Leitfaden zum feministischen Sprachhandeln – Professx, Studierix und Co.

Der Leitfaden für feministisches Sprechhandeln ist ja schon durch diverse Blogs gegangen. Hier noch einmal die wesentliche Überblicksgrafik:

Feminismus Sprache Anreden

Feminismus Sprache Anreden

Weitere Ausführungen dazu gibt es hier (oder als PDF).

In einem Interview mit dem Spiegel führt Lann Hornscheidt, einer der Ersteller des Leitfadens, dazu aus:

SPIEGEL ONLINE: Sie haben zusammen mit Ihrer AG einen Leitfaden verfasst, in dem es um geschlechtergerechte Sprache geht (hier als PDF). Als ich studiert habe, kam gerade der Gender-Unterstrich in Mode wie in Student_in, dann gab es den dynamischen Unterstrich, der irgendwo im Wort auftaucht wie in Stu_dentin. Sie schlagen jetzt unter anderem die X-Form vor – Studierx. Warum?

Hornscheidt: Alle anderen Sprachformen wie das Binnen-I in StudentInnen oder der Unterstrich in Student_innen sagen Folgendes: Es gibt Frauen und Männer und dazwischen vielleicht noch ein paar andere Leute. Die X-Form sagt erst mal nur: Da ist eine Person. Das könnte sprachlich viel grundlegender das Geschlecht als wichtige Kategorie in Frage stellen. Das X durchkreuzt herkömmliche Personenvorstellungen.

SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt doch Frauen und Männer.

Hornscheidt: Natürlich, in vielen Zusammenhängen ist es wichtig, sich darauf zu beziehen, dass es Frauen und Männer gibt. Das sind wirkungsmächtige soziale Kategorien. Es brächte überhaupt nichts, alle Texte in X-Form zu schreiben. Dann würden wir Machtverhältnisse wieder unsichtbar machen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn wir also über die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen berichten, ist es okay, über Männer und Frauen zu schreiben?

Hornscheidt: Richtig.

Das ist insoweit für jeden, der sich mit Genderfeminismus beschäftigt nichts besonderes. Gerade im Poststrukturalismus, auf dem der Genderfeminismus aufbaut findet man entsprechende Modelle:

Gesellschaftliche Strukturen, Wissensordnungen und kulturelle Formationen (Diskurse), so eine Voraussetzung der meisten Poststrukturalisten, sind grundsätzlich mit Machtformen verknüpft, welche deren Geltung und hierarchische Ordnung etablieren und dazu Herrschaftsverhältnisse produzieren und stabilisieren. Ein zentrales Motiv ist daher für viele Poststrukturalisten, wie derartige Herrschaftsordnungen durch subversive (unterlaufende) und interventionistische (eingreifende) Praktiken verändert oder zumindest für kreative Neupositionierungen genutzt werden können.

Alles ist sozial konstruiert und alles ist eine Frage von Macht. Durch die Sprache schafft man diese Konstruktion und damit auch die Machtverhältnisse und Herrschaftsverhältnisse. Der Leitfaden stellt insofern eine subversive und interventionistische Praxis dar, mit der eine Veränderung dieser Strukturen erreicht werden soll. Dabei baut das ganze auf diesen wesentlichen Gerüsten auf:

  • Mögliche Verschleierung jeden Geschlechts, sofern damit nicht eine Benachteiligung einer nichtpriviligierten Gruppe unsichtbar gemacht wird.
  • Konkrete Nennung des Geschlechts, wenn ansonsten ein Machtverhältnis zu Lasten der Gruppe ohne Macht unsichtbar gemacht wird.
  • Hervorhebung der Gruppen ohne Macht zum Ausgleich und Verminderung des Machtverhältnisses
  • Hinzufügung weiterer Unsicherheitselemente wie dem Unterstrich

Die konkreten Fälle werden dort wie folgt dargestellt:

x-Form und *-Form (Sternchen-Form) I

Dix Studierx hat in xs Vortrag darauf aufmerksam gemacht, dass es unglaublich ist, wie die Universität strukturiert ist, dass es nur so wenige Schwarze Professxs gibt.

