Ein Gastbeitrag von Titiat Scriptor
Als der Feminismus noch in seiner zweiten Welle über die westlichen Gesellschaften rollte, begleitete ihn die – grundsätzlich nachvollziehbare – Hoffnung, dass der Abbau verschiedener Benachteiligungsstrukturen auch bei den zählbaren Ergebnissen zu mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern führen würde. Jahrzehnte später ist klar, dass es so nicht gekommen ist. Die unabweisbare Tatsache ist: Frauen sind in vielen gesellschaftlichen Schlüsselrollen damals wie heute eine Minderheit. Sie stellen 31 Prozent der Bundestagsabgeordneten, besetzen 25 Prozent der Universitätslehrstühle und 10 Prozent der Vorstandspositionen in deutschen Unternehmen.
Frauenquoten sind seit langem eines der schärfsten (und umstrittensten) politischen Instrumente, um solche hartnäckigen Ungleichverteilungen aufzubrechen. Seit den 1980ern sollte „die Quote“ bei den verschiedensten Personalentscheidungen für mehr Gerechtigkeit sorgen. Zuletzt ist in die Quotendebatte wieder mehr Bewegung gekommen. Parität heißt das Schlagwort, unter dem Fragen gerechter Geschlechterverteilungen zunehmend forciert werden. Die Paritätsidee ist dabei keineswegs neu. Die Grünen, um nur ein Beispiel zu nennen, arbeiten seit Jahrzehnten mit einer Selbstverpflichtung zur paritätischen Verteilung von Ämtern und Mandaten.
Vergleichsweise neu ist aber die Forderung, Parität in gesellschaftlichen Schlüsselbereichen für alle verbindlich per Gesetz zu erzwingen. Erst im August kippte das Thüringer Landesverfassungsgericht einen Gesetzesentwurf, der paritätische Wahllisten für alle Parteien verbindlich etablieren sollte. Aktuell wird in Brandenburg über eine ähnliche Regelung verhandelt. Auch auf der großen Bühne, für den Bundestag, werden parteiübergreifend Rufe nach Parität lauter. Selbst die Bundeskanzlerin hat ihre Unterstützung dafür zugesagt. Auf den ersten Blick ist Parität nur eine weitere Quotenregelung. Gleiche Repräsentation von Männern und Frauen ist numerisch schließlich nichts anderes als eine Frauenquote von 50 Prozent.
Und dennoch – einen fundamentalen Unterschied gibt es: Quoten enthalten normalerweise keine Annahme darüber, wie sich ein Geschlechtergleichgewicht ausbalancieren würde, wenn es keinerlei Benachteiligung gäbe. Anders gesagt: Die gesetzliche Frauenquote von 30 Prozent für DAX-Vorstände basiert nicht auf der Idee, dass 70 zu 30 so etwas wie ein natürliches Geschlechtergleichgewicht im Spitzenmanagement wäre. Quoten dieser Art sind eher ein Brecheisen: Sie sollen verkrustete Strukturen einreißen und Veränderungsprozesse auslösen.
Ganz anders die Logik der Parität. 50/50 ist hier kein Zwischenschritt, kein Mittel für den guten Zweck, sondern die exakte Quantifizierung einer Gerechtigkeitsidee: Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung, also soll auch die Hälfte der wichtigen Positionen weiblich besetzt sein. Im Gegensatz zur Quote wird Parität von der Annahme getragen, dass fifty-fifty in einer wirklich geschlechtsneutralen, egalitären Gesellschaft der natürliche Zustand wäre. Das mag logisch klingen, ist aber im Grunde eine radikale Idee. Ihr Kern ist die Prämisse, dass Männer und Frauen quasi identisch sind. Sie haben dieselben Interessen, dieselben Präferenzen, dieselben Bedürfnisse. Lässt man diese Annahme weg, ergeben Forderungen nach Parität keinen Sinn. 50/50 wäre weder notwendig noch gerecht, wenn auf jede Frau, die DAX-Vorstand werden möchte, 8 Männer mit demselben Ziel kämen. Wer Parität sagt, postuliert deshalb – bewusst oder unbewusst – die essenzielle Gleichheit von Mann und Frau. Es gibt ein Problem mit dieser Prämisse: Sie ist falsch. Die psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung von Jahrzehnten zeigt, dass sich Männer und Frauen in zentralen Aspekten unterscheiden. Als Gruppen haben Männer und Frauen im Durchschnitt anders ausgeprägte Persönlichkeitsstrukturen und andere Präferenzen. Natürlich können einzelne Männer und Frauen radikal von diesen Durchschnittswerten abweichen, aber insgesamt, auf die gesamte männliche und weibliche Bevölkerung bezogen, ist die These von der essenziellen Gleichheit der Geschlechter falsch.
