da immer ein großes Wort. Denn viele, die sich da Expertinnen nennen, sind einfach nur Bloggerinnen, die meinen, dass sie besonders viel Hate Speech erleben, dabei aber auch keineswegs neutral sind.

Und deren Texte einfach nur eine sehr „unterkomplexe“ Erklärung geben: Das Patriarchat, die männlichen Privilegien, Männer sind böse und bedrohen Frauen. Da ist nicht viel Raffinesse drin, da wird nicht viel ausgewertet, da werden schlicht ein paar Tweets herausgegriffen und sich beschwert.

Damit ist man nicht per se ein Experte und viele dieser „Expertinnen“ wären bei gleichen Erlebnissen als Mann ebenfalls nicht geladen worden. Es freut mich aber, das anscheinend auch andere es durchaus so sehen, dass man sich nicht unbedingt eine radikale Feministin zu einem solchen Thema einladen möchte, denn sie wird nicht diskutieren wollen, sie wird bestimmte Erklärungen feststellen und bei Kritik daran beleidigt sein. Insofern werden sie vielleicht gerade eingeladen, weil sie nichts mit „feministischen Gedöns“ zu tun haben wollen, denn dieses Gedöns ist häufig das Ende jeder Diskussion. Vielleicht äußern sich die Männer insofern einfach allgemeiner zum Thema, geben fundiertere Stellungnahmen ab und sind weniger die Beteiligten eines Kampfes. Vielleicht ist es nicht einfach nur Unterdrückung und Benachteiligung, sondern es liegt daran, dass sie sich besser verkaufen können. Vielleicht möchte man sich keine „Experten“ einladen, der selbst mit „All Men must die“ sehr angreifbar ist oder zickig ist, wenn man nicht alles so macht, wie er das will.

Für Männer ist, sich als „feministisch aware“ zu labeln, etwas Positives. Einige haben das erkannt, und nutzen das – bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt – zu ihrem Vorteil. Sie schmücken sich mit ihrem Quest für Diversität, für vielleicht den einen oder anderen Retweet einer Frau, mit dem Teilen feministischer Texte von außerhalb Deutschlands, mit der Aufmerksamkeit, der sie auf die Opfer von Hasskampagnen lenken (obwohl das letzte, was diese Personen oft brauchen, Aufmerksamkeit ist, aber das ist ein anderes Thema) um zu zeigen, wie sehr sie sich all den schlimmen Dingen bewusst sind, die Frauen(tm) passieren.

Ich glaube ja in einer typischen Variante des „Nicht gut genug-Aktivismus“ mag sie diejenigen, die sich „feministisch labeln“ aber sich dennoch nicht in ihre Rolle der Unterordnung als Ally einfügen noch weniger als echte Gegner, die man ja eh besser ignoriert. Solche „falschen Allys“ wollen doch tatsächlich selbst vorankommen, statt ihre eigenen Interessen zurückzustellen und sich ganz auf die Förderung (der teilweise arbeitslosen) Feministinnen zu konzentrieren, dass ist natürlich eine ausserordentliche Frechheit, und die fühlen sich auch noch gut dabei.

Sie fühlen sich gut dabei, denken, sie tun doch was. Vor allem aber kratzen sie nicht an Macht, Positionen oder Privilegien. Sie werden automatisch auf der nächsten Konferenz sprechen, auch wenn es zwei Dutzend besser qualifizierte Frauen zum Thema gibt.

Es gibt allerdings meist nicht zwei Dutzend besser qualifizierter Frauen. Weil die Kompetenz anders bewertet wird als im Feminismus, wo man zum einen als Feministin per se neutral (=auf der Seite der Guten)  und im Recht ist und zum einen das Opfer Deutungshoheit hat.

Sie werden keine Reichweite abgeben und sich in die zweite Reihe verziehen. Sie werden Konferenzen organisieren, die sich mit Diverstität schmücken, aber nur 10% nicht-weiße-Männer sprechen lassen. Sie werden auf feministischen Veranstaltungen die Speakerinnen belästigen und online beschimpfen und danach weiter steif und fest behaupten, dass sie Feministen sind. Sie werden sich von Frauen das alles erklären lassen, mit den Schultern zucken und dann ehrfürchtig staunen wenn ein Mann das alles wiederholt. Und ihr lasst sie. Ihr lasst sie gewähren. Ihr applaudiert ihnen. Ihr feiert sie für ihre Reflektiertheit, teilt ihre Texte, dankt ihnen. Und silenct damit all die Expertinnen, verbannt sie in den Schatten eurer Helden, wo sie wieder, ohne dass es jemanden kümmert, sich mit all dem Abuse und Hass alleine auseinandersetzen müssen.

