Kritik an evolutionärer Psychologie

Kommentar Chomsky hat etwas zu Kritik an Evolutionärer Psychologie geschrieben:

Kritik an evolutionärer Psychologie:

– Die EP vertritt einen zu starken Nativismus;

Das ist erst einmal kein Argument. Es müsste weiter ausgebaut werden. Was, wenn die Welt nativistisch ist? Was ist wenn die Betrachtungen in anderen Bereichen noch nicht nativistisch genug sind und diese umdenken müssen? Die Forschung bestätigt denke ich eher eine nativistische Betrachtungsweise. Aber in dieser Generalität kann man das Argument auch nicht besprechen. Man müsste es am einem konkreten Fall machen.

Hinzu kommt, dass die Gegner hier häufig Evolutionsbiologie, Biologie, Medizin und Evolutionäre Psychologe durcheinander werfen. Der starke Nativismus wird ebenso vertreten in der Biologie, der Medizin und der Evolutionspyschologie. Letztere bezieht die Ergebnisse, die dort vorgefunden werden mit ein und ordnet sie häufig nur in ein System ein. Ich behaupte, dass man in vielen Punkten die Evolutionspsychologie nicht heranziehen müsste, aber dennoch zu gleichen Ergebnissen kommen würde.

– Die EP vertritt einen Panadaptionismus;

Auch erst einmal wenig aussagekräftig als Argument. Es müsste wohl weiter ausgeführt werden. Ich zitiere im Gegenzug mal den folgenden Text

Stephen Jay Gould (2000), among others, have understood evolutionary psychologists to hold that all parts of all organisms under any descriptions are adaptations. In contrast, evolutionary psychology, like evolutionary biology, takes natural selection to be the only known source of organized functional complexity, but does not take all features of organisms to be functional features. Any functional aspect of the phenotype must necessarily have concomitant byproducts, features that are incidental consequences that were not selected by virtue of a functional role. The colors of internal organs are examples. The fact that the liver is brown is a byproduct of the physiology, but its color does not contribute to its function per se. It is worth noting that identifying byproducts requires the same type of rigor as identifying adaptations: a hypothesis that a trait is a byproduct generally requires an account of the adaptation or adaptations of which the trait in question is a byproduct.

-.Die EP ist nicht falsifizierbar (m.E. ein extrem heikler Kritikpunkt);

– Die EP steht auf einer schwachen empirischen Basis;

Ich werfe diese beiden Komplexe mal in einem Topf und behaupte im Gegenzug: Evolutionäre Psychologie ist im Geschlechterbereich die am besten abgesicherte Theorie, die vertreten wird. Den meisten Leuten ist die Fülle von Belegen nur nicht bekannt, die hinter diesem Bereich steckt und sie schätzen die Basis daher geringer ein als sie tatsächlich ist. Um darzustellen, dass ein Verhalten auf evolutionärem Vorgängen und damit Biologie beruht kann man sich der kompletten Biologie, Medizin, Anthropologie, Genetik, Zoologie, Achäologie  etc bedienen. Nur wenn zunächst festgestellt ist, dass ein Verhalten wirklich einen biologisch-medizinischen Hintergrund hat kann man auch die entsprechenden evolutionären Herleitungen machen. Natürlich kann man, wie in jedem wissenschaftlichen Bereich eine These aufstellen, aber das ist ja dann auch nur eine These und als solche zu behandeln. Jeder Wisssenschaftsbereich baut auf bestimmten Erkenntnissen auf, bei der Evolution sind dies eben auch bestimmte Prinzipien, die in der allgemeinen Evolutionsbiologie entwickelt worden sind. Prinzipien wie sexuelle und intrasexuelle Selektion haben bestimmte Folgen und Prinzipien, die sich beim Menschen eben auch erkennen lassen.

Und natürlich kann man evolutionspsychologische Theorien zumindest teilweise falsifiziern: Eben indem man feststellt, dass der Vorgang nicht biologisch geprägt ist, sondern sozial bedingt. Oder indem man über Test herausfindet, dass die Vorhersagen der These nicht eintreten. Oder indem man eine Nichtübereinstimmung mit anderen Prinzipien feststellt.

