Nichtprivilegiert sein und die Befreiung von persönlicher Verantwortung für den Nichterfolg

Ich bin gar nicht so sicher, ob ich es schon in anderen Artikeln mal so ausgeführt habe, habe es aber jetzt an einer Stelle gelesen und finde es ganz einleuchtend:

Ein Nichtpriviligierter ist Gefangener der gesellschaftlichen Umstände. Deswegen verdient er weniger. Nicht weil er faul ist, nicht weil er bei seiner Berufswahl Gehalt weniger Wert zugewiesen hat, nicht weil er in dem Konkurrenzkampf um Beförderung auf der Strecke geblieben ist, weil es andere mehr wollten, mehr Überstunden gemacht haben etc. All dies, bei dem denjenigen persönliche Verantwortung treffen könnte, bleibt zurück und wird zu einer abstrakten Schuld der Gesellschaft, Umstände, die derjenige nicht kontrollieren kann, eine Struktur, die man insgesamt bekämpfen muss, die aber den Einzelnen frei macht von der Verantwortung.

Die Privilegientheorie macht einen insofern schlicht von jeder Verantwortung frei. Man muss sich nicht gesünder ernähren um attraktiv zu sein, die Gesellschaft weißt nur ungerechtfertigter weise schlanken Menschen Privilegien zu.

Dazu passend gibt es nichts Schlimmeres für einen Anhänger dieser Theorien als wenn man diese Verantwortung wieder herstellt, also von der abstrakten Zuweisung von Privilegien und Nichtprivilegien durch die Gesellschaft weg nach Ursachen für Unterschiede sucht. Alle Erklärungen für die Unterschiede bringen Verantwortung zurück.

 

 

Krabbenkorbeffekt und die Privilegientheorien

Gestern kam ich durch eine etwas merkwürdige Suchanfrage in der Statistik zum Mechanismus von Krabbenkörben, der auf diesen Artikel verwies, zu dem „Krabbenkorbeffekt“ unter dem ich das folgende bei Google fand:

Das Phänomen, das hier beschrieben wird, nennt man in der Personal-/Arbeitspsychologie teilweise „Krabbenkorbeffekt„: Wenn Fischer Krabben fangen, werden diese einfach lebendig in einen Korb geworfen. Aus diesem können sie nicht fliehen, weil sie sich gegenseitig nach unten ziehen, sobald eine Krabbe an Höhe gewinnt. Der einzelnen Krabbe wäre es hingegen problemlos möglich aus dem Korb zu klettern.

Die Metapher beschreibt das Phänomen, dass sich in Frauengruppen nur sehr flache Hierarchien bilden und die Gruppe selbst stets auf Ausgeglichenheit und Ebenbürtigkeit innerhalb der Gruppe bedacht ist. Tut eine Frau etwas außergewöhnliches – greift sie sich etwa zu viel Führung – ziehen die anderen sie wieder zurück. Damit kann man beispielsweise erklären, warum die Anwesenheit weiterer Frauen an einem Arbeitsplatz die Karrierechancen der einzelnen Frau statistisch gesehen stark negativ beeinflusst.

Es gab vor einiger Zeit mal eine sehr interessante TV-Show, bei der zwei Teams von jeweils acht Frauen und acht Männern Aufgaben erledigen mussten. Anschließend wurde der jeweilige Lösungsweg bzw. das Scheitern oder der Erfolg eines Teams von Psychologen und sonstigen Experten erklärt.

Eine der Aufgaben war das Aufführen eines Theaterstücks

Die Männer bekamen das Stück „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Einer bestimmte, wer der Wolf sei; das Theater wurde gespielt.

Die Frauen bekamen das Stück „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Es wurde (nahezu auf Augenhöhe) diskutiert, wer denn Schneewittchen sein solle. Jedesmal, wenn eine der Teilnehmerinnen zu deutlich Ansprüche anmeldete oder jemanden bestimmen wollte, wurde dies von der Gruppe zerredet.

Ein Psychologe erklärte anschließend den Krabbenkorbeffekt. Es soll sich eben keine Frau in eine exponierte Stellung bringen, da dies die Gefahr birgt, die Harmonie der Gruppe zu zerstören.

Das Männergruppen recht schnell eine Hierarchie ausbilden, Frauengruppen hingegen sehr relative Rankverhältnisse haben, war hier schon bezogen auf Jungs und Mädchen Thema.