Nemmt – mich – und – meine  – Freundinnen – statt – denen! Das sind MÄNNER, die darf man doch nicht zu Wort kommen lassen! Es muss muss muss mehr qualifizierte Frauen geben, weil wir hier über HASS reden, also über Opfer!

Es ist ja schon an sich eine naive Haltung, dass Leute, die davon Leben, dass sie zu solchen Themen im Netz angehört werden, großartig zurückstecken, wenn sie eingeladen werden. Ich würde vermuten, dass Marthadear Anne Wizorek auch ihre intersektionalen Grundlagen vergessen hat und nicht darauf bestanden hat, dass man statt ihrer Person eine PoC  zum Thema Feminismus befragt. Oder dass sie den Anteil der PoC am Aufschrei verwiesen hat und dort an eine Tweeterin verwiesen hat, die man lieber interviewen sollte als sie. Jeder schaut auf seinen Vorteil, wenn er damit Geld verdienen muss.

Und dann applaudieren die Leute denen auch noch, obwohl sie Männer sind und buhen sie nicht deswegen von der Bühne.Skandalös.

Das Ding ist: niemand will euer Mitleid. Gestern, nachdem ich all das hier in wenigen Tweets anriss, wurde mir geantwortet, dass wir uns ja alle wünschen würden, dass der Hate aufhöre. Wie auch dort geantwortet sage ich das hier noch mal (andere Frauen werden das ggf. anders sehen, was genauso legitim ist!): das sind Wünsche für den Ponyhof. Natürlich möchten alle, dass Hass aufhört. Alles andere wäre auch soziopathisch. Aber wenn ich mir hier ne Stunde nehme, um das alles – mal wieder – runter zu reißen, in dem Bewusstsein, dass die meisten Männer das ohnehin ignorieren werden, dann geht es mir nicht um einen kindlichen Wunsch dass ein Held aufm weißen Pferd kommt und mich magisch beschützt.

Das hat schon was lustiges. Da wirft eine Anhängerin der Ideologie, dass alle Probleme dieser Welt aufhören, wenn es endlich kein Patriarchat mehr gibt, den anderen vor, dass sie gefälligst realistisch bleiben sollen. „Wünsche sind kein Ponyhof“ das ist ja gerade das, was man vielen Feministinnen in ihrer (Alb-)Traumwelt der Unterdrückung gerne einmal zurufen würde.

Hier wird es einmal anders herum benutzt: Ihr dürft nicht hoffen, ihr müsst die Benachteiligung beseitigen. Denn hier ist es eine Aufforderung an Männer und da darf man eben eine Gruppenschuld und damit auch eine Pflicht zum beseitigen errichten, während jede Aufforderung an die Frauen selbst, etwa sich etwas angepasster geben, damit man besser in die Medien passt, oder differenziertere Positionen einnehmen, damit man vermittelbarer ist, schlicht viktimblaming wäre

Werdet erwachsen. Es geht schlicht und einfach um Respekt gegenüber der Arbeit, die so viele seit so langer Zeit leisten, und die immer und immer wieder ignoriert und durch Texte und Verbreitung von Texten wie der Nerdcores boykottiert werden. Das muss nicht absichtlich geschehen, das glaube ich nicht – und deswegen auch dieser lange Text – aber jetzt könnt ihr nicht mehr sagen, ihr hättet es nicht besser gewusst.

„Werdet erwachsen“ – es wäre lustig, wenn es nicht so bizarr wäre. Frau Dingens führt jedenfalls erst einmal die Bösgläubigkeit herbei – jetzt kann keiner mehr sagen, er hätte es nicht gewußt. Und brav den Job an eine Frau abgeben, das Ally sein erfordert eben harte Opfer „werde erwachsen“ in Richtung von Frau Dingens kommt einen da erneut in den Sinn. Erkenne mal, warum die anderen eingeladen werden und was du machen musst, damit sich das ändert. Aber das ist natürlich alles leugnen der sexistischen Strukturen.

Ihr schadet uns. Ihr macht uns müde, zeigt uns, dass egal wie sehr wir uns anstrengend und arbeiten, es reicht ein zusammen gepappter Text in Palast der Winde Länge, um all das unsichtbar zu machen. Ihr zeigt uns, dass wir das nicht mal kritisieren können, weil der Autor selbsterklärter Feminist ist und drölfzig Links verbastelt hat, und dann wird er es schon wissen („Male privilege comes in many different ways, and one of them is that men will always have more credibility attached to them than women“). Ihr zeigt uns, dass unsere Mühen umsonst sind, und wir nur als Projektionsflächen für die weibliche Unterlegenheit dienen können, als eure Vorzeigeopfer. Ihr sprecht uns damit unsere Expertise ab, und zwängt uns in genau nur diese eine Rolle: die armen Feministinnen, oder, falls dem Thema gegenüber kritischer eingestellt: die kalkulierenden Radikalfeministinnen.

