Werden Väter bei der Zuordnung von Kindererziehungszeiten diskriminiert?

Via Arne bin ich auf diesen Spiegelartikel und von dort auf zu diesem Hinweis des Bundessozialgerichts gekommen:

Liegt eine verfassungswidrige Benachteiligung von Männern darin, dass Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel bei der Mutter anerkannt werden? Hierüber wird der 5. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Sitzung am 18. April 2024 um 11.30 Uhr im Jacob-Grimm-Saal entscheiden (Aktenzeichen B 5 R 10/23 R).

Erziehen Eltern ein Kind gemeinsam, können sie eine übereinstimmende Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger abgeben, welchem Elternteil die Kinderziehungszeiten zugeordnet werden sollen. Bei Fehlen einer solchen Erklärung werden die Erziehungszeiten dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Lässt sich auch darüber keine Zuordnung vornehmen, werden die Kindererziehungszeiten der Mutter zugeordnet. So geschah es in dem zu entscheidenden Fall.

Das System ist also:

  1. Die Eltern geben eine übereinstimmende Erklärung ab welchem Elternteil die Kindererziehungszeiten zugeordnet werden (das setzt eine gewisse Einigkeit voraus)
  2. Wenn man sich nicht einigen kann, dann muss der Vater vortragen, dass er das Kind überwiegend erzogen hat. Das kann im Einzelnen sehr schwierig sein, da man darüber kein Buch geführt haben wird und man auch noch als Vater die Beweislast gegen sich hat. Wenn die Mutter es bestreitet und es nicht etwa weil das Kind bei dem Vater gewohnt hat und die Mutter das nicht leugnen kann ganz eindeutig ist, dann sind das sehr schwierige Darlegungen, bei denen man quasi über die Zeit taggenau beschreiben müsste, wer nun was gemacht hat und dann zur Not noch zeugen haben müsste. Es ist also schwierig.
  3. Wenn das nicht gelingt bekommt die Mutter die Kindererziehungszeiten

Was sind Kindererziehungszeiten überhaupt:

Kindererziehungszeiten sind die Zeiten der Erziehung eines Kindes in den ersten drei Lebensjahren, bei Geburten ab dem 1. Januar 1992. Bei Geburten vor dem 1. Januar 1992 wird nur das erste Lebensjahr eines Kindes als Kindererziehungszeit angerechnet. Die Kindererziehungszeiten gelten in der gesetzlichen Rentenversicherung als Beitragszeiten und werden auf die Wartezeiten für die Rente angerechnet. Darüber hinaus werden Zeiten der Erziehung bis zum 10. Geburtstag des Kindes als so genannte Berücksichtigungszeiten angerechnet.

Wer also die Beitragszeiten nicht so leicht zusammenbekommt, dem können diese zusätzlichen Jahre erhebliche Vorteile bringen.

Der Kläger und die Kindsmutter lebten zunächst in häuslicher Gemeinschaft mit der 2001 geborenen Tochter. Die Eltern gaben keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit ab. Der Kläger war nach der Geburt der Tochter weiterhin in Vollzeit beschäftigt. Die Kindsmutter nahm erst kurz vor dem 6. Geburtstag der Tochter wieder eine geringfügige Beschäftigung auf. Sie zog am 10. November 2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt seitdem vom Kläger und der Tochter dauerhaft getrennt. Inzwischen ist ihr Aufenthalt unbekannt, das Ruhen ihrer elterlichen Sorge wurde vom Familiengericht festgestellt.

Der beklagte Rentenversicherungsträger merkte beim Kläger die Zeit ab dem Auszug der Kindsmutter als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vor. Für die Zeit davor lehnte er die Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten wegen Kindererziehung ab. Insoweit sei von einer gemeinsamen Erziehung der Tochter durch beide Elternteile auszugehen. Da keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben worden sei und sich eine überwiegende Erziehung durch den Kläger erst ab dem 10. November 2008 habe nachweisen lassen, erfolge eine Zuordnung bei der Kindsmutter.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Der Kläger macht verfassungsrechtliche Einwände geltend. Er werde aufgrund seines Geschlechts benachteiligt, wenn bei gemeinsamer Erziehung durch die Eltern, bei der sich eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht nachweisen lasse, die Kindererziehungszeit der Mutter zugeordnet werde. Das dahinter stehende Rollen- und Familienbild entspreche auch nicht mehr der gesellschaftlichen Realität.

