Tag: 2. Juni 2017
Störenfridas: „Endlich also würde mir mein Freund zeigen, was für ein mieser Sexist er in Wirklichkeit war. Er hatte sich nur verstellt“
Ein Artikel bei den Störenfridas ist so voller Großartigkeiten, dass ich ihn hier besprechen muss.
Bereits die Einleitung enthält einiges:
Heterosexuell und Feministin zu sein, ist ein ewiger Balanceakt, der mindestens einen eigenen Artikel wert ist.
Klar, weil man den Feind im eigenen Bett hat und auch noch mit ihm leben muss. Ich hoffe ja sie schreibt den Artikel noch. er kann nur großartig werden.
Aber heute geht es mir um etwas anderes. Es geht um das ohrenbetäubende Nichtwissen über unsere eigenen Körper, das wir mit verzweifelten Dogmen und Halbwissen aus der Pornoindustrie auffüllen. Ja, genau aus der. Dieses Nichtwissen und die Verachtung für unseren eigenen Körper haben wir so sehr internalisiert, dass weder die Gynäkologie noch wir selbst davon frei sind.
Die Störenfridas, das muss man vielleicht noch dazu sagen, sind weniger im intersektionalen Feminismus angesiedelt, sondern eher im „klassischen“ Schwarzer Feminismus. Pornos sind demnach das Böse und Männer noch weitaus eher der Feind. Es ist üblicherweise ein eher sexnegativer Feminismus, der auch und gerade an der Sexualität die Unterdrückung der Frau festmacht und dabei insbesondere alles als Werkzeug Satans des Patriarchats angesehen, was irgendwie mit intrasexueller Konkurrenz zu tun hat oder was sonst auch überhaupt an Problemen auftreten kann.
Wer wird wohl hier wohl dafür verantwortlich sein, dass Frauen (nach ihrer Meinung) nicht über den eigenen Körper wissen und stattdessen auf Halbwissen aus Pornos abgestellt wird? Man darf gespannt sein….
Ich finde Pornos scheiße. Nicht aus Prüderie, nicht aus Verklemmtheit, sondern weil ich nur sehr selten übersehen kann, dass den Frauen nicht gefällt, was da gerade passiert und es gibt keinen schnelleren Weg, als meine Vagina trocken zu legen. Die Hipsterisierung von Sexspielzeug gehört für mich irgendwie dazu, weil ich bereits die lustige Werbung dafür zum Kotzen finde. Mein Freund ist Amerikaner. Die sind ja bekannt für ihre Prüderie und für ihre Pornovorlieben und auch wenn er natürlich ganz anders ist, ist er davon nicht frei.
Klar findet eine sexfeindliche Feministin Pornos scheiße, und in ihrer Welt wird dort immer deutlich, dass es Frauen nicht gefällt. Sie scheint sich dann aber auch wenig auf Seiten wie Pornhub und Co aufgehalten zu haben, da sind vollkommen begeisterte Frauen keine Seltenheit
Ich habe mehrere Kinder bekommen. Ich bin fast 40. Das verändert einen Körper und da kann ich so viel in das Fitness-Studio rennen, wie ich will. „Ihre Gebärmutter hat sich abgesenkt“, sagte meine Gynäkologin bei meinem letzten Besuch. Mir war das peinlich, aber ja, mir war auch schon aufgefallen, dass ich, wenn ich niese, Schwierigkeiten habe. Ihr Ratschlag: „Sie sollten über eine OP nachdenken. Ganz kleiner Eingriff.“ Ich will mich aber nicht operieren lassen. Also nahm ich es achselzuckend als Erscheinung meines Alters hin. Mein Uterus hat seine Arbeit getan, oder? Wen interessiert da noch, ob es mir mit ihm gut geht? Immerhin stehe ich kurz vor den Wechseljahren, kurz vor der Unsichtbarkeit als Frau.
Ihre Gebärmutter hat sich abgsenkt. Der Arzt schlägt eine Behandlung vor. Was macht sie daraus? Sie unterstellt gleich erst einmal, dass sich um das Wohl von Frauen eh keiner schert und das um so mehr, da sie ja demnächst eh „unsichtbar wird“. So viel Selbstmitleid und Übertragung der Schuld auf die Gemeinschaft ist schon erstaunlich: „Warum soll ich da noch eine ärztliche Behandlung machen, ihr interessiert euch ja eh nicht für mich, ich bin ja nur eine alte Frau“. Und das obwohl der Einzige, der mit ihr darüber geredet hat, der Arzt war, der ihr ja gerade zu einer Behandlung geraten hat. Selbstmitleid galore!
Sexualität ist ein seltsames Feld. Anders als die meisten Feministinnen bin ich mir nicht immer sicher, ob das Private auch immer politisch ist, aber es gibt durchaus rote Linien. Das Gespräch mit meinem Freund begann mit einem Witz über einen Buttplug. Daraufhin reagierte ich reflexhaft mit einem Vortrag über die Niederungen der Sexindustrie.
