Postfaktisch und Feminismus

Postfaktisch ist das „Wort des Jahres 2016“. Das Konzept dahinter bietet sich daher für eine Diskussion an:

Aus dem Wikipediaatrikel zu „postfaktischer Politik

Der Begriff postfaktische Politik bezeichnet ein politisches Denken und Handeln, bei dem Fakten nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Die Wahrheit einer Aussage tritt hinter den Effekt der Aussage auf die eigene Klientel zurück. In einem demokratischen Diskurs wird – nach dem Ideal der Aufklärung – über die zu ziehenden Schlussfolgerungen aus belegbaren Fakten gestritten. In einem postfaktischen Diskurs wird hingegen gelogen, abgelenkt oder verwässert – ohne dass dies entscheidende Relevanz für das Zielpublikum hätte. Entscheidend für die von postfaktischer Politik angesprochenen Wähler ist, ob die angebotenen Erklärungsmodelle eine Nähe zu deren Gefühlswelt haben.

Und dort auch zur Entstehungsgeschichte:

Im Jahr 2004 erschien das Buch The Post-Truth Era von Ralph Keyes. Post-truth wird häufig mit postfaktisch übersetzt. Populär wurde der Begriff im US-Präsidentschafts-Wahlkampf 2016 und im Brexit-Referendum 2016 in Großbritannien.  Oxford Dictionaries erklärte den Ausdruck post-truth zum internationalen Wort des Jahres 2016.

Und noch einmal aus der englischen Wikipedia zum Begriff „Post-Truth„:

A defining trait of post-truth politics is that campaigners continue to repeat their talking points, even if these are found to be untrue by the media or independent experts. For example, during campaigning for the British EU referendum campaign, Vote Leave made repeated use of the claim that EU membership cost £350 million a week. This figure, which ignored the UK rebate and other factors, was described as „potentially misleading“ by the UK Statistics Authority, as „not sensible“ by the Institute for Fiscal Studies, and was rejected in fact-checks by BBC News, Channel 4 News and Full Fact. Vote Leave nevertheless continued to use the figure as a centrepiece of their campaign until the day of the referendum, after which point they downplayed the pledge as having been an „example“.[22] Tory MP and Leave campaigner Sarah Wollaston, who left the group in protest during its campaign, criticised its „post-truth politics“.

Michael Deacon, parliamentary sketchwriter for The Daily Telegraph, summarised the core message of post-truth politics as „Facts are negative. Facts are pessimistic. Facts are unpatriotic.“ He added that post-truth politics can also include a claimed rejection of partisanship and negative campaigning. In this context, campaigners can push a utopian „positive campaign“ to which rebuttals can be dismissed as smears and scaremongering and opposition as partisan.

In its most extreme mode, post-truth politics can make use of conspiracism. Fact-based criticism of a campaign is attributed to a powerful enemy – such as the Establishment, Zionists, or the mainstream media – which is supposedly seeking to discredit it, and this in turn drives voters away from these information sources. In this form of post-truth politics, false rumors (such as the „birther“ or „Muslim“ conspiracy theories about President Obama) become major news topics.

Schaut man sich diese Definitionen an, dass fallen einem aus der Geschlechterdebatte eine Vielzahl von „postfaktischen Standpunkten auf:

Theoretisch ist ein Großteil der feministischen Theorie postfaktisch, weswegen man dort auch erhebliche Filterblasen einrichten muss und Hinweise auf Fakten als Angriff sieht.

Auch dort haben die angebotenen Erklärungsmodelle wie etwa das Patriarchat eine Nähe zu der Gefühlswelt der Feministen, die gerne gegen eine Unterdrückung der Frau kämpfen wollen, die es so gar nicht gibt.

Natürlich gibt es da auch im Maskulismus: Dort wird auch gerne die große feministische Verschwörung („Staatsfeminismus“) behauptet, nach der für alle nicht genehmen Entscheidungen zB eines Familiengerichts Feministen verantwortlich sind.

Allerdings bietet sich der Vorwurf natürlich auch für Abwertungen an: Es kann einfach behauptet werden, dass der andere „Postfaktisch“ ist, man muss dazu nur die Fakten, die für dessen Position sprechen und die Gegenargumente gegen die eigene Position ausblenden. So kann man sich gegenseitig vorwerfen, dass der jeweils andere den Aluhut auf hat.

