Wie viele Ehen werden geschieden?

Immer wieder spielt in den Kommentaren die Frage eine Rolle, wie viele Ehen in Deutschland geschieden werden. Dabei wird gerne ein Bild gezeichnet, nachdem die Leute sich von Beziehungen und Ehe verabschieden, weil es sich für sie nicht mehr lohnt.

Hier einmal ein paar Zahlen aus der Wikipedia:

Die Scheidungsrate (Anglizismus, eigtl. Scheidungsquote) gibt das Verhältnis zwischen Ehescheidungen und Eheschließungen an. Man muss grundsätzlich zwischen zwei Berechnungsverfahren unterscheiden: 1. Man setzt sämtliche Eheschließungen und sämtliche Ehescheidungen in einem bestimmten Zeitraum ins Verhältnis oder 2. man setzt die in einem bestimmten Zeitraum geschlossenen Ehen und nur deren Scheidungen ins Verhältnis. Oft wird die Scheidungsrate als das Verhältnis aller im Beobachtungszeitraum (normalerweise ein Jahr) rechtskräftig geschiedenen Ehen zu den im selben Zeitraum geschlossenen Ehen angegeben. Eine theoretische Scheidungsrate von 100 % würde also bedeuten, dass exakt so viele Ehen im Beobachtungszeitraum geschieden wie neu geschlossen wurden.

Diese Scheidungsrate ist keine gute Abschätzung für das Risiko, dass eine im Berichtszeitraum geschlossene Ehe geschieden wird, da sie z. B. die Entwicklung der Eheschließungen nicht berücksichtigt. Für das Jahr 2003 erhält man nach dieser Definition in Deutschland eine Scheidungsrate von 213691 / 395992 = 54,0 %[1]. Aussagekräftiger kann die Scheidungsrate als der Anteil der im Berichtszeitraum geschlossenen Ehen berechnet werden, die bei gleich bleibender ehedauerspezifischer Scheidungshäufigkeit früher oder später geschieden werden [2].

Nach dieser Definition erhält man für das Jahr 2003 eine Scheidungsrate von 43,6 % in Westdeutschland und 37,1 % in Ostdeutschland [3]. Für Österreich betrug im Jahr 2003 diese Scheidungsrate 43,2 %[2]. Die Scheidungsrate hat in den westlichen Gesellschaften im 20. Jahrhundert stark zugenommen. Wie aus der Statistik des stat. Bundesamtes [4] (insbesondere Schaubild-1) ganz eindeutig hervorgeht, ist das Phänomen, dass in den 1950er Jahren die Scheidungsrate kontinuierlich sank, dann seit 1960 bis 1975 langsam anstieg, dann 1977/78 im Westen und 1990-93 im Osten einen Einbruch mit historischen Tiefstständen hatte. Weiterhin ist der Anstieg der 50-Jahre Trendlinie nur sehr gering: Der Rückgang der Scheidungsrate in den 1950ern wurde erst in den 1980ern durch den Trend wieder aufgeholt. Somit scheinen konjunkturelle und wirtschaftliche Gegebenheiten keine große Rolle zu spielen, sondern vielmehr juristische und politische Gegebenheiten: Der erste Einbruch fiel zusammen mit der Einführung des neuen Scheidungsrechtes, der zweite mit der Wiedervereinigung und somit der Abschaffung der liberalen Scheidungsfolge-Rechtsnormen des FGB zugunsten der weitgehenden Scheidungsfolgen des BGB.

Von 1950-2005 hat sich gemäß diesem Schaubild der „Anteil der Ehescheidungen an allen Ehelösungen“ von knapp unter 30 % auf ca. 38 % erhöht, d. h. eine sehr moderate mittlere Steigerungsrate. Jüngere Statistiken zeigen jedoch teilweise auch wieder rückläufige Scheidungsraten

Und aus der englischen Wikipedia:

The current marriage to current divorce ratio measures the divorce rate by comparing the number of marriages to the number of divorces in a given year.[1] For example, if there are 500 divorces and 1,000 marriages in a given year in a given area, the ratio would be one divorce for every two marriages. However, this measurement compares two unlike populations. Say there exists a community with 100,000 married couples, and very few people capable of marriage, for reasons such as age. If 1,000 people obtain divorces and 1,000 people get married in the same year, the ratio is one divorce for every marriage, which may lead people to think that the community’s relationships are extremely unstable, despite the number of married people not changing. This is also true in reverse: a community with very many people of marriageable age may have 10,000 marriages and 1,000 divorces, leading people to believe that it has very stable relationships.

The crude divorce rate is the number of divorces per 1,000 population.[1] It can give a general overview of marriage in an area, but it does not take people who cannot marry into account. For example, it would include young children who are clearly not of marriageable age in its sample. The refined divorce rate measures the number of divorces per 1,000 women married to men, and is the better of the three measurement methods

Zu der „crude divorce rate“ finden sich dort auch Zahlen: Danach hat Deutschland eine Rate von 2.3 Scheidungen pro 1.000 Einwohner. Zu der „refined divorce rate“ habe ich leider nichts gefunden. Wenn da einer Daten hat, dann würde es mich interessieren.

