Unser Autor ist non-binär und will nicht durch Bart oder Kleidung als „Mann“ markiert werden. Er benutzt „he/they“ als Pronomen. Das kann beim Dating kompliziert werden.
Ein Bart ist eben etwas erst einmal sehr männliches. Hat man ihn wird man allenfalls „Genderverwirrung“ produzieren können, in dem man ihn mit stark weiblichen Zeichen kombiniert.
Neulich war ich mit Freundys unterwegs. Wir wollten noch in eine Bar, die an Dienstagen nur Menschen offen steht, die sich unter dem Akronym FLINTA wiederfinden (Frauen, Lesben, inter, trans, agender). Schwieriger Begriff, aber die Politik dahinter wäre ein anderer Text. Wir standen jedenfalls vor der Bar, und ich bekam einen Spruch gedrückt: „Heute Abend keine Männer“. Ich wusste von der Türpolitik und hatte vorher angesprochen, dass ich niemandem den Raum wegnehmen will. Der Tenor war: Wenn du dich heute danach fühlst, kommst du mit. Also entgegnete ich der Tür-Person, die mich als Mann las, etwas, das ich so noch nie zu einer fremden Person gesagt hatte: „Ich bin kein Mann, ich bin non-binär.“
„Non-binär“ wäre ja das N in FLINTA, das er oben weggelassen hat. Aber es ist eben auch ein ziemlicher Sammelbegriff, weil man darunter alles verstehen kann und nichts. Es reicht ja im Prinzip jede Abweichung von dem Klischee von Mann und Frau, das man zudem so hart und extrem ausgestalten kann wie man möchte um eine Abweichung bei sich selbst zu sehen.
Gender, in meinen Augen, bildet kein fixes Konstrukt, sondern eine situative und persönliche Verhandlung von Beziehungen. Mit meinem Gender navigiere ich Welt, Sexualität, Räume und Freundschaften.Als queerer Mann (in diesem Text verwende ich verschiedene Labels, alle davon sind valide), stehe ich in Dissonanz zu den für mich gedachten patriarchalen Rollenbildern als männlich gelesene Person.
Auch relativ leere Phrasen. Wie navigiert man mit seinem Gender Welt, Sexualität, Räume und Freundschaften? Und die „patriarchalen Rollenbilder“ für Männer gehen etwas in die Richtung von dem, was ich oben sagte: Um so starrer man die scheinbaren Vorgaben für Männer im Patriarchat sieht, um so leichter kann man von ihnen abweichen. Zeige ich ab und zu mal Gefühle? Ich breche aus (obwohl das ja auch sonst Männer machen). Finde ich Fußball langweilig? ha, da habe ich es den Rollenbildern aber gezeigt!
Ich habe mich viel zu lange an idealisierter Männlichkeit abgearbeitet und bin an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich mich als maskulin bezeichne, aber den Begriff „Mann“ nur noch zusammen mit dem Adjektiv queer verwende. Als männlich gelesene Person habe ich mehr Privilegien als Menschen, die weiblich oder femme gelesen werden, umso verstärkt, wenn andere Faktoren wie Rassifizierung hinzukommen.
Maskulin, aber kein Mann, weil man idealisierte Männlchkeit nicht leben will. Das verengt ja dann das Verhalten für Männer gar nicht. Schon etwas grotesk, dass er sich nicht als Mann sehen kann, weil er der idealisierten Männlichkeit nicht entspricht.
Er ist statt dessen ein „Queer-Mann“. Das erlaubt immerhin eine schöne neue Identität und das Gefühl gegen die patriarchale Welt zu rebellieren.
„Rassifizierung“? Ich nehme an das ist dann als Weißer oder Schwarzer „gelesen“ zu werden und beugt irgendwie dem Vorwurf vor, dass es ja eigentlich keine Rassen gibt? Klingt dennoch irgendwie wie ein Nazibegriff.
Gender als soziale Technologie
Aber ich will in einer Welt leben, in der Bart und Tattoos, Kleidung und Haare mich nicht als Mann markieren.
Die meisten Butch-Lesben in Männnerkleidung und mit kurzen Haaren sind dennoch als Frauen zu erkennen. Der Bart ist nun einmal ein Zeichen für eine gewisse Menge Testosteron, die üblicherweise nur bei Männern vorkommt.