Warum wirkt das ganze? Weil unser Gehirn gerne zu einem Selbsttäuschung bereit ist, wenn dies evolutionäre Vorteile bringt. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn wichtige Leute oder gar der ganze Stamm bestimmte Überzeugungen haben und einem Nachteile in der Interaktion mit diesen besteht, wenn man diese nicht teilt. Das dürfte uns auch empfindlich für Religion machen, weil diese eine Form des Tabus behandelt, eben ein Zweifeln an einem bestimmten Glauben. Der evolutionäre Schutz gegen zu unlogische Ideologien dürfte darin gelegen haben, dass bestimmte Kosten oder Gefahren die Durchsetzung eines entsprechenden Tabus schwierig machten.

Das Gehirn ist nicht per se darauf angelegt, die Wahrheit zu ermitteln. Es ist darauf angelegt, Gene in die nächste Generation zu geben. Das kann durch zu viel Hinterfragung gefährdet sein. Da wir Entscheidungen oft unterbewußt treffen, nach einem „Bauchgefühl“, kann es weitaus wichtiger sein, die Gefühlsebene anzusprechen als Fakten zu präsentieren, die sich in ein bestehendes Bild nicht integrieren lassen und daher ihrerseits skeptisch gesehen werden.

 

„Preference Cascade“, „Preference Falsifikation“ bzw. die Prägung durch in der Gruppe akzeptierte Meinungen

Gestern las ich im Rahmen des „Brexit“ etwas über eine „Preference Cascade“, diesen finde ich durchaus interessant.

Dazu zB diese Stelle:

What’s a “preference cascade?”It’s people who believed they were alone in their beliefs who suddenly find out that they are part of a much larger group. It’s human nature to not want to be an oddball. It’s human nature not to want to be a one-man revolution. It’s when you find out that most of the people around you share your views that revolutions are made.
Es hat also etwas von dem Effekt, dass man bemerkt, dass „der Kaiser nackt ist“. Wobei es eben nicht der Hinweis eines Einzelnen ist, der die Menge aufweckt, sondern eher der Effekt, dass man merkt, dass alle anderen auch eine Meinung haben, die man sich vorher nicht zu trauen gesagt hat, weil man sie für problematisch hielt. Es ist also in gewisser Weise der „Stärke in der Gruppe“-Effekt, aber auch der Effekt, dass viele sich erst dann trauen, zu einer Idee zu stehen, wenn sie merken, dass man dies darf.
Es geht also darum, dass wir als „Gruppentiere“ Angst haben uns ohne Mitstreiter zu einer unpopulären Idee zu bekennen.
In dem oben verlinkten Beitrag kommt noch etwas interessantes zu Revolutionen und der Tea Party in Amerika:
It’s perfectly illustrated by a post by Glenn Reynolds explaining how revolutions seem to appear out of nowhere.
“This illustrates, in a mild way, the reason why totalitarian regimes collapse so suddenly. (Click here for a more complex analysis of this and related issues). Such regimes have little legitimacy, but they spend a lot of effort making sure that citizens don’t realize the extent to which their fellow-citizens dislike the regime. If the secret police and the censors are doing their job, 99% of the populace can hate the regime and be ready to revolt against it – but no revolt will occur because no one realizes that everyone else feels the same way.
This works until something breaks the spell, and the discontented realize that their feelings are widely shared, at which point the collapse of the regime may seem very sudden to outside observers – or even to the citizens themselves. Claims after the fact that many people who seemed like loyal apparatchiks really loathed the regime are often self-serving, of course. But they’re also often true: Even if one loathes the regime, few people have the force of will to stage one-man revolutions, and when preferences are sufficiently falsified, each dissident may feel that he or she is the only one, or at least part of a minority too small to make any difference.”
It also illustrates why the Tea Party movement occurred when it did. Certainly, trillion dollar deficits as far as the eye can see had something to do with it. Certainly collapsing home prices had something to do with it. Certainly ObamaCare with its government take-over of health care had something to do with it. Certainly staggering unemployment unchecked by those trillions the government wasted had something to do with it. Certainly promises of tax hikes had something to do with it. But this “perfect storm” was accompanied by the internet revolution which did away with the MSM as the gatekeeper of news and opinion. The internet enable Americans to realize the extent to which their fellow-citizens dislike the regime.
For the first time, people were not dependent on the MSM’s control of the narrative; they were able to create their own “people’s narrative” even as the NY Times, Washington Post, the alphabet networks and the local dailies still shilled for the Obama regime. And like the people in Cairo and Damascus, they found that their ideas were not solitary ones. They found that their friends and neighbors thought exactly the same thing that they did and they turned out in the streets for the first time ever – a Conservative street demonstration. It was unheard of ….revolutionary.
Eine solche Entwicklung könnte aus meiner Sicht durchaus zum Brexit und dem gegenwärtigen Ruck hin zu AfD und anderen eher rechtlastigen Parteien geführt haben: Die Leute hatten das Gefühl, das ihre Meinung nicht mehr gehört wird und sie haben in diesen Parteien ein Umfeld gefunden, in dem sie sie plötzlich ausdrücken konnten. Gerade das Gefühl, dass auf diese Weise der Druck wegfiel, der durch hohe politische Korrektheit erreichtet worden war, bei der man bloß nichts falsches sagen durfte, mag dann den Effekt verursacht haben.
Der eigentlich Grund warum ich diesen Begriff interessant finde ist aber eher die Feminismuskritik. Es macht aus meiner Sicht noch einmal deutlich, warum man zum einen Kristalisationspunkte braucht und zum anderen auch eine gewisse Öffentlichkeit  haben muss: Nur dann, wenn Leute Gruppen bilden können, in denen es vollkommen okay ist, radikalen Feminismus blöd finden zu können, kann ein solcher Effekt sich entwickeln, dass irgendwann die Idee der Kritik am radikalen Feminismus zulässig, da vernünftig wird.
Der etwas allgemeinere Effekt scheint auch allgemeiner unter „Preference falsification“ zu laufen, wobei es dabei darum geht, dass wir unsere Meinung an das Anpassen, was sozial akzeptiert ist.
Preference falsification
In articulating preferences, individuals frequently tailor their choices to what appears socially acceptable. In other words, they convey preferences that differ from what they genuinely want. Kuran calls the resulting misrepresentation “preference falsification.” In his 1995 book, Private Truths, Public Lies, he argues that the phenomenon is ubiquitous and that it has huge social and political consequences. These consequences all hinge on interdependencies between individual decisions as to what preference to convey publicly. A person who hides his discontent about a fashion, policy, or political regime makes it harder for others to express discontent.

