Justizminister Buschmann zur Verantwortungsgemeinschaft und zum Selbstbestimmungsgesetz

In einem Interview äußerte sich Justizminister Buschmann unter anderem zu zwei interessanten Themen:

ZEIT ONLINE: Die Ampel-Koalition hat versprochen, die Gesellschaftspolitik zu erneuern. Ein umstrittenes Reformvorhaben ist die Verantwortungsgemeinschaft. Welche Vorteile soll sie bringen?

Buschmann: Die Verantwortungsgemeinschaft soll Menschen rechtliche Sicherheit geben, die dauerhaft im Alltag Verantwortung füreinander übernehmen, aber keine Liebesbeziehung haben. Denken Sie an eine Seniorenwohngemeinschaft oder auch befreundete Alleinerziehende, die sich im Alltag unterstützen. Das kann Fragen der weiteren Nutzung der gemeinsamen Wohnung betreffen, wenn ein Mitglied die Senioren-WG verlässt oder Auskunfts- und Vertretungsrechte im Krankenhaus. Wir denken an ein Modell mit verschiedenen Stufen der rechtlichen Verbindlichkeit. Die Verantwortungsgemeinschaft soll unbürokratisch auf dem Standesamt geschlossen werden können und hat vor allem ein Ziel: Menschen, die für Mitmenschen dauerhaft Verantwortung übernehmen, das Leben im Alltag leichter zu machen.

Die Verantwortungsgemeinschaftwar zunächst im Gespräch als Gegenstück zum  französischen Pacte civil de solidarité, der dort immer mehr die Ehe verdrängt. Hier klingt es allerdings wesentlich zurückhaltender, was eigentlich schade ist, weil der pact civil eben in vielen Punkten so ausgestaltet ist, dass die Parteien dessen Regeln bestimmten.
In dem oben verlinkten Artikel hatte ich schon kommentiert, dass es Probleme mit dem Grundgesetz geben könnte, was eine „kleine Ehe“ angeht:

In Deutschland würde es interessant werden, ob das Bundesverfassungsgericht ein Problem mit dem „Schutz der Ehe“ sieht, wenn eine „Ehe light“ eingeführt wird. Man kann sagen, dass sie dadurch entwertet wird und damit der verfassungsrechtliche Schutz nicht hinreichend umgesetzt ist. Aber man könnte eben ebenso vertreten, dass es ja keine Ehe ist und diese nach wie vor geschlossen werden kann. Man kann auch argumentieren, dass Ehe eben für Veränderungen offen sein muss und sich der Begriff hier gewandelt hat.

Vielleicht nimmt Buschmann deswegen auch hier die Erwartungen zurück, weil es anscheinend etwas wesentlich kleineres wird. Es wäre interessant, wenn es hier bald etwas konkreter werden würde, weil der Pact Civil je  nach Ausgestaltung ein sehr interessantes Steuersparmodel für die Erbschaftssteuer und die Schenkungssteuer ist, insbesondere wenn die Freibeträge aus der Ehe übernommen würden oder zumindest höhere als in der „Normalen Beziehung“ gelten würden.

Mal sehen welche „Höchste Stufe der Bindung“ besteht und was der Staat dafür im Gegenzug springen lässt.

ZEIT ONLINE: Wann kommt der Gesetzentwurf?

Buschmann: Wir haben im vergangenen Jahr in unserem Ministerium sehr intensiv daran gearbeitet. Mein Ziel ist, dass wir im ersten Quartal ein Eckpunktepapier vorlegen und dann innerhalb der Bundesregierung darüber beraten. Es ist eine komplexe Reform, da geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.

Und dann im Folgenden etwas konkreter:

ZEIT ONLINE: Voraussetzung für eine Verantwortungsgemeinschaft soll sein, dass eine „tatsächliche persönliche Nähe“ besteht. Wie wollen Sie das prüfen?

Buschmann: Es wird keine staatlichen Hausbesuche zur Überprüfung geben oder Tests, wie gut man sich denn kennt. Das wäre eines liberalen Rechtsstaats nicht würdig – und es gibt vor allem dafür auch kein Bedürfnis: Denn die Verantwortungsgemeinschaft wird keine Missbrauchsmöglichkeiten bieten, sich sachwidrige Vorteile, etwa steuerlicher Art, zu erschleichen. Deshalb wird eine Verantwortungsgemeinschaft nur eintragen lassen, wer tatsächlich in einem persönlichen Näheverhältnis steht.

ZEIT ONLINE: Müssen Mitglieder einer Verantwortungsgemeinschaft wie in einer Senioren-WG im Zweifel die Pflegekosten füreinander tragen?

Buschmann: Nein, es soll nicht dazu führen, dass Menschen sich einem finanziell unabsehbaren Risiko aussetzen. Dazu sind in der Regel Rücklagen und die Familie da, die ja heute schon von Rechts wegen haftbar für die Pflegekosten ist. Der Kern der Verantwortungsgemeinschaft ist die Übernahme von Verantwortung im Alltag – und nicht die Haftung füreinander.

