Wer hat es schwerer in der Schule, Jungen oder Mädchen?

Ein Spiegelartikel zu der Frage, wer es in der Schule schwieriger hat, Jungen oder Mädchen. Die Autorin ist Mutter und sieht die Lage wie folgt:

Sie gesteht erst folgende „offizielle Lage“ zu:

Elternabend, 8. Klasse. Eine Mutter moniert, dass die Kinder gerade so wahnsinnig viel lernen müssen: die vielen Hausaufgaben und Referate, und dann auch noch das Kunstprojekt. Ob man dafür nicht wenigstens den Abgabetermin verschieben könne? Jetzt ist deutlich zu sehen, wer einen Sohn und wer eine Tochter hat. Zustimmendes Nicken: Mädcheneltern. Irritierte Blicke: Jungseltern. Darunter auch ich. „Welches Kunstprojekt?“

Ich höre gerade das erste Mal davon, auch von dem Lernpensum. Anderen Eltern mit Söhnen geht es ähnlich. Denn unsere Jungs machen sich vor allem in der 7. und 8. Klasse eins nicht: Stress in der Schule. Anders als manches Mädchen.

Das sind natürlich alles Klischees! Es stimmt NICHT, dass Mädchen in der Schule alle lieb und fleißig sind und gerne Mandalas ausmalen und dass Jungs alle faul und wild sind und eine miese Handschrift haben. Aber TENDENZIELL ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass viele Jungen in der Schule anders drauf sind als Mädchen.

Bildungsforscher haben daraus in den vergangenen Jahren immer wieder abgeleitet, dass Jungs es in der Schule schwerer haben als Mädchen. Weil der Unterricht einfach mehr auf ausmalfreudige Mädels zugeschnitten sei. Von einer Jungskrise war die Rede.

Und ja, wenn Jungen an Lehrer geraten, denen ausmalfreudige Mädchen am liebsten sind, kann das schwierig werden. Plus: Mädchen bekommen im Schnitt bessere Noten, wechseln häufiger aufs Gymnasium, landen seltener auf Förderschulen…, haben es also leichter.

Ich halte die Klischees im Schnitt auch nicht für falsch. Mädchen sind eher angepasster, Jungs machen häufiger Blödsinn und folgen dem Unterricht weniger. Das ist eine Beobachtung, die ich schon von einigen Lehren gehört habe. Aber natürlich nur im Schnitt. Genug Jungen arbeiten auch genauso mit und machen ihre Aufgaben, und es gibt auch faule Mädchen.

Sie schildert dann das Folgende:

Statistisch betrachtet ist das alles richtig – und trotzdem falsch.

Statistiker werten Zahlen aus, Eltern hören sich den Schulfrust ihrer Kinder an, und da haben Töchter mindestens genau so viel zu bieten wie Söhne. Beim letzten Kneipenabend mit anderen „Mädchenmüttern“ – aus der Klasse meiner Tochter – kamen diverse Geschichten auf den Tisch, die zeigen, dass Mädchen in der Schule oft genug ziemlich ungerecht behandelt und eben nicht bevorzugt werden:

7. Klasse, neue Sitzordnung: Lea muss mal wieder neben Torben sitzen, das dritte Schuljahr in Folge. Torben stört immer wieder, beleidigt andere, auch Lea. Sie will deshalb nicht schon wieder neben ihm sitzen. Aber die Lehrerin bleibt dabei. Torben verhalte sich dann ruhiger, und Lea könne ihm helfen, sagt sie. Lea habe sich zwar etwas verschlechtert, aber Torben sei neben ihr besser geworden. „Deshalb bleibt das jetzt so.“

8. Klasse, Bio: Joana wird in eine Referatsgruppe eingeteilt, drei Mädchen, zwei Jungen. Die Mädchen arbeiten immer wieder am Thema, die Jungs machen nicht mit. Die Mädchen verteilen Aufgaben für zu Hause, auch an die Jungen. Sie erledigen ihren Part aber nicht. Die Mädchen schreiben ihnen deshalb auf Karteikarten, was sie im Referat sagen sollen. Das machen sie. Am Ende bekommen alle eine Zwei.