Ein Buttplug ist ein Stück Silikon oder welches Material auch immer, es spricht für ihren Radikalisierungsgrad, dass sie das anscheinend schon zu einem solchen Vortrag bewegt-
„Ja, du hast Recht“, sagte er. „Außerdem sollte man ohnehin aufpassen, welche Größe Sexspielzeug hat. Frauen leiern aus.“ Das war eine Provokation und ich sprang drauf an. Eine rote Linie war eindeutig überschritten. „Frauen leiern nicht aus“, belehrte ich ihn. „Eine solche Behauptung ist misogyn bis zum geht nicht mehr und du enttäuschst mich gerade sehr.“
Der arme Kerl. Will mal etwas provozieren und sie würgt ihn gleich ab und geht auf 180.
Und, weil ich das einfach gut kann, schob ich hinterher: „Stell dir mal vor, wir Frauen würden ständig von riesigen Penissen schwärmen (warum das in unserer patriarchalen Gesellschaft durchaus ein feministischer Akt ist, ist hier nachzulesen).
„Stellt euch vor, wenn wir das auch machen würden (was übrigens bei uns vollkommen okay wäre, weil ihr ja miese Schweine seid, die uns unterdrücken“.
Wie würdest du dich dann fühlen? Es ist respektlos, sein Gegenüber auf seine Genitalien zu reduzieren und so etwas ist typisch für eine männliche Konsumhaltung, die von der Pornoindustrie auch noch angefeuert wird. Körper sind nun mal unterschiedlich, Vaginas sind heilig und du solltest dankbar sein für jede, die du berühren durftest.“
Die heilige Vagina. Wahrscheinlich im Gegensatz zum dreckigen und verdorbenen Schwanz, der für die männliche und damit verwerfliche Konsumhaltung steht. Und die Ängste eines Mannes mit kleinen Penis vor Spott gibt es natürlich auch nicht.
Er lachte kurz. „Aber kleine Penisse kann man nur mit einer OP verändern. Frauen können trainieren. Mit Vaginalkegeln.“
„Mit was?“ Was zur Hölle sind Vaginalkegel? Irgendein lächerliches Sexspielzeug wie die Liebeskugeln in Fifty Shades of Grey? Meine Stacheln waren gestellt. Endlich also würde mir mein Freund zeigen, was für ein mieser Sexist er in Wirklichkeit war. Er hatte sich nur verstellt, all die Zeit.
Was für ein wunderbarer Satz:
- Endlich also würde mir mein Freund zeigen, was für ein mieser Sexist er in Wirklichkeit war. Er hatte sich nur verstellt
Welch schöner Moment für eine radikale sexfeindliche Feministin. Sie hatte es ja eigentlich schon immer gewußt, ihr Freund ist auch nur ein Mann, also ein fieser dreckiger. Es muss ein wunderbarer Moment für sie gewesen sein. Wenn es so einfach ist, eine radikale Feministin glücklich zu machen, wer wollte dann nicht eine radikale Feministin zur Freundin?
Er erklärte es mir. Ich wurde furchtbar wütend. „Du findest also, Frauen sollten ihre Vaginas trainieren, nur damit es sich für dich besser anfühlt? Wie wäre es damit: wir verzichten einfach auf jede Art von penetrativem Sex, dann haben wir das Problem nicht.“ Nachzuvollziehen, dass dieses Gespräch nirgendwohin führte.
Auch hier hat sie Glück: Als sexfeindliche Feministin, die aber in einer Beziehung leben will, ist für sie penetrativer Sex wahrscheinlich eh immer eine halbe Vergewaltigung und höchst problematisch. Aber es ist eben auch ein Machtmittel. Mit dem angedrohten Entzug schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe.
Unerhört, wie kann er etwas vorschlagen, was die Vagina trainiert? Das kann ja dann nur ihm Spass machen, dem dreckigen Kerl, denn an etwas anderes können Männer eh nicht denken.
Stunden später konnte ich nicht einschlafen. Ich wollte eine Bestätigung dafür, dass diese Nummer mit dem Vaginaltraining ein zutiefst sexistischer Akt ist, ein neuer Weg, um dafür zu sorgen, dass wir uns in unseren Körpern unwohl fühlen, sie verbessern, aufwerten, fickbarer machen und ich war unfassbar verletzt, weil ich das Gefühl hatte, meinen Freund überhaupt nicht zu kennen. Wie hatte er all die Zeit vor mir verbergen können, was für ein misogynes Arschloch er war?
