In den Diskussionen zur Evolution kam es erneut wiederholt zur Einwendung, dass die biologischen Theorien bereits insofern falsch seien, weil sie ja auf Fortpflanzung abstellen würden, dabei wollten die Leute nur Sex und Fortpflanzung ist ihnen egal.
Ich hatte dazu schon verschiedenes geschrieben, einmal unter dem Stichwort „Ultimate und proximate Cause“:
Eine wichtige Unterscheidung zum Verständnis von Evolutionsbiologie und damit auch für das Verständnis des Menschen und der Geschlechterunterschiede ist die Unterscheidung zwischen Ultimate Cause und Proximate Cause.
- Unter dem Proximate Cause versteht man ein Ereignis, dass direkt zu dem Endzustand geführt hat.
- Unter dem Ultimate Cause versteht man den „eigentlichen Grund“, der das Ereignis erklärt
(…)
b. Sex und Fortpflanzung
- Ultimate Cause: Geschlechtliche Fortpflanzung erfordert eine Übergabe der Gene und deren Verbindung miteinander
- Proximate Cause: Das Ineinanderstecken von Geschlechtsorganen spricht – richtig gemacht – gewisse Nerven an, die das Belohnungszentrum stimulieren und eine Ausschüttung von Glückshormonen und Bindungshormonen bewirken. Die Ausschüttung bestimmter Hormone durch den Sex vermindert den Sexualtrieb kurzzeitig.
- Umgehung: Dank Verhütungsmittel haben wir zwar noch den Spass am Sex, aber nicht mehr unbedingt die Fortpflanzung. Paare können ein Leben lang Sex haben, ohne den Ultimate Cause des Sex gerecht zu werden; Cybersex, Masturbation vor Pornos;
Und unter „Fortpflanzungstrieb vs Sextrieb“
Evolutionäre Betrachtungen bringen es mit sich, dass man über Fortpflanzungen reden muss. Weil Fortpflanzung der Weg ist, der einzige Weg ist, über den Evolution wirken kann. Nur wenn sich der Bauplan dauerhaft verändert kommt es zu einer Evolution.
Die Fortpflanzung ist damit innerhalb einer evolutionären Betrachtung das Maß aller Dinge.
Das bedeutet allerdings mehrere Sachen nicht:
1. Das Individuum muss keinen Willen zur Fortpflanzung haben
Die Evolution ist nicht darauf ausgelegt, dass bestimmte Faktoren, nach denen sie arbeitet, verstanden werden. Es reicht vielmehr, wenn die Faktoren zum tragen kommen. Die Evolution muss also kein Verständnis für die Mechanismen der Fortpflanzung vorsehen oder gar einen Wunsch nach Fortpflanzung erzeugen. Es reicht vollständig, dass ein Wunsch für eine Handlung aufgebaut wird, der üblicherweise eine Fortpflanzung zur Folge hat.
Ebenso wie es ausreicht, Nahrung mit vielen Nährstoffen lecker schmeckend zu finden und ein Völlgefühl im Magen angenehm, ein Leeregefühl hingegen unangenehm, um den Menschen dazu zu bringen, Nahrung aufzunehmen, reicht es auch, das Hineinstecken von gewissen Körperteilen in bestimmte Körperöffnungen lustvoll zu finden um Fortpflanzung abzusichern.
Und noch einmal in einer Besprechung eines Artikel von Elmar zur Soziobiologie:
- Hatten sie schon einmal den Drang, ihre Gene weiterzugeben? Vermutlich nicht – denn sie haben vermutlich noch nie den intuitiven Drang verspürt, eine Samenbank zu besuchen und Sie finden vermutlich auch die Vorstellung eher seltsam und nicht in spezifischer Weise befriedigend, daß eine Frau, die sie nicht kennen, von ihrem Sperma schwanger wird.
Auch hier baut Elmar ein Scheinproblem auf, welches Laien häufiger bringen: Wir haben keinen Fortpflanzungstrieb, weil das keine umsetzbare Handlung ist, sondern einen Sexualtrieb, der auf eine Handlung ausgerichtet ist, die unter evolutionär relevanten Bedingungen zu einer Fortpflanzung führt. Die Fortpflanzung ist der „ultimative Grund“ , aus dem die Selektion auf den Sexualtrieb stattgefunden hat. Der Grund hierfür ist auch recht einfach: Wie sollte eine Selektion auf „Fortpflanzungsverhalten“ denn sonst aussehen? Die Frage dann wiederum, ob wir schon mal den „Drang hatten Sex zu haben (weil dies unter evolutionär relevanten Bedingungen die Handlung ist, mittels der man sich fortpflanzt)“ werden aber wohl die meisten Leute jenseits der Pubertät bejahen.
Aber dennoch scheint das ein Punkt zu sein, der häufig zu Unverständnis führt. Und ich bin vielleicht schon zu sehr in einem bestimmten Denken drin (mag es richtig oder falsch sein) um zu verstehen, wo genau da das Unverständnis liegt.
Ich versuche es daher noch einmal mit einem Beispiel:
A: Die X AG ist eine Firma, die viel Geld haben will (=einen hohen Gewinn haben möchte).
B: Aber sie stellt ja kein Geld her, sondern Waren!
A: Sie kann ja auch kein Geld herstellen, aber sie verdient Geld damit, dass sie Waren herstellt und verkauft.
B: Aber statt den Maschinen für Waren könnte sie ja direkt Maschinen für Geld kaufen und damit direkt Geld herstellen statt den Umweg über Waren zu gehen! Sie wollen also kein Geld, sie wollen anscheinend Waren herstellen!
Da wird jeder schon verwundert sein, warum da überhaupt eine Erläuterung notwendig ist bzw warum B eine so abwegige Meinung überhaupt vertritt.
Wenn man sich jetzt vorstellt, dass für Gene die Weitergabe der Gene in möglichst viele weitere Generationen das „Ziel“ ist, und das sie Lust auf Sex und Begierden herstellen, um dann an Nachkommen zu kommen, dann hat man vielleicht ein passendes Bild gefunden.
Also:
A: Die Gene sind evolutionär etwas, was viele Nachkommen haben will!
B: Aber sie stellen ja keinen Fortpflanzungstrieb oder direkt Nachkommen her, sondern nur Menschen, die Sex wollen
A: Sie kann ja auch nicht einen einen Trieb zur Fortpflanzung einrichten, da ist ja nichts, woran evolutionär etwas festgemacht werden kann, aber wenn die Leute Sex haben, dann werden sie ja in evolutionär relevanten Zeiten schwanger werden und damit Nachkommen produzieren
B: Aber sie könnte die Körper so herstellen, dass sie die Verschmelzung von Eizelle und Spermien lustvoll finden statt nur Sex, statt den Umweg über Sex zu gehen. Sie wollen anscheinend keinen Nachwuchs, sondern nur Sex!
Hat jemand andere (bessere) Beispiele?
Das Unternehmen will aber Geld verdienen, viele Männer wollen Sex aber nicht unbedingt Kinder, sonst gäbe es keine Verhütung, der Vergleich hinkt daher völlig. Viele im Unternehmen haben wenig Spaß an der Arbeit aber am Geld. Während Sex oft Selbstzweck ist, ist es das Unternehmen oft nicht.
Natürlich haben wir Spaß am Sex, weil es so Kinder bringt, aber aus Sicht des Individuums hat man von der reinen Triebhaftigkeit nicht mit dem Ziel der Zeugung Sex.
Frag mal einen Mann, ob er bei einer prallen Mittzwanzigerin an Kinder denkt
Das Unternehmen sind aber nicht die Personen, sondern ihre Gene. Und für die ist Sex nur ein Mittel der Fortpflanzung
Das mag sein und von der Evolution her stimmt das sicher.