One socially significant consequence of preference falsification is thus widespread public support for social options that would be rejected decisively in a vote taken by secret ballot. Privately unpopular policies may be retained indefinitely as people reproduce conformist social pressures through individual acts of preference falsification.

In falsifying preferences, people hide the knowledge on which it rests. In the process, they distort, corrupt, and impoverish the knowledge in the public domain. They make it harder for others to become informed about the drawbacks of existing arrangements and the merits of their alternatives. Another consequence of preference falsification is thus widespread ignorance about the advantages of change. Over long periods, preference falsification can dampen a community’s capacity to want change by bringing about intellectual narrowness and ossification.

The first of these consequences is driven by people’s need for social approval, the second by their reliance on each other for information.

Kuran has applied these observations to a range of contexts. He has used the theory developed in Private Truths, Public Lies to explain why major political revolutions catch us by surprise, how ethnic tensions can feed on themselves, why India’s caste system has been a powerful social force for millennia, and why minor risks sometimes generate mass hysteria.[4]

Der Feminismus scheint mir durchaus mit diesen Methoden zu arbeiten, da er stark darauf setzt, dass jeder, der vom Feminismus abweicht, als Frauenfeind dargestellt wird und jedes entgegenstehendes Wissen bekämpft wird.

Das Ausblenden der Unlogik im radikalen Feminismus als Costly Signal

Fefe hat einen interessanten Ansatz dargestellt, warum eine Ideologie mit einer starken Identitätspolitik schnell ins Extreme abdriftet.  Er nimmt dabei auf diesen Artikel hier Bezug.

Die wesentliche These ist, dass man extremer werden muss, wenn man in solch einer Ideologie die Gruppenzugehörigkeit demonstrieren will, weil man seine Loyalität mit normalen Verhalten nicht hinreichend darstellen kann.