Eine These wie „Die größere Körperkraft von Männern ist durch intrasexuelle Konkurrenz entstanden“ ist zB wiederlegt, wenn man feststellt, dass sie nicht eine Folge der anabolen Wirkung von Testosteron ist, sondern rein sozial bedingt. Sie ist auch widerlegt, wenn genetische Forschung nachweist, dass sich 80% der Männer, aber nur 40% der Frauen fortgepflanzt haben, da dann die intrasexuelle Konkurrenz unter Frauen wesentlich höher gewesen wäre.

Das kann man dann auch bei geistigen Eigenschaften machen, etwa wenn man Statusdenken und Wettbewerb auf intrasexuelle Konkurrenz zurückführt. Man kann Studien dazu machen, auf welchen biologischen Mechanismen diese beruhen, wie die Hormone dabei wirken, es mit anderen Tierarten vergleichen, wie Gorillas, Schimpansen und Bonobos und vergleichende völkerkundliche Studien, vielleicht verbunden mit Überprüfungen, wie in diesen Völkern die Testosteronwerte liegen (pränatales Testosteron, postnatales Testostern, Rezpetoren), durchführen. Man kann eben auch hier auf die Genetik zurückgreifen, wie in dem obigen Beispiel etc.

Thesen können auch widerlegt sein, wenn man Spieletheoretich nachweist, dass die damit zu verbindenen Verhaltensweisen keine evolutionär stabile Strategie bilden und daher sich nicht allgemein hätten durchsetzen können.  Ebenso kann sie falsifiziert sein, wenn wir sie nicht in unserer Ahnenreihe unterbringen können.

– Die EP kann kulturelle, soziale und gesellschaftliche Fragen nicht beantworten.

Das wage ich zu bezweifeln. Sie kann die meisten Fragen sogar wesentlich besser beantworten als jede andere Forschungsrichtung. Ich würde sogar sagen, dass man die meisten kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Fragen wesentlich besser versteht, wenn man sie in einem biologischen-medizinischen und dann evolutionspsychologischen Erklärungsmodell betrachtet. Erst wenn man die Bedeutung von intrasexueller und intersexueller Konkurrenz erfast hat, kann man das Statusstreben in der Gesellschaft verstehen. Erst wenn man sich anhand der spieletheoretischen Betrachtung deutlich gemacht hat, warum Altruismus ein Out- und eine Ingrouping erfordert, wird man Rassismus und Gruppenbildung sowie Ideologisierung wirklich nachvollziehen können. Und erst wenn man versteht, dass Evolution nicht gut ist und kein Gewissen hat kann man vieles verstehen, was der Mensch so treibt. „Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Lichte der Evolution“. Und der Mensch ist Biologie, ist ein Tier, wenn auch mit etwas mehr Großhirnrinde.

Auch aus der Richtung der Kritischen Psychologie kommt Kritik:

Wolfgang Maiers: Der Etikettenschwindel der Evolutionären Psychologie / The bogus claim of Evolutionary Psychology

Die Evolutionäre Psychologie (EP) zielt wissenschaftlich darauf ab, das für grundlegend fehlerhaft erachtete sozialwissenschaftliche Bild vom menschlichen Verhalten und Bewußtsein durch evolutionsbiologische Bestimmungen der conditio humana abzulösen. Im Zentrum des Beitrags steht eine kritische Überprüfung der methodologischen Prinzipien, theoretischen Voraussetzungen und empirischen Belege der EP. Deren Erkenntnisansatz erweist sich als zutiefst unhistorisch: Irregeführt durch einen genetisch-deterministischen Reduktionismus mündet er in ein eindimensionales und statisches Konzept menschlicher Natur ein.