Auch interessant ist dieser Artikel:

Danach sind in dem Jahrgang 1977 bei einer Ehezeit von bis 25 Jahren ca. 30% der Ehen geschieden worden, also etwas weniger als ein Drittel.  Nach dem Artikel ist es allerdings nicht so, dass die Leute dann von Beziehungen oder der  Ehe genug haben. Sie haben vielmehr weiterhin Beziehungen und heiraten auch erneut. Die meisten Ehen scheitern in den ersten drei Jahren, danach sinkt das Risiko wieder.

Und in diesem Artikel zur Ehe heißt es:

Von den 21,1 Millionen Paaren in Deutschland waren 2006 88,5 Prozent verheiratet, ihr Anteil ging seit 1996 um vier Prozent zurück. Auch bei den Familien ist der Anteil der verheirateten Eltern seit 1996 von 95 auf 92 Prozent gesunken, ergab der Mikrozensus 2006. 9.681.000 Ehepaare lebten 2006 ohne Kinder. 6.476.000 Paare haben mindestens ein Kind unter 18 Jahren.[12][13] Das durchschnittliche Heiratsalter lediger deutscher Männer und Frauen stieg von 1991 bis 2008 stetig an: bei Männern von 28,5 auf 33,0[14] und bei Frauen von 26,1 auf 30,0 Jahre.

Und zu den Scheidungsfaktoren:

Das hohe Scheidungsniveau führt zu der Frage, warum so viele Ehen geschieden werden. Die Familiensoziologie hat sich in der jüngsten Vergangenheit verstärkt diesem Thema zugewandt und verschiedene Erklärungsansätze für die steigende Zahl der Scheidungen entwickelt. Das Zusammenleben von Paaren ist danach ein Prozess ständigen Gebens und Nehmens (Kommunikation, Emotionen, Solidarität, Sexualität, gegenseitige Hilfe in Notlagen), von dem beide Partner letztlich Vorteile haben müssen, wenn die Ehe Bestand haben soll. Da es kaum noch äußere Zwänge gibt, Ehen aufrecht zu erhalten, fällt den Partnern eine wichtige Rolle bei der Schaffung solcher stabilisierender Faktoren für eine Ehe zu. Eine große Bedeutung hat dabei insbesondere die Kommunikation zwischen den Partnern, da davon das Erkennen, Vermeiden und Lösen von Ehekonflikten abhängt.

Neben der Balance von Geben und Nehmen gibt es verschiedene äußere Faktoren, die Scheidungen begünstigen oder erschweren: Hat man auf der einen Seite gemeinsame Kinder und/oder gemeinsames Eigentum, sind Eltern oder Freunde gegen eine Scheidung, lebt das Paar in einer ländlichen Region, ist es religiös gebunden oder wird die Suche nach einem neuen Partner als schwierig angesehen, so fördert dies die Ehestabilität. Auf der anderen Seite erhöhen Faktoren wie eine frühe Eheschließung, ein großer Altersabstand zwischen den Partnern, geschiedene Eltern, materielle Unabhängigkeit der Ehefrau oder große Unterschiede in Bildung und Qualifikation die Wahrscheinlichkeit, dass eine Ehe scheitert.

Und zu der Lage auch ein Artikel in der Zeit:

Die Single-Haushalte erklären sich unter anderem dadurch, dass in Deutschland vergleichsweise wenig junge Erwachsene im »Hotel Mama« wohnen. Außerdem leben in Deutschland mehr alte Frauen allein, weil in der Kriegsgeneration die Männer fehlen. Die Zahl der Scheidungen steigt sehr langsam. Richtiger wäre es, zu sagen: Die Trennungszahlen sind seit Langem fast konstant – und das auf niedrigem Niveau. 1985 wurden 179.000 Ehen geschieden, im Jahr 2010 waren es 187.000. Die durchschnittliche Dauer einer Ehe vor der Scheidung stieg während der vergangenen zehn Jahre sogar, von elf auf vierzehn Jahre.

Drei Viertel aller Kinder wachsen mit beiden Eltern auf

Es gibt also keinen Bindungsüberdruss; keine Statistik belegt, dass immer mehr Menschen ihre Partner oder ganze Familien leichtfertig verlassen. Zwei von drei Ehen in Deutschland enden durch den Tod eines Partners, drei Viertel aller Kinder wachsen mit beiden Eltern auf. Die Wahrscheinlichkeit zu heiraten ist für Geschiedene sogar größer als für Singles – wer die Ehe erlebt hat, will offensichtlich nicht ohne sie sein. Dabei ist eine Bindung bis zum Tod in einer alternden Gesellschaft ein ehrgeizigeres Vorhaben als früher, nicht selten ein Projekt für vierzig oder fünfzig Jahre.

Hier sieht man, dass da einiges an Schreckgespenstern gezeichnet wird. Die meisten Ehen bleiben zusammen, die meisten Kinder wachsen mit ihren Eltern auf. Es mag viele Scheidungen geben, aber es gibt auch viele 2. Ehen.