Aber relevanter dürfte auch seine Gesichtsform, sein Kinn, sein Adamsapfel etc sein
Hier mal ein Bild von ihm aus dem Netz:
Kevin Junk
Ich denke auch, wenn er sich rasieren würde, würde man ihn als Mann sehen.
Zwar empfand ich es als Bestätigung meiner Genderidentität, mich an der Tür zu behaupten. Zugleich war es ein Akt der Gewalt, mich einfach als cis Mann einzuordnen. Alternativ hätte die Person, die ich selbst als männlichen Türsteher gelesen hatte, einfach freundlich mitteilen können, dass der Abend nicht für cis Männer offen war. Dazu hätte ich mich anders verhalten können.
„Ein Akt der Gewalt“, da geht er aber hoch ran. Er setzt eben keine typischen Zeichen für eine Nichtbinarität, vielleicht irgendwas Queeres wie bunte Haare oder geschminkte Augen und Lippenstift?
Aber klar, er hätte ihn auch freundlich fragen können, welchen Buchstaben der Flinta-Definition er nun darstellt.
Dass meine Genderidentität als maskuline und non-binäre Person valide ist, wusste ich nicht, bis ich Sprache dafür fand, wirklich wörtlich fand. Ich stand in einem queer-feministischen Buchladen, an der Kasse lagen Buttons mit aufgedruckten Pronomen: he/his, she/her, they/them und zu meiner Überraschung: he/they. Das warme Gefühl, das in meinem Bauch aufflackerte, war wie das Gefühl, das ich hatte, als ich als junger Mensch zum ersten Mal zwei Männer beim Küssen sah. Das geht? Ich will das auch! Mittlerweile sehe ich viele Menschen, die mehrere Pronomen benutzen, alle aus ihren eigenen Gründen. Es gibt uns überall.
Ich kann mir vorstellen, dass he/they einigen in der Szene ideal erscheint. Man ist ein Mann, möchte aber auch irgendwie Queer sein, und das mit den passenden Pronomen betonen können, da kommt dann das They genau richtig. Wobei ich es immernoch merkwürdig finde, dass solche Pronomen auf englisch angeführt werden, aber er/sie Pronomen wären auch verwirrend, und er/sie (Plural) wahrscheinlich auch nicht so trendig.
Als ich meine Pronomen in Dating-Apps hinterlegte, hatte ich auch wieder richtig Herzklopfen. Apps sind unterschiedlich gestaltet, was die Auswahlmöglichkeiten angeht. Auf einer konnte ich mehrere Gender anklicken: Mit dem Häkchen bei „Mann“ und „non-binär“ wieder dieses wohlig-warme Gefühl, wie nach einem langen Arbeitstag abends die Jogginghose anzuziehen. Auf anderen Apps packte ich meine Pronomen in die Profilbeschreibung. Wenn ich andere Menschen mit he/they sah, swipte ich aus Sympathie sofort nach rechts. Es gibt so viel, was ich hot oder romantisch interessant finde, und es ist ein Experiment, mein Begehren von binären Geschlechtervorstellungen zu entgrenzen.
Ist ja die in etwa die Übersetzung von „Ich bin ein Mann, aber keiner von den Bösen, sondern ein queerer guter!“
Doch zum Dating gehören immer zwei und durch die klare Artikulation meines Genders stehe ich vor ganz neuen Herausforderungen. Als ob Dating nicht schon holprig genug wäre.
Wertvorstellungen beim Dating abgleichen
Jemand schrieb mir auf Instagram. Sein Move: Wir haben voll viel gemeinsam. Ich dachte, cute genug, lass uns mal irgendwann treffen. Wir konnten beim Abendessen über gemeinsame Themen wie Literatur, Lyrik und queeren Klassenkampf abnerden. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich schaue mir vor einem Date die Insta-Bio einer Person an und interessiere mich für deren Pronomen. Ich ging davon aus, dass die Person wusste, dass ich sowohl „er“ als auch „they“ verwende. Als wir im Gespräch auf Pronomen kamen und ich sagte, dass mir die Verwendung von „they“ auf Englisch ein wenig leichter fällt, ich aber literarisch gerade mit Neopronomen wie dey/dem arbeite, war mein Date geschockt. Er fragte mich: „Bist du they?“
Ich wäre auch geschockt, in einer vergleichbaren Situation mit einer Frau.
Aber bei “ Wir konnten beim Abendessen über gemeinsame Themen wie Literatur, Lyrik und queeren Klassenkampf abnerden.“ hätte sie auch schon sehr gut aussehen müssen bzw ich hätte wirklich, wirklich einen Artikel über das Date schreiben wollen.