5. Klasse, Sport: Die Lehrerin teilt die Klasse zum Fußballspielen in zwei Gruppen ein, getrennt nach Jungen und Mädchen – und damit offenbar auch getrennt nach „guten“ und „schlechten“ Fußballern. Zwei „schlechte“ Jungen müssen zu den Mädchen. Dort wiederum regt die Lehrerin an: „Carla, du spielst gut. Geh du mal zu den Jungs rüber.“

9. Klasse, Geschichte: Der Lehrer teilt Gruppen für Referate ein: drei Mädchen und Tim. Aber Tim macht nicht mit. Die Mädchen fordern ihn mehrfach auf, aber er hat keine Lust. Die Mädchen halten das Referat schließlich allein, Tim steht daneben. Am Ende gibt der Lehrer allen eine Drei minus: Inhaltlich sei das Referat zwar gut gewesen, aber die Mädchen hätten Tim „nicht integriert“.

Bereits der Ansatz ist natürlich wenig neutral. Natürlich fallen Mädchenmüttern eher die Punkte auf, wo ihre Kinder benachteiligt sind.

Ein Kommentator unter dem Artikel schreibt dazu passend:

Meine beiden Söhne hatten das auch schon andersrum: Mädchen, deren Beitrag zu Referaten bescheiden bis nicht vorhanden war. Und natürlich gab es das auch schon mit anderen Jungs. Und — jetzt kommt’s: auch mit meinen. Das Problem ist eher, wer gerade besonders schwer an Pubertät erkrankt ist. (Leiden tun vor allem die anderen.) Momentan kann ich mir jeden Tag anhören, dass es in Mathe und Physik nicht voran geht, weil bestimmte Mädchen (natürlich nicht alle) nichts raffen und darauf natürlich besondere Rücksicht genommen wird. Es sei einfach nur noch langweilig. Macht’s nicht so sehr am Geschlecht fest. Noch nicht mal am Individuum.

Ein anderer schreibt:

Ok, aus den persönlichen Beobachtungen von Frau Silke Fokken werden nun Schlüsse für die Allgemeinheit gezogen, oder wie? In meiner Schulzeit wurden Jungs aufgefordert, nicht so oft aufzuzeigen, wenn der LehrerIn eine Frage stellte. Dies würde die Mädchen verunsichern. Die Jungs sollten also auf Wortbeiträge zu Gunsten der Mädchen verzichten. Einige unserer Nerds wurden gerade in Mathe oder Physik von einigen Mädels geradezu belagert um ihnen die Hausaufgaben zu erledigen, die haben dann mitgemacht in der Hoffnung vielleicht mal eine Freundin abzukriegen, was aber natürlich nie geklappt hat. So gibt es immer zwei Seiten einer Medaille, das die eine Seite solcher persönlicher Erlebnisse es aber sogar als Kolumne auf SPON schafft, ist etwas verwunderlich

Und ein weiterer Kommentar:

Mit Verlaub, aber selten hat mir ein Text bei SPON soviel Anlass dazu gegeben, mich zu echauffieren. Es ist schon eine Kunst (wenn auch heutzutage keine seltene mehr), alles, alles aber auch wirklich alles zu Ungunsten des männlichen Geschlechts zu deuten. „Mädchen haben gemeinhin mehr Erfolg in der Schule? Das kann nicht damit zusammenhängen, dass es Jungs oft schwerer haben. Mädchen sind einfach fleißiger.“ – oder – „Mädchen A arbeitet mehr, als Junge B? Das kann nichts mit den Herangehensweisen der konkreten Kinder zu tun haben. Jungs heimsen sich einfach grundsätzlich die Lorbeeren der Mädchen ein.“ Meine Schulzeit ist noch nicht lange her. Und, glauben Sie mir, so, wie Sie es schildern, ist es nicht. Trotzdem aber ist Ihre Geisteshaltung die allgemein anerkannte: Jungs und Männer werden schlichtweg für faule Stücke gehalten. Viele Lehrerinnen – die gegenüber Lehrern ja in der Überzahl sind – machen daraus letztlich auch keinen Hehl. So werden Jungs, die sich tatsächlich nicht sehr für die Schule begeistern können, erst recht demotiviert. Die Jungs werden zu Verlierern, und das weibliche Geschlecht darf sich moralisch weiter überlegen fühlen, denn es ist ja ‚tendenziell‘ fleißiger.