Alice Schwarzer: Eine kleine Presseschau

Eine kleine Presseschau anlässlich des 70. Geburtstags von Alice Schwarzer:

Überschwänglich ist man in der FAZ:

Wie gratuliert man Alice Schwarzer angemessen zum Geburtstag? Mit einem Artikel? Oder besser mit einer Festschrift? Oder am besten mit der Gründung eines nach ihr benannten Instituts – zur Erforschung der Geschichte der Frauenbewegung? Übertrieben wäre das nicht, denn kaum eine einzelne Person hat in der Geschichte der Bundesrepublik so viel bewegt, verändert und erreicht wie Alice Schwarzer. Und wenn man umgekehrt den Geburtstagsgruß so knapp wie möglich halten müsste und nur ein einziges Wort zur Verfügung hätte, um die herausragendste Eigenschaft von Schwarzer zu benennen, dann brauchte man nicht mehr als drei Buchstaben: Mut. Denn das ist die andere Seite ihres Erfolgs. Kaum eine einzelne Person in der Geschichte der Bundesrepublik wurde so geschnitten, ausgegrenzt, ignoriert, beschimpft und beleidigt wie Schwarzer.

Im Tagesspiegel wird es schon etwas kritischer: Sie stehe für einen heute nicht mehr zu vertretenen Feminismus:

Wir, das sind aber auch die Verräterinnen. Machen wir uns nichts vor, wir sind keine Freundinnen. Das liegt nicht nur daran, dass du letzthin zu oft mit den falschen Leuten falsche Sachen gemacht hast (mit Sarkozy gegen das Kopftuch, mit „Bild“ gegen Kachelmann). Ihr, die Feministinnen der ersten Stunde, seid uns fremd. Eure Lieder, eure Klamotten, das Vermessen der Schwellkörper der Klitoris, das Herbeidichten eines historischen Matriarchats, überhaupt das ganze Pathos, all das geht uns, postideologisch wie wir sind, gegen den Strich.

Wir sehen uns nicht als Opfer. Wir vertrauen Männern. Ihr habt sie als „Zipfelträger“ bezeichnet. Vielen von uns, die wir unsere Männer und Freunde und Söhne lieben, widerstrebt die Herabwürdigung. Rechtlich und materiell gestärkt, nehmen wir Männer als Partner wahr, auch im Kampf gegen die Verhältnisse.

Nadine Lantzsch mag sie gar nicht:

Vor kurzem wurde mir während eines Vortrages wieder einmal vorgehalten, dass ich Alice Schwarzer nicht dankbar bin. Wieso auch? Sie vertritt ein Lebensmodell, das nicht meines ist. Politiken, die ich ablehne. Ihr Feminismus ist androzentrisch, heterosexistisch, sexarbeitsfeindlich, transphob und rassistisch. Die von ihr initiierte PorNo-Kampagne kann ich historisch einbetten, um sie nachzuvollziehen, muss mich aber nicht automatisch ihrer Position anschließen, wenn ich Machtgefälle und Frauenfeindlichkeit in der Pornoindustrie anprangern will. Abgesehen davon kann ich mir ebenso andere feministische Perspektiven auf Porno anlesen, um mich zu vergewissern, dass es mehr gibt als diese Binaritäten, die weder von Schwarzer noch vom Mainstream jemals als solche markiert und hinterfragt werden. Ohne mich anschlussfähig zu machen für den Diskurs der lust- und sexfeindlichen Emanze. Wieso muss ich denn einen Personenkult befördern, der nicht viel mehr bringt, als Feminismen und ihre Vertreter_innen unsichtbar zu machen?

Wo wir gerade bei dem Artikel von Nadine sind: Interessanterweise scheint Lantzschi auch eher an andere Feministinnen erinnern zu wollen:

Ich bin dankbar, dass es widerständige Aktivist_innen, Theoretiker_innen, Feminist_innen, feministische Bewegungen einen Teil dazu beigetragen haben, dass ich heute Freiheiten genieße, die andere vor mir nicht hatten (…) Übrigens: Valerie Solanas wäre letztes Jahr 75 geworden

Die Süddeutsche stellt eine kleine Zitatesammlung zusammen, darunter auch:

„Eine der enervierendsten Frauen der Gegenwart“, „Sie hat wirklich keine Ahnung. Sie spinnt.“

(Journalist Kay Sokolowsky in seinem Buch „Who the fuck is Alice“ 2000)

„Wie immer schließt Schwarzer alle aus, die sich arrangieren. Doch ist ihre unzeitgemäße Erinnerung an eine Struktur, die das postmoderne Spiel mit den Rollen unterläuft, notwendig. Wer sonst würde fragen, warum bei Gewaltpornos eigentlich so selten Männer zerstückelt werden?“

(Heide Oestreich am 24. Oktober 2000 in der taz über Schwarzers „Der große Unterschied“)

Bei der Mädchenmannschaft sieht man in der Gleichsetzung von Schwarzer mit dem Feminismus eine fiese Strategie um die anderen Feminismen auszublenden:

Doch welchen besseren Anlass hätten die Medien finden können als den Geburtstag “der deutschen Feministin”, um alle anderen Feminist_innen wegzuschreiben und wegzureden. Eine Taktik, die ja sowieso nicht unbeliebt ist: Alice Schwarzer wird zu einem Thema interviewt und schon ist die feministische Perspektive da.

