Weitere Kritik an Privilegientheorie und Deutungshoheit

Die Privilegientheorie bleibt nach wie vor ein wesentlicher Pfeiler im modernen (radikalen?) Feminismus. Ich hatte hier schon einiges an Kritik daran:

Anlässlich eines Vorfall, bei dem es darum ging inwieweit Kinder zu verbergen sind, weil sie Privilegien darstellen gab es noch einmal einige interessante Punkte, die ich hier noch einmal sammeln möchte:

Der Artikel „Privilegien“ bei Elitemedium:

Privileg kann nun eigentlich alles sein. Der Reiche ist privilegiert gegenüber dem Ärmeren. Der Gesunde gegenüber dem Kranken. Der Junge ist privilegiert gegenüber dem Alten… Moment. Hier wird es schon schwieriger. Der Junge kann Gegenüber dem Älteren nämlich gleichzeitig privilegiert (gesünder, schöner, längere Restlebenserwartung) aber auch unterprivilegiert (weniger Rechte, weniger Status, weniger Macht) sein.

Meiner Meinung nach in der Tat eines der größten Probleme: Es ist nicht eingrenzbar, gerade weil es ins subjektive ausgeweitet wird. Elitemedium dazu weiter:

Ja das ist wirklich perfide. Der Privilegierte ist also ”qua Definition” blind für sein Privileg, aber wenn er andere fragt, ist das supremacy Haltung. Sehr schön.

Hinzu kommt, dass der derjenige, der für sich eine Unterprivilegierung in Anspruch nehmen kann damit nach feministischer Denkweise diverse Forderungsrechte erwirbt:

  • das Recht von Privilegierten „Reflektion“ verlangen zu dürfen
  • das Recht von Privilegierten verhaltensänderungen verlangen zu dürfen
  • das Recht zur Kritik an Privilegierten ohne eigene Begründungspflicht

und das Beste von allem: Der Unterprivilegierte selber ist gegen jeden Vorwurf, er würde selber andere diskriminieren immun:

Das ist das gefährliche an dieser Theorie/Ideologie gerade im Feminismus:

Der Kommentator „Heiliger Bimbam“ bei „Leftist Elite“:

Unter die Nase reiben ist eine rein subjektive Wahrnehmung. Wie soll man darauf eingehen?

Wenn die Einen es vll. begrüßen würden, dass die Kinder nicht mitgebracht werden, empfinden Andere das möglicherweise als Sonderbehandlung und möchten gerade nicht, dass Menschen explizit “Schonhaltungen” einnehmen, weil sie sich damit in eine Betroffenenecke geschoben sehen. Wenn ich mir vorstelle, meine Anwesenheit würde Leute dazu veranlassen, bestimmte Themen und Verhaltenweisen zu vermeiden, wäre für mich sehr diskriminierend. Man würde mich nicht “normal” behandeln und mir mein Anderssein unter die Nase reiben. Der Tatbestand, dass in der Situation jemand sich als anders empfindet, bleibt in jedem Falle bestehen.

“Jemand zeigt ein Privileg auf und zieht damit die Abwehrhaltung der Priviligierten auf sich, weil diese ja auch Probleme haben.”

Das ist natürlich ein Totschlagargument. Damit wird es unmöglich, sich überhaupt gegen die Unterstellung eines Privilegs zu verteidigen und das Bestehen dieses Privilegs zu widerlegen.

Das zeigt eben wieder das Problem der fehlenden Begrenzung: Es ist unmöglich es alles recht zu machen, wenn man subjektive Unannehmlichkeiten, die auf angenommenen Privilegien beruhen, wertet. Mit der Privilegientheorie in Verbindung mit der Deutungshoheit und subjektiven Beeinträchtigungen orientiert man sich beständig nach unten: Die Gesellschaft wird nicht immer freier und sicherer, sondern immer handlungsärmer und anfälliger für Kritik: Es wird nicht besser, sondern schlechter, weil man eben alles als Beeinträchtigung sehen kann, auch die Gegenreaktion und den versuch es anderen Recht zu machen. Es ist unmöglich so zu handeln, dass niemand sich beeinträchtigt fühlen kann. Das Beispiel Kinder zeigt dies eigentlich besser als jedes andere Beispiel.

Dazu in einem weiteren Kommentar:

Vielleicht ist aber auch nur diese “Privilegientheorie” Unfug. Wie man hier sieht, führt sie dazu, dass nur noch das eigene Befinden ausschlagebend ist für die vermeintlichen Privilegien Anderer. Die Privilegien kann man denen, die einen an die eigenen Unzulänglichkeiten (wichtig hier: Unzulänglichkeiten haben alle!) erinnern, andichten und sich damit in eine moralisch überlegene Position begeben. Jemand mit dünnem Haar kann die “Privilegien” der mit üppigem Schopf ausgestatteten “sichtbar machen” und von denen verlangen, ihre Behaarung nicht zu inszenieren, um nicht getriggert zu werden durch volles Haar!?! “critical hairyness”?