Zudem hatte ich einen Artikel darüber, warum eine Vorliebe für Gleichheit ebenfalls evolutionär entstehen konnte.

Da könnte ich mir schon vorstellen, dass bei Frauen ein solcher Krabbenkorbeffekt eher stattfindet als bei Männern, weil gewisse Hierarchien bei ihnen unproblematischer sind und damit ein gewisses ausbrechen auch eher hingenommen wird. Bei Frauen hingegen erfolgt dies subtiler.

Auch ein interessanter Beitrag dazu aus einer eher feministischen Sicht:

Have you ever said that you prefer guy friends to girl friends, because “girls are just drama”?  Have you ever criticized another woman for being “dumb”, or “too slutty”, thereby making yourself seem smarter, more upright?  Have you ever judged a woman for being “too fat for those jeans”, for “really wearing that outfit…?”, for her obviously unkempt roots, or any other criteria that made her fall short of emulating Barbie?  Have you ever hated your boyfriend’s ex-girlfriend, even if you’ve never met her, just because (literally, for no reason, other than the fact that she’s the ex)?

Ladies, Ms. Tanenbaum is speaking to us, as well.  We’re actively partaking in crab mentality when we speak unkindly about another woman.  We’re reinforcing unhealthy ideals when we pass judgment on how another woman’s body looks, or how she dresses.  We’re guilty of slut shaming when we criticize her for what she chooses to do with her body, or who she chooses to love.

Beim Lesen kam mir der Gedanke, dass dieser „Krabbenkorbeffekt“ eigentlich sehr gut zur Privilegientheorie passt: Der maßt sich Privilegien an, der muss zurück in den Korb, zieht, bis er seine Privilegien aufgibt!

Es passt auch gut zu allen „Acceptance“ Bewegungen, von Fat zu Queer, in denen es ja im wesentlichen darum geht, dass alle gleich sein sollen und keiner behaupten darf, dass es besser wäre, dass man aus dem Korb herauskriecht. Wer abnehmen will, der macht zB aus der Sicht der „Fat-Acceptance“ genau das und kann daher angefeindet werden, also quasi in den Korb zurückgeholt werden oder gleichsam aus diesem verbannt werden, damit man nicht denkt, dass es im Korb schlecht sei.

 

 

 

Neid als Grundlage der Privilegientheorie

Die Privilegientheorie entdeckt in nahezu allem, was jemanden in irgendeiner Weise besser dastehen lässt, einen unlauteren Vorteil, den er nach Möglichkeit abbauen soll. Das Zeigen, dass es einem gut geht, wird als Angriff auf die, denen es nicht gut geht oder die diesen Vorteil nicht haben, verstanden.

Das macht Neid als Motiv sehr wahrscheinlich. Ich bin neulich noch einmal über diesen Kommentar von Roslin dazu gestolpert:

Neid ist ein weithin unterschätzter Faktor menschlichen Verhaltens.

Auch viele „Gerechtigkeitsfanatiker“ sind im Grunde ihres Tarantelherzens Neidhammel.

Mir fällt ja hier weniger das Poststrukturalistische in’s Auge als das Sozialistische, Gleichheitssehnsüchtige, das Sozialistische im Poststrukturalistischen.

Wenn schon nicht alle gleich glücklich sein können, dann soll doch wenigstens niemand glücklicher sein als ich selbst, denn das macht mich noch unglücklicher, weil obendrein noch neidisch auf das Glück der Glücklicheren.

Besser also, niemand ist glücklich, wenn ich schon unglücklich bin, dann muss ich wenigstens nicht auch noch neidisch sein.

Also gelingt Gleichheit, indem ich alle unglücklich mache, denn alle glücklich zu machen, ist so sehr viel schwerer, so gut wie unmöglich.

Alle unglücklich zu machen, das dagegen ist möglich.

Und so sieht sie auch aus, die Politik aus Tarantelherzen, wenn man ihnen Macht verleiht, den Traranteln.

Sie stellen gleich, indem sie alle gleich unglücklich machen, gleich ihnen selbst, den Taranteln.

Darum wächst schwarzer Schorf, wohin sie beißen, der Schorf, der schon längst in ihren Seelen sitzt, ihren schwarzen, giftigen, an deren Gift sie leiden, etwas weniger, wenn sie auch die anderen leiden machen können.