Ich wollte sagen: „Nee, ich bin Kevin“, aber so schlagfertig war ich nicht. Stattdessen sagte ich sowas Holpriges wie: „Mein Gender ist komplexer als einfach nur Männlichkeit. Beide Pronomen haben in verschiedenen Situationen eine Verwendung für mich und ich fühle mich mit beiden wohl. Du hast die Wahl, wie du über mich sprechen willst.“ Im Nachhinein fühlt sich das wie eine Rechtfertigung an. Das zeigt mir, wie unsicher ich noch mit Gender umgehe, sobald ich von außen unter Druck gerate.
Statt die vulnerable Situation respektvoll zu halten, hielt das Date mir einen ungebetenen Vortrag darüber, wie nervig und anstrengend es sei, „they/them“ auf Englisch zu verwenden. Wir beide, die wir keine Englisch-Muttersprachler waren, nahmen darüber, so seine Meinung, an hegemonialer Sprache und ihren Regeln teil. Dabei war das hegemonialste an diesem Vortrag das ungefragte Erklären von dieser cis Nelke. Menschen daten, die mein Gender und seine Politik nicht verstehen, kommt für mich nicht mehr in Frage.
Ich finde ihn ganz sympathisch. Aber klar, mit so einer „Cis Nelke“ (eine Abwandlung von Pissnelke) kann es bei ihm nicht werden: Wollte der ihn etwa wie einen ganz normalen schwulen CIS-Mann behandeln? Ein Skandal.
Mein Körpergefühl hat sich verändert
Seit ich mit meiner Genderidentität kommunikativer umgehe, hat sich auch mein Körpergefühl verändert. Ich habe mit dem Boxen angefangen und war nach dem ersten Training schockverliebt in die Mischung aus Technik und Kraft. Befreit von dem Druck, ein richtiger Mann (lol) zu sein, kann ich Attribute wie Stärke besser verhandeln, weil sie nicht im binären Gegensatz zu meiner Sensibilität stehen, sondern im Dialog damit. Ich kann meinen Körper in seiner radikalen Verflochtenheit mit meiner Umwelt erleben, anstatt ihn mit Gewalt in binäre Förmchen zu pressen.
„Weil ich jetzt zusätzlich zu „he“ auch „they“ Pronomen benutze kann ich endlich Sachen machen, die andere Männer einfach so machen, aber ich lebe wirklich ganz befreit von irgendeinem Druck“
Schon irgendwie grotesk, wenn man das Mannsein irgendwie hassen muss und sich nur auf diesem Wege eine Erlaubnis dafür schaffen muss.
Am Ende hatte ich übrigens einen richtig guten Abend in der Bar. An eine Säule gelehnt tanzte ich vor mich hin und führte Gespräche mit Bekannten und Unbekannten. Der Abend gab mir das Gefühl, dass mein Körper und mein Gender in einem Feld stattfinden, das ganz ohne binäre Männlichkeitsvorstellungen auskommt. An diesem Dienstag war ich zwar Gast, aber auch Teil der Gemeinschaft. Wie Jogginghose anziehen und gleichzeitig sexy fühlen.
Ich gehe ja fast nicht mehr in Bars aber irgendwie würde ich ja gern mal ein echtes „Wie sind deine Pronomen“-Gespräch hören. Gibt es so etwas irgendwo? Wo Leute, die das ernst meinen mal im realen Leben mit echten Gesprächen zu hören sind?
Sorry, jetzt hab ich so viel über mich geredet. Was sind denn deine Pronomen?
They/them sind ja im englischen die „nonbinary“ pronomen und sollen irgendwie geschlechtsneutral sein. Man findet einige deutsche Feministen (m/w), die das auch so in ihren Bios zb bei Twitter stehen haben
Dilemma: Die direkt Übersetzung wäre „sie/sie“
Und „Sie“ ist alles andere als Geschlechtsneutral
Dabei will man so schön anerkannte Virtue Signalling Methoden damit aus dem englischen übernehmen, aber es klappt in der Übersetzung dann wieder nicht.
Ist Deutschland jetzt bereits feministischer/queerer/besser dank Siezen? Man darf bezweifeln, dass deutsche Feministen es so sehen würden.
Immerhin habe ich bisher auch noch keinen Text gelesen, in dem Them/They Pronomen in einer bizarren Queer-denglisch-Variante benutzt worden sind.