Die Mitarbeiter wären dann aber hier die Menschen, für den Mitarbeiter wäre die Arbeit aber eher Mittel zum Zweck, für den sexuellem Menschen ist Sex selbst Spaß.
Das Problem ist die Metapher vom »egoistischen Gen«, die Dawkins verbrochen hat, und die aus didaktischen Gründen eine Intentionalität suggeriert, wo es keine geben kann. Das beschert uns dann Formulierungen wie »Die Gene sind evolutionär etwas, was viele Nachkommen haben will!« als Diskussionsgrundlage – ein immerwährender Quell überflüssiger Kontroversen.
Dass Sex ein in Individuen angelegter Drang ist, der zur Fortpflanzung führt, kann man ja schon an Tieren beobachten – die Stadttaubenproblematik beispielsweise (das Klischee von den »Ratten der Lüfte«) rührt daher, dass die Populationen von der Haustaube (columba livia domestica) mit ihrem vom Menschen angezüchteten Brutzwang abstammen, weshalb sie bis zu acht Gelege pro Jahr unterhalten, im Unterschied etwa zur wilden Ringeltaube (columba palumbus) mit ein bis zwei Gelegen pro Jahr. Mit dem Resultat müssen sich dann die Stadtverwaltungen herumschlagen.
Die These des Zusammenhangs von Sex und Fortpflanzung ist insofern trivial wahr und wird durch die schiefe Metapher vom intentionalen Gen in ein Scheinproblem verwandelt. Sie verdeckt die interessantere Frage, warum Evolution ein gerichtetes Phänomen mit eigenem Zeitpfeil ist und ein telos zu haben scheint. Wie immer die Antwort darauf lautet: die These vom egoistischen Gen ist so gut oder so schlecht wie die These, dass in der Evolution der Geist Gottes weht.
„warum Evolution ein gerichtetes Phänomen mit eigenem Zeitpfeil ist und ein telos zu haben scheint“
https://de.wikipedia.org/wiki/Pareidolie ?
scnr
Hast du einen Link auf einen Artikel über den telos-Eindruck?
@weiss_auch_nicht:
Die Gerichtetheit der Evolution würde ich ebenfalls als trivial wahr betrachten, da sie am wachsenden Komplexitätsgrad der Organismen (allgemeiner: der Organisation von Materie) ablesbar ist. Das muss natürlich kein Telos implizieren, insofern finde ich den Pareidolie-Verdacht berechtigt.
Ein passender Link scheint mir der Abschnitt Teleologie und evolutive Kausalität im Wikipedia-Artikel zur Teleologie zu sein.
Inwiefern sind die Organismen des Quartär von der Materie her komplexer, als die Organismen des Perm?
Darum
„Die Gerichtetheit der Evolution würde ich ebenfalls als trivial wahr betrachten, da sie am wachsenden Komplexitätsgrad der Organismen (allgemeiner: der Organisation von Materie) ablesbar ist“
Es gibt auch Evolution zum Einfachen. Die vermeintliche Gerichtetheit und Zielorientierung ist eine optische Täuschung.
Richtig ist vielmehr: Evolution geschieht einfach weil die Gesetze der Natur sie zulassen. Sie hat kein Ziel, keine „Entwicklung zum höheren“ oder etwas in der Art.
„interessantere Frage, warum Evolution ein gerichtetes Phänomen mit eigenem Zeitpfeil ist und ein telos zu haben scheint.“
Die Evolution ist nicht gerichtet und hat kein Ziel.
Ebensowenig wie die Geschichte. Auf den Kapitalismus folgt eben nicht der Sozialismus als höhere Gesellschaftsform. Und nach dem Menschen wird es andere Tiere geben, die keine Städte bauen und weder lesen noch schreiben können.
@anorak2:
Die Evolution ist nicht gerichtet und hat kein Ziel.
Letzteres habe ich nicht behauptet (zumindest müsste man hier aufwendig philosophisch argumentieren), ersteres ist dagegen offensichtlich, weil sich für die Komplexitätssteigerung vom Einzeller bis zum Homo Sapiens klare Kriterien angeben lassen: (a) eine zunehmende funktionale Differenzierung und (b) eine zunehmende Zahl hierarchischer Steuerungsebenen, damit verbunden (c) eine zunehmend differenzierte Umweltrepräsentation und (d) eine wachsende Verhaltensautonomie.
Die Hominiden des Quartär sind komplexer als die Reptilien des Perm, weil sie mindestens nach den Kriterien (c) und (d) höhere Kapazitäten aufweisen.
Aber das ist dennoch kein Ziel. Wir könnten zB Dümmer werden, wenn dumme Menschen mehr Kinder bekommen als schlaue Menschen.
@Christian:
»wenn dumme Menschen mehr Kinder bekommen als schlaue Menschen«
Dann hängt es von der gesellschaftlichen Organisation ab, was passiert: eine Ökonomie, die viel einfache Arbeit dummer Menschen nachfragt, zieht einen kollektiven Vorteil daraus. Eine Ökonomie, die auf hohes Bildungsniveau angewiesen ist, wird die Schulbildung anpassen, um die Dummen wenigstens in der Folgegeneration schlauer zu machen.
Das ist nämlich die Pointe beim Menschen: es kommt für den Erfolg in der kulturellen Evolution nicht mehr ausschließlich auf die erfolgreiche Fortpflanzung an.
Eine Ökonomie, die auf hohes Bildungsniveau angewiesen ist, wird die Schulbildung anpassen, um die Dummen wenigstens in der Folgegeneration schlauer zu machen.
Das sollte so sein, ja. Ist derzeit allerdings zumindest in D nicht der Fall…
Was bedeuten „zunehmend differenzierte Umweltrepräsentation“ und „wachsende Verhaltensautonomie“?
@Adrian:
Beispiel für ersteres: die Fähigkeit, Realität wahrzunehmen, die nicht unmittelbar den Sinnesorganen zugänglich ist, sondern mittelbar über Messinstrumente (vom Fernrohr bis zum Chromatographen) erschlossen werden muss.
Beispiel für letzteres: die Fähigkeit, in sieben fetten Jahren für sieben magere Jahre vorauszuplanen anstatt nur abzugrasen, was jeweils gerade auf der Wiese sprießt.
Aber diese speziellen Fähigkeiten hat ja nur eine Spezies. Rückblickend lässt sich natürlich auf die Schulter klopfen und unsere „höhere Komplexität“ bewundern, weil wir nicht wissen, was nach uns kommt.
Dass der Mensch sich über Dinge Gedanken machen kann die nicht mit seinem unmittelbaren Überleben zu tun haben, ist kein Selektionsvorteil, kann daher nicht deterministische Zielrichtung der Evolution sein. Es ist wahrscheinlich nur ein zufälliger Seiteneffekt der Hirnentwicklung, deren eigentlicher Überlebensvorteil in viel handfesteren Fähigkeiten liegt. Wie Adrian schon schrieb ist es außerdem nur beim Menschen zu beobachten, also möglicherweise ein Sonderfall und nicht das Prinzip der Evolution. Milliarden von Spezies sind ohne diese Fähigkeit evolviert und kommen offenbar gut klar, manche viel besser als wir.
@Adrian:
»Rückblickend lässt sich natürlich auf die Schulter klopfen und unsere „höhere Komplexität“ bewundern, weil wir nicht wissen, was nach uns kommt.«
Darum verwende ich den Komparativ, nicht den Superlativ.
Aus einer Spezies lässt sich keine Entwicklung auf Komplexität ableiten.
@anorak2:
»Dass der Mensch sich über Dinge Gedanken machen kann die nicht mit seinem unmittelbaren Überleben zu tun haben, ist kein Selektionsvorteil, kann daher nicht deterministische Zielrichtung der Evolution sein.«
Definiere »unmittelbares Überleben«. Den Kühlschrank aufmachen und eine Wurst rausholen dient dem unmittelbaren Überleben heute in gleicher Weise wie früher die Wildschweinjagd. Arbeitsteilig Kühlschränke herzustellen und Viehzucht sowie Metzgereien zu betreiben erreichen wir genau damit, nicht mehr ans unmittelbare Überleben gekettet zu sein. Es ist ein enormer Selektionsvorteil.