Fefe dazu:

Dann geht die Argumentation weiter über Vergewaltigungsfälle. Von denen Fällen, die in den Medien groß aufgebauscht wurden, weil Feministen aufsprangen und die Story viral machten, haben sich krass überproportional viele als falsche Anschuldigungen herausgestellt. Feministen greifen sich also extra die am offensichtlichsten schwachen Fälle raus und springen auf die auf, um ihre These zu verbreiten, dass es egal ist, wie schwach der Fall aussieht, wichtig ist nur, dass das Opfer sich als Opfer wahrnimmt. Der Effekt ist wie bei PETA. Viel Kontroverse und am Ende haben die Feministen ihren Thesen mehr Schaden zugefügt als neue Anhänger gewonnen. Warum machen die Feministen das?

Seine These ist, dass Menschen ihre Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen signalisieren wollen. Dazu gehört, die moralischen Werte der Gruppe zu vertreten. Wenn man jetzt den moralischen Wert „Tiere sollten gut behandelt werden“ bei einem Fall von offensichtlicher Tierquälerei vertritt, dann gucken sich die Passanten das an und sagen: ja, klarer Fall von Tierquälerei, das muss beendet werden. Als Signal für die Gruppenzugehörigkeit eignet sich das daher nicht. Wenn du dich allerdings aus dem Fenster lehnst und die moralischen Werte in völlig überzogenen Fällen vertrittst, dann schreckst du damit zwar Außenstehende ab, aber um die ging es ja auch gar nicht. Es ging darum, innerhalb der Gruppe zu signalisieren, dass du so moralisch gefestigt bist, dass du die Prinzipien der Gruppe auch in unter Selbstaufgabe und Inkaufnahme von Schaden für den eigenen Ruf auf völlig abwegige Fälle anwendest.

Damit wäre etwas flapsig ausgedrückt Idiotie hier eine Costly Signal (ja, mal wieder)  für die eigene Verbundenheit mit der Gruppe. Man übertreibt die Verteidigung der Gruppenwerte so weit, dass es einen dumm dastehen lässt, weigert sich aber das wahrzunehmen, weil man es als Einstehen für die Gruppenwerte darstellt.

Das finde ich eine interessante Theorie: Danach brauchen Feministen letztendlich einen übermächtigen Feind gegen den sie sich stemmen können und müssen lächerlich wirkenden Benachteiligungen aufzeigen, weil sie nur so deutlich machen, dass sie die Gruppeninteressen tatsächlich ernst nehmen. Wie ich hier bereits einmal dargestellt habe entsteht dadurch etwas, was man in der Spieltheorie ein Prisoners Dilemma in der Form des“Race to the bottom“ also ein „Abwärtswettlauf“ nennt. Ich schrieb damals:

Im Privilegienfeminismus geht es darum, sich mit dem Opferstatus weitestgehend zu identifizieren und immer weitere Privilegien der anderen Gruppe zu entdecken. Da derjenige das Spiel gewinnt, der immer weitere Privilegien aufdeckt und Benachteiligungen ausmacht wird sich beständig unterboten, bis schließlich die normalsten Punkte – sich küssenden Heterosexuelle oder Babies – Privilegien und damit auch gleichzeitig Benachteiligungen sind.

Ein Ausbruch wäre damit nur dann möglich, wenn innerhalb des Feminismus “kooperiert” wird und man sich auf eine Untergrenze einigt. Das ist allerdings in einem so fließenden Bereich und aufgrund des Gewinnes für den Einzelnen, der eine neue Benachteiligung darlegen kann nicht zu erwarten.

Der Feminismus befindet sich insoweit bezüglich seiner Privilegientheorien in der derzeitigen Form in einem klassischen Prisoners Dilemma.

Fefe schreibt weiter:

Man könnte also im übertragenen Sinne davon sprechen, dass man sich über solche Klogriffe als Märtyrer inszeniert. Märtyrern geht es ja auch nicht darum, den Gegner umzustimmen, sondern innerhalb der eigenen Gruppe Ansehen zu gewinnen. Und die Gruppe hat einen Anreiz, Märtyrer zu feiern, weil das den anderen gegenüber die Botschaft festigt, dass ihr eigenes Verhalten noch nicht weit genug geht (in unklaren Situationen sind Menschen immer versucht, ihre eigene Position in der Mitte des Spektrums zu suchen, und Märyrer treiben das Aktivismus-Extrem des Spektrums weiter nach außen, was auch die Mitte verschiebt).

