Kreativität, Schizophrenie und Gene

In einem Spiegelartikel geht es um die enge Grenze zwischen Kreativität und Schizophrenie:

Nach vielen Enttäuschungen präsentierte 2002 ein isländisches Forschungsteam um den ehemaligen Harvard-Neuropathologen Kári Stefánsson seine Ergebnisse zu einem Gen, das, so vermuteten die Forscher, in einem ursächlichen Zusammenhang zur Schizophrenie stehen müsse. Neuregulin 1 (NRG1) nennt es sich, es verfügt über Signalübertragungsfunktionen zwischen Zellen und ist für ihre Interaktion verantwortlich. Störungen der NRG1-Signalübertragung wurden von den Forschern fortan mit Schizophrenie in Verbindung gebracht, zumindest mit Aufmerksamkeitsstörungen. Die eigentliche Entdeckung folgte sieben Jahre später. Eine Studie der renommierten Semmelweis-Universität in Budapest zeigte in der Fachzeitschrift „Psychological Science“: Nicht nur für ein höheres Schizophrenierisiko sollte die Genvariante von Neuregulin 1 stehen, sondern auch für Kreativität.

Bestimmte Gene erhöhen also wohl das Risiko zum einen Schizophren, zum anderen aber auch besonders kreativ zu sein.

Bei der Hälfte der Europäer entdeckte der Neuropathologe eine Kopie des Gens, bei ungefähr 15 Prozent waren es zwei. Diese Menschen waren nicht nur anfälliger für Schizophrenie, sondern auch kreativer. Man fragte sie: Stellen Sie sich vor, von den Wolken würden Fäden bis zur Erde herabhängen. Was würde geschehen? Die Träger der beiden Gene beeindruckten mit deutlich originelleren und komplexeren Ideen. Anstelle von erwartbaren Antworten wie „Ich würde hochklettern und die Fäden dafür nutzen“ oder „Ich würde das Wetter ändern“ gingen die Antworten der Testpersonen mit der Genvariante in eine andere Richtung. „Ich würde eine Decke stricken, um die Erde zu bedecken und zu schützen“, sagte einer. Ein anderer: „Ich würde spezielles und frisches Wasser in eine Wolke injizieren, wenn die Wolken verschwänden, kämen die Leute durch die Fäden immer noch dran.“

Kreativität ist natürlich schwer zu messen und auch bei solchen Beispielen ist es schwer sie in eine „kreativere Reihenfolge“ zu bringen. Fäden, die aus Wolken hängen? Ich müßte wohl erst einmal mit der Unlogik der Situation kämpfen, aber wenn passend beschrieben wäre, dass man es einfach als Gedankenspiel sehen soll, dann würde es wohl gehen.

Verblüfft stellte Kéri fest, dass eine genetische Variante, die mit Schizophrenie assoziiert war, erstmals auch positive Eigenschaften besaß. Er übertrug den Gedanken auf das Prinzip der Evolution, denn bei einigen Menschen führte die Variante offenbar zur schizophrenen Gedankenflucht, zu Halluzinationen und Wahnideen, bei anderen setzte sie ein freieres Denken und ungewöhnliche Gedankenkombinationen in Gang. Was unterschied diese Menschen?

Kreative, darin sind sich die Forscher einig, denken assoziativer, weniger fokussiert, offener. Ihre Gehirne filtern weniger stark Wesentliches von Unwesentlichem und ähneln denen von Kranken – aber mit einem entscheidenden Unterschied. Was den Schizophrenen überschwemmt, wird vom Erfinder geordnet, zu sinnstiftenden Einheiten kombiniert, sein Gehirn „bündelt“.

Die Frage, wie stark man den „Vorfilter“ einstellt hätte insoweit Vorteile, was eine stärkere Fokussierung angeht, läßt aber im Bereich der Kreativität gleichzeitig aber auch einiges nicht durch, was vielleicht origineller ist.

Bei der Schizophrenie hingegen würde zuviel durchgelassen werden.

Evolutionstechnisch wäre damit Schizophrenie wieder besser erklärbar: Dass eine Genvariante bei einigen Trägern schädlich ist, führt nicht dazu, dass diese ausselektiert wird, wenn sie in anderen Trägern vorteilhaft ist. Ein Nachteil bei einem Verwandten kann durch Vorteile bei anderen Verwandten ausgeglichen werden.