„Wie Millennial-Frauen klassischen Karrierevorstellungen den Rücken kehren“

Ich habe schon einige dieser Artikel hier besprochen, finde sie aber immer wieder faszinierend:  Positive Artikel über Frauen, die in der Arbeitswelt kürzer treten, weil es besser für ihre Work-Life-Balance ist

„Ich weiß, das klingt furchtbar naiv“, sagt Verena Bogner, wenn sie über ihren früheren Job spricht, über die Arbeitswelt, die sie inzwischen hinter sich gelassen hat. Die Journalistin arbeitete beim Österreich-Ableger des Vice-Magazins, leitete schließlich deren feministische Plattform Broadly – und legte sich so richtig ins Zeug. „Es war mein erster fixer Job, und ich habe das Mantra ‚Wir sind hier eine Familie‘ wirklich ernst genommen“, erzählt sie im STANDARD-Gespräch. Erwerbsarbeit und Privatleben verschwommen zusehends, mit bissigen Texten über Tinder-Dating wurde Bogner selbst zur Marke.

Unzählige Überstunden zu schieben, bei Gehaltsverhandlungen vertröstet zu werden – vorerst Nebensächlichkeiten. „Mit der Zeit bin ich aber immer desillusionierter geworden“, erzählt Bogner. Es kam zu Stellenkürzungen, „und da merkst du, dass es mit dem Gerede von Familie und Freundschaft nicht weit her ist“. Für den Arbeitgeber sei man letztendlich eine Zahl, so formuliert es Bogner heute. Nach wie vor arbeitet sie Journalistin, aber selbstständig. Der Arbeitswelt und ihren Karriereversprechen für Frauen hat sie ein ganzes Buch gewidmet, Not Your Business, Babe ist im Jänner bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Das ist ja immer das, was bei dem Gender Pay Gap oder bei „Frauen werden im Beruf benachteiligt“ zu kurz kommt: Karriere ist nicht nur Selbstentfaltung und ein höheres Gehalt einstreichen. Es ist häufig genug eben „unzählige Überstunden in der Hoffnung auf Promotion“ im Wettbewerb mit anderen und mit dem Risiko, dass es einfach trotzdem nicht klappt.

Lazy Girl statt Girlboss-Karriere

Bogners Abrechnung mit dem „Girlboss“-Feminismus und einer aufopfernden Arbeitskultur trifft einen Nerv. Anti-Work-Memes, die sich an sinnlosen Meetings und am Mansplaining der Kollegen abarbeiten, verbreiten sich auf Social Media rasant. Gabrielle Judge, die einst gut bezahlt für ein Tech-Unternehmen tätig war, prägte den Begriff des „lazy girl jobs“ und postet auf Tiktok als „Anti Work Girlboss“. Entspannt arbeiten und bloß genug zum Überleben verdienen, so das Credo. In Großstädten, wo junge Menschen selbst mit respektablem Gehalt gefühlt nur für die Miete schuften, fällt das auf besonders fruchtbaren Boden.

„Sinnlose Meetings und Mansplaining“ ist auch nett. Natürlich muss die Schuld auch in solchen Artikeln noch den Männern zugeschoben werden, auch wenn diese wohl kaum der wesentliche Faktor sind.

„Entspannt arbeiten und bloß genug zum Überleben verdienen“ ist eine Möglichkeit, besser kann es sein, wenn man entspannt arbeitet und noch einen Partner hat, der weniger entspannt arbeitet und einem schöne Urlaubsreisen und etwas mehr Luxus erlaubt.

Wie aus der Zeit gefallen scheint da Sheryl Sandbergs Bestseller aus dem Jahr 2013: Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg. Darin verordnete die Facebook-Managerin Frauen harte Arbeit und Durchsetzungskraft, um endlich in der Liga der mächtigen Männer mitspielen zu können. Ein Eliten-Feminismus, der inzwischen ebenso an Glanz verloren hat wie der einstige Arbeitgeber von Sandberg.

Es ist schade, dass die weiblichen Ideologien so selten aufeinander treffen. Zu einer „Frauen werden diskriminiert“-Show sollte man eigentlich beide Formen einladen, dass würde schon einiges an Klarheit in die Diskussion bringen. Wobei es natürlich auch genug „weniger arbeiten, mehr Leben genießen“ Männer gibt.

Aus den Köpfen verschwunden sind die Leitsätze der sogenannten Hustle-Culture freilich nicht – Stimmen wie Sandberg prägten eine ganze Generation. „Wenn du dich nach oben kämpfst, hast du etwas für alle Frauen getan, vermittelt der Girlboss-Feminismus. In diese Falle sind viele Millennial-Frauen getappt“, sagt Autorin Verena Bogner. Eine Erzählung, die Klassenverhältnisse oder rassistische Diskriminierung völlig ausblendet – und die auch in der Popkultur der 2010er-Jahre Fuß fasste. „You want a Lamborghini? Sip martinis? Look hot in a bikini? You better work, bitch“, singt Britney Spears in ihrem 2013er-Hit Work Bitch.

Die einen sehen es als Befreiungskampf aus der Lohnunterdrückung, die anderen als Falle, in der man sein Leben vergeudet. Der Mittelweg ist vermutlich, dass man eben auch im Halbtagsjob in Führungspositionen aufsteigen können sollte, aber bitte ohne Überstunden etc.

Wertewandel am Arbeitsmarkt

Ansprüche an die Arbeitswelt sind seit dem Erscheinen von Lean In im Wandel – das belegen inzwischen zahlreiche Studien. „Das große Schlagwort ist das selbstbestimmte Arbeiten“, sagt Ursula Löffler, Senior Partner beim Personalberatungsunternehmen Hill Woltron. Während für eine ältere Generation Erwerbsarbeit vorrangig mit Pflichtbewusstsein und Leistungsstreben verknüpft sei, würden junge Menschen stärker nach einer sinnstiftenden Tätigkeit suchen. Auch auf Social Media sind „Bullshit-Jobs“ längst ein geflügeltes Wort – Jobs, die keinen gesellschaftlichen Nutzen bringen und Angestellte frustriert zurücklassen.

