Nochmal zu typischen Fehlvorstellungen über Geschlechterunterschiede und Normalverteilungen

Ich hatte hier eine kurze Sammlung verschiedener Fehlvorstellungen als Artikel eingestellt, die auch gerade einen Anfang darstellen sollte, von dem man aus weitere Abweichungen diskutieren kann.
In den Kommentaren wurde geliefert, so dass ich die dortigen Anmerkungen kurz noch mal in einem Artikel übernehmen will (vielen Dank für die guten Kommentare)

RW führte an:

Dann noch der Fall, wo die Verteilungskurven den gleichen Mittelwert, und nur unterschiedliche Breiten haben. Da ist die Apex Fallacy sehr beliebt.
Beispiel: IQ Verteilung, die bei Männern breiter gestreut ist als bei Frauen, aber den gleichen Peak haben. Erklärt warum es erheblich mehr männliche wissenschaftliche Genies gibt als weibliche. Feministische Interpretation: „Wenn Männer und Frauen gleichen IQ haben dann kann das nur Unterdrückung sein“. Dabei kehren sie komplett unter den Teppich, daß es auf der anderen Seite der Kurve viel mehr dümmere Männer gibt.

Es gibt ja sogar die Variante, wo derjenige sowohl der These zustimmt, dass es Frauen und Männer im Schnitt gleich intelligent sind und auch der These, dass es mehr dumme Männer gibt, die These, dass es dann aber auch mehr intelligentere Männer geben muss aber ablehnt.

Anne führte an:

zur Graphik 1:
Bei beiden Kurven wurde die gleiche Standardabweichung benutzt. Das trifft normalerweise so nicht zu.
I.A. streuen die Werte bei Männern stärker als bei Frauen.
In statistischen Themen unbedarfte Leser könnten auf die Idee kommen, dass alle Werte exakt auf den Kurven liegen. Tatsächlich gibt es auch davon Abweichungen und Ausreißer, die sich jedoch für große Anzahlen wieder herausmitteln.

Die Darstellung mit den beiden diskreten Werten könnte missverständlich wirken.
Wenn man die Standardabweichung gegen 0 gehen lässt, werden die „Glocken“ immer schmaler, aber gleichzeitig höher, da die Fläche unter der Kurve normiert ist und gleich bleiben muss. Man erhält schließlich Dirac-Delta-Peaks.

Selbst wenn die Mittelwerte μ gleich sind, so folgt bereits aus unterschiedlichen Standardabweichungen σ dass die Verteilungen weit voneinander abweichen können.
Ich habe das mal quick’n’dirty (evtuelle Unstimmigkeiten bitte ich zu entschuldigen) dargestellt im Bereich von ±3σ um den Mittelwert. Dabei unterscheiden sich die Standardabweichungen um ca. 20% voneinander.

Das ist in der Tat richtig, nicht alles sind vollkommen gleichartige Normalverteilungen, die nur verschobene Mittelwerte haben, es können auch sonst Unterschiede in der „Breite“ oder in anderen Bereichen auftreten.

Pingpong ergänzte:

Zum Thema: Bei der Gaussverteilung hängt der Maximalwert der Kurve auch von der Standardabweichung ab. Man sieht das oben in der Grafik von Anne, die Kurven haben den gleichen Mittelwert, aber die Kurve mit der größeren Standardabweichung ist kleiner. D.h. man kann keine zwei Gaussverteilungen erzeugen, die unterschiedliche Standardabweichungen aber trotzdem den gleichen Maximalwert haben – dazu muss man mindestens einmal den Maßstab anpassen.
Dass die Verteilungen von Merkmalen (z.b. Intelligenz, Mut, Risikobereitschaft, Affinität zu MINT etc) immer einer Gaussverteilung entspricht ist allerdings nicht von vornherein klar. Es könnte z.b. sein dass die Verteilung von Frauen annähernd eine Gaussverteilung ist, die von Männern aber schwerere Ränder (engl: heavy-tail distribution) hat. Damit kann man durchaus zwei Kurven bekommen, welche den gleichen Maximalwert haben, sich aber eben an den Rändern deutlich unterscheiden.