ZEIT ONLINE: Wird durch dieses Modell nicht der besondere Schutz der Ehe im Grundgesetz aufgeweicht?

Buschmann: Nein. Das höre ich zwar immer wieder von Skeptikern. Das ist aber falsch. Denn am besonderen Schutz der Ehe werden wir nichts ändern. Die Vorteile der Ehe im Vergleich zu anderen Formen des Zusammenlebens etwa im Steuerrecht oder im Erbrecht werden bleiben. Wer heiraten möchte, soll das weiterhin tun und steht unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Die Ehe bleibt also etwas ganz Besonderes für Menschen, die sich lieben.

Da wäre die Frage, was genau eigentlich die Verantwortungsgemeinschaft darstellen soll. Gut, mit Vorteilen im Steuerrecht wird evtl nur die gemeinsame Veranlagung gemeint sein und mit Vorteilen im Erbrecht evtl nur das gesetzliche Erbrecht und der Pflichtteilsanspruch. Mal sehen, ob man da die Verantwortungsgemeinschaft zumindest besser stellt als die „Anderen“, die momentan auch die sonstigen Beziehungen oder Lebensgemeinschaften umfassen.

ZEIT ONLINE: Wer keinen Aufenthaltstitel in Deutschland hat, aber einen Deutschen oder eine Deutsche heiratet, kann in der Regel im Land bleiben. Gilt das auch für die Verantwortungsgemeinschaft?

Buschmann: Nein, das hielte ich für einen großen Fehler. Denn eine solche Regelung hätte natürlich Missbrauchspotenzial, da die Verantwortungsgemeinschaft ja einfach und mit geringen Hürden eingetragen werden können soll. Bei der Ehe gilt etwas anderes: Das Grundgesetz schreibt vor, Ehe und Familie besonders zu schützen.

Ich vermute mal, dass das ein Fall davon ist, dass kein Plan die erste Feindberührung überlebt, wie man so schön bei der Bundeswehr sagte.

Bei der FPD hieß es vor der Wahl noch:

Wir Freie Demokraten setzen uns für die Einführung der Verantwortungsgemeinschaft als Rechtsinstitut neben der Ehe ein. In einer Zeit, in der traditionelle Familienstrukturen gerade im Alter nicht immer tragen, wächst der Bedarf an neuen Formen gegenseitiger Absicherung – jenseits von Verwandtschaft oder Liebesbeziehungen. Deshalb wollen wir im Bürgerlichen Gesetzbuch neben der Ehe das Rechtsinstitut der Verantwortungsgemeinschaft mit flexiblen Bausteinen der Verantwortungsübernahme zwischen zwei oder mehreren Personen einführen. Um Rechtsklarheit gegenüber anderen Verpflichtungen zu wahren, dürfen diese Personen weder verheiratet, verpartnert oder in gerader Linie miteinander verwandt sein. Begünstigungen durch den Staat im Steuer- und Sozialrecht, aber auch im Erbrecht, sind nur gerechtfertigt, wenn die Partner volle Unterhalts- und Einstandspflichten wie Ehepaare übernehmen.

Mal sehen, was davon übrig bleibt.

Der zweite Punkt ist das Selbstbestimmungsgesetz:

ZEIT ONLINE: Ein weiteres gesellschaftspolitisches Projekt aus Ihrem Haus ist ebenfalls umstritten: Wie ist der Stand beim Selbstbestimmungsgesetz? Es soll das Transsexuellengesetz ersetzen. Künftig sollen Menschen ihren Geschlechtseintrag im Pass durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern können.

Buschmann: Wir haben im Sommer bewusst ein frühes Eckpunktepapier vorgestellt. Das hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Vieles davon war übertrieben, von Ängsten und teilweise auch von Vorurteilen gelenkt.

ZEIT ONLINE: Was war übertrieben?

Buschmann: Da wurden teils Zerrbilder über geschlechtsangleichende Operationen für Minderjährige gezeichnet. Die Wahrheit ist: Medizinische Fragen regelt unser Entwurf überhaupt nicht. Hier haben alle medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland den gleichen Standpunkt, den auch die Bundesregierung teilt: Solche Behandlungen sollen in Deutschland nicht an Minderjährigen vorgenommen werden. Daran wollen wir auch nichts ändern. Wir wollen lediglich möglich machen, dass eine trans Person ihren Geschlechtseintrag bei den Behörden, also beim Staat, ändern kann. Das hat zum Beispiel Auswirkungen auf die Anrede in behördlichen Schreiben. Es geht um das Bürger-Staat-Verhältnis, in dem der Staat die Identität eines Menschen respektieren soll. 