Das Money Quote dazu ist:

In the same way, publicizing how strongly you believe an accusation that is obviously true signals nothing. Even hard-core anti-feminists would believe a rape accusation that was caught on video. A moral action that can be taken just as well by an outgroup member as an ingroup member is crappy signaling and crappy identity politics. If you want to signal how strongly you believe in taking victims seriously, you talk about it in the context of the least credible case you can find.

Das mit den Märtyrern steht nicht bei Slate Star Codex, das habe ich extrapoliert, das ist meine Deutung.

Innerhalb dieses Systems folgt es also durchaus einer inneren Logik, dass Feministinnen auch dann, wenn sonst jeder davon ausgeht, dass der Fall deutlich widerlegt ist oder zumindest sehr plausible Zweifel an der Tatschilderung bestehen, ein „#IStandwith…“ Hashtag herausgeben. Es erklärt auch, warum man in deren Welt Erzählmirnix eindeutig ablehnen muss: Wenn sie in einem Bereich gegen die Regeln verstößt, etwa weil sie sagt, dass Fett gesundheitschädlich ist, dann kann man mit ihrer Ablehnung auch wenn sie eigentlich recht hat und das durch Studien belegt eben zeigen, dass man auch an dieser unlogischen Position festhält. Ist man erst einmal in dieser Scheinlogik gefangen, in der es um Anerkennung innerhalb der Gruppe geht, dann ist das anerkennen irrationaler Positionen und die fehlende Bereitschaft sie zu hinterfragen plötzlich etwas gutes, ebenso wie das Ablehnen aller Andersdenkenden. Wer mehr Ungläubige geblockt hat, der zeigt nur wie sehr er solche Abweichler hast. Religionen bauen insofern auf einem ähnlichen Prinzip auf, weswegen ich auch dort schon einmal angeführt habe, dass der Glaube an dortige besonders aberwitzige Konzepte gerade besonders die Hingabe betonen können. Poststrukturalismus eignet sich insofern besonders für solche Identitätspolitik, weil man hier nahezu die gesamte Wirklichkeit ignorieren kann – sie ist eben nur konstruiert. Deren Irrationalität wird auf diese Weise von einem Nachteil zum Feature – nur wahre Gläubige können sich hier hineindenken und sich damit würdig erweisen.

Fefe weiter:

Nun, was kann man dagegen tun? Nicht viel. Man kann die Gegenseite nach rationalen Argumenten fragen, aber die gibt es natürlich nicht. Das war ja gerade der Punkt. Wenn es rationale Argumente gäbe, hätte sich derjenige einen anderen Fall für das Signalisieren der eigenen moralischen Überlegenheit gesucht.

Aus einer solchen Konstruktion auszubrechen kann in der Tat schwierig sein – den Kaiser in Kleidern zu sehen zeigt ja nur die Liebe zum Kaiser. Die rationalen Gegenargumente aufzuzeigen wird allerdings bewirken, dass der Einstieg in das Spiel schwieriger ist, weil gleich Zweifel verbleiben, über die man sich erst selbst belügen muss. Und es führt dazu, dass die „Schwachen“ (also die nicht so gläubigen und rational Denkenden) ausgesiebt werden und demnach die Ideologie zunächst radikaler wird. Ein Prozess der so aus meiner Sicht im Feminismus bereits begonnen hat.

Bericht eines Mannes aus den Genderstudies (via Genderama)

Bei Arne ist ein interessanter Bericht eines Mannes aus den Gender Studies erschienen:

Zu Anfang fühlte ich mich nicht besonders unwohl, trotz dem – nennen wir es in Ermangelung eines besseren Wortes – Argwohn der Frauenmehrheit in den entsprechenden Kursen. Das Ganze änderte sich, als ich anfing, bei einschlägigen Themen um Details nachzufragen. Wenn z.B. in einer Übung eine Kommilitonin – nicht selten mit offener Bewunderung – einen Text von Andrea Dworkin oder Susan Brownmiller o.ä. zur Besprechung ausgewählt hatte

Würde mich interessieren, welchen Stellenwert diese Autoren da noch haben.

und von der Vergewaltigung als patriarchalem Mittel der systematischen Frauenunterdrückung redete, lautete z.B. meine Frage, was die entsprechenden Autorinnen unter ’systematisch‘ verstanden. Ich habe nicht getrollt, es war eine ehrliche wenn auch im Nachhinein naive Frage nach dem Systembegriff, weil es in den Sozialwissenschaften mehrere davon gibt und ohne dessen Definition sich die These unabhängig von Zustimmung oder Ablehnung dazu nicht verstehen/erörtern liesse.