»… nur beim Menschen zu beobachten, also möglicherweise ein Sonderfall …«
Der Mensch ist ein weiterer qualitativer Sprung der allgemeinen Evolution, vergleichbar dem Übergang von der chemischen zur biologischen Evolution. Insofern passt das gut ins Bild einer generellen Richtung.
„Es ist ein enormer Selektionsvorteil.“
Das kannst Du nicht wissen. Denn
1. leben gleichzeitig mit uns tausende Arten erfolgreich zusammen, die keinen Kühlschrank haben.
2. könnte der Kühlschrank ebenso gut eine evolutionäre Sackgasse sein, weil er uns von Technologie abhängig macht oder uns wegen Bequemlichkeit verfetten lässt.
3. Lässt sich ein Selektionsvorteil immer nur rückwirkend betrachten. Denn die gleichen Fähigkeiten, die uns den Kühlschrank ermöglichen, ermöglichen uns auch die Atombombe.
@Adrian:
»Aus einer Spezies lässt sich keine Entwicklung auf Komplexität ableiten.«
Aus dem Vergleich mit anderen Spezies innerhalb der Entwicklungreihe aber sehr wohl.
„Aus dem Vergleich mit anderen Spezies innerhalb der Entwicklungreihe aber sehr wohl.“
Eher im Gegenteil. Denn wenn eine Spezies komplex gemäß Deinen Maßstäben ist, all die anderen aber nicht, dann ist der Mensch die Ausnahme.
„Definiere »unmittelbares Überleben«.“
Die Wahrscheinlichkeit, vor dem eigenen Tod Nachkommen zu zeugen.
„Arbeitsteilig Kühlschränke herzustellen“
Du bist zu sehr an die Spezies Mensch und die letzten Verästelungen der Zivilisation orientiert.
99,99% der Evolution fand ohne den Menschen statt, und 99,999999% ohne Kühlschränke.
Auch der evolutionäre Grund, warum sich Hirne entwickelt haben die logische Schlüsse ziehen können, ist nicht die Fähigkeit Kühlschränke zu bauen oder Astronomie zu betreiben.
Graupapageien, Delphine oder Gorillas können logisch denken und ziehen daraus evolutionäre Vorteile für sich, ohne deshalb über Supernovae oder Kühlschränke nachzudenken. Die intelligenten Vorfahren des Menschen haben das die meiste Zeit auch nicht getan. Diese Fähigkeiten waren organisch schon vor 200.000 Jahren da, wurden aber nicht genutzt, waren folglich kein Selektionsvorteil, und nicht „Ziel“ sondern zufälliger Artefakt.
@Adrian:
»1. leben gleichzeitig mit uns tausende Arten erfolgreich zusammen, die keinen Kühlschrank haben.«
Einige davon leben sogar im Kühlschrank. Davon abgesehen ist der Kontakt mit Homo Sapiens für immer mehr dieser bislang erfolgreichen Arten nicht gerade eben erfolgreich. Man könnte sogar formulieren: die leben nicht mit uns erfolgreich zusammen, sondern nur ohne uns. Im reinen Verdrängungswettbewerb sind sie uns hoffnungslos unterlegen.
Immerhin hat Homo Sapiens auch die Kapazität, ein ökologisches Bewusstsein zu entwickeln, insofern besteht noch die Chance, dass wir uns hier selbst zurücknehmen.
»2. könnte der Kühlschrank ebenso gut eine evolutionäre Sackgasse sein, weil er uns von Technologie abhängig macht oder uns wegen Bequemlichkeit verfetten lässt.«
Solche Gefahren entstehen zweifellos, wir haben jedoch auch die Kapazität, ihnen gegenzusteuern. Ich meine, wenn sogar Du die Gefahren erkennst.
»3. Lässt sich ein Selektionsvorteil immer nur rückwirkend betrachten. Denn die gleichen Fähigkeiten, die uns den Kühlschrank ermöglichen, ermöglichen uns auch die Atombombe.«
Die Atombome könnte sich noch als nützlich erweisen, um gefährliche Asteroiden wegzusprengen. Aber ja, wir können uns derzeit nur auf den Ausschnitt des Universums beziehen, den wir kennengelernt haben. Nicht zuletzt darum richtet sich unsere Neugier auch über die Grenzen des Planeten hinaus.
@anorak2:
»Auch der evolutionäre Grund, warum sich Hirne entwickelt haben die logische Schlüsse ziehen können, ist nicht die Fähigkeit Kühlschränke zu bauen oder Astronomie zu betreiben.«
Natürlich nicht. Kühlschränke und Atombomben sind die Folge, nicht der Grund.
»Graupapageien, Delphine oder Gorillas können logisch denken und ziehen daraus evolutionäre Vorteile für sich, ohne deshalb über Supernovae oder Kühlschränke nachzudenken.«
Weil logisches Denken per se dazu nicht ausreicht. Supernovae und Kühlschränke werden theoretisch konzipiert, um verstanden zu werden bzw. herstellbar zu sein. In beiden Fällen wird die Fähigkeit vorausgesetzt, Realität nicht unmittelbar über Sinnesorgane, sondern mittelbar über Instrumente zu erkennen. Dazu ist individuelles logisches Denken nicht ausreichend, sondern wird symbolische Kommunikation vom Freiheitsgrad der menschlichen Sprache (samt dem dazu fähigen Gehirn) erfordert.
»Die intelligenten Vorfahren des Menschen haben das die meiste Zeit auch nicht getan. Diese Fähigkeiten waren organisch schon vor 200.000 Jahren da, wurden aber nicht genutzt, waren folglich kein Selektionsvorteil, und nicht „Ziel“ sondern zufälliger Artefakt.«
Woraus folgt, dass dieses »organische Dasein« nicht ausreicht. Ich sagte ja schon an anderer Stelle, dass die Quantentheorie mit einem »Steinzeithirn« entwickelt wurde. Der Mensch fängt irgendwann an, sich gegen selbst geschaffene Umwelten zu bewähren, darum separiert sich die kulturelle Entwicklung in unterschiedliche Entwicklungspfade, und darum lebten Menschen im Hochland von Papua und in Amazonien bis vor kurzem immer noch in der Steinzeit, während in Europa schon die Quantentheorie entwickelt wurde.
„Der Mensch ist ein weiterer qualitativer Sprung der allgemeinen Evolution, vergleichbar dem Übergang von der chemischen zur biologischen Evolution. Insofern passt das gut ins Bild einer generellen Richtung.“
Für die Erde gilt das definitiv. Allerdings könnte die Erde auch nur „Glück“ gehabt haben. Wenn jeder Entwicklungsschritt* nur 10% Wahrscheinlichkeit hat, kommt in einer Galaxis mit 400.000.000.000 Sternen immer noch ein Planet mit intelligentem Leben heraus, sofern Planeten, auf denen Leben möglich ist, hinreichend zahlreich sind.
*Chemie -> Prokaryoten -> Eukaryoten -> Vielzeller -> intelligentere Vielzeller -> Menschen (Jäger und Sammler) -> Landwirtschaft -> Staaten -> erste Philosophien/missionarische Religionen -> Aufklärung -> Weltraumzivilisation mit KI
@Antidogmatiker:
»Allerdings könnte die Erde auch nur „Glück“ gehabt haben.«
Ich finde, hier wird die Diskussion überhaupt erst interessant, ähnlich wie hier bei der Frage nach dem anthropischen Prinzip.