Das wäre für sie wahrscheinlich besser als jeder Sex gewesen: Sie hätte großes Drama machen können, die Welt wäre wieder klar in gut und Böse eingeteilt. Und selbst wenn sie ihm gnädig vergeben hätte, hätte er wunderbar lange Abbitte für diese unglaubliche Frechheit leisten müssen, dass er sie auf ihre Fickbarkeit reduziert. Hier hat er doch nun wirklich genug Persönlichkeit zum lieben!
Was ich dann las, brachte ein paar Risse in meine Welt. Die nichtinvasive, inzwischen als medizinische Behandlung anerkannte Vorgehensweise bei einem sich absenkenden Uterus sind Vaginalkonen, kleine Gewichte, die man sich einführt und dann damit die Muskulatur trainiert, die den Uterus stützt, auch Vaginalkegel genannt. Eine Operation, gerade in meinem Alter, ist nicht notwendig. Warum hat mir das meine Frauenärztin nicht gesagt? Warum weiß ich das nicht über meinen eigenen Körper? Warum muss mich mein Freund darüber aufklären und damit meiner berechtigten Kritik an seinen Vorstellungen einer engen Vagina jede Grundlage entziehen?
Also leider alles falsch: Er hatte Recht. Leider. Werden wir jetzt lesen, wie sie sich bei ihm entschuldigt und zugibt übertrieben zu haben?
Wissen ist Macht und die Vorenthaltung von Wissen ist Machtausübung. Frauen im Unklaren darüber zu lassen, wie ihr Körper eigentlich funktioniert, ist einer der Grundpfeiler des Patriarchats und wir wissen erschreckend wenig über Vaginas.
Auch großartig. Da klärt sie ein Mann auf. Und sie wirft erst einmal allen anderen Männern bzw dem Patriarchat vor, dass Frauen über ihren Körper im unklaren gelassen werden. Ihr Freund hat dieses Geheimwissen sicherlich auch aus einer hochgeheimen und passwortgeschützten Seite, die man nur mit Patriarchatsausweis (nur echt mit mindestens 21% mehr Lohn) betreten kann. Frauen wird dieses überaus geheime Wissen natürlich vorgehalten.
Das Patriarchat ist schon raffiniert.
Gibt es den G-Punkt? Warum kommen so viele Frauen beim heterosexuellen, penetrativen Sex nicht? Was soll das Theater um das Squirting? Gibt es vaginale und klitorale Orgasmen? Unsere Vaginas sind der letzte weiße Fleck auf der Landkarte und in der Tat überlassen wir es der Pornoindustrie uns mit ihren falschen Aussagen darüber aufzuklären, was wie funktioniert. Das ständige, vollinvasive Vorgehen der Gynäkologie ist Ausdruck männlicher Gewalt über Frauenkörper und wir müssen aus der Abwehr der Pornogesellschaft endlich einen positiven Umgang mit unseren Körpern und unserer Sexualität entwickeln, die als Alternative dazu dient. Das Wissen über unsere Körper ist Macht. Wir sollten uns diese Macht dringend aneignen. Es ist die eine Seite dieser Geschichte, dass unsere Körper ständig als irgendwas herzuhalten haben, Sexobjekt, Arbeitstier, Gebärmaschine. Die ständige Verbesserung, das nicht aufhörende Bodyshaming weiblicher Körper, das sich bei den „ausgeleierten“ Vaginas auch noch mit Slutshaming verbindet, ist abzulehnen und muss laut und deutlich kritisiert werden. Aber, wie Mira Sigel schon an anderer Stelle schrieb, die Kritik und die Verweigerung sind nur der erste Schritt. Wir sind trotzdem sexuelle Wesen und wir müssen uns unsere Körper und unsere Sexualität aneignen, zurückholen, Wissen sammeln und miteinander teilen. Ein abgesenkter Beckenboden macht uns Frauen im Alter inkontinent. Darüber reden wir nicht. Keine von uns. Wäre das ein Problem männlichen Alterns so wie Haarausfall, Prostatakrebs oder Erektionsstörungen, die Zeitungen, das Internet wären voll davon und wir alle wüssten darüber Bescheid.
Eine wunderbare Schuldzuweisung. Diese miese Gynäkologie, die natürlich nur Männer als Fachrichtung wählen dürfen (es gibt ja keine Frauen in dem Bereich). Warum hat eine solche Frau überhaupt einen männlichen Gynäkologen? Und was ist so schwer daran, sich über die Sexualität zu informieren auf anderen Seiten als Pornoseiten? Meine Vermutung: Wenn man alles sexuelle irgendwie abartig findet, weil es Unterdrückung der Frau ist, dann liest man eben auch nichts darüber.
Ich wurde auf Twitter auch darauf hingewiesen, dass der Beckenboden auch ansonsten wahrlich kein Geheimtipp ist:
Aber für sie anscheinend schon. Und daran sind die Männer und die Pornos schuld. Und irgendwie auch ihr Freund. Denn der wird auch ein Schwein sein. Sie muss es nur noch nachweisen können.