Die Antwort war meist eine unwirsch formulierte Ausflucht und entgeisterte Blicke von Kommilitoninnen und der Dozentin gleichermassen.

Das wäre ja schon eine ziemliche Entfernung von wissenschaftlichen Vorgehensweisen, aber durchaus zu erwarten. Wäre interessant, ob es da Bemühungen gibt, dass zu definieren und dann entsprechend nachzuweisen.

Das Klima wurde kälter. Klar sind es nicht immer die gleichen Leute in den Veranstaltungen, aber bei einem relativ kleinen Fachbereich überschneiden sich die Studienwege halt öfter. (Um fair zu sein, es gab auch jeweils einige Frauen, welche im freien Kreditpunktebereich Veranstaltungen besuchten, also nicht zu dem sich schnell gebildet habenden ideologischen Kern gehörten, deren Verdutztheit in solchen Situationen nicht zu Übersehen war).

Also einige normalere Studenten und ein ideologischer Kern, den es eben gar nicht auf die Begründung ankam, sondern die vollauf damit zufrieden waren, dass vorauszusetzen, wenn ich es richtig verstehe

Immer öfter beobachtete ich die beschriebene Situation, in der selbst grundsätzliche Fragen offen blieben und gar nicht erst das Interesse nach Klärung bestand. Es frustrierte mich so dermassen, dass in diesem Fach nicht das gelebt wurde, was ich in den anderen zwei als wissenschaftliche Grundregeln kennengelernt hatte.

Ich schien einfach nur der Störfaktor zu sein in einer quasi-religiösen Gemeinschaft, deren Veranstaltungen mit der Zeit eher wie esoterisch angehauchte Selbshilfegruppen auf mich wirkten.

Da liegt er glaube ich nicht so daneben.

Als ich dann auch noch – und ich möchte betonen, nicht in einer feindseligen Art und Weise – immer öfter den „Was-ist-mit-den-Männern?“-Aspekt in die Diskussion einbrachte, wurde mir klargemacht, dass diese Fragen nicht erwünscht seien. Mal über passiv-aggressive Zurechtweisungen im Untericht selber, mal über rhetorische Spitzen, wenn man sich zufällig über den Weg lief.

Das ist so ziemlich das Bild, welches man erwartet.

„Gaslighting“ und die Weigerung Fakten überhaupt zu prüfen

Ein beliebtes Gegenargument im Feminismus ist der Vorwurf, man würde sogenanntes „Gaslighting“ betreiben.

Der Begriff ist an ein Theaterstück angelehnt, in dem ein Mann heimlich Schätze im Keller des Hauses sucht und dabei Gaslichter im Keller anzündet. Dadurch kommt es zu einem leichten Dimmen der sonstigen Lichter im Haus, welches der Frau, vor der Mann dies geheim hält, abtut und sie so darstellt, als würde sie sich das alles nur einbilden, sie sei verrückt.

Es beschreibt danach den Versuch jemanden einzureden, dass er sich etwas nur einbildet um diesen dazu zu bringen, seine eigene Wahrnehmung in Zweifel zu ziehen.

Aus der englischen Wikipedia:

Gaslighting or gas-lighting is a form of mental abuse in which information is twisted or spun, selectively omitted to favor the abuser, or false information is presented with the intent of making victims doubt their own memory, perception, and sanity.[1][2] Instances may range simply from thedenial by an abuser

Ein anderes Beispiel findet sich hier:

Gas lighting ist eine Art psychologische Kriegsführung, die beabsichtigt ist, und sich mit der Zeit steigert. Menschen, die Gas lighting betreiben, beginnen mit subtiler psychologischer Kriegsführung, um das Selbstbewusstsein des Opfers zu vermindern, um dessen Sinn für die Realität durcheinander zu bringen, und um es an sich selbst zweifeln zu lassen. Sie wollen das Opfer erst klein machen, bevor sie die direkteren Attacken starten. So ist das Opfer geschwächt, weniger in der Lage zu erkennen, was vor sich geht, und kann sich deshalb nicht schützen.