Das ist dann auch die Grundproblematik der Paritätsidee: Wenn Männer und Frauen im Schnitt nicht dasselbe wollen, dann ist 50/50 im besten Fall nicht zielführend. Im schlechtesten Fall erzeugt ein gesetzlicher Paritätszwang selbst künstliche Verzerrungen freier gesellschaftlicher Verteilungsprozesse. Damit ist niemandem geholfen. Wie unterschiedliche Interessen der Paritätslogik zuwiderlaufen, lässt sich am Beispiel der MINT-Berufe anschaulich machen. Für Anhänger der Parität waren Statistiken zu Frauenanteilen in MINT-Berufen noch nie ein Grund zur Freude. Die Bundesagentur für Arbeit berechnet auch für 2019 ein enormes Ungleichgewicht: 81 Prozent der Angestellten in Ingenieurberufen sind männlich, 83 Prozent in der Informatik, 85 Prozent in Technikberufen. Branchenübergreifend steht auch nach Jahrzehnten der Frauenförderung im MINT-Sektor das ernüchternde Ergebnis: 84 Prozent Männer, 16 Prozent Frauen.
Auf der Suche nach möglichen Ursachen für diese Ungleichheiten stößt man bald auf einen der zentralen psychologischen Geschlechtsunterschiede: Männer (als Gruppe) interessieren sich im Schnitt mehr für Dinge und abstrakte Systeme, Frauen (als Gruppe) interessieren sich im Schnitt mehr für Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen. Solche Unterschiede sind konsistent und sehr groß – viel größer etwa als Unterschiede in grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen (DOI: 10.1111/j.1751-9004.2010.00320.x).
Die Annahme, dass es einen Zusammenhang zwischen persönlichen Präferenzen und beruflicher Orientierung gibt, ist nicht sonderlich gewagt. Wer sich gerne mit anderen
Menschen und deren Bedürfnissen auseinandersetzt, wird eher nicht Fachinformatiker. Und wer eine Leidenschaft für abstrakte Systeme und komplexe Objekte mitbringt, wird eher nicht Sozialpädagoge. Nachvollziehbar also, dass dem Männerüberschuss im MINT-Sektor ein ebenso ausgeprägtes, aber umgekehrtes Ungleichgewicht in sozialen Berufen entgegensteht: Frauenanteil 84 Prozent.
Der Zusammenhang zwischen geschlechtstypischen Interessen und beruflichen Entscheidungen ist vielfach auch formal nachgewiesen. Nur ein Beispiel: Eine Serie von 15 Studien mit rund 7500 männlichen und weiblichen Probanden bestätigt nicht nur die oben beschriebenen Interessensunterschiede, es lässt sich anhand dieser Präferenzen auch mit guter Zuverlässigkeit vorhersagen, welche Studienfächer Männer und Frauen tatsächlich wählen (DOI: 10.1177/1948550612444320).
Andere Experimente zeigen, dass sich solche geschlechtstypischen Präferenzen schon im Spielverhalten von Kindern nachweisen lassen. Eine Studie untersucht zum Beispiel, mit welchen Spielzeugen Kinder zwischen 9 und 32 Lebensmonaten am liebsten spielen. In allen Fällen gehen die Ergebnisse in dieselbe Richtung: Jungs bevorzugen tendenziell Spielzeuge, die ihr Interesse an Dingen spiegeln, zum Beispiel Autos. Mädchen bevorzugen tendenziell soziale Spielzeuge, die ihr Interesse an Personen spiegeln, zum Beispiel Puppen (DOI:10.1002/icd.1986).