Und da hat er Recht. Eine solche Vermutung mit einer einseitigen Darlegungslast mag statistisch richtig sein, ist aber äußerst unfair für die Männer. Zumal sie bei einem gleichen Anteil die Kindererziehungszeiten komplett zugeordnet bekommt. Es würde sich ja anbieten, dass man sie dann zumindest nach einem gewissen Schema aufteilt.

Hinweise zur anwendbaren Rechtslage:

Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI)

§ 56 Kindererziehungszeiten

(1) 1Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. 2Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn
1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.
(2) 1Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. 2Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. 3Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. …..

8 Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. 9 Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. 10Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

§ 57 Berücksichtigungszeiten

1Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen.

Terminbericht

Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Der Kläger kann die Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung seiner Tochter nicht beanspruchen.

Zutreffend hat der beklagte Rentenversicherungsträger die Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI zur Anwendung gebracht. Danach wird die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet, wenn die Eltern keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben und eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vorliegt. Auf die Regelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI, wonach Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden, kann der Kläger sich nicht berufen. Hierbei handelt es sich um eine weitere Auffangregelung für Konstellationen, in denen sonst keine Zuordnung der Kindererziehungszeit möglich ist. Hier ergibt sich jedoch bereits aus Satz 9 eine Zuordnung zur Mutter.

Das das Gericht die Aufteilung grundsätzlich richtig, also abseits von verfassungsrechtlichen Abwägungen nach dem einfachen Gesetz vorgenommen hat, würde ich auch sagen. Das Gesetz ist eben sexistisch.

Die Auffangregelung des § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI verletzt nicht das Gleichberechtigungsgebot des Artikel 3 Absatz 2 GG. Zwar bewirkt sie eine unmittelbare Benachteiligung des Vaters. Sie ist aber zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots gerechtfertigt. Indem die Auffangregelung die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet, werden faktische Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde daher von Anfang an als Beitrag zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen konzipiert. Obgleich die Erwerbstätigenquote und teilweise auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern insbesondere mit Kindern unter drei Jahren gestiegen ist, bleiben sie immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück. Die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI ist auch verhältnismäßig. Die Zuordnungsregelungen in § 56 Absatz 2 SGB VI lassen genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.

Finde ich als Begründung nicht ausreichend. Es sollte doch möglich sein, da jeweils den konkreten Fall zu prüfen und dann danach zu entscheiden, wer was enthält und das ggfs aufzuteilen. So stellt man auf die Gruppe ab ohne die Einzelperson im Blick zu haben.

Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen geltend macht, die ein Kind als einer von mehreren gleichgeschlechtlichen Elternteilen erziehen, und bei denen nach der ergänzenden Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI eine Aufteilung der Erziehungszeit zwischen den Elternteilen erfolgt, liegt schon keine geschlechtsbezogene Differenzierung vor. Auch das allgemeine Gleichheitsgebot des Artikel 3 Absatz 1 GG ist nicht verletzt, weil bei gleichgeschlechtlichen Eltern die Zielsetzung der Bevorzugung von Müttern keine Rolle spielen kann.

Das war diese Regelung hier, sie auch den oben zitierten Paragraphen:

Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

§ 1591 ist die Mutterschaft, also die Zuordnung zu dem Elternteil, der das Kind geboren hat und § 1592 BGB ist die Vaterschaft durch Heirat oder Anerkennung oder gerichtliche Feststellung nach Vaterschaftstest. Klingt auch nicht so gerecht, dort kommt es anscheinend noch weniger darauf an, wer die Arbeit gemacht hat

Ich hoffe mal, dass jemand, der sich schon die Mühe gemacht hat bis zum Bundessozialgericht zu gehen sich auch die Mühe macht noch die letzte Möglichkeit nutzt und die Sache vor das Bundesverfassungsgericht bringt.

Exkurs:

Ein Geschlechtswechsel nach dem Selbstbestimmungsgesetz dürfte hier auch nicht so viel bringen. Da wäre dann nach 1591 die leibliche Mutter auch bevorzugt, weil sie das Kind geboren hat. 1592 dürfte nur für gleichgeschlechtliche Beziehungen von Männern sein, bei denen einer das Kind mit in die Beziehung gebracht hat und die anderen Fälle dürften Adoptionsfälle sein.