DRadio schreibt etwa über das Buch von Miram Gebhardt:

Das Manko des deutschen Feminismus im 20. Jahrhundert im Vergleich etwa zu den einflussreichen französischen oder amerikanischen Emanzipationsbewegungen sieht die Historikerin vor allem in der Trennung zwischen akademischer und politischer Bewegung. Während an Universitäten theoretische Seminare über „Gender Studies“ abgehalten würden, werde in der Öffentlichkeit undifferenziert gegen das Patriarchat polemisiert – hauptsächlich von Alice Schwarzer. Frauenrechtlerinnen wie Simone de Beauvoir oder Susan Sontag, die sowohl akademisch als auch öffentlich wirkten, gäbe es nicht. Dem Feminismus in Deutschland fehle es deshalb an Breite und vor allem an Vielstimmigkeit. Alice Schwarzers stets gleiche Kritik etwa an der Pornografie befremdet, so Gebhardt, gerade junge Frauen zunehmend. Und die eigentlichen Probleme, etwa die Tatsache, dass Deutschland im internationalen Vergleich in vielen Bereichen, etwa beim Anteil der Frauen an Universitäten, in Medien oder in wirtschaftlichen Führungspositionen, weit hinten steht, würden damit nicht angegangen. Miriam Gebhardt fordert deshalb eine Abkehr vom „Schwarzer-Feminismus“ und plädiert dezidiert für eine echte Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Problemen.

The European kritisiert die Vorherrschaft von Schwarzer mit einem weiteren Zitat von Gebhardt:

Es gibt nur eine Alice Schwarzer. […] Allerdings gefährdet die Nach-mir-die-Sintflut-Rhetorik ihre Lebensleistung. Schwarzer legt die (klassisch männliche) Einstellung eines Familienpatriarchen an den Tag, der die Früchte seines Lebenswerks opfert, nur um sie keinem Jüngeren zu überlassen.

Und weiter:

Einerseits behauptet Schwarzer, sie sei nicht die „Präsidentin der deutschen Frauenbewegung“, schließlich habe sie niemand gewählt. Andererseits verhält sie sich aber faktisch so – eine Haltung, die den Feminismus in Deutschland blockiert und ihm nachhaltig schadet. Das liegt in der Art von Feminismus begründet, die Schwarzer vertritt. Miriam Gebhardt bezeichnet ihn als „Ändere dich gefälligst“-Feminismus: Frauen müssen zu „Menschen“ werden, indem sie sich von den Männern emanzipieren. Die konträre Position, der „Werde, die du bist“-Feminismus, verlangt hingegen von den Frauen, zu ihrer wahren Weiblichkeit zu finden. Gebhardt, das macht sie deutlich, hält von beiden Positionen nicht viel. Dadurch, dass Schwarzer sozusagen das Feminismus-Monopol in Deutschland hält, wird ihre Art des Feminismus als universell empfunden.

Dort findet sich auch noch ein Schwarzer Zitat zu dem Verhältnis von Männern und Frauen:

Mann-Frau-Beziehung (sic!) sind – unabhängig vom Willen des einzelnen Individuums – qua Funktion in dieser Gesellschaft Herrschaftsverhältnisse. Frauen sind unterlegen, Männer überlegen. Diese Machtstrukturen spiegeln sich in der Sexualität. Die herrschenden sexuellen Normen, und damit die Sexualität selbst, sind Instrument zur Etablierung dieser Machtbeziehung zwischen Mann und Frau.

Bettina Röhl schildert noch einmal genau den David Reimer Fall und hält dazu fest:

Die aberwitzigen Thesen von Money, Schwarzer und Schmidt sind durch David Reimer nicht bewiesen worden, sondern endeten in der Katastrophe eines Selbstmordes, Endpunkt eines Lebens, das 38 Jahre lang Folter und Seelenqual bedeutete.

(…) Weder die Feministin Alice Schwarzer noch der beliebte und von vielen Mainstream-Medien gern zitierte Hamburger Sexologe Schmidt haben ihren Irrtum öffentlich zugegeben. Damit verweigern sie uneinsichtig einem Opfer ideologischer Verblendung ihre letzte Ehre.