Das ist ja schlicht falsch. Evolutionäre Modelle sind nur dann statisch und eindimensional, wenn man nicht versteht, was „im Schnitt“ bedeutet. Die biologischen Theorien und auch die evolutionspsychologischen Theorien (sie werden ja gerne in einen Topf geworfen) können natürlich jedes Verhalten bei einem Individuum erklären und abdecken. Ich hatte diesen klassischen Strohmannbiologismus schon ein paar mal besprochen

Hier auch  noch etwas dazu:

hile evolutionary psychology takes there to be a species-typical cognitive architecture – an evolved “human nature” – this does not entail the prediction that all humans will be everywhere the same. Variation has many sources, including genetic differences, contingent responses to the environment (such as language learning, in which a putative universal language acquisition system leads to differences in the specific language leaned depending on the environment), and so on. Evolutionary psychology is committed to the view that there is a human nature, much as there is a flamingo nature, mosquito nature, or oak tree nature. That is, there is a species-typical design with variation among individuals coming from many sources, both genetic and environmental. One important source of variation between individuals derives from the fact that humans learn from one another (Boyd & Richerson, 1985), and information accumulates over time. Because information in other people’s minds is one aspect of the environment for humans, people in different places and different times come to have beliefs because others in the local ecology have them. Sets of beliefs that differ from one group of individuals to another are, therefore, another part of the human phenotype to be explained. Evolutionary psychology takes what is usually termed “culture” to be the product of human minds, albeit a complex one. Far from placing no importance on the role of culture, evolutionary psychology sees culture as one of the most important aspects of human nature to try to explain (Tooby & Cosmides, 1992).

Es ist ein klassisches Fehlverständnis, dass das Feindbild evolutionäre Psychologie betrachtet ohne sich wirklich damit beschäftigt zu haben

Die kritisch-psychologische Anwendung der Evolutionstheorie auf die Psychophylogenese zeigt die Möglichkeit eines alternativen Verständnisses der Anthropogenese – als eines qualitativen Umwandlungsprozesses von der evolutionär-stammesgeschichtlichen zur gesellschaftlich-geschichtlichen Entwicklung – auf. Die einzelwissenschaftliche Auflösung des scheinbaren Paradoxons einer “gesellschaftlichen Natur” des Menschen ist unhintergehbar, wenn die EP als eine pseudowissenschaftliche, ideologisch begründete Ausdehnung des Geltungsbereichs biologischer Erklärungen auf die qualitativ verschiedene Ebene gesamtgesellschaftlich vermittelter menschlicher Existenz wirksam widerlegt werden soll.

Da ist kein Argument vorhanden, es ist reine Stimmungsmache. Der Verfasser hat sich meiner Vermutung nach noch nie ernsthaft mit Evolutionärer Psychologie, aber wohl auch nicht mit der medzinisch /biologischen Forschung in diesem Bereich beschäftigt.

Was man auch dringend beachten sollte ist: Nur weil eine Erklärung keine absolute Gewissheit bildet, bedeutet das nicht, dass sie falsch ist. Sie kann dennoch die wahrscheinlichste Erklärung sein und sogar höchstwahrscheinlich richtig. Zudem verschweigen die anderen Erklärungen gerne, dass sie eben auch erhebliche Unsicherheiten ausweisen. Gerade soziologische Erklärungen werden gern unter vollkommener Ignoranz biologischer Hintergründe entwickelt. Es hat beispielsweise nichts mit Evolutionspsychologie zu tun, wenn man anführt, dass Testosteron einer der Faktoren eines starken Sexualtriebs sind und Männer davon deutlich mehr haben als Frauen. Aber inwiefern taucht dies in soziologischen Betrachtungen auf?

Ich füge noch ein paar Links an:

Ich finde Kritik wichtig und gut. Daher bitte ich um weitere Kritik in den Kommentaren.

  • Mich würde auch interessieren, welche Theorien ihr als besser abgesichert betrachtet und welche Argumente euch dabei mehr überzeugen.
  • Mich würde interessieren, welche evolutionspsychologischen Theorien euch nicht überzeugen und warum
  • Mich würde interessieren, wie es eine Erklärung für den Menschen geben soll, ohne das man seine Entwicklung mit einbezieht oder gar ausblendet.