Also insoweit noch weitere Ausgestaltungen, die zu erheblichen Unterschieden führen können und die Differenzierung zwischen „Standardabweichung“ und „Mittelwert“. Ich führe ja häufig an, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht absolut sind, sondern häufig Normalverteilungen mit sich überlappenden Trägern aber abweichenden Mittelwert. Sollte ich dann wohl um die evtl Standardabweichung ergänzen.

Kibo schrieb:

Genauso ist es und nach meiner Meinung ist die unterschiedliche Standardabweichung die bessere Erklärung für einige (statistische) Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Ich gehe sogar davon aus, dass vielen, die sich mit Statisktik gut auskennen, dieser Effekt nicht wirklich bewusst ist. Im Qualitätsmanagement (z.B. Six Sigma) möchte man im Allgemeinen möglichst geringe Streuungen haben, was dazu führt, dass eine kleine Standardabweichung besser ist als eine größere. D.h. die Gaußkurve sollte möglichst schmal sein. Bei Betrachtung des Geschlechterverhältnis ist es aber häufig anders. Die geringere Standardabweichung bei den Frauen führt zum geringeren Anteil an wichtigen Positionen.

Ich habe hier ein Beispiel konstruiert, wo die rote Kurve die Verteilung einer Eigenschaft innerhalb der W-Gruppe (z.B. weibliche Personen) zeigt und die blaue Kurve die Verteilung einer Eigenschaft innerhalb der M-Gruppe (z.B. männliche Personen). Auf der X-Achse soll ein größerer Wert besser sein als ein kleiner, d.h. 0 ist richtig schlecht und 100 ist nahezu perfekt. Auf dem ersten Blick sieht es so aus, dass die W-Gruppe (rot) besser als die M-Gruppe (blau) abschneidet. Der Mittelwert der W-Gruppe ist z.B. deutlich besser als die der Mittelwert der M-Gruppe. Wenn man sich aber die Extreme anschaut, dann sieht man den Unterschied. Ich habe jetzt im nächsten Bild die gleichen Kurven nur im Bereich 90 bis 100 dargestellt.

Das bedeutet, dass es deutlich mehr Personen der M-Gruppe gibt, die zu den allerbesten gehören (besser als 90), obwohl die W-Gruppe soviel besser im Mittelwert ist. In der Praxis interessieren die Mittelwerte nicht wirklich. Wer erfolgreich sein will muss besser als der Durschnitt sein. Unternehmen bezahlen für die besten Spezialisten die besten Gehälter, wer nur durschnittliche Eigenschaften der gesuchten Spezialrichtung vorweisen kann, wird möglicherweise nicht mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder muss sich mit weniger Gehalt zufrieden geben.

Männer sind tatsächlich das diversere Geschlecht, dh. die Streuung ist viel stärker unter Männer als unter Frauen. Das führt dazu, das sie bei den Spitzenjobs viel stärker vertreten sind. Aber das ist halt nur die eine Seite der Medaille. Sie sind halt auch viel stärker unter den Verlierern (z.B. Obdachlose) unserere Gesellschaft vertreten.

Das zeigt noch einmal, dass Unterschiede im Spitzenbereich ganz besonders groß ausfallen können, selbst wenn der sonstige Unterschied nicht so groß ist und das für viele Bereiche gerade dieser Spitzenbereich der wichtigste ist, weil aus diesem besonders wichtige Positionen besetzt werden.

Auch dieser Beitrag kann gerne über weitere Kommentare ergänzt werden, damit da noch mehr Informationen zusammen kommen.

10 Gedanken zu “Nochmal zu typischen Fehlvorstellungen über Geschlechterunterschiede und Normalverteilungen

  1. Erster Gedanke: Gibt es irgendwo auf der Welt eine Feministin, die ihr Weltbild von einer mathematischen Unausweichlichkeit ins Schwanken bringen lassen würde?

    Zweiter Gedanke: Feministinnen können kein Mathe 😀 😀

    Dritter Gedanke: Welches Geschlechterklischee wird von Feministinnen eigentlich NICHT wieder und wieder bestätigt?

