Ein interessanter Artikel behandelt die „Flucht in die europäische Aktiengesellschaft„:
Die paritätische Mitbestimmung in Aufsichtsräten und die gesetzliche Frauenquoten lassen sich für ein Unternehmen umgehen, wenn sie ihre Rechtsform in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) umwandeln. Immer mehr deutsche Unternehmen tun einem Medienbericht zufolge genau das. Das ergibt sich aus einer Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe berichten.
Demnach gibt es aktuell 424 deutsche SE-Unternehmen, darunter 107 mit mehr als 2.000 Mitarbeitern. „Vier von fünf dieser großen SE vermeiden die paritätische Beteiligung im Aufsichtsrat“, wird die Studie zitiert. „Damit sind aktuell mehr als 300.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, die Tendenz ist seit Jahren steigend.“
Durch die Dax-Erweiterung auf 40 Mitglieder seien nun 14 SE-Konzerne im wichtigsten Börsenindex vertreten. Doch nur noch vier davon hätten noch einen paritätisch besetzen Aufsichtsrat: Allianz, BASF, E.ON und SAP. „Die meisten Unternehmen gehen den Schritt, um die Mitbestimmung in Aufsichtsräten zu umgehen“, sagte IMU-Experte Sebastian Sick. „Sie schließen damit zugleich die Anwendung der Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen aus.“
Ein nettes Schlupfloch. Mal sehen wie die EU darauf reagiert. Und es lässt sich ja auch leicht rechtfertigen: „Wir haben keine SE gewählt, weil wir die Paritätsvorschriften umgehen wollen, sondern weil wir betonen wollen, dass wir europäisch sind!“ Klingt doch wunderbar.
Seit 45 Jahren muss der Aufsichtsrat in deutschen Konzernen ab 501 beziehungsweise 2001 inländischen Mitarbeitern mit einem Drittel oder zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt sein – das versteht man unter einem paritätisch besetzen Aufsichtsrat. Bei Europäischen Aktiengesellschaften ist das anders: Dort ist die Mitbestimmung Verhandlungssache. Dieser Status werde oft zulasten der Beschäftigten festgeschrieben, egal ob das Unternehmen weiter wachse, sagte IMU-Experte Sick.
Da zeigt sich, dass eine Reglementierung auf eine Weise, die den Unternehmen nicht gefällt, nur dann Sinn macht, wenn diese ihr nicht ausweichen können. Ansonsten wäre man wahrscheinlich schlauer beraten die Anforderungen niedriger zu halten, da dann weniger Druck entsteht, diesen auszuweichen. Klingt aber natürlich politisch nicht so gut.
Wäre interessant wie aussichtsreich eine Änderung auf EU-Ebene ist. Das dürfte auch davon abhängen inwieweit in den anderen Ländern bereits Paritätsregeln bestehen.
Unter den großen SE-Unternehmen befänden sich allein 45 in Familienhand, wie zum Beispiel Sixt, die Schön Klinik, die KMG Kliniken und die IT-Gruppe Allgeier. Viele große Mitbestimmungsverweigerer kämen laut Sebastian Sick aus dem Gesundheitssektor, der Wohnungswirtschaft und von Personaldienstleistern.
Gerade Familienunternehmern wollen sich ungern reinreden lassen und eben aus dem Kreis der Familie, und damit einem wesentlich kleineren Kreis, die Personen aussuchen. Warum gerade der Gesundheitssektor, die Wohnungswirtschaft und die Personaldienstleister da auch verweigern ist sicherlich eine interessante Frage. Das Personalagenturen keine Mitarbeitermitbestimmung wollen kann ich sogar verstehen.
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