Auch hier wird anscheinend etwas zurückgerudert, wobei Buschmann sich meine ich schon früher zurückhaltend geäußert hat, während andere wie etwa Sven Lehmann anscheinend ein weitaus weitreichenderes Recht vor Augen haben. Dort hatte man denke ich etwas vor Augen, bei dem mit dem Wechsel im Pass auch ein umfassender gesetzlicher Wechsel eintritt, eben trans Frauen sind Frauen und trans Männer sind Männer.

ZEIT ONLINE: Das Gesetzesvorhaben soll es Minderjährigen ab dem vierzehnten Lebensjahr erlauben, ihren Geschlechtseintrag zu ändern – notfalls ohne Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten. Sollte Menschen in der Pubertät diese Entscheidung wirklich selbst überlassen werden?

Buschmann: Ich habe persönlich durchgesetzt, dass bei Minderjährigen die Eltern eine starke Rolle im Verfahren haben. Wenn die Eltern der festen Überzeugung sind, dass es sich um einen vorübergehenden Wunsch handelt, können sie die Veränderung des Geschlechtseintrags ja auch verweigern. Sollte es dann mal zu einem Konflikt zwischen Eltern und Kindern kommen, gäbe es den Weg über ein Familiengericht. Wir machen die Dinge leichter – aber nicht leichtfertiger.

Das werden spannende Verfahren, weil der Richter sich dann ja entscheiden muss, ob die Eltern berechtigterweise die Zustimmung verweigern. Das kann er über eine Anhörung des Kindes machen, aber man wird bei so etwas kaum um ein Gutachten herum kommen.

Wäre interessant wie man die Kostentragung regelt, denn solche Gutachten sind ja nicht billig. Muss das Kind beweisen, dass es recht hat, gilt ein Amtsermittlungsgrundsatz, weil es ein Sorgerechtsverfahren ist etc.

ZEIT ONLINE: Jugendpsychiater warnen davor, den peer pressure in der Pubertät zu unterschätzen. Wer den Geschlechtseintrag ändere, gehe dann oft auch den medizinischen Weg der Transition. Jugendlichen werden in Deutschland auch Pubertätsblocker verschrieben.

Buschmann: Nicht der Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags ist für viele Betroffene der entscheidende Schritt – sondern das soziale Coming-out als trans Person. Und mit diesem Vorgang hat unser Gesetz nichts zu tun. Im Übrigen: Ich glaube nicht, dass man die Gleichung aufstellen kann, aus einer Änderung des Geschlechtseintrags auf dem Standesamt folgten zwangsläufig medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung. Da stellt man sich die komplexen, schwierigen seelischen Prozesse, die in transidenten Menschen vorgehen, zu einfach vor. Diese Menschen leiden mitunter sehr und sie haben lange nachgedacht, ob sie diesen Schritt gehen. Sie sind in unserem Gemeinwesen aber lange Zeit wie Kranke behandelt worden. Es geht darum, ihr Selbstbestimmungsrecht zu achten.

Das ist eben wieder das Problem, dass einige vielleicht selbst nicht wissen, was sie sind und man diese Möglichkeit so richtig gar nicht mit einbezieht.

Aber nun zum Absatz, der einiges an Diskussionen ausgelöst hat:

ZEIT ONLINE: Eigentlich sollte der Gesetzentwurf längst verabschiedet sein. Laut der Bundesfamilienministerin wird das nun erst bis zum Sommer passieren. Warum dauert das so lang?

Buschmann: Wir haben wahrgenommen, dass es Sorgen gibt, die sich auf die Rechtsfolgen des Geschlechtswechsels beziehen. Dabei geht es hier in Wahrheit in erster Linie um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat – um die Änderung eines Eintrags in einem staatlichen Register. Wir werden klarstellen, was das bedeutet. Die Anrede in einem behördlichen Schreiben muss beispielsweise die geschlechtliche Identität, die ein Mensch für sich gewählt hat, respektieren und akzeptieren. Aber die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an. Die Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein. Das müssen wir sauber regeln. Das ist technisch anspruchsvoll und muss gründlich erarbeitet sein.

Dazu ein paar Stimmen:

Das wird also spannend. Ich vermute mal es wird insofern ein „Selbstbestimmungsrecht Light“ (aus Sicht der radikaleren Transaktivisten) geben, welches lediglich den Staat verpflichtet, wobei das dann natürlich interessant für zB öffentliche Schwimmbäder etc wird.

ZEIT ONLINE: Und wann kommt der Gesetzentwurf? Im Sommer, wie Frau Paus gesagt hat?

Buschmann: Meine Motivation ist, dass wir zügig vorankommen. Ich halte das für einen Baustein einer liberalen Gesellschaftspolitik, deshalb muss es vor allem gut gemacht sein. Wenn im Gespräch mit einem anderen Ministerium noch Fragestellungen auftauchen, kann es vielleicht etwas länger dauern, das zu lösen.

Es wird vermutlich auch insbesondere eine Koalitionsfrage werden. Man wird sehen wie wichtig gerade den Grünen eine weitergehende Regelung ist.