Elke Heidenreich zu Gendern und intersektionalen Theorien

Elke Heidenreich wurde interviewt und sagt interessantes: (via Arne)

Nach ihrem jüngsten Auftritt bei „Lanz“ wurde sie als Rassistin und „alte weiße Frau“ beschimpft. Doch Elke Heidenreich bleibt gelassen. Und sie legt in Sachen Gendern, Quote und Feminismus nach.

(…) WELT: Was trägt Ihrer Meinung nach dazu bei, dass der alte Konsens der Aufklärung – Stichwort: Meinungsfreiheit – unsere Wirklichkeit nicht mehr ausreichend greifen zu können scheint? Welche besonderen zeitgenössischen Dilemmata sehen Sie als jemand, der seit mehreren Jahrzehnten Teil des Literaturbetriebs ist?

Heidenreich: Alles scheint in einer Welle von Erregungskultur gerade in eine Art Gegenaufklärung zu kippen. Beispiele: Wieso sollen nur noch schwarze Autoren schwarze Autoren übersetzen dürfen? Wieso will man alte Bücher auf politische Korrektheit durchforsten und ändern? Wieso gilt sprachliches Gendern als fortschrittlich, obwohl es grammatikalisch katastrophal ist? Und die sozialen Medien mit ihren ungefilterten Hassausbrüchen tragen viel dazu bei, dass Diskussionskultur und Konsens verloren gehen.

Da ist es ganz erfrischend einfach mal jemanden zu hören, der das aufgreift, was in dem Bereich viele denken. Auch wenn ich vermute, dass sie sich mit den Theorien dahinter nicht groß beschäftigt hat.  Eine wirklich vertiefte Analyse, ein Interview mit jemanden, der in die Tiefe der Theorien geht, wäre aus meiner Sicht sehr interessant.

(…) WELT: Über das Gendern haben Sie neulich gesagt, das sei ein „verlogener Scheißdreck“, eine „Sprachverhunzung“, bei der Sie nicht mitmachen wollten. Was sagen Sie denen, die sich selbst als Betroffene sehen, denen diese Sprache persönlich wichtig ist?

Heidenreich: Wer sind denn da „Betroffene“? Im Englischgen gibt es teenager, singles, fans – für beide Geschlechter. Hat ein Mann ein Buch geschrieben, ist er ein Schriftsteller, hat eine Frau ein Buch geschrieben, ist sie eine Schriftstellerin. Rede ich von beiden, nenne ich beide. Aber welchen Sinn macht die Sprachverhunzung „Schriftsteller:innen“? Für mich: keinen.

WELT: Und was genau wird Ihrer Meinung nach verhunzt? Geht es Ihnen um den Klang, das Schriftbild, was genau?

Heidenreich: Alles. Diese Worte gibt es einfach nicht, das sind Konstrukte, die sich mit dem Stolpern beim Sprechen und beim Lesen so nicht durchsetzen werden, davon bin ich überzeugt.

Ja, davon bin ich auch zumindest für die „Normal gesprochene Sprache“ abseits irgendwelcher Politikerreden auch überzeugt. Es gibt keine wirklich zusätzlichen Informationen und macht das Zuhören und das Sprechen schwieriger.

WELT: Würden Sie sich selbst als Literaturkritiker bezeichnen oder als Literaturkritikerin? Oder protestieren, wenn Sie zum Beispiel bei einer Veranstaltung als eine Kritikerin unter Literaturkritiker:innen vorgestellt werden?

Heidenreich: Wenn ich unter Literaturktritiker:innen vorgestellt würde, käme mein Protest sofort, ja. Ich bin ein Mensch, der Literatur zu vermitteln versucht. Ich bin Literaturvermittler, von mir aus Literaturvermittlerin, aber ohne Sternchen oder Punkt vor der weiblichen Endung.

Das ist natürlich Transfeindlich, nach der Vorstellung in den Woken Theorien.

WELT: Inwiefern ist Ihre Ablehnung dem Gendern gegenüber auch Teil eines Generationsphänomens? Sie sind dieselbe Generation wie Alice Schwarzer, vielleicht haben Sie einfach schon andere Gleichberechtigungskämpfe geführt als sich über das Binnen-I zu streiten. Hätten Sie, sagen wir, mit Anfang 20 anders über diese Fragen nachgedacht?

Heidenreich: Wie kann ich das heute wissen! Ich habe einfach ein anderes Sprachgefühl, und alles in mir sträubt sich gegen die gegenderte Sprache, Intellekt, Gefühl, Spracherfahrung. Es grenzt ja auch wieder aus, es reduziert wieder auf männlich oder weiblich. Genau dazu habe ich keine Lust. (…) Das Gegendere trägt jedoch überhaupt nicht zur Gleichberechtigung bei, es ist im Gegenteil ein Rückschritt und reduziert das Denken wieder auf männlich und weiblich. Für mich ist Gendersprache nicht fortschrittlich, sondern reaktionär.

Noch dazu wird es ja auch nie genug sein. Nach dem Stern oder dem Doppelpunkt wird etwas neues kommen, was man dann als das noch bessere Signal darstellt.

WELT: Was folgt daraus? Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, Sie seien keine Feministin, „ich weiß nicht, was man darunter versteht“. Warum nicht?

Heidenreich: Weil ich Menschen liebe, egal, was und wie sie sind, schwarz, weiß, Mann, Frau oder irgendwas dazwischen. Erst mal zählt der Mensch. Und ein gewisser Respekt. Und dann sehen wir weiter, wie weit die Sympathie füreinander reicht. Verteufelt wird nicht. Und das Wort feministisch schließt aus. Ich finde eine totale Gleichberechtigung für ALLE Menschen derart selbstverständlich, dass mich jede Grüppchenbildung immer wieder irritiert. Darum bin ich auch weniger ein Freund der Quote als mehr der Qualifikation.

Was für eine schöne Aussage. Es betont das Individuum und fordert eine Abkehr davon, dass man eine Identitätspolitik betreibt. Sie macht auch deutlich, dass sie sich gegen eine Ergebnisgleichheit und für eine Chancengleichheit ausspricht.

WELT: Hadern Sie mit dem Begriff „feministisch“ an sich oder nur mit der Art, wie Feministinnen der jüngeren Generation ihn ausfüllen? In Ihrer Lese-Autobiografie beschäftigen Sie sich ja mit Autorinnen wie Sylvia Plath oder Susan Sontag, die sich nicht ausschließlich, aber doch auch als feministisch verstanden haben.

Heidenreich: So geht es mir doch auch: Ich bin durchaus feministisch, bin schließlich eine Frau und stehe auf der Seite meiner Geschlechtsgenossinnen. Aber ich bin nicht feministisch da, wo es um Ausgrenzung geht. Ich bin für absolute Gleichberechtigung und nicht für einen Vorrang von Frauen um jeden Preis. Also bin ich auch gegen die Quote und für Qualifikation.

Ein Feminismus, den man durchaus unterstützen kann.