Es kann zum Beispiel sein, dass du etwas erwähnst, was der Psychopath gesagt hat, und dieser streitet ab, es jemals gesagt zu haben. Oder du kannst dein Portemonnaie nicht finden, und der Psychopath hilft dir beim Suchen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass es im Kühlschrank gelegen hat. Der Psychopath lacht und umarmt dich liebevoll. Dabei sagt er dir, dass du ziemlich gestresst sein musst. Dann, eine oder zwei Wochen später, suchst du deinen Autoschlüssel, und bist dir sicher, dass du ihn auf den Computertisch gelegt hast, weil du ihn immer dorthin legst. Nach schier unendlich langer Suche findest du ihn: Er steckte die ganze Zeit über im Zündschloss deines Autos. Der Psychopath ruft aus: „Meine Güte, jemand hätte den Wagen direkt von der Auffahrt stehlen können! Und alles nur wegen deiner Unvorsichtigkeit und Vergesslichkeit!“ Du kratzt dich am Kopf und denkstHhhmm, vielleicht werde ich vergesslich. Denn es muss ja an dir liegen, oder? Wer würde jemals jemanden, der einem seine Liebe bekräftigt, verdächtigen, einem diese Dinge mit Absicht anzutun? Psychopathen sind Meister des Gas lighting.

Die Figur an sich ist natürlich durchaus real und ein guter Hinweis darauf, dass unser Gehirn eben nicht schlicht rational arbeitet, sondern schlicht eine „Fehlerkontrolle“ über die allgemeine soziale Wahrnehmung vornimmt, die ihrerseits Möglichkeiten der Manipulation eröffnet. Und gerade Psychopathen können dies ausnutzen, aber auch andere Personen nutzen entsprechendes, von Partnern, die eine Affaire haben („Was du wieder denkst, es ist ganz normal mit einem Kollegen/einer Kollegin etwas essen zu gehen / Ich arbeite lang, um uns das alles zu ermöglichen und du verdächtigst mich, dich zu betrügen“)

„Gaslighting“ (kennt jemand ein deutsches Wort?) ist aber auch ungekehrt möglich, quasi „reverse Gaslighting“ und dürfte in dann eines der Lieblingsargumente aller Verschwörungstheoretiker sein:

„Die WOLLEN, dass wir denken, wir hätten uns geirrt, das ist ja gerade der BEWEIS dafür, dass sie hinter allem stecken. Ihr SEHT nur nicht, wie sie uns täuschen. Aber ich durchschaue es“

Ich würde sogar vermuten, dass eine gehäufte Verwendung des Gaslighting-Arguments heutzutage, insbesondere bezogen auf ein Thema an sich und nicht auf eine bestimmte Person, ein Zeichen dafür ist, dass es sich um eine Verschwörungstheorie handelt und man bei den Fakten besonders vorsichtig sein sollte.

Insofern steht es allerdings in einer gewissen Verbindung zu einer „Moralischen Panik„, bei der bestimmte Anzeichen übertrieben werden und bezüglich der Faktoren, die eigentlich  ein realistischeres Bild abgegeben würden eine Form von „Gaslighting“ betrieben wird. Deswegen bietet es sich an, weil es bei moralischen Paniken ja gerade darum geht, bestimmte Anzeichen zu übertreiben und selektiv in das Blickfeld zu rücken und die Folgen zu übertragen, hier bei allen Versuchen die moralische Panik als solche darzustellen, den Vorwurf des Gaslighting zu erheben:

Er will eben die eindeutigen Zeichen und ihre Zusammenhänge, die man ermittelt hat, kleinreden und durch Ablenkungen („Derailing“) und blöde „Fakten“ (die entweder von der Regierung, dem Patriarchat oder dem Staatsfeminismus gefälscht worden sind) die eindeutigen Anzeichen dafür, dass die moralische Panik gerechtfertigt ist, unter den Tisch kehren.

Es verwundert demnach nicht, dass dieser Vorwurf gerade bei stark emotional besetzen Themen, die von ideologisierten Gruppen diskutiert werden, eine große Rolle spielt.