Ohne positives Wissen über Evolutionsverläufe woanders im Universum können wir nur möglichst intelligent spekulieren. Etwa mit der These vom »Leben als kosmische Zwangsläufigkeit« (Christian de Duve) oder dem »Cosmic Zoo« (Schulze-Makuch).
Dazu gehören dann auch solche Fragen, ob nicht die menschliche (biologische und kulturelle) Evolution irgendwann durch eine Maschinen- oder KI-Zivilisation abgelöst werden könnte (z. B. Bostrom).
Fände ich jedenfalls interessanter als hier zum einunddrölfzigsten Mal über das egoistische Gen zu diskutieren. 🙂
Antidogmatiker:
(noch mal mit korrekten tags)
»Allerdings könnte die Erde auch nur „Glück“ gehabt haben.«
Ich finde, hier wird die Diskussion überhaupt erst interessant, ähnlich wie hier bei der Frage nach dem anthropischen Prinzip.
Ohne positives Wissen über Evolutionsverläufe woanders im Universum können wir nur möglichst intelligent spekulieren. Etwa mit der These vom »Leben als kosmische Zwangsläufigkeit« (Christian de Duve) oder dem »Cosmic Zoo« (Schulze-Makuch).
Dazu gehören dann auch solche Fragen, ob nicht die menschliche (biologische und kulturelle) Evolution irgendwann durch eine Maschinen- oder KI-Zivilisation abgelöst werden könnte (z. B. Bostrom).
Fände ich jedenfalls interessanter als hier zum einunddrölfzigsten Mal über das egoistische Gen zu diskutieren. 🙂
„Letzteres habe ich nicht behauptet“
Ich musste „telos“ googeln, und fand als Übersetzung „Ziel“. Ist das nicht gemeint?
„(a) eine zunehmende funktionale Differenzierung und (b) eine zunehmende Zahl hierarchischer Steuerungsebenen, damit verbunden (c) eine zunehmend differenzierte Umweltrepräsentation und (d) eine wachsende Verhaltensautonomie.“
Du interpretierst vom Ende her und bezeichnest den beobachtbaren, möglicherweise zufälligen Trend, nachträglich als Richtung.
Für ein paar Milliarden Jahre gab es nur Einzeller, und nur im Wasser, ohne dass da groß was komplexer wurde. Es gab dann irgendwann vor erdgeschichtlich relativ kurzer Zeit Sprünge zu Vielzellern und aufs Land. Diese Phase in der Entwicklung des Planeten ist kurz und vielleicht untypisch ; du sprichst aber nur über diese. Das im Nachhinein als von Anfang an angelegt zu interpretieren ist nicht gerechtfertigt. Dass der Homo sapiens das „Ziel“ gewesen sei, sagt nur der Homo sapiens.
Vielleicht kann man sagen dass Leben sich innerhalb endlicher Zeit alle ökologischen Nischen seines Planeten erobert. Irgendwann ist das erreicht, und dann bleibt Stasis und nur noch Anpassung an äußere Veränderungen. Wie gesagt ist die zwischenzeitliche Ausbreitung nicht mit einer Entwicklung zum „höheren“ gleichbedeutend, und kann durchaus auch Vereinfachungen einschließen.
@anorak2:
telos meint i. d. R., und in unserem Kontext, ein (ultimates) Endziel, kein (proximates) Nahziel. Weshalb das hier
Das im Nachhinein als von Anfang an angelegt zu interpretieren ist nicht gerechtfertigt. Dass der Homo sapiens das „Ziel“ gewesen sei, sagt nur der Homo sapiens.
auch nicht meine Behauptung ist. Vom Ziel des Universums wissen wir nichts, es sei denn, wir sind religiös, dann fällt uns dazu was ein.
»Wie gesagt ist die zwischenzeitliche Ausbreitung nicht mit einer Entwicklung zum „höheren“ gleichbedeutend, und kann durchaus auch Vereinfachungen einschließen.«
Die Kriterien für »höher« habe ich aufgezählt, und die in diesem Sinne (bis auf weiteres) »höchste« Spezies ist die mit der größten Verbreitung über nahezu alle ökologische Nischen des Planeten.
»Du interpretierst vom Ende her und bezeichnest den beobachtbaren, möglicherweise zufälligen Trend, nachträglich als Richtung.«
Das halte ich für empirisch gerechtfertigt und wäre empirisch zu widerlegen, zum Beispiel, indem es auf irgendeinem Exoplaneten ganz anders läuft.
@djad
ersteres ist dagegen offensichtlich, weil sich für die Komplexitätssteigerung vom Einzeller bis zum Homo Sapiens klare Kriterien angeben lassen: (a) eine zunehmende funktionale Differenzierung und (b) eine zunehmende Zahl hierarchischer Steuerungsebenen, damit verbunden (c) eine zunehmend differenzierte Umweltrepräsentation und (d) eine wachsende Verhaltensautonomie.
Könnte genausogut observational bias oder https://de.wikipedia.org/wiki/Anthropisches_Prinzip sein. In allen hypothetischen Evolutionsgeschichten, in denen diese lange Entwicklung nicht zu einer fortführenden Steigerung der Komplexität geführt haben, gäbe es uns als Beobachter einfach nicht. Dort wo es uns als komplexe beobachtende Systeme gibt, muss es auch eine Geschichte der Entwicklung hin zu dieser Komplexität gegeben haben.
Letzteres habe ich nicht behauptet (zumindest müsste man hier aufwendig philosophisch argumentieren), ersteres ist dagegen offensichtlich, weil sich für die Komplexitätssteigerung vom Einzeller bis zum Homo Sapiens klare Kriterien angeben lassen: (a) eine zunehmende funktionale Differenzierung und (b) eine zunehmende Zahl hierarchischer Steuerungsebenen, damit verbunden (c) eine zunehmend differenzierte Umweltrepräsentation und (d) eine wachsende Verhaltensautonomie.
Die Evolution ist nicht gerichtet. Sie ist lediglich eine Konsequenz.
Das halte ich für empirisch gerechtfertigt und wäre empirisch zu widerlegen, zum Beispiel, indem es auf irgendeinem Exoplaneten ganz anders läuft.
Dazu bedarf es keines Exoplaneten. Die Dinosaurier sind wahrscheinlich wegen eines Meteoriteneinschlags ausgestorben. Wäre die Evolution gerichtet, hätten die Dinosaurier sich doch einfach neu entwickelt, sobald die Umstände es wieder zulassen. Haben sie aber nicht. Und die Tatsche, dass es eben ganz anders gelaufen ist, beweist, dass es keine Richtung gibt.
Dinosaurier sind ein schlechtes Beispiel weil sie heute noch leben. Schau Dir einfach das nächste Vogelhäuschen an 🙂
Wobei sich jetzt die Frage stellt, ist ein Rotkehlchen komplexer oder weniger komplex als ein Tyranosaurus oder Pteranodon?
Haie gibt es länger als die Gattung Homo trotzdem scheint der Hai nicht wirklich komplexer geworden zu sein, in einer größeren Zeitspanne als die in der sich der Homo Erectus zum Homo Sapiens entwickelte.
@djadmoros
Wenn ich Dich richtig verstehe, meinst Du, dass die Evolution eine Richtung von einfach zu komplex aufweise.
Das ist nicht korrekt, sondern scheint nur so, weil es bisher so war. (Wobei ich mir jetzt nicht sicher bin, ob das Leben auf diesem Planeten besonders am Anfang von der Komplexität her nicht auch ziemlich lange stagniert ist zwischendurch.) Es war so, weil die Lebensbedingungen auf diesem Planeten es bisher zuließen. Aber wenn man mal vom Ende unseres Planeten her denkt, scheint es mir ziemlich sicher, dass unter den dann herrschenden, immer unwirtlicheren Lebensbedingungen die komplexen, vielzelligen Organismen zuerst aussterben (oder sich anpassen in Richtung geringerer Komplexität), und am Ende wieder ziemlich primitive Organismen dank ihrer Anspruchslosigkeit, die ihnen das Überleben in kargster Umgebung ermöglicht, verbleiben, bevor auch diese aussterben.