Das ‚x‘ signalisiert ein Durchkreuzen herkömmlicher → gegenderter Personenvorstellungen. Diese Form wird angewendet, wenn die Frage, ob die gemeinten Personen weiblich, männlich oder → trans* sind, in einem Kontext keine Rolle spielt oder keine Rolle spielen soll.

Dynamischer Unterstrich

We_lche Mita_rbeiterin will denn i_hre nächste Fortbildung zu antidiskriminierender Lehre machen? Sie_r soll sich melden. Der Kurs ist bald voll.

Diese Form wird benutzt, um insbesondere in der schriftsprachlichen Verwendung kritisch auf → zweigegenderte Formen, also die Vorstellung, es gäbe nur Frauen und Männer, zu verweisen und diese Vorstellung in Bewegung zu bringen.

Das Wandern des Unterstrichs durch ein Wort macht deutlich, dass es nicht einen festen Ort gibt, an dem ein Bruch in ZweiGenderung – also zwischen der konventionalisiert männlichen und der konventionalisiert weiblichen Form – stattfindet

Wortstamm- oder Silbenunterstrich

Di_e Sprech_erin der queer_feministischen Hochschulgruppe konnte ihr_e Kommilito_ninnen, Freun_dinnen und die Mitarbeit_erinnen der Uni für i_hr Anliegen begeistern. Kei_ne verwendete ih_r Stimmrecht dagegen.

Diese Form kann in Kontexten genutzt werden, wo → ZweiGenderung als sprachlicher Bezugsrahmen gebraucht wird und gleichzeitig in einer möglichst einheitlichen Variante herausgefordert werden soll.

Der Variante des Wortstamm- oder Silbenunterstrichs gelingt es, mit einer Brechung auf die Annahme, es gäbe ausschließlich Frauen und Männer, auf gesellschaftliche ZweiGenderungsprozesse also, Bezug zu nehmen

*-Form (Sternchen-Form) II und statischer Unterstrich

Die erste Amtshandlung der neugewählten Präsidentin war es, alle Mitarbeiter_innen aufzufordern, die Kolleg_innen über die zentrale Arbeit der Antidiskriminierungsstelle der Universität zu informieren.

Diese Form bietet die Möglichkeit einer ersten kritischen Bezugnahme auf sprachliche → ZweiGenderung (ohne diese grundsätzlich infrage zu stellen) und kann in der *-Variante gleichzeitig eine Vielfalt von → Positionierungen symbolisieren.

Generisches Femininum bzw. umfassende Frauisierung

Alle Professorinnen der Universität Leipzig freuen sich, dass sie endlich in ihren Texten ausschließlich weibliche Formen benutzen können.

Diese Form kann in Kontexten genutzt werden, in denen eine implizit männliche Norm besteht, die nun sprachlich irritiert werden soll.

Diese Sprachhandlung wirkt insbesondere in Kontexten aufrüttelnd, in denen männliche Normalvorstellungen wenig hinterfragt sind.

a-Form

Unsa Lautsprecha ist permanent auf Demos unterwegs. Ea erfreut sich hoher Beliebtheit.

Diese Form greift ebenfalls die Idee von einer herausfordernden, stärkeren → Frauisierung von Sprache auf, um mit männlich geprägten Assoziationen zu brechen.

Binnen-I und ZweiGenderung

Seit heute streichen mehr als zwei Drittel der Studierxs die Angabe zur StaatsbürgerInnenschaft auf allen Formularen durch.

Diese Formen werden in Kontexten benutzt, in denen die Annahme, es gäbe ausschließlich Frauen und Männer, also → ZweiGenderung, als unhintergehbare, feststehende Norm, gilt bzw. in Situationen, in denen sich Personen ausschließlich als → CisFrauen und → CisMänner definieren. Dazu gehören v.a. rechtliche und medizinische Kontexte (vgl. Kapitel 3, Punkt b).