    • Ich lese ja hier nun auch schon einige Jahre mit, aber leider muss ich dem zustimmen; das ist natürlich mathematisch korrekt und diejenigen, die sich schon damit auskennen, die wissen das bereits, nur lässt sich daraus kein sinnvolles Argument herleiten, dass auch eine gewisse Überzeugungskraft hat. Wobei man auch hier eigentlich nicht mehr darauf eingehen muss, dass es sich beim Feminsmus um eine ergebnisoffene Bewegung handelt etc. ad nauseam. Für Unbeteiligte wird diese Erklärung sowieso zu kompliziert werden und ist kein Soundbite.

      Inhaltlich ist dies mit der Diskussion um den Genderpaygap zu vergleichen; die Strategie Propaganda durch das nüchterne Darstellen von Fakten zu bekämpfen ist zutiefst dysfunktional (darum ist sie noch erlaubt) und hat dort auch keinerlei Wirkung gezeigt. Wenn du jemanden auf der Strasse fragst, werden dir 23% genannt, entweder weil sie nur das gehört haben, oder weil alles andere politisch gefährlich wird.

      Das heisst z.B. auch, dass die Politik unabhägig von allen Normalverteilungen für Spitzenpositionen in der Politik und der Wirtschaft Quoten fordern werden. Diese Quoten werden sie auch fordern, wenn es wissenschaftlich belegt ist, dass Männer sich eher für solche Positionen eignen bzw. diese aktiv suchen. Das Dogma, dass eine Ungleiche Verteilung zwischen Frauen und Männern eine patriarchale Unterdrückung darstellt ist mittlerweile vollkommen gefestigt und längst in die Mythenbildung des emanzipierten westlichen Staats eingeflossen. Diesen Baustein kriegt man dort auch nicht mehr raus, ausser man sprengt die ganze Wand gleich mit.

      • „Das Dogma, dass eine Ungleiche Verteilung zwischen Frauen und Männern eine patriarchale Unterdrückung darstellt ist mittlerweile vollkommen gefestigt und längst in die Mythenbildung des emanzipierten westlichen Staats eingeflossen.“

        Nein, ist es überhaupt nicht. Du darfst nicht den Fehler machen, aus der medialen Bearbeitung des Themas auf die Einstellung des schweigenden Hintergrunds zu schließen. Ich schätze, dass 95% der Menschen das Thema wumpe ist. Das wäre so seriös, als würde man mit nem Spaten ein tiefes Loch graben und das Ergebnis als Beweis präsentieren, dass die Erde durchgehend kalt und fest ist.
        Ich postete ja gestern von diesem Satiregipfel in Düsseldorf mit Florian Schröder und Per Steinbrück. Schröder spielt bei diesen Veranstaltungen den Stichwortgeber und Steinbrück liefert teils launige, teils tiefgängige Gedanken aus der Politik und der Gesellschaft dazu. Themen waren unter anderen Political Correctness, Gender“wissenschaften“ und auch das Urheberrechtsreformgesetz.
        In Sachen PC und Gender waren sich beide weitgehend einig, dass hier die Gesellschaft von einer dünnen „Elite“ zunehmend undemokratisch geknebelt wird. Steinbrück wagte sogar ganz offen spöttische Bemerkungen über „gendergerechte Sprache“ und Toiletten für “ das dritte Geschlecht“.
        Interessant war für mich nicht die Meinung der beiden Akteure, sondern die Reaktion des Publikums. Im Hörsaal einer geisteswissenschaftlichen Uni hätte man nach den Äußerungen die beiden niedergeschrien und vielleicht gleich danach gelyncht. Hier – unter „normalen“ Menschen – gab es deutlichen Szeneapplaus. Das zeigt, dass die Mainstreammedien und die Gendas weitgehend ohne Bodenhaftung die neue Religion lehren.
        Und irgendwann wird der Stuss genauso rückstandsfrei von der Realität hinweggefegt, wie die DDR, der es auch in über 40 Jahren Dauerpropaganda nicht gelungen war, eine eigene Staatsidentität in der Bevölkerung zu verankern.

        • Angenommen diese Skala:

          1. Männer haben qua Geschlecht mehr Nach- als Vorteile
          2.
          3.
          4. Vor- und Nachteile sind zwischen den Geschlechtern in etwa ausgewogen
          5.
          6.
          7. Frauen haben qua Geschlecht mehr Nach- als Vorteile.
          8. Frauen werden wegen ihres Geschlechts benachteiligt
          9. Gendergerechte Sprache ist sinnvoll
          10.
          11.
          12. Gender ist super und nur so bekommen wir eine gerechte Welt hin.