Man könnte jetzt streiten, ob „Aussterben“ ein Teil der Evolution ist oder nicht; aber da das grundlegende Prinzip der Evolution „Versuch und Irrtum“ lautet, sehe ich auch Aussterben als Evolution „bei der Arbeit“ an. In welche „Richtung“ die Evolution verläuft, wird von den Umweltbedingungen diktiert. Bisher waren diese überwiegend günstig für die Entstehung komplexerer Lebewesen. Das muss (und wird) aber nicht so bleiben.
@Renton:
»Das ist nicht korrekt, sondern scheint nur so, weil es bisher so war«
Der Einwand wurde im Thread schon genannt: ich bin der Ansicht, dass die These von der gerichteten Evolution im Prinzip empirisch widerlegt werdenkann, wenn wir von der Erde unabhängige Evolutionsverläufe anderswo im Universum beobachten können, dass aber andererseits bislang empirisch alles für eine solche Richtung spricht.
Die Aussage »weil es bisher so war« konzediert ja faktisch, dass bislang alles dafür spricht. Dann sind wir aber im Bereich eines bewährten Falsifikationismus, in dem ohnehin alles bloß bis zu einer hypothetischen Widerlegung gilt.
Und wie bereits gesagt: meines Erachtens lassen sich die Kriterien für die These einer gerichteten Komplexitätssteigerung klar operationalisieren.
@djadmoros
ich habe nicht alles gelesen im Thread, daher bin ich nicht sicher, ob die Frage schon kam.
Aber krankt deine Annahme der Richtung nicht daran, dass du zu diesem Zeitpunkt schaust?
Hättest du vor 150Mio Jahren geschaut, wärst du vermutlich zu dem Schluss gekommen, dass die Richtung der Evolution ist, immer größere Lebewesen zu erzeugen..
Es ist mir nicht klar, warum die derzeitige Komplexität nicht nur ein Zwischenschritt zu einer völlig anderen Eigenschaft in 100Mio Jahren sein sollte.
@djadmoros
Du mogelst Dich ein bisschen um mein Gedankenexperiment vom Ende der Erde herum 😉 Klar können wir die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir sollten doch plausible Überlegungen über die weitere Entwicklung nicht ausschließen. Ich wiederhole meinen Gedankengang: Wenn die Bedingungen auf der Erde für komplexes Leben ungünstig werden, wird dieses Leben sich zurückziehen oder ganz aussterben, oder sich in Richtung weniger Komplexität entwickeln. Dass die Bedingungen derartig ungünstig werden, ist beim derzeitigen Forschungsstand praktisch ausgemacht. Ergo…
Darüberhinaus gibt es bei mir ja noch einen weiteren Punkt, der ein Argument sein könnte: „Wobei ich mir jetzt nicht sicher bin, ob das Leben auf diesem Planeten besonders am Anfang von der Komplexität her nicht auch ziemlich lange stagniert ist zwischendurch.“ Ich habe zu wenig Ahnung, um das beurteilen zu können. Auf einem Plakat in meinem Kinderzimmer wurde es so dargestellt, als wäre nach der Entstehung der ersten, primitiven Organismen 3/4 der Erdgeschichte quasi nix Neues passiert, aber ich argwöhne, da könnte didaktische Reduktion mit bei gewesen sein. (Oder der Forschungsstand ist inzwischen ein anderer.) Wenn Du dazu was weißt, nur her damit.
„Das beschert uns dann Formulierungen wie »Die Gene sind evolutionär etwas, was viele Nachkommen haben will!« als Diskussionsgrundlage – ein immerwährender Quell überflüssiger Kontroversen.“
Besser Formulierung?: Die Gene werden selektiert darauf, dass sie sich selbst in die nächsten Generationen weitergeben.
„Sie verdeckt die interessantere Frage, warum Evolution ein gerichtetes Phänomen mit eigenem Zeitpfeil ist und ein telos zu haben scheint. Wie immer die Antwort darauf lautet: die These vom egoistischen Gen ist so gut oder so schlecht wie die These, dass in der Evolution der Geist Gottes weht.“
Einen Telos? Das haben sie ja gerade nicht. Der Eindruck mag entstehen, weil eine einmal eingeschlagene Richtung oft leichter zu verbessern ist als etwas ganz neues anzufangen. Ein Gepard kann eher etwas schneller werden als besonders robust etc.
Oder: Ergebnisse sexuelle Selektion sind schwer evolutionär abzuschaffen, weil man dann einen Partner wählt, der nicht dem „allgemeinen GEschmack“ entspricht und damit evtl auch Kinder bekommt, die nicht dem „Allgemeinen GEschmack“ treffen („Sexy Son Hypothese“)
@Christian:
Die »bessere Formulierung« rückt die Gene nicht ins Zentrum. Organismen sind aufgrund ihrer Verhaltenskapazitäten in ihren jeweiligen Lebensumwelten unterschiedlich erfolgreich. Die besser angepassten verdrängen die schlechter angepassten, weswegen das Genom ersterer in eine weitere Iteration kommt. Computeranalogie: das Genom ist nur der persistente Speicher, nicht das laufende Programm – dieses wird durch intentionale Organismen realisiert.
Die Vorstellung einer Intentionalität, die den Genen auf missverständliche Weise angedichtet wird, macht zumindest bei höher entwickelten Organismen auch empirisch Sinn (wobei es eine eigenständige Diskussion wäre, ob Intentionalität nur dem Menschen zukommt). Intentionalität hat kein (ultimates) Telos im Sinn, ist aber dennoch (proximat) zielgerichtet.
„Das Genom ist nur der persistente Speicher, nicht das laufende Programm – dieses wird durch intentionale Organismen realisiert.“
Das Genom ist das Programm bzw der Programmcode. Das laufende Programm wird eben (teilweise) durch den Code gesteuert der „Missionen“ vorgibt und „Punkte für das Erreichen von Zielen“ vergibt.
@Christian:
»Das laufende Programm wird eben (teilweise) durch den Code gesteuert der „Missionen“ vorgibt und „Punkte für das Erreichen von Zielen“ vergibt.«
Der Code gibt keine Missionen vor, sondern stellt nur die Intelligenz bereit, in der Umwelt angelegte Missionen zu erkennen und zu bewältigen (die Computerspiel-Analogie täuscht hier, weil im Computerspiel die Umwelt Teil des Programmcodes ist).
Der Code vergibt ebenfalls keine Punkte, das ist derselbe falsche Analogieschluss vom Computerspiel. Nicht jedes Computerprogramm definiert die eigene Umwelt selbst, ein Fertigungsautomationssystem z. B. muss sich in einer analogen Umwelt bewähren, die ihm extern vorgegeben ist (und zur »Evolution« braucht es den Programmierer).
„Die »bessere Formulierung« rückt die Gene nicht ins Zentrum. Organismen sind aufgrund ihrer Verhaltenskapazitäten in ihren jeweiligen Lebensumwelten unterschiedlich erfolgreich.“
Ich glaube, es ist ein ungelöstes Problem, eine gute Formulierung zu finden. Von „erfolgreichen“ Organismen zu sprechen, scheint mir jedenfalls auch verkehrt. Zum einen impliziert „Erfolg“ ebenfalls Absicht, zum anderen enthält es eine Wertung. Ich kann aber beisielsweise bei sich vermehrenden Einzellern einen Erfolg im Sinne eines beabsichtigten Erfolges, der (ihnen) auch noch als „gut“ gilt, so wenig erkennen wie bei einem Regentropfen, der „erfolgreich“ auf die Erde gefallen ist.