Kennt jemand eine Liste der Bullshitjobs? Ich würde da ja Gender Studies einordnen, aber andere würden vielleicht sagen, dass es Nutzen bringt.

Frauen sind indes besser denn je gerüstet für den Berufseinstieg. Bei den Bildungsabschlüssen haben sie in Österreich Männer längst überholt. 2021 lag der Anteil der Frauen mit dem Abschluss einer Hochschule oder Akademie bei 21,9 Prozent – deutlich vor den Männern mit 17,5 Prozent. Auf dem Arbeitsmarkt konnten sie diesen Vorsprung bisher allerdings nicht einlösen, wie etwa die immer noch klaffende Gehaltslücke oder fehlende Frauen in Führungspositionen belegen. Noch immer ist Care-Arbeit überwiegend Frauensache – und damit auch die viel zitierte „Vereinbarkeit“. Ob gut ausgebildete Frauen vom Versprechen, alles erreichen zu können, enttäuscht worden seien, hänge stark vom jeweiligen Arbeitsumfeld, von der Kultur in einzelnen Unternehmen ab, sagt Ursula Löffler. „Auf jeden Fall stellen junge Menschen heute mit einem neuen Selbstbewusstsein Ansprüche an die Arbeitgeber.“

Auch faszinierend, dass sie hier beides vereint: Stressige Jobs machen keinen Spass und kosten einem zu viel Lebenszeit, aber „Frauen haben weniger dieser Jobs also ist es Diskriminierung“

Abschied vom All-in-Vertrag

Sinn in der Arbeit zu erfahren, ist auch für Tanja Stolz unabdingbar. Dem Büroalltag hat die Grazerin schnell den Rücken gekehrt. Nach ihrem Studienabschluss arbeitete sie in zwei großen Werbeagenturen und als Pressesprecherin der Therme Loipersdorf – heute ist sie als Fotografin mit eigenem Studio selbstständig. „Ich wollte der Welt immer etwas geben, einen Fußabdruck hinterlassen. Die schnelllebige Arbeit in der Werbung hat mir dieses Gefühl, etwas Wertvolles zu schaffen, definitiv nicht gegeben“, sagt Stolz.

Eine nachhaltige Veränderung brachte ihre erste Schwangerschaft. „Ich wollte nicht in Teilzeit arbeiten, wie so viele Frauen in meinem Umfeld, aber ich wollte auch für meine Familie da sein“, sagt die 41-Jährige. In der Werbeagentur mit All-in-Vertrag war das kaum denkbar. „Ich wusste, nach Hause gehe ich erst, wenn das Projekt fertig ist.“

Der Weg in die Fotografie ergab sich schließlich durch einen Zufall. Nach der Geburt ihrer Tochter experimentierte sie mit der Kamera, fotografierte auch die Neugeborenen befreundeter Eltern. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich in dieser Arbeit verliere und sie mich erfüllt, dass die Zeit rasend schnell vergeht. In meinen Bürojobs habe ich immer auf die Uhr geschaut, mich auf die Mittagspause gefreut“, erzählt Stolz.

Selbstbestimmt arbeiten – anders kann Stolz es sich heute gar nicht mehr vorstellen. „Dieser Druck ist weg, jeden Tag funktionieren zu müssen“, sagt sie. Shooting-Termine könne sie im Notfall auch verschieben, ihre Kund:innen seien meist selbst Eltern und würden Verständnis zeigen. Auf die Babyfotografie möchte die zweifache Mutter sich trotzdem nicht festlegen, auch Business- und Porträtfotografie hat sie inzwischen im Angebot. „Ich möchte aber auf jeden Fall, dass sich meine Arbeit meinen Lebensverhältnissen anpasst – und nicht umgekehrt“, sagt Stolz.

Wäre dann interessant, was sie verdient –  das Babyfotos nicht so viel Geld bringen dürfte ja der Grund sein, warum sie auch Businessfotographie mit reinnehmen kann.

Das Richtige für sich zu finden ist in jedem Fall eine gute Sache. Aber der andere Spruch dazu ist ja, dass der Selbständige selbst und ständig arbeitet.

Solidarity-Girlbosses

Ob Veränderungen tatsächlich schon in der Arbeitswelt angekommen sind, bezweifelt Autorin Verena Bogner indes. In den Chefsesseln würden schließlich immer noch jene sitzen, die Selbstausbeutung von ihren Mitarbeiter:innen einfordern. Was aber folgt auf den Girlboss-Feminismus und eine Hustle-Culture, die Arbeiten bis zum Umfallen propagiert?

Sich selbst einen „lazy girl job“ zu verordnen, bleibt schließlich privilegiertes Konzept für all jene Frauen mit Verhandlungsmacht am Arbeitsmarkt oder finanziellem Polster. „Die Zeit der Girlbosses ist vorbei, jetzt kommen die (Girl-)Unions„, schreibt Verena Bogner in ihrem Buch. Nach all dem Gerangel auf dem vermeintlichen Weg nach oben sei nur ein Konzept zukunftsweisend: radikale Solidarität. Fehlt bloß noch ein Popsong, der gewerkschaftliche Organisierung zum Hit macht.

„Girl-Uninos“  die das Gerangel auf dem vermeintlichen Weg nach oben ersetzen. Leider wird nicht gesagt, was das genau sein soll. Wollen Frauen eigene Gewerkschaften? Das ist kaum effektiv.