Die Männer hauen einfach ein paar Texte zusammen, die bei Frauen keine Beachtung finden würden. Alles ganz einfach. Das Nerdcore sich eine umfangreiche Basis mit seiner Seite geschaffen hat, bei der viele Beiträge erscheinen und Diskussionen stattfinden und das seine Zugriffszahlen die von „Frau Dingens“ und den anderen Expertinnen problemlos in den Schatten stellen und das Leute vielleicht differenziertere Texte aus einem gewissen Grund lieber lesen, dass kommt Frau Dingens nicht in den Sinn. Es ist eben einfach alles ungerecht. Das der Text seriöser sein könnte als der ihre oder der anderer Feministinnen, weil er die Erklärung nicht per se einfach so vorgibt und beide Seiten betrachtet kommt ihr nicht in den Sinn: Es ist mal wieder das männliche Privileg, doh! Lustig auch, dass sie sich beschwert, dass hier Frauen zu opfer gemacht werden, wenn ihre gesamte Theorie genau darauf aufbaut und sogar ihre Anschuldigungen Nerdcore gegenüber genau diesen Inhalt haben, sie sind dort eben Opfer der Privilegien der Männer.

Wenn ihr lange und hart über diesen Text und die Implikationen nachdenkt, würde das schon was bringen. Die verlinkten Texte lest, die verlinkten Videos guckt. Andere Stimmen featured, hört und darüber nachdenkt. Entschuldigungen an alle Frauen und Betroffenen, die ihr durch euer Handeln in die beschriebenen Strukturen gepresst habt, sind auch immer ein guter Schritt, auch wenn das schon ziemlich viel Reflektion erfordert.

Was auch helfen würde und im Feminismus deutlicher angesprochen werden sollte, ist die Büßerpeitsche, die sie sich bitte über den Rücken ziehen sollen. Aber immerhin erwähnt sie, dass man sich Entschuldigen sollte. Was wohl beinhaltet, dass man in Zukunft Frauen in den Mittelpunkt rückt

 

Feministische Theoriewoche: „Privilegientheorie und Definitionmacht“ (Tag 4)

Dieser Beitrag ist Teil der feministischen Theoriewoche.

Das heutige Thema ist

„Privilegientheorie“ 

und

„Definitionsmacht / Deutungshoheit“

als zentrale Elemente der feministischen Theorie. Beide stehen denke ich in einem gewissen Zusammenhang und lassen sich daher gut gemeinsam besprechen

1. Was besagen die Privilegientheorie und die Theorien zur Definitionsmacht bzw. Deutungshoheit
2. Was leitet der Feminismus daraus her/wie setzt er diese Theorien ein?
3. Welche Argumente/Studien sprechen für/gegen diese Theorien?

Nochmal: Weibliche Privilegien

Ich finde das gesamte Konzept der Privilegientheorie falsch, weil es zu einseitig ist und rein auf Gruppen bezogene abstrakte Vorteile zuweist, ohne deren Kosten und Nachteile zu würdigen und in eine Gesamtbetrachtung einzustellen.

Ich verweise dazu auf ein paar Artikel hier im Blog

Ich hatte zudem hier schon einmal eine Auflistung verschiedener männlicher und weiblicher Privilegien, die insoweit in die Debatte eingebracht worden sind. Solche gegenseitigen Listen finde ich nur dafür sinnvoll, um Vertretern der Privilegientheorie etwas entgegen zu halten.

Gerade habe ich noch einmal eine Auflistung „weiblicher Privilegien“ gefunden, die ich hier mal wiedergebe:

1. Female privilege is being able to walk down the street at night without people crossing the street because they’re automatically afraid of you.

2. Female privilege is being able to approach someone and ask them out without being labeled “creepy.”

3. Female privilege is being able to get drunk and have sex without being considered a rapist. Female privilege is being able to engage in the same action as another person but be considered the innocent party by default.

4. Female privilege is being able to turn on the TV and see yourself represented in a positive way. Female privilege is shows like King of Queens and Everybody Loves Raymond where women are portrayed as attractive, competent people while men are shown as ugly, lazy slobs.

5. Female privilege is the idea that women and children should be the first rescued from any sort of emergency situation. Female privilege is saving yourself before you save others and not being viewed as a monster.