@Renton:
Ich denke, es läuft auf das philosophische Konzept der Intentionalität hinaus. Haben Lebewesen die Absicht, zu überleben? Kann man ihnen von einem bestimmten Entwicklungsstand an Absichten zuschreiben? Ist Intentionalität auf den Menschen beschränkt (weil an menschliches Selbstbewusstsein gekoppelt), oder haben auch Tiere (Säugetiere, Vögel, Reptilien) Intentionalität? Wenn letzteres: gibt es eine untere Schwelle (einen terminus post quem), vor der an man von Intentionalität reden darf? Liegt die bei den Fischen? Den Quallen? Den Geißeltierchen? Haben Pflanzen Intentionalität?
Es scheint mir auf die Grundsatzfrage hinauszulaufen, ob wir Lebewesen für komplexe biomechanische Automaten halten oder ob wir annehmen, dass das, was wir beim Menschen »Geist« nennen, generell mit dem Leben verknüpft ist. Das kann man dann nahtlos an die Geist/Gehirn-Debatte anschließen, und schon sind wir im Zentrum der heutigen naturphilosophischen Kontroversen. 🙂
Dazu auch:
https://allesevolution.wordpress.com/2016/04/10/ist-unser-gehirn-eine-form-von-computer/
Dazu auch:
https://allesevolution.wordpress.com/2016/04/10/ist-unser-gehirn-eine-form-von-computer/
Und du vertrittst offenbar noch immer denselben ziemlich uninteressanten Standpunkt.
Du hast doch in der Zwischenzeit Kinder bekommen. Wenn dich DAS nicht von der Sichtweise, Menschen wären biomenchanische Automaten (ein Reduktionismus, der der Sache nun wirklich nicht gerecht wird), abbringt , dann weiß ich auch nicht.
@pingpon
„Du hast doch in der Zwischenzeit Kinder bekommen. Wenn dich DAS nicht von der Sichtweise, Menschen wären biomenchanische Automaten (ein Reduktionismus, der der Sache nun wirklich nicht gerecht wird), abbringt , dann weiß ich auch nicht.“
Es hat mich eher MEHR zu der Einsicht gebracht, dass wir (sehr intelligente) Computer mit einem genetischen Auftrag sind. Man sieht ja, wie beide darstellen wollen, dass sie etwas selbst können (ihren Eltern biologisch zeigen wollen, dass eine Investition in sie Gewinne bringt), wie sie sehr leicht Sprachen (hier sogar zweisprachig) aufnehmen und lernen, wie sie mit dem Alter „neue Funktionen freischalten“, wie sie versuchen noch immer die Nutztiere und Raubtiere der Gegend kennenzulernen (obwohl sie abseits des Bilderbuches kaum noch Kontakt mit ihnen haben), wie sie auch in Konkurrenz untereinander stehen, dass nur ja keiner mehr bekommt aber gleichzeitig auch zeigen, dass sie lieb sein können, teilen können, ihre sozialen Programme (mehr oder weniger) richtig eingestellt sind etc.
Es hat mich eher MEHR zu der Einsicht gebracht, dass wir (sehr intelligente) Computer mit einem genetischen Auftrag sind.
Menschen sind intelligent.
Computer sind nicht intelligent.
Der Vergleich ergibt schon auf einer ganz grundsätzlichen Ebene keinen Sinn (außer man möchte die Bedeutung des Wortes „Intelligenz“ bis zur Unkenntlichkeit verbiegen).
„Menschen sind intelligent.
Computer sind nicht intelligent.“
Wenn Menschen Computer (im weiteren Sinne) sind dann müssen gewisse Computer auch intelligent sein.
Mir geht es um die Abarbeitung gewisser „Programme“, eine Form der Datenverarbeitung, eine sehr ausgereifte Software, die versucht die zu erkennen, wie sie in der modernen Welt alte einprogrammierte Ziele umsetzen kann und was der beste Weg dazu ist
Aus meiner Sicht bringt es nichts sich da auf ein altes Bild von Computern zu versteifen, natürlich trägt der Vergleich da nicht. Aber da wir nun einmal nur Materie haben und keine mystische Seele muss unser Denken irgendwie auf einer Art Berechnung beruhen, auch wenn wir sie noch nicht nachvollziehen können.
Wenn Menschen Computer (im weiteren Sinne) sind dann müssen gewisse Computer auch intelligent sein.
Du kannst natürlich die Antwort auf die zu diskutierende Frage als Axiom festlegen, um dann erstaunt festzustellen dass die Frage beantwortet ist.
Menschen sind (in überhaupt keinem irgendwie gearteten Sinn) Computer. Dieser Vergleich, wie weit auch immer man ihn fassen will, schafft viel mehr Probleme als er behebt.
Aber da wir nun einmal nur Materie haben und keine mystische Seele muss unser Denken irgendwie auf einer Art Berechnung beruhen, auch wenn wir sie noch nicht nachvollziehen können.
Nein.
Ich kopiere hier einen alten Kommentar von david rein (aus der Diskussion zu deinem obigen Artikel von 2016), der es m.E. recht treffend beschreibt:
Ich bewundere ja deinen Eifer und Ehrgeiz, dich fachfremd in alle möglichen Themen hineinzubeißen und mitreden zu wollen. Gerade was Evolution angeht macht dir wohl auch kaum ein einfacher Biologe was vor.
Aber manchmal bin ich auch erstaunt, wie sehr du dich übernimmst, ohne dich überhaupt mit den Grundlagen und den Autoritäten auf einem Gebiet auseinanderszusetzen, bevor du deinen ersten Annahmen irgendeine Relevanz beimisst.
Du ziehst dir das alles aus der Nase, müsstest aber eigentlich erstmal ein paar Semester Philosophie (Searle), Informatik, Kognitionswissenschaft und/oder (Neuro-)psychologie/biologie buckeln, um wirklich mitreden zu können.
„Menschen sind (in überhaupt keinem irgendwie gearteten Sinn) Computer. Dieser Vergleich, wie weit auch immer man ihn fassen will, schafft viel mehr Probleme als er behebt.“
Dann nenne es eben biologischer naturalismus
https://allesevolution.wordpress.com/2017/02/02/biologischer-naturalismus/
Biological naturalism is a theory about, among other things, the relationship between consciousness and body (i.e. brain), and hence an approach to the mind-body problem. It was first proposed by the philosopher John Searle in 1980 and is defined by two main theses:
1) all mental phenomena from pains, tickles, and itches to the most abstruse thoughts are caused by lower-level neurobiological processes in the brain; and
2) mental phenomena are higher-level features of the brain.
This entails that the brain has the right causal powers to produce intentionality. However, Searle’s biological naturalism does not entail that brains and only brains can cause consciousness. Searle is careful to point out that while it appears to be the case that certain brain functions are sufficient for producing conscious states, our current state of neurobiological knowledge prevents us from concluding that they are necessary for producing consciousness. In his own words:
„The fact that brain processes cause consciousness does not imply that only brains can be conscious. The brain is a biological machine, and we might build an artificial machine that was conscious; just as the heart is a machine, and we have built artificial hearts. Because we do not know exactly how the brain does it we are not yet in a position to know how to do it artificially.“ (Biological Naturalism, 2004)
Ob du es nun „biologische Maschine“ oder Computer nennst ist kein sehr großer Unterschied was die letztendliche Aussage angeht. Aber irgendwie scheint Computer die Leute zu reizen.
The brain is a biological machine, and we might build an artificial machine that was conscious; just as the heart is a machine, and we have built artificial hearts. Because we do not know exactly how the brain does it we are not yet in a position to know how to do it artificially.
Würdest du sagen, ein künstliches Herz ist (im weiteren Sinn) ein Herz?
Wozu ist das Attribut „künstlich“ überhaupt da? Was bedeutet es?
Macht ein künstliches Herz Geräusche wenn es arbeitet, so wie ein echtes Herz das schlägt? Kann man es defibrillieren wenn es stehenbleibt?