„Gaslighting“ ist das perfekte Gegenargument für alle, die nur eine schwache Faktenbasis haben oder sich zumindest mit diesen nicht wirklich auseinandersetzen wollen, selbst wenn sie bestehen würde, sondern Emotionalität und Gefühle in den Vordergrund setzen wollen bzw. ein Tabu um ihre Position herum errichtet haben, dass eine Diskussion verbietet.

„Umgedrehtes Gaslighting“ ist daher auch in der Geschlechterdebatte sehr beliebt und natürlich gerade in einer mit schwacher Faktenlage ausgestatteten Ideologie wie dem poststrukturalistischen Feminismus stark verbreitet.

Das Gegenmittel muss sein, sich die Fakten tatsächlich anzuschauen und eigene Argumente und Studien dagegen zu stellen. Wer seine Position in einem abstrakten Thema nicht mit Argumenten und Studien belegen kann und sich auf „Umgekehrtes Gaslighting“ zurückziehen muss, der hat eben schlicht eine schwache Position und sollte diese überdenken bzw. sich die Grundlagen und Belege bewußt machen, auf die diese Meinung und die Gegenmeinung sich stützen können und diese bewerten.

(Was allerdings meist durch die dann offensichtlich werdenden „versunkenen Kosten“ verhindert wird)

Axiomische Überlegungen, die als Ausgangspunkt nicht mehr hinterfragt werden

Maddes8cht schreibt:

Die axiomatische behauptung des frauenverachtenden Patriarchats wird an den Anfang aller überlegungen gesetzt und alles weitere daraus abgeleitet. Das hat alles dann eine gewisse “Logik”, wenn man die Anfangsüberlegung axiomatisch voraussetzt.

Daher führt es auch zu nichts, unter solchen Voraussetzungen mit jemandem zu diskutieren, um das axiom in Frage zu stellen. In einem Logiksystem, in dem eine Aussage das Anfangsaxiom verletzt, diskreditiert sich folgerichtig die Aussage, die dem Axiom widerspricht.
Ganz Logisch, Beweis durch Widerspruch: Aussage widerspricht dem Ausgangsaxiom => Aussage ist Unfug. qed.

Das scheint mir ein Problem vieler radikaler ideologischer Ansätze zu sein: Sie errichten Tabus um ihre Grundthesen, die dann nicht mehr hinterfragbar sind. Gespräche über diese werden dann üblicherweise abgeblockt und es soll nur noch über die Folgen daraus diskutiert werden.

Um das abzusichern gibt es verschiedenste Strategien: Beispielsweise wird im Feminismus ein Kritisieren der Grundlagen gerne als „Derailing“ angesehen oder angeführt, dass man sich eben erst einmal Grundlagen anlesen solle, man habe keine Zeit diese allen neuen zu erklären.

Zur Absicherung dieser Grundlagen, die man eigentlich nicht beweisen kann, die aber gleichzeitig der Grundbaustein sind, wird dann gerne auf nebelhafte Begriffe wie „Patriarchat“ „patriarachale Strukturen“ oder „Rape Culture“ ausgewichen, die man dann einfach voraussetzt oder die weit genug sind, um damit alles begründen zu können. Gerne wird es auch hinter nebelhaften Fachbegriffen und komplizierter Sprache versteckt, wie bei Butler.

Das ist natürlich nicht auf den Feminismus beschränkt, Elmar beispielsweise macht mit seinem „nichtreduzierbaren Pysikalismus“ und dessen angeblicher Unvereinbarkeit mit einem „Biologismus“ genau das Gleiche: Er hat entschieden, dass diese Begründung irgendwie gegen Biologie und deren Einfluss auf menschliches Verhalten sprechen muss, kann aber auf Nachfrage nicht erklären, warum dies der Fall ist, kann die gängigsten Fälle aus dem Bereich nicht erklären, und verfällt in dem Versuch ein Tabu zu errichten in Aggression.

Das ist davon abzugrenzen, dass man von etwas überzeugt ist und bereit ist die Grundlagen darzulegen, ebenso wie die Argumente dafür und darüber zu diskutieren. Eine Überzeugung zu haben und darauf aufzubauen ist nicht zu beanstanden, solange man deren Grundlagen nicht tabuisiert.