An dieser Stelle ließe sich mit einiger Berechtigung einwenden, dass solche Präferenzen keinen signifikanten biologischen Ursprung haben müssen, sondern auch über kulturbedingte Umwelteinflüsse und Sozialisierung entstehen können. Tatsächlich gibt es für die prägende Rolle von Kultur und Erziehung viele empirische Belege. Dafür spricht zum Beispiel, dass in der oben genannten Studie die Präferenzen für geschlechtstypische Spielzeuge mit steigendem Alter der Kinder größer werden, also mit wachsendem Bewusstsein für das eigene Geschlecht positiv korrelieren. Eine andere Studie zeigt, dass Mädchen eher mit jungentypischem Spielzeug spielen, wenn es vorher rosa eingefärbt wurde. Oder wenn man den Mädchen vor dem Spielen erzählt, es handele sich um ein Spielzeug für Mädchen. Derselbe Effekt – mit umgekehrten Vorzeichen – gilt auch für Jungen (DOI: 10.1016/j.appdev.2014.06.004).
Und trotzdem: Aus der Tatsache, dass Interessensunterschiede mit großer Sicherheit kulturell mitbedingt werden, lässt sich kein Argument pro Parität ableiten. Zu deutlich zeigt die Forschungslage, dass geschlechtstypische Präferenzen zur grundlegenden menschlichen Hardware gehören, also angeboren sind. Geschlechterunterschiede haben eine biologische Basis. Dafür spricht nicht zuletzt, dass entsprechende Unterschiede konsistent, kulturübergreifend und über lange Zeit stabil beobachtet werden können (DOI: 10.1111/j.1751-9004.2010.00320.x).
Zum anderen lassen sich Unterschiede – wie die oben beschriebene Studie zeigt – bereits bei Kindern feststellen, die für nennenswerte Sozialisierung zu jung sind. Schon bei 9 Monate alten Kinder sind geschlechtstypische Präferenzen sichtbar. Kinder entwickeln aber erst mit rund 15 Monaten ein erstes Bewusstsein für das eigene Geschlecht.
Ein Experiment mit Neugeborenen in den ersten Lebenswochen unterstreicht den vorsozialen Ursprung von Geschlechtsunterschieden auf eindrucksvolle Weise. Forscher messen dabei, wie lange Neugeborene ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Objekte richten. Dabei zeigt sich, dass neugeborene Mädchen eine messbare Präferenz für Gesichter haben. Ihnen gilt mehr Aufmerksamkeit als allen anderen Objekten. Jungs konzentrierten sich im Gegensatz dazu am längsten auf Mobiles (DOI: 10.1016/S0163-6383(00)00032-1).
Weitere Hinweise stammen aus Studien, die den Einfluss pränataler Hormonproduktion auf spätere Spielpräferenzen untersuchen. Hohes pränatales Testosteron korreliert dabei positiv mit einer Präferenz für jungentypisches Spielzeug – bei beiden Geschlechtern. Hinzu kommt, dass Mädchen, deren Körper wegen einer Stoffwechselerkrankung Androgene überproduzieren, später eine ausgeprägte Präferenz für typisch männliches Spielzeug zeigen (DOI: 10.1111/j.1467-9280.2009.02279.x).
Der vielleicht überzeugendste Hinweis auf den evolutionären, kulturunabhängigen Ursprung von geschlechtstypischen Interessen stammt aber nicht aus Studien mit Kindern, sondern aus dem Tierreich. Eine Reihe von Tierexperimenten zeigt, dass sich Menschen- und Affenkinder darüber einig sind, mit welchen Spielzeugen man den meisten Spaß hat. Auch Rhesusaffen-Jungs spielen lieber mit Autos. Dass sie keine Ahnung haben, was ein Auto ist, hindert sie daran nicht. Rhesusaffen-Mädchen bevorzugen dagegen soziale Spielzeuge wie Stofftiere und Puppen (DOI: 10.1016/j.yhbeh.2008.03.008).