Das ist absurd. Es wird Zeit, diese “Privilegientheorie” als das zu erkennen, was sie ist.

Und dann weiter:

es gibt probleme, die sind in einem sinne privatangelegenheit, als dass man nicht von der gesamten umwelt besondere rücksicht verlangen kann. oder anders gesagt, wenn jemand die anwesenheit von kindern (oder kleinfamilien) nicht aushält, dann haben nicht die kinder oder kleinfamilien den kontakt zu meiden, sondern der oder die betroffene muss selbst meiden, was ihn oder sie triggert.

Und das ist genau meine Meinung dazu. Man kann nicht jede persönliche subjektive Befindlichkeit über Verhaltensregeln für andere lösen.

Auch „NutellaBerliner“ geht dort in die gleiche Richtung:

Doch. Die Konsequenz von “ich fühle mich durch den Anblick von Kindern immer an meine Diskriminierung erinnert etc” kann doch nur sein: kein Anblick von Kindern für Lantzschi.

Wenn sie aber keine Kinder sehen will, sich dabei aber nicht einschränken will (auch das wäre wieder: Diskriminierung), ist die logisch zwingende Konsequenz: die Kinder müssen wegbleiben. Und damit auch die Eltern, die aus mannigfaltigen Gründen nur mit Kind kommen können. Diese Eltern werden dann diskriminiert. Und warum? Weil Lantzschi der Anblick von Leuten, die anders sind als sie, nicht passt.

Darauf läuft es im Kern hinaus.

Und das ist die Offenlegung des eigentlichen Kerns der Privilegientheorie in Verbindung mit der Deutungshoheit:

Wenn jemand anders ist und mir das nicht passt, dann muss er sich ändern, einfach weil es mir nicht passt.

Was natürlich erst einmal Kindergarten ist.

Anatol Stefanowitsch stellt auch bei Leftist Elite seine Sicht dar, die die Privilegientheorie eher stützt:

Zum ersten Punkt: Es muss allen Menschen erlaubt sein, sich sichere Räume zu definieren und diese müssen respektiert werden. Wenn Menschen, für die heteronormatives (oder als heteronormativ wahrgenommenes) Verhalten oder die Gegenwart von Kindern eine Diskriminierung darstellt, für sich einen sicheren Raum schaffen und sich dorthin zurückziehen, dann haben sich potenziell heteronormativ handelnden Menschen dort herauszuhalten und — auch wenn es den Kindern gegenüber ungerecht erscheinen mag — ihre Kinder von dort fernzuhalten.

(…)

Zum zweiten Punkt: Selbst dort, wo nicht für alle ein sicherer Raum geschaffen werden kann, sollten natürlich alle daran mitarbeiten, dass in der Öffentlichkeit die größtmögliche Sicherheit für alle besteht. Und hier müssen wir vielleicht unterscheiden zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Bedrohungen und die Verantwortlichkeiten für den Umgang mit diesen Bedrohungen unterschiedlich verteilen.

Da ist die Gegenüberstellung wieder „Die einen müssen sich einen Raum schaffen, die anderen müssen das akzeptieren“. Warum ist es eigentlich so schwierig, sich einfach mal mit der naheliegenden Frage auseinanderzusetzen, ob eine Forderung nach einem „sicheren Raum“ in dem konkreten Zusammenhang überzogen ist oder nicht? Und ob die Einschränkung der einen in einem Verhältnis zu der Bedrohung der anderen steht? Das scheint mir das Naheliegendste zu sein, was die Interessen der Personen zu einem angemessenen Ausgleich bringt: Man stellt die jeweiligen Positionen in eine Abwägung ein und nimmt einen Ausgleich vor. In diesem kann man dann natürlich auch einen Minderheitenstatus, Machtfragen und andere Punkte aufgreifen und berücksichtigen.

Das man dies nicht will hat wohl die folgenden Ursachen, die ja oben auch schon angesprochen worden sind:

  • Definititonsmacht ist eine tolle Sache, wenn man derjenige ist, der definiert
  • Es klingt so gut und moralisch, wenn man sich bedingungslos für die Schwachen einsetzt.
Das Sich-Aufbürden von besonderen Rücksichtsnahmepflichten ist natürlich -wie so oft – erst einmal ein Costly Signal: Um so mehr Lasten man auf sich nimmt, um so eher kann man Aufzeigen, dass man den Minderheitenschutz ernst nimmt. In der passenden sozialen Einordnung erscheint damit jeder, der nicht bereit ist diese Lasten auf sich zu nehmen und der Minderheit die bedingungslose Definitionsmacht zuzusprechen, als jemand, der der Sache nicht genug verpflichtet ist. Und damit kann man ihn auch eher aus der In-Group in die Out-Group einordnen, was auch in diesen Bewegungen einen erheblichen Gruppendruck erzeugt.