6. Female privilege is being able to decide not to have a child.

7. Female privilege is not having to support a child financially for 18 years when you didn’t want to have it in the first place.

8. Female privilege is never being told to “take it like a man” or “man up.”

9. Female privilege is knowing that people would take it as a gravely serious issue if someone raped you. Female privilege is being able to laugh at a “prison rape” joke.

10. Female privilege is being able to divorce your spouse when your marriage is no longer working because you know you will most likely be granted custody of your children.

11. Female privilege is being able to call the police in a domestic dispute knowing they will take your side. Female privilege is not having your gender work against where police are involved.

12. Female privilege is being able to be caring or empathetic without people being surprised.

13. Female privilege is not having to take your career seriously because you can depend on marrying someone who makes more money than you do. Female privilege is being able to be a “stay at home mom” and not seem like a loser.

14. Female privilege is being able to cry your way out of a speeding ticket.

15. Female privilege is being favored by teachers in elementary, middle and high school. Female privilege is graduating high school more often, being accepted to more colleges, and generally being encouraged and supported along the way.

16. Female privilege being able to have an opinion without someone tell you you’re just “a butthurt fedora-wearing neckbeard who can’t get any.”

17. Female privilege is being able to talk about sexism without appearing self-serving.

18. Female privilege is arrogantly believing that sexism only applies to women.

Alles Punkte, die sicherlich erst einmal als weibliche Privilegien gehandelt werden können. Das lustige ist dann immer, dass bei solchen Auflistungen sofort diverse Gründe diskutiert werden, warum es eigentlich keine Privilegien sind. Das gleiche wird aber, wenn männliche Privilegien aufgelistet werden, für eine Frechheit und das Leugnen von Privilegien gehalten.

Dennoch hier die Erwiderung darauf:

1. Female disadvantage is walking down the street at night, having to worry about being attacked or raped. Female disadvantage is having to carry mace everywhere you go, even though the chances of it actually protecting you are slim.

2. Female disadvantage is being approached by men who think they have a right to your body. And when you turns said man down, you are called a bitch, or a prude, or stuck up, or whore — or even all of those and more. Female disadvantage is being told you should be thankful a man even looked your way.

3. Female disadvantage is being taken advantage of when you’re drunk and being told it’s your own fault for drinking and putting yourself in that situation.

4. Female disadvantage is turning on the TV and seeing beautiful women portrayed as air-headed, vain, stupid, and sexually promiscuous while women that are in position of power are seen as pushy, bossy, less desirable, and often less attractive.

5. Female disadvantage is the fact that chivalry and morality are dying to the point where men argue about having to put those less able to protect themselves first.

6. Female disadvantage is being told a woman shouldn’t be allowed to get an abortion, that she’s not a true member of the church if she’s taking birth control, and having old men who cannot and have never had to worry about getting pregnant fight over her reproductive rights. Female disadvantage is a man refusing to support his own child, leaving her to raise it on her own.

7. Female disadvantage is being blamed for a mistake made by two people.

8. Female disadvantage is being told she’s less than a man. Female disadvantage is being seen as weaker than a man intellectually and that she’ll never be half as capable as a man.

9. Female disadvantage is BEING THE ONE WHO IS RAPED. Statistically, women are raped more so than men are (though this is not to discredit the men who are also victims.) Female disadvantage is being told rape is your fault because of how you dressed or acted.

10. Female disadvantage is society telling her it’s her duty to get married and have children while men are encouraged to “play the field” because being a bachelor is glorified and embraced.

11. Female disadvantage is being abused by a husband and not having the physical strength to stop him unless she can work up the strength to contact the police. And still, in today’s society, there is a chance the police will not take her seriously because “she’s being an overdramatic woman trying to get revenge on her husband.”

12. Female disadvantage is being seen in a negative light if you do not portray stereotypical female traits such as empathy.

13. Female disadvantage is being payed a lower salary in the same position a man holds. Female disadvantage is being judged if you’re a stay at home mom because you’re not living up to the rights won by feminists past but being judged if you do not stay at home to raise your children.

14. Female disadvantage not having her opinion taken seriously when there is a real issue.

15. Female disadvantage is being successful and being told it’s only because you’re a woman, not because you’re hardworking.

16. Female disadvantage is having your body dissected by the media and society, and having immense pressure to live up to an arbitrary and unattainable ideal image of beauty.

17. Female disadvantage is having to hide the fact that you’re a feminist because it’s seen as a dirty word. Female disadvantage is being told you’re just a harpy nit-picking feminist who is being over-sensitive.

18. Female disadvantage is being tossed aside as irrational and arrogant. Female disadvantage is being told “You have it good enough, why keep fighting?”