Man sieht hier also schön, dass die Sprache immer mehr ihre Funktion als Werkzeug einer einfachen Kommunikation verliert und statt dessen ganz im Sinne des Umbildung der Gesellschaft eingesetzt wird. In diesem Bereich ist das generische Femininum kein Sexismus, weil Männer die Macht haben und so eben „Gender Trouble“ gestiftet werden kann und „Machtverhältnisse“ hinterfragt werden können.

Größtes Handicap eines solchen Versuches ist damit auch die Praktikabilität und das die meisten Leute den Sinn einer solchen Umstellung schlicht nicht einsehen werden. Die geringe Rate von Intersexuellen von etwa 0,018% und der Umstand, dass die allermeisten Leute kein Problem damit haben, als Mann oder Frau gesehen zu werden, gibt diesem Modell in den Augen vieler einen äußerst geringen Nutzen im Vergleich zu den Kosten durch eine Umstellung.

Lann Hornscheidt dazu:

SPIEGEL ONLINE: Sind das nicht nur Einzelfälle?

Hornscheidt: Nein, allein im letzten Semester haben sich zwölf Personen bei mir gemeldet, die sich diskriminiert fühlten. Es würde schon viel helfen, wenn zu Semesterbeginn gefragt würde, wie Personen angesprochen werden wollen – und dies dann respektiert und nicht hinterfragt würde.

12 (!) Menschen. Bei einer Professorin für Gender Studies, die genau auf diesen Bereich spezialisiert ist. Das ist natürlich ein starker Beleg. Man könnte zwar daran denken, dass diese Auswahl nicht gerade eine Zufallsauswahl ist, sondern daran liegt, das sie in ihr einen gesonderten Ansprechpartner für genau diesen Bereich haben, aber gut.

Eine geschlechterneutrale Anrede scheint es mir im übrigen in Universitäten schon für den Professor zu geben: Das Sie. Man könnte das sogar selbst als Frauisierung auslegen, dass auch Männer wenn man Respekt vor ihnen hat mit Sie angesprochen werden, aber das wäre natürlich nicht geeignet Chaos zu stiften.

Zur Aussprache noch das Folgende:

SPIEGEL ONLINE: Ich finde die X-Form kompliziert und in Texten schwer lesbar.

Hornscheidt: Ich würde es immer wie -ix lesen, also „Professix“ sprechen. Natürlich irritieren solche Formen, darum geht es ja. Überlieferte Normen in Frage zu stellen, das eigene Sprachhandeln zu hinterfragen und Sprache kreativer zu benutzen. Es ist der Versuch, etwas auszudrücken, das vorher nicht ausdrückbar war. Für Communitys, die sich nicht in der Zweier-Genderung wiederfinden, bedeuten solche Sprachformen eine große Erleichterung.

Hier wird noch einmal betont, dass es nicht um das praktische geht, sondern Irritation gerade ein wichtiges Konzept ist. Vielleicht auch der Grund, warum solche feministischen Leitfäden fast immer allgemeines Kopfschütteln hervorrufen werden: Sie sind gar nicht auf eine einfache und praktikable Umsetzbarkeit hin ausgerichtet, sondern sollen unbequem sein.

Sie sind insoweit die High-Fashion des Feminismus, nicht tragbar, aber zumindest aus Sicht der Schöpfer dieser Werke schön anzuschauen und Zeugnis ihrer ideologischen Hingabe.

Es verwundert mich allerdings etwas, dass der Einwurf, dass solche Sprachungetüme Ableismus sind nicht häufiger kommt. Immerhin werden Sehbehinderte und deren Vorleseprogramme etc damit erhebliche Probleme haben. Wobei man das dann vielleicht darauf abwälzen kann, dass die (sicherlich von WHMs geleiteten) Firmen, die diese Programme herstellen, eben die Bedürfnisse von Sehbehinderten nicht hinreichend unterstützen und insoweit klassisch patriarchal sind.