Es läuft auf die zentrale Rolle der Funktion hinaus (welche Funktion hat das Herz?), und ich habe weiter unten etwas dazu geschrieben.
djadmoros: Hast du mal die Bücher von Daniel Dennett gelesen? Der beschäftigt sich genau damit. etwa hier: https://en.wikipedia.org/wiki/Intentional_stance
Ich denke er liefert eine sehr stringente naturalistische Theorie, die den „Geist“ in die Natur integriert.
@Christian:
»Dazu auch:
https://allesevolution.wordpress.com/2016/04/10/ist-unser-gehirn-eine-form-von-computer/«
Stimmt, das hatten wir schon mal. Ist aber nicht umsonst ein eigener Artikel.
@El_Mocho:
Ich habe ein oder zwei Titel von Dennett im Regal. Zu einer systematischen Diskussion des Intentionalitätsbegriffs gehört er sicher dazu, ebenso wie eine Reihe von Arbeiten aus der Analytischen Philosophie (Elmars Fachgebiet).
Das Thema ist freilich nicht koextensiv mit der Geist/Gehirn-Debatte, die ist unabhängig davon komplex. Ich habe im Moment leider nicht die Zeit, da wieder gründlich einzusteigen.
Nur eine kurze Ergänzung: ich sehe drei mögliche Argumentationsstrategien.
Erstens den Dualismus: man findet sich damit ab, Geist und Materie für zwei distinkte und unverbundene Bereiche der Realität zu halten. Erbe des Cartesianismus.
Wenn man das unbefriedigend findet, bleibt ein naturalistischer Monismus in zwei Varianten. Monismus meint hier die Überzeugung: alle Realität ist »Natur«. Dann kommt es darauf an, wie man »Natur« definiert. Am weitesten verbreitet ist die materialistische Definition: alles ist Materie in unterschiedlichen Graden der Organisation, auch der »Geist« (hier wäre wohl Dennett einzuordnen).
Wenn man den »Geist« nicht für eine Illusion halten will, die man mit komplexer materieller Organisation verwechselt (die Argumente gegen eine materialistisch-reduktionistische oder materialistisch-emergentistische Sichtweise halte ich für schwerwiegend, sie laufen darauf hinaus, zu bestreiten, dass der Materialismus »Leben« und »Psyche« tatsächlich befriedigend erklären kann (z. B. Thomas Nagel, »Mind and Cosmos«), hier gehört die Auseinandersetzung mit Dennett hin), aber trotzdem auf einer Einheit der Natur bestehen will, bleibt die Option des Panpsychismus: »Geist« ist immer schon an der Organisation von Materie beteiligt.
Der wichtigste philosophische Gewährsmann für den Panpsychismus ist Alfred North Whitehead, vor allem mit seinem Hauptwerk »Process and Reality«. Das bislang schwerwiegendste Problem des Panpsychismus besteht darin, einen naturwissenschaftlich-empirischen Ansatz zu finden, wie »Geist« an der Organisation von Materie beteiligt sein, also auf Materie Einfluss nehmen kann.
Soweit ich sehe, gibt es bislang nur einen Kandidaten, der in dieser Richtung einen Schritt weiter gekommen ist: das Konzept makroskopisch skalierender Quanteneffekte, und hier speziell die Quantenbiologie (z. B. Khalili/McFadden, »Der Quantenbeat des Lebens«).
Sobald der Tag 48 Stunden hat, diskutiere ich das ausführlich …
@djadmoros:
Ich denke, es läuft auf das philosophische Konzept der Intentionalität hinaus. Haben Lebewesen die Absicht, zu überleben?
Hier ist ein Gedanke zum zentralen Begriff der Funktion, wie er in diesen und ähnlichen Diskussionen in der (Evolutions)biologie und -psychologie zentral ist.
Dort versteht man unter „Funktion“, dass die Struktur, Eigenschaften und das Verhalten von Dingen nicht einfach nur an größeren Mustern beteiligt sind, sondern dass diese Beteiligung für etwas gut ist – für einen bestimmten späteren Zustand, der erreicht werden soll. Das ist die Essenz aristotelischer Kausalität: Ein funktionelles Ding tut etwas auf die Art und Weise die es tut, wegen der Wirkung die es hervorruft.
Die Annahmen hinter dieser Sprache bleiben oft undiskutiert. Wenn man sie explizit macht, dann wird „Funktion“ oft als ein Synonym für eine (lange) Folge von Ereignissen abgetan, die tatsächlich nur zufällig sind: Man kann in den Diskussionen der letzten Tage mal mitzählen, wie oft dort das Argument „Evolution hat kein Ziel“ kam.
Es sieht nur so aus, als ob Dinge eine Funktion hätten. Eine Illusion. „Funktionen“ gibt es nicht, weil die Gesetze die letztlich alles Verhalten bestimmen, einfach existieren. Jede andere Beschreibung ist – bestenfalls – eine verarmte Vereinfachung.
Für dieselben Menschen, für die „Evolution hat kein Ziel“ ein ganz selbstverständliches Argument ist, ist andererseits im Alltag die Sprache von „Funktionen“ unverzichtbar. Ihr Leben ist vollgestopft mit Dingen, die fast funktional sind: sie gehen arbeiten, um Geld zu verdienen, damit sie sich Essen leisten können, damit der Metabolismus nicht unterbrochen wird, den sie brauchen um einen Partner zu finden, Kinder zu zeugen usw. usf.
Die Frage ist weniger „was sind die echten Ereignisse, die den zufälligen Ereignissen, welche uns mitunter als funktional erscheinen, zugrunde liegen und sie bestimmen?“
Sondern „was ist das besondere am Kontext von [Ding], das [Ding] mit funktionaler Signifikanz ausstattet?“
Die Antwort auf diese Frage führt zu Leben, Geist und Agency.
Funktionen existieren, weil wir Dinge nützlich machen. Wir existieren, weil wir das Universum nützlich machen.
@djad (Väterchen Frost 😉 )
„Ich denke, es läuft auf das philosophische Konzept der Intentionalität hinaus. Haben Lebewesen die Absicht, zu überleben? Kann man ihnen von einem bestimmten Entwicklungsstand an Absichten zuschreiben?… Es scheint mir auf die Grundsatzfrage hinauszulaufen, ob wir Lebewesen für komplexe biomechanische Automaten halten oder ob wir annehmen, dass das, was wir beim Menschen »Geist« nennen, generell mit dem Leben verknüpft ist.“
Mh… >:-( Die Antwort gefällt mir überhaupt nicht. Da stecken nämliche einige Schwachpunkte drin, scheint mir.
1. Gerade wenn Du die Möglichkeit in Betracht ziehst, dass nur bestimmte Lebewesen Absichten haben könnten, läuft es eben nicht auf die Grundsatzfrage hinaus, ob „Geist“ generell mit Leben verknüpft ist. Die Antwort lautet in dem Fall von vorneherein: „Nein, auf keinen Fall mit allem Leben.“
2. Auch wenn Lebewesen Absichten haben, decken sich diese Absichten nicht notwendigerweise mit solchen, die zu „evolutionärem Erfolg“ führen würden. Als Beispiel erinnere ich nur Homosexualität. Die Absichten, die Lebewesen wie der Mensch haben, sind von „evolutionären Absichten“, die zu „evolutionärem Erfolg“ führen, grundverschieden. Und:
3: Es ist doch gerade Dein Kritikpunkt, dass die Metapher vom egoistischen Gen eine Absicht einführt, wo sie nicht hingehört. Das gleiche macht man aber eben wieder, wenn man von „evolutionärem Erfolg“ spricht, dass war ja gerade mein Kritikpunkt.