Wenigstens das.

Mehr können sie nicht, diese „Sozialisten“, Gleichsteller und „Gerechten“, die ihre Tyrannengelüste hinter Tugendphrasen verbergen.

Leiden können sie machen, gleichstellen im Leiden.

Auf ihr Niveau gleichstellen.

Nach unten herunterziehen.

(…)

Das Hohe herunterzubringen, ist relativ einfach, das Niedrige hochzuwuchten dagegen sehr schwer, fast unmöglich, ja oft wirklich unmöglich.

So sieht Gleichstellung mit Macht denn auch oft aus: Das Hohe herunterbringen, die Glücklichen unglücklich machen, die eigene Skrofulose weitergeben, alle infizieren.

Dann ist man immerhin nicht mehr so alleine, ist „normal“.

Macht zwar die Unglücklichen nicht wirklich glücklich, macht die Neidischen aber wenigstens ein bißchen weniger neidisch und lindert so deren Qual.

Durch Vemehrung der Qualen anderer.

Wenn ich leide, sollen wenigstens viele leiden, damit ich nicht auch noch neidisch sein muss auf das Glück derer, die es wagen, glücklich zu sein.

Obwohl ich leide.

Selbst wenn ich vor allem an mir, an meinem unglücklichen Bewusstsein leide, an meinen oft sebst verschuldeten oder vom Schicksal verschuldeten seelischen Verwachsungen und Verkrüppelungen.

Denn auch daran muss ja jemand schuld sein.

Ich kann, ich darf es nicht sein.

Und ein blindes Schicksal, das ich nicht verantwortlich machen kann, darf es auch nicht sein.

Im intersektionalistischen, poststrukturalistischen Feminismus würde man wohl eher sagen, dass ja alle gleich glücklich sein sollen und das eben Eintritt, wenn jeder seine Privilegien aufgibt. Der Begriff der Privilegien ist aber inzwischen so ausgedehnt, dass nahezu alles ein Privileg sein kann. Jedes Glück ist etwas, was man dann hinterfragen muss, vor dessen Wahrnehmung man die Anderen schützen muss, das quasi verheimlicht werden muss – „Heten können ja auch zuhause küssen“ ist insofern ein Neidansatz, wo es „alle sollen Küssen können, wo sie wollen“ nicht wäre.

„Warum nur stecke ich in einem privilegierten Körper, wenn ich doch Opfer sein will?“

Nadine Lantzsch hat ein Gedicht bei der Mädchenmannschaft eingestellt, welches ich herrlich finde:

How can I be trapped in the wrong body
that is white, skinny and falsely cisgendered as women?
How can I be trapped in the wrong body
able to move anytime anywhere without help, fear or force?
If I want to.
If I just could sometimes.

My body is not wrong.
My body is right
there where society wants them to be.

Das passt gut zu ihrer Kritik hier und meiner Frage, ob sie eigentlich bemerkt, dass sie selbst weiß ist. 

Wenn ich es richtig verstehe, dann beklagt sie da, dass sie leider weiß und dünn und fälschlicherweise als heterosexuelle Frau gelesen wird. Also, dass sie leider als relativ privilegiert wahrgenommen wird, wenn sie doch eigentlich viel lieber ein wesentlich reineres Opfer wäre, diskriminiert, ohne Privilegien, die sich nicht frei bewegen kann.

Das zeigt sehr schön auf, wie begehrt die Position des Nichtpriviligierten aus Sicht einer Feministin ist und welche Freude dann auch wieder in einer Opferrolle stecken kann, in der man dann einfach leiden darf. Es ist doch aus ihrer Sicht ein bizarrer Wunsch, da diese Position ja die bessere ist. Er ist eigentlich nur zu verstehen, wenn man bedenkt, welches Feindbild in dieser Hinsicht gegen Privilegierte aufgebaut wird.

Interessant würde ich es finden, wie sie selbst wohl ein ähnliches Gedicht von einem heterosexuellen Mann besprochen hätte, der sich wünscht doch lieber eine diskriminierte Frau zu sein. Es wäre sicherlich keine sehr vorteilhafte Besprechung geworden. Eher würde sie diese Flucht in die „Nichtprivilegiertheit“ wohl hart kritisieren, weil ein Mann hier versucht, seine Privilegierung in eine nachteilige Situation umzudeuten und er damit auch die Leiden der Frauen entwertet.