          Dann bewegen sich nach meiner Schätzung mindestens 80% unser Bevölkerung im Intervall [5, 9].

          Natürlich sind da Witze über 12 möglich auch im Mainstream.

          Aber auch jene, die über diese Witze lachen, neigen dazu, dich zu korrigieren, wenn du von „Lesern“ redest, statt von „Lesern und Leserinnen“.
          Und den Paygap nehmen sie auch ernst.
          Und können sich darüber empören, dass Frauen erst seit 100 Jahren wählen dürfen und in Arabien dürfen sie nicht mal Auto fahren!!1!

  2. Das zweite Mal, daß ich einem AE-Artikel ein Lesezeichen unter „Literatur und Bildung “ verpasse ( der erste war der „Kibbutz-Artikel“ zum Grobthema Bindung und Sozialisation ).
    Falls mal wieder irgendein Femitroll mit Sprüchen nach dem Muster „Wenn’s leicht wäre, könnte es ja ein Mann machen“ daherkommt. Durch Hinweis auf das Obige dürfte sich in dem Fall recht flott die okkulte Spreu vom argumentativen Weizen trennen … 😉

  3. Es darf auch nicht vergessen werden, dass man bei der Berufung auf die Normalverteilungen unterstellt, dass menschliche Eigenschaften dem Gesetz der großen Zahlen unterliegen.

    • Ich hatte verstanden, dass das für viele Eigenschaften keine Unterstellung, sondern belegte Beobachtung ist.
      Ist dem d.E. nach nicht so?

      • Natürlich ist es Beobachtung, ein 5 min Spaziergang, wachen Auges und Ohres, durch eine beliebige Einkaufsmeile bestätigt es.
        Unterstellung ist aber hier semantisch nicht im Sinne von unbewiesener Behauptung gemeint, sondern im Sinne von Voraussetzung der Argumentation, also einen Fakt, den man begründeter Weise oder bereist anderweitig bewiesener Weise als gegeben annimmt. Der Gebrauch des Wortes in diesem Sinne ist seltener, aber in wissenschaftlichen oder juristischen Argumentationen durchaus üblich.
        Eine Annahme, die hier völlig korrekt ist.

  4. Wichtig wäre an der Stelle auch zu bemerken, dass damit nicht nur die größere Repräsentanz von Männern in Spitzenpositionen erklärt werden kann sondern auch warum Männer im Allgemeinen das auffälligere Geschlecht sind. Denn die statistische Streuung erlaubt natürlich auch eine stärkere Streuung über die komplette Gesellschaft hinweg.

  5. Wichtiger Beitrag, schöne Erläuterungen, ich fürchte aber, viele aus der Masse der Bevölkerung werden es nicht verstehen. Da Frage ich mich manchmal ob die Geringschätzung der exakten Wissenschaften nicht auch schon ein feministischer Zug in der Gesellschaft ist. Zumindest sind mir schon öfters Mädchen begegnet, die einen seltsamen stolz drauf äußerten von Mathe keine Ahnung zu haben.
    Komplizierter wird das ganze, worauf hier ja nicht eingegangen ist, das in der Praxis ja auch noch schiefe Verteilungen vorkommen, wo die Teilmengen rechts und links des Peaks ungleich groß sind, und/oder auch die Verteilungskurven asymmetrisch.

    Aus evolutionsbiologischer Sicht sind die Ergebnisse zu erwarten, da die Männchen (trifft nicht auf alle Arten so zu, aber beim Homo „sapiens“ 😀 ist es so) die Testdummies sind. Also de facto auch mehr verschiedene Einzel-, Sondermodelle, Prototypen hervorbringen als Weibchen, welche sozusagen die Serienmodelle, mit bewährten wenig störanfälligen aber eben auch gleichförmigen Ausstattungen sind.
    Immer wieder erhellend ist, wie unterschiedlich Frauen oft reagieren, je nach dem, wie man diesen Sachverhalt erläutert:
    -Männer gleich Testdummies: Freudengekreische
    -Frauen in jeder Hinsicht rückständiger: wütende Empörung.
    Denn fast jede Frau meint ja eine einzigartige Schneeflocke zu sein.

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