Auch bei Meerkatzen und Schimpansen lassen sich vergleichbare Muster beobachten. Bei Schimpansen suchen junge Weibchen viel häufiger als Männchen nach kleineren Stöcken, um mit ihnen wie mit Puppen zu spielen. Sie wiegen sie an der Brust und betten sie mitunter auch zum Schlafen in ihre Nester. Geschlechtstypische Spielpräferenzen könnten also das Ergebnis von Selektionsprozessen aus der Evolutionsgeschichte sein – Prozesse, die begannen, bevor sich die evolutionären Pfade von Menschen und Menschenaffen getrennt haben und lange bevor Kultur als Faktor überhaupt in Betracht kommt (DOI: 10.1016/j.cub.2010.11.024).
Zurückbezogen auf die Eingangsfrage nach dem Sinn oder Unsinn von Paritätsforderungen, ergibt sich aus solchen Forschungsergebnissen ein relativ belastbarer Schluss: Die Grundannahme der Paritätsverfechter hält einer nüchternen Betrachtung nicht stand. Männer und Frauen sind nicht essenziell gleich. Es gibt harte, biologische Unterschiede zwischen beiden Gruppen, die sich unter anderem in verschiedenen Präferenzen manifestieren und beeinflussen, für welche Berufe Männer und Frauen sich tendenziell entscheiden. Die Vorstellung, Geschlechtergerechtigkeit sei erst erreicht, wenn weibliche Repräsentation im Berufsleben oder in Parlamenten dem Frauenanteil in der Gesamtgesellschaft entspricht, basiert auf einer empirisch widerlegbaren Vorstellung vom Menschen als Wesen ohne Biologie.
Dass Paritätsbestrebungen auch praktisch gesehen nicht zielführend wären, wird durch eine aktuelle sozialwissenschaftliche Studie zumindest angedeutet. Untersucht wurde, ob in Ländern mit ausgeprägt egalitärer Genderpolitik der Frauenanteil in MINT-Berufen größer ist als in weniger progressiven Ländern. So müsste es sein, wenn Interessensunterschiede wesentlich von geschlechtstypischen Sozialisierungsmustern abhängen. Entgegen dieser Erwartung stellen die Autoren fest, dass in Ländern mit besonders progressiver Politik – insbesondere in den skandinavischen Gesellschaften – der Frauenanteil im MINT-Bereich nicht nur nicht größer wird, sondern sogar sinkt. Möglicherweise wird hier sichtbar, was geschieht, wenn Männer und Frauen (als Gruppe) ihre Berufe mit geringem kulturellen Erwartungsdruck und mit großer materieller Sicherheit wählen: Der Einfluss biologischer Faktoren wird maximiert. Aber nur möglicherweise, denn die Studie wurde zu Recht für ihr wenig überzeugendes Forschungsdesign kritisiert (DOI: 10.1177/0956797620904134).
Niemand weiß, wie sich Männer und Frauen unter völlig kulturunabhängigen, geschlechtsneutralen Bedingungen im MINT-Sektor ausbalancieren würden. 52 zu 48? 74 zu 26? Eine belastbare Basis für Festlegungen dieser Art existiert nicht. Eine paritätische Verteilung ist als natürliches Gleichgewicht wegen der hier beschriebenen biologischen Unterschiede aber praktisch ausgeschlossen. Paritätsgesetze sind deshalb kontraproduktiv. Daraus folgt natürlich nicht, dass wir die eingangs genannten Ungleichverteilungen einfach hinnehmen sollten. 84 zu 16 im MINT-Bereich ist mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht das Ergebnis unverzerrter Verteilungsprozesse. Studien zeigen deutlich, dass kulturelle Hürden Mädchen davon abhalten, MINT-Fächer zu studieren und MINT-Berufe zu ergreifen. Sie deuten auch an, dass Interventionen im sozialen Umfeld dabei helfen können, diese Hürden zu beseitigen (DOI: 10.1080/09500693.2018.1540897).
Wer möchte, dass Männer und Frauen mit minimalen kulturellen Verzerrungen ihren Interessen frei nachgehen können, sollte deshalb Paritätsforderungen ablehnen und stattdessen Maßnahmen befürworten, die für alle Menschen die gleichen Wege durchs Leben öffnen. Anders gesagt: gleiche Chancen statt gleicher Ergebnisse.
Der Autor schreibt unter dem Pseudonym @titiatscriptor auf Twitter über
sozialwissenschaftliche Themen