Ich finde hier wird auch deutlich, dass solche Diskussionen immer in einer Opferolympiade („Ich bin aber mehr diskriminiert als du“) oder den Hinweis, dass der andere es jedenfalls besser habe, weil es bei der eigenen Gruppe noch schrecklicher ist („du beschreibst leicht welkes Gras, bei uns ist aber gar kein Gras mehr, also ist dein Gras grüner und damit grün, also unbeeinträchtigt“).

Es macht insofern auch noch einmal deutlich, warum die Privilegientheorie vollkommen unzureichend ist, um komplexe gesellschaftliche Vorgänge mit Vor- und Nachteilen für verschiedene Mitglieder verschiedener Gruppen einfach auf einen Vorteil für die Gesamtgruppe herunterzubrechen.

„Privilegien einzuschränken ist nicht dasselbe wie Diskriminierung“

In der Reihe „Gegenargumente zu klassischen Feministischen Positionen“ heute ein ebenfalls sehr häufig kommendes Argument:

Hier noch einmal der Part auf den es ankommt:

Privilegien einzuschränken ist NICHT dasselbe wie Diskriminierung.

Die etwas länger dargestellte Position im Feminismus ist etwa so:

Männern werden in unser Gesellschaft bestimmte Privilegien gewährt, die das Leben für sie einfacher machen. Sie werden zB besser bezahlt und eher befördert. Diese Privilegierung ist sozial konstruiert und beruht auf ungerechtfertigten Eigenschaftszuweisungen. Die Männer haben dadurch einen Startvorteil bzw. einen andauernden Vorteil, der sie eher nach oben bringt als Frauen. Wenn man nun diese Privilegien wegnimmt, also beispielsweise eine Quote einführt, nach der auch ein bestimmter Anteil an Frauen im Aufsichtsrat sein muss, dann ist das nicht eine Diskriminierung von Männern, ihnen wird nur der Vorteil genommen, den sie bisher gegenüber Frauen hatten. Damit ist es kein Mittel der Diskriminierung, sondern eben ein solches der Gleichberechtigung.

Das Argument erfordert zunächst erst einmal eine Menge Annahmen, die recht unhinterfragt vorausgesetzt werden:

  • Männer müssen per se Privilegien haben
  • diese müssen unverdient zugewiesen werden
  • Frauen müssen unverdient benachteiligt werden
  • dies alles muss einen Ausgleich erfordern
  • dieser Ausgleich muss in einer Form umgesetzt werden, der dann lediglich das Privileg ausgleicht.

An all diesen Punkten kann man erhebliche Kritik üben.

Zu der Privilegientheorie hatte ich bereits einiges geschrieben:

Die Privilegientheorie an sich ist bereits so fehlerhaft, dass ihre Verwendung wenig Sinn macht. Sie stellt zudem vollkommen unreflektiert auf zahlenmässige Unterschiede ab, ohne dies näher zu hinterfragen. Häufig sind die Unterschiede eben nicht schlicht Folge des anderen Geschlechts, sondern auch Folge anderer Prioritätsetzungen im Leben, anderer Fähigkeitshäufungen, anderem Interesse an Status, Geld und Macht.

Wenn immer noch Männer den größten Teil der Überstunden machen, dann verwundert es auch nicht, wenn sie dafür besser bezahlt oder eher befördert werden.

Hinzu kommt, dass es eine reine Gruppenbetrachtung ist, die also keine Betrachtung des Einzelfalls zulässt. Selbst wenn es eine Privilegierung der Gruppe Mann geben würde, dann muss diese sich bei dem jeweiligen Mann nicht auswirken, der dann aber dennoch von Diskriminierung betroffen ist.

Damit brechen dies Grundlagen dieser Argumentation aus meiner Sicht ziemlich schnell weg.

Es ist insofern aus meiner Sicht eher eine Immunisierungsstrategie, die vor Kritik an „Privilegierungen“ (im Sinne von Bevorzugungen) von Frauen schützen soll. Es reiht sich damit in Strategien mit ähnlichem Ziel wie etwa „wohlwollender Sexismus“ ein.

 

 

„Thin Privilege“ – Welchen Unterschied Schönheit macht

Eine Anhängerin der Privilegientheorie hat plötzlich Privilegien, und zwar „Dünnen-Privilegien“. Sie hat stark abgenommen und die Umwelt nimmt sie anders wahr.
Hier einmal ihre körperliche Veränderung:

Frau von Dick zu dünn

Frau von Dick zu dünn

Sie sieht auf meiner Sicht wesentlich besser aus. Das obere rechte Bild dürfte ihren dicksten Zustand wiedergeben, das untere rechte ihren dünnsten Zutstand.