Der Stern verweist unter anderem auch auf Kritik an ihr:

Es gibt aber auch das andere, wenig schmeichelhafte Bild: Schwarzer als autoritäre Figur, besserwisserisch, machtbesessen – ein weiblicher Macho. Zu ihren Kritikern gehören die frühere „taz“-Chefredakteurin Bascha Mika oder auch die Journalistin Lisa Ortgies, die im Jahr 2008 kurz als „Emma“-Chefredakteurin amtierte, dann aber schnell wieder den Posten räumte. Viele junge Autorinnen wie Charlotte Roche oder Forscherinnen halten Schwarzers Themen für nicht mehr aktuell, manche meinen, es sei Zeit abzutreten.

Schwarzer selbst in der Frankfurter Rundschau zu ihren Zielen:

Ich möchte, dass Emma so lebendig und aktuell bleibt, wie sie in ihrem 35. Jahr ist. Und ich hoffe, dass irgendwann auch in Deutschland jeder und jede begreift, dass Prostitution kein „Beruf wie jeder andere“ ist und dass es Männern peinlich ist, sich für ein paar Scheine den Körper und die Seele einer Frau zu kaufen, und Kölner Taxifahrern, mit einer Werbung fürs Pascha durch die Stadt zu fahren. Auch möchte ich den Musliminnen in Deutschland und der Welt beistehen, damit sie nicht von den Islamisten, die den Glauben für ihre Machtstrategien missbrauchen, zurück ins Mittelalter getrieben werden.

Die Gelegenheit nutzt Schwarzer auch gleich um gegen den neuen Feminismus zu wettern:

Muss der Feminismus heute nicht notwendig anders sein als früher? Braucht es nicht den von Ihnen gegeißelten „neuen Feminismus“?

Geißeln? So als wäre der Feminismus eine Sünde? Nein, ich erlaube mir lediglich, eine gewisse Variante des Feminismus zu kritisieren.

Nämlich welchen?

Den, der sich mit der eigenen Karriere begnügt. Es gibt Millionen Frauen in Deutschland und auf der Welt, denen es bedeutend schlechter geht als diesem Dutzend „neuer Feministinnen“ in den Medien – und die wollen wir doch nicht vergessen. Wir müssen auch den Feminismus nicht alle 30 Jahre neu erfinden. Der Kerngedanke – gleiche Chancen und Rechte sowie Pflichten für Frauen wie Männer – muss einfach angepasst werden an die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung.

Das Schwarzer und der „neue Feminismus“ nicht zusammenpassen ist recht klar – beide sind Dogmatikerinnen, die keine Abweichung von der jeweiligen Meinung dulden. Während Schwarzer eher an Beauvoir orientiert ist und insoweit noch einen tatsächlichen Kampf Männer gegen Frauen vor Augen hat, bei dem die Männer als Gruppe die Frauen unterdrücken ist dies bei dem neuen Feminismus nunmehr etwas weniger unmittelbar, Geschlechterrollen sind der Feind und Männer nur Nutznießer dieser. Während sich der „alte Feminismus“ auf den Geschlechterkampf konzentriert, sieht der neue Feminismus überall Normen, die zu einem bestimmten Verhalten führen und bekämpft werden müssen., wobei Selbstbestimmung der Opfer eine große Rolle spielt. Deswegen wird dort Schwarzers Kampf gegen den islamische Männlichkeit als Eingriff in fremde Kulturen gedeutet, während Schwarzer es als Ausbremsen des Kampfes gegen patriarchische Strukturen deutet. Deswegen kann Schwarzer Pornos nicht differenziert sehen, sondern nur als Machtmittel im Kampf Männer gegen Frauen, während Teile des neuen Feminismus eben betonen, dass es auch eine Selbstbestimmung in der Sexarbeit geben kann.

Auch wenn es die Mädchenmannschaft nicht einsehen wird: Ihre Seite ist in der allgemeinen Bevölkerung nicht bekannt, die von ihnen veranstalteten feministischen Konzerte, Demonstrationen und sonstigen Aktionen werden nicht wahrgenommen. Wenn jemand in einer Talkshow eine feministische Perspektive haben möchte, dann lädt er Schwarzer ein, weil ihre Bekanntheit sehr hoch ist. Andere Meinungen spielen in der öffentlichen Wahrnehmung quasi keine Rolle.

Weil Schwarzer ein Machtmensch ist, wird sie auch nicht daran arbeiten können, eine Frau als Nachfolgerin auszubauen. Nach ihr wird also ersteinmal ein Vakuum vorhanden sein.

Ich bin gespannt, ob man es füllen kann.