Hornscheidt dann weiter:

SPIEGEL ONLINE: Ich muss mich jetzt aber nicht Journalx nennen, der über Politikx für seine Lesx schreibt?

Hornscheidt: Nein, wir wollen niemandem etwas vorschreiben, keine neuen Regeln aufstellen. Wir sagen nicht: So soll es sein. Wir sagen: So kann es sein. Ich habe nichts dagegen, wenn Personen sich Frau oder Mann nennen bzw. Professorin oder Professor. Wer sich aber in der Zweigeschlechtlichkeit nicht wiederfindet, soll ein anderes Angebot bekommen.

Das finde ich immerhin einen legitimen Ansatz: Wenn sich Leute, die darauf wert legen, eine Kunstsprache schaffen wollen, dann steht ihnen das natürlich frei. Wobei sie sich eben bewusst machen sollten, dass die wenigsten sie dann noch verstehen werden oder wollen und sie insofern in einem überzeugten inneren Zirkel von Leuten, bei denen „Gender Trouble stiften“ nichts bringt diese Sprache verwenden, die meisten Wirkungen, die eigentlich erzielt werden sollen, damit also ins Leere laufen.

Es hat aus meiner Sicht eine gewisse Ironie, dass die poststrukturalistischen Theorien dazu führen, dass ihre Ansätze die Sprache zu verändern, fast per se unpraktisch sein müssen. Denn das Schockelement und das bewusste Erreichen von Irritation ist in diesem Bereich zu stark ausgeprägt und hat für sich eine zu hohe Bedeutung. Sie können auch keine politisch neutrale Sprache entwerfen, bei der man nicht gleich ein komplettes Gedankengebäude der Unterdrückung der Frau durch den Mann übernehmen muss, wenn man deren Grundlagen verwendet.  Deswegen sind wir denke ich vor Umstellungen in diese Richtung einigermaßen sicher.

Ein schöner Beitrag dazu findet sich in der Welt:

Ich halte Gender Studies für einen großen pseudowissenschaftlichen Humbug. Die Existenz von nach BAT-Tarifen bezahlten Professorinnen in jenem Voodoo-Fach ist ein unschlagbares Argument für Kürzungen im offensichtlich überalimentierten deutschen Bildungsbereich. (…) Sollten sich also ausreichend Menschen finden, die gerne Professx oder Studierx genannt werden möchten, dann würde man diesen Wunsch mit rein wissenschaftlichen Argumenten wenig entgegensetzen können. Lann Hornscheidt ist optimistisch: „Ganz viele Menschen identifizieren sich nicht damit, Frau oder Mann zu sein. Viele wollen auch nicht das eine oder das andere sein.“ Möglicherweise übertreibt sie da ein wenig. Es bleiben berechtigte Zweifel, ob es außerhalb Berlins und des Spinner-Auffangbeckens Humboldt-Uni wirklich ein so dringendes Bedürfnis nach sprachlicher Gender-Optimierung gibt.

Zurecht weist der Autor darauf hin, dass es schon einige Sprachumformulierungen in die aktive Sprache geschafft haben. Man wird sehen wohin die Reise geht. Ich würde wie bereits oben dargelegt mit ihm vermuten, dass der Bedarf gering ist. Sprache ist aber in jede Richtung lebendig und vielleicht entsteht ein politisches Bedürfnis, sich noch korrekter auszudrücken. Ich bewundere jetzt schon Politiker, die fehlerfrei ein „Bürgerinnen und Bürger“ in jeden Satz einbauen können, vielleicht sind diese ganz glücklich, wenn sie es auf „Bürgx“ („Liebe Bürgix, ich möchte die Steuern senken“) reduzieren kann. Allerdings ist dies im Gegensatz zur Nennung beider Formen (die gerade die Zweigeschlechtlichkeit hervorhebt) eben für viele Wähler unverständlich und wirkt insoweit nicht volksnah. Das dürfte die Chancen mildern.