Was daraus folgte beschreibt sie hier:

At the age of 29 I had already traveled the world, successfully pursued several degrees in Women’s Studies, was in the process of developing a meaningful career, married the love of my life, and had three beautiful daughters. Yes, I was obese –morbidly obese according to the doctors’ charts – but I had never let my weight stop me from pursuing my dreams. In fact, my weight was part of who I was and had been part of my journey up until that point. I have always believed that beauty can be found in all sizes and spent many enjoyable hours styling my plus-sized self.

My weight eventually settled at 125 pounds – a size 2 – with what one of my doctors unprofessionally referred to as a “Barbie body.” But it wasn’t just my appearance that changed. My entire life began to change as well.

Around the time the weight settled, we moved several states away and I began a new life as a thin person. My speaking and teaching career began to take off with flying colors. Suddenly I was much “better” at a career that I had already been in for over 15 years. I began to notice an acceptance and approval in people’s eyes that hadn’t been there before. And wouldn’t you know? My trip leader reviews on the next trip I led to Israel – only 18 months post-op – showed drastic and remarkable improvement.

After having spent the first 30 years of my life working on my own self-esteem to try to be the most fabulous plus sized lady I could be, now as a thin person I began to discover the cold truth of obesity discrimination. I’d been good, but I’d never been “the best” because I was fat. The more I succeeded in my new body the more I wondered how often I had not succeeded in my old one. How many opportunities had I missed because of my weight? How often had my weight really held me back? As an adult, the only life I’d known had been as an obese person, so I had no idea how badly I was being treated and judged until I was given the chance to “pass over” to the other side. Now strangers smile at me more on the street, grocery clerks call me “sweetie” and “honey,” even my student reviews and classroom registration numbers have drastically changed. Just this past spring semester my “Biblical Hebrew 2” class held the highest registration on record at my university for a second semester of this very niche subject.

I am no longer invisible or ignorable. When I step on stage or in front of a microphone and smile at the audience as my Speech 101 teacher taught me to do so many years ago, I can feel a difference: I’ve already won over the crowd before I begin to speak. It wasn’t so long ago that I had to work hard to win over my audiences and it was a challenge that I loved; slowly drawing in the audience with my wit, personal stories, and knowledge of complex subject matter. I still work hard to engage my audiences and students as I always have. It’s the only “me” that I know how to be. But I’m still consistently amazed by the instant approval that I feel from my audience as I watch them give me the once over. Thin is instantly acceptable, fat needs to prove itself. I’ve always been a woman with a lot to say, but now everyone appears to be more interested in listening.

Another drastic change was in the way I was treated by healthcare professionals. As a morbidly obese woman, any sort of doctor’s appointment created several weeks’ worth of anxiety, mostly at the thought of being weighed and the resulting fat shaming and insulting conversation that was sure to follow. Oh really? At 5”4 I’m not supposed to be 265 pounds? I had no idea! I have had doctors sneer at me, call me lazy, roll their eyes at my explanations for my obesity, and more. Worst of all, I have had some doctors use my vulnerability and desperation to lose weight to try to convince me to shell out hundreds of dollars for their special weight loss “supplements.” Since the gastric bypass, doctors have given me nothing but warm congratulatory smiles at my continued weight loss success. You are such an inspiration! Good for you!

I’m intrigued, but as a professor of Women’s Studies I am also disgusted and bear tremendous guilt at what opportunities “thin privilege” has opened up for me. Worst of all, I’m not even sure that our society is conscious of the discrimination that is inflicted on obese individuals every single day. It’s no coincidence that so many people become involved in the “size acceptance” movement after successful weight loss surgeries. The only way to change what is commonly referred to as “the last acceptable form of discrimination” is through exposure, education, and self- love. Weight loss surgery may not for everyone, but size acceptance is.

Der Text enthält einiges interessantes:

  • Die hohe Bedeutung eines guten Partnerwerts auf die Bewertung eines Menschen: Hübsche Menschen schneiden in allen Bereichen besser ab, werden besser bewertet, erscheinen sympathischer und selbst in einem sehr Umfeld wie „Biblisches Hebräisch“ kann man damit Punkte machen. Diese Wertung ist relativ unlogisch, ihr biblisches Hebräisch wird nicht besser geworden sein, aber sie passt gut zu unseren evolvierten Kriterien, die eben gerade in diesem Bereich bei Frauen auf Schönheit abstellen. (Zu Schlankheit als Schönheitsideal und deren mögliche biologische Hintergründe: 1, 2, 3, 4, 5)
  • Das macht deutlich, welche unterbewußten Prozesse hier ablaufen: Wir bewerten Leute gerade nach solchen Kriterien wie etwa Schönheit und übertragen das auch auf andere Bereiche, ohne das dies in der heutigen Gesellschaft wirklich Sinn machen muss. In den für unsere Evolution interessanten Zeiten hingegen kann das anders gewesen sein: Gerade schöne Frauen locken mächtige Männer an und stehen üblicherweise auch hoch in der weiblichen Hierarchie. Das alles sind gute Gründe dafür, sich mit ihnen gut zu stellen.
  • Sie ist „Angeekelt“ und fühlt „eine enorme Schuld“, weil sie ihre Privilegien nutzt und die Gelegenheiten annimmt. Ich sehe erst einmal wenig Bemühungen ihrerseits, ihre Privilegien wirklich zu hinterfragen. Sie geht nicht etwa zur Universitätsleitung und lässt sich dort einen „Dünnheitsbonus“ abziehen, damit dickere Konkurrenten im Verhältnis fairer bewertet werden. Statt dessen scheint sie – wobei wir da ja nur ein Photo haben – eher figurbetonte Kleidung zu tragen
  • Dennoch zieht sie aus meiner Sicht die falschen Schlüsse: Ihre Meinung muss richtig sein, alle anderen sind ignorante Fat-Diskriminierer.
  • Es wäre interessant, ob sie selbst dünne Leute nun auch anders einschätzt.
  • Trotz all ihrer Mühen und trotz des Umstandes, dass sie als Woman Studies Professorin auf viele Leute getroffen sein sollte, die ebenfalls die Grundprinzipien der Fat-Akzeptanz kennen, hat sie diese gewaltigen Unterschiede erfahren.

 

„Intersektionalität“ vs. „in-Group / Out-Group“

In einer Diskussion mit Leszek bei Erzählmirnix  kam ich auf das Thema Intersektionalismus und der Frage, warum man dabei Männer nicht berücksichtigen kann.

Kurz zu den Intersektionalismustheorien. 

Intersektionalität beschreibt die Überschneidung (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge) von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. Intersektionelle Diskriminierung liege vor, „wenn – beeinflusst durch den Kontext und die Situation – eine Person aufgrund verschiedener zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird.“[1] Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Handicapism oder Klassismus addieren sich nicht nur in einer Person, sondern führen zu eigenständigen Diskriminierungserfahrungen. So wird ein gehbehinderter Obdachloser gegebenenfalls nicht nur als Obdachloser und als Gehbehinderter diskriminiert, sondern er kann auch die Erfahrung machen, als gehbehinderter Obdachloser diskriminiert zu werden. Das neue Erkenntnisinteresse in der Intersektionalitätsforschung gilt den Verflechtungszusammenhängen, welche sich durch das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen ergeben

Der Grundgedanke ist also, dass eine Person aufgrund verschiedener Persönlichkeitsmerkmale mehrfach diskriminiert sein kann oder in einem Bereich diskriminiert, im anderen privilegiert sein kann.

Oberste Form der Privilegierung ist natürlich der weiße, heterosexuelle Mann, in der Steigerungsform des Nichtbehinderten. Nach unten hin gibt es immer neue Möglichkeiten der Diskriminierung, ich nenne hier als Gegenstück erst einmal die schwarze, homosexuelle Frau.

Eine dazu im Netz umherschwirrende Übersicht, die aber schon aufgrund der Aufnahme einer Privilegierung für den jüdischen Glauben nicht PC sein kann, ist diese hier:

Privilegien prüfen

Privilegien prüfen

Allerdings sieht die Intersektionalität fast immer ein Form der Über- und Unterordnung vor, ist quasi hierarchisch aufgebaut, in „Gut“ (diskriminiert) und Schlecht (privilegiert) unterteilt. Ein Schwarzer hat es in allen Bereichen schlechter als ein Weißer, eine Frau hat es immer schwerer als ein Mann. Geht es einer Frau besser als einem Mann, dann ist das, weil das System keine Durchlässigkeit kennt, nicht etwa eine Diskriminierung des Mannes in diesem Bereich, sondern eine Diskriminierung der Frau, weil diese dadurch noch mehr in ihre Geschlechterrollen gedrängt wird und damit der Mann seine Macht sichert, also insofern im Endeffekt privilegiert ist.  (ob es im Rassismus ein Gegenstück zum wohlwollenden Sexismus gibt würde mich interessieren: vielleicht, wenn man meint, dass ein Schwarzer besser im Basketball ist und ein Asiate sich besser wehren kann (ein Chinese kann ja bekanntlich immer eine Kampfsportart?).

Demnach kann eine Frau natürlich auch nicht privilegiert sein, etwa im Sorgerecht oder anderen Bereichen, bei dem Merkmal „Geschlecht“ ist „Gut“ ja schon den Frauen zugewiesen.

Dieser starke Sektionalismus, in dem alles in Gut oder Schlecht eingeteilt wird, und der absolut zuweist, hat Vorteile.

Zunächst wird damit ein systembedingter Nachteil vermieden:

Da Das Geschlecht, welches privilegiert ist, seine Privilegien hinterfragen muss und diese abstellen muss, hätten Männer plötzlich eine sehr starke Position. Ich hatte das hier schon einmal dargelegt:

Bei einer fairen Betrachtung, in der beide Geschlechter privilegiert sein können, müsste sie eigentlich darauf abstellen, dass Männer für ihren Diskriminierungsbereich die Strukturen besser erkennen und bekämpfen könnten, was also dazu führen müsste, dass sie als Privilegierte für diesen Bereich die Sorgen ernst nehmen müsste, wenn sie ihrer Theorie treu bleibt.

Bei Erzählmirnix schrieb ich:

Wenn man Männern Opferstatus auch nur in Teilen zusprechen würde, dann bricht natürlich plötzlich alles zusammen. Frauen müssten ihre Privilegien hinterfragen und Männer hätten in dem Teil Definitionsmacht. plötzlich müsste man “waht about the menz” tatsächlich durchführen, wenn man kein Sexist ist.

Des weiteren hat man so ganz einfache Regeln, wer der Feind und wer der Freund ist, wer böse ist, und wer gut ist.

Aus meiner Sicht wäre eine viel einfacherer Betrachtung eher dazu geeignet, sich die Probleme bewusst zu machen, die bei Diskriminierung auftreten:

1. Menschen bilden In-Groups und Out-Groups und weisen diesen entweder aufgrund von Erfahrung oder Vorurteilen bestimmte Werte zu

2. Jedes Unterscheidungsmerkmal kann dazu genutzt werden eine Out-Group zu diskriminieren.

Damit können Weiße Schwarze diskriminieren, aber eben auch Schwarze andere Schwarze (etwa in einer anderen Volksgruppe) oder auch Schwarze Weiße. Es können Männer diskriminiert werden, weil ihnen die Eigenschaft abgesprochen wird, Kinder zu erziehen oder weil man Frauen in bestimmten Bereichen mehr Schutz zugesteht. All dies kann sich von Gruppe zu Gruppe unterscheiden, auch wenn man bestimmte Vorurteile für größere Gruppen feststellen kann. (Das bestimmte „Sektionen“ Nachteile haben ist aus meiner Sicht übrigens nicht zu vermeiden. Natürlich muss die Gesellschaft Behinderte unterstützen und auch Hässliche können ein schweres Schicksal haben. Aber der Privilegienansatz und seine Vermischung mit Schuld geht da meiner Meinung nach an der Sache vorbei und erzeugt nur unberechtige Forderungen und erlaubt eben bestimmte Outgroups)

Natürlich wird es dann sehr schnell schwammig und das klare Feindbild verschwindet. Dafür ist man näher an der Realität.

Lustigerweise lassen sich Intersektionalismustheorien der obigen absoluten Art ebenfalls sehr gut in dieses Schema einordnen. Es werden Outgroups gebildet (der weiße heterosexuelle Mann) und diese dann zur Abwertung freigegeben. Mit ihre rigorosen Einteilung in „Gut“ und „Schlecht“ bedient diese Theorie die diesbezüglichen Bedürfnisse hervorragend. Soweit eine Einordnung in eine „schlechte Gruppe“ erfolgt, kann man sich dann als Anhänger dieser Theorien dennoch wieder gut machen, indem man eifrig bereut und Privilegien hinterfragt. So bildet man eine Gruppe innerhalb der eigentlich unteilbaren Gruppe, die dann doch wieder gut sind.

Dieses Durchbrechen der klaren Einteilung ist es auch, was das Leben als männlicher Feminist so schwierig macht: Man möchte eigentlich in die In-Group, aber sich zu sehr von Schuld freizusprechen bedeutet ja, dass man das Schema verläßt und das in dem wichtigsten Merkmal. Insofern ist es verständlich, dass man versucht, die Männer in die Ally-Position abzudrängen und sie immer wieder ermahnt, dass sie ja nicht meinen sollten, dass sie „gut“ wären.

„Male Tears“ kann man da natürlich nicht gebrauchen. Sie sind auch nur ein Versuch das starre Schema zu durchbrechen. Kein Wunder, dass dies entsprechend abgewertet und abgewehrt wird.