@djad
„Haben Lebewesen die Absicht, zu überleben?“
Nicht grundsätzlich. Es ist nur so dass alle Lebewesen, die Spaß daran fanden sich in Schluchten zu schmeißen statt Höhenangst zu haben, die mit giftigen Spinnen Freundschaft schließen wollten statt Arachnophobie zu entwickeln, oder die ihren Fressfeinden ins Maul gelaufen sind statt vor ihnen wegzulaufen, die bei Nährstoffmangel kein Hungergefühl entwickelten, usw .. nicht überlebt haben, so dass nur die anderen übrig geblieben sind. Und sollten sollten je wieder Lebewesen mit solchen Anlagen entstehen (was jederzeit passieren kann) werden sie nicht bis zur Fortpflanzungsfähigkeit überleben, so dass der Status Quo erhalten bleibt. Das im Nachhinein als zweckgerichtet zu interpretieren ist eine optische Täuschung.
„und schon sind wir im Zentrum der heutigen naturphilosophischen Kontroversen.“
Es wäre hilfreich, philosophische Begriffe aus der Beschreibung auszuschließen, und zunächst die rein mechanischen Vorgänge der Evolution zu verstehen.
„Wenn Menschen Computer (im weiteren Sinne) sind dann müssen gewisse Computer auch intelligent sein.“
Beides scheint nicht der Fall zu sein. Weder ist der Mensch als Computer beschreibbar – sowohl von der inneren „Arbeitsweise“ wie vom beobachtbaren Verhalten her – noch hat die KI-Entwicklung etwas hervorbringen können was man einen „Homunculus“ nennen könnte, nicht mal etwas was dem nahekäme. Es ist ohnehin nicht ihr Ziel.
„Beides scheint nicht der Fall zu sein. Weder ist der Mensch als Computer beschreibbar – sowohl von der inneren „Arbeitsweise“ wie vom beobachtbaren Verhalten her – noch hat die KI-Entwicklung etwas hervorbringen können was man einen „Homunculus“ nennen könnte, nicht mal etwas was dem nahekäme. Es ist ohnehin nicht ihr Ziel.“
Nur weil wir nicht verstehen wie der „Biocomputer Gehirn“ arbeitet und das noch nicht nachbauen können bedeutet nicht, dass es nicht nachbaubar ist und wir es nicht irgendwann können. Es ist eben ein nach dem heutigen Stand ein sehr stark fortgeschrittener „Computer“. Immerhin baut die Natur Gehirne im weiteren Sinne seit 250 Millionen Jahren und bei Primaten seit 55 Millionen jahren und wir seit noch nicht mal 100 Jahren.
„Ob du es nun „biologische Maschine“ oder Computer nennst ist kein sehr großer Unterschied was die letztendliche Aussage angeht.“
Doch. Der Computer ist eine sehr spezielle Art von Maschine. Sollte es konzeptionell oder praktisch möglich sein, eine „Mensch-Maschine“ zu bauen, müsste sie ganz anders funktionieren als ein Computer. Ein naheliegender Einwand ist, dass der Mensch nicht nur abstrakter Geist ist, sondern ein biologisches Wesen mit Körper. „Geist“ und „Körper“ getrennt zu denken ist vielleicht einer der wesentlichsten Fehler.
„Aber irgendwie scheint Computer die Leute zu reizen.“
Wir sind alle Kinder unserer Zeit und denken in den Kategorien die wir kennen. Man macht eben heutzutage „alles“ digital, und viele Leute können sich nichts anderes vorstellen. Das fällt schon bei viel naheliegenderen Themen auf, wie analoger Elektronik. Kinder des digitalen Zeitalters können zB einen analogen Fernseher nicht mehr ohne Rückgriff auf digitale Begrifflichkeiten beschreiben, obwohl diese Technik und ihre Begriffswelt damals gar nicht zur Verfügung standen.
„Biocomputer Gehirn“
Weitere Einwände:
– Das Gehirn arbeitet nicht algorithmisch und hat keine physischen Baugruppen die denen heutiger Computer ähneln oder damit vergleichbar wären.
– Gefühle/Triebe/Instinkte/Rauscherlebnisse sind zu nicht unwesentlichen Teilen biochemische Vorgänge, die nicht im Gehirn ausgelöst werden, sondern in anderen Teilen des Körpers, und mit organischen Vorgängen untrennbar verbunden sind.
„Es ist eben ein nach dem heutigen Stand ein sehr stark fortgeschrittener „Computer“.“
Es sind Vorgänge völlig anderer Art als diejenigen die in einem Computer stattfinden. Der Unterschied ist keine Frage der Größenordnung, sondern der völlig anderen Qualität. Darum geht es.
@anorak2:
»Das im Nachhinein als zweckgerichtet zu interpretieren ist eine optische Täuschung.«
Es ist meines Erachtens eine Theorie, die mit den beobachteten Tatsachen übereinstimmt. Ich greife jetzt mal zu einem Standardwerk:
Schurz, Gerhard (2011): Evolution in Natur und Kultur. Eine Einführung in die verallgemeinerte Evolutionstheorie. Heidelberg: Spektrum
»Obwohl Evolution kein bestimmtes Ziel der Entwicklung impliziert, ist sie in ihrem Verlauf nicht tautologisch-beliebig. Was die drei Module [Reproduktion, Variation, Selektion] implizieren, ist dies: Evolutionäre Prozesse besitzen eine Richtung. Diese Richtung der Entwicklung hin zu Anpassungsleistungen eines bestimmten Typs ist das Resultat des nachhaltigen Wirkens stabiler Selektionsparameter in der Umgebung. Die Gerichtetheit impliziert natürlich nicht, dass Evolution linear ist; die Richtungen der Evolution äußern sich vielmehr als bevorzugte Äste des großen Verzweigungsbaums von Abstammungslinien. (…)
Evolutionäre Prozesse sind quasiteleologisch: Aus ihrer selektiven Gerichtetheit scheint sich ein Ziel zu ergeben, das angestrebt wird. Wie wir sagten, verdankt sichn die Gerichtetheit einer Abstammungslinie aber nur der Stabilität von Selektionskräften über viele Generationen hinweg. Wenn sich die Selektionskriterien stark ändern, ändert sich in der Folge auch die Richtung der Evolution. (…) Nicht mehr von gerichteter Evolution kann man dagegen dann sprechen wenn sich die Selektionsparameter in schneller und unregelmäßiger Weise verändern, mit Änderungsraten von gleicher Größenordnung wie die Generationsraten. (…) Als Voraussetzung gerichteter Evolution muss (über die drei Module von Abschnitt 6.1 hinaus) vielmehr folgende vierte Bedingung angenommen werden:
Stabilität der Selektionskräfte: Die Änderungsrate der Selektionskräfte ist im Vergleich zur Generationenrate entweder gering, oder aber die Änderungen sind regelmäßig bzw. voraussagbar.«
Die Idee der Gerichtetheit evolutionärer Prozesse ist also ein fester Bestandteil der Evolutionstheorie mit klaren Aussagen über Ausnahme und Regel.
»Es wäre hilfreich, philosophische Begriffe aus der Beschreibung auszuschließen, und zunächst die rein mechanischen Vorgänge der Evolution zu verstehen.«
Ich behaupte, dass wir uns über »die rein mechanischen Vorgänge der Evolution« hier allesamt miteinander einig sind. Worüber wir uns nicht einig sind ist, was man damit erklären kann und was nicht.
Ergänzung: Seite 134 ff., Hervorhebungen im Original!
Verzeihung, @djadmoros, aber eine immer wieder irgendwie geartete (=eine jeweils bestimmte) Gerichtetheit der Evolution dürfte hier doch keiner infrage stellen. Die bevorzugte Bejagung großer Exemplare von Wildtierarten im mittelalterlichen Europa hat die Evolution in Richtung kleinerer Exemplare gelenkt, das ist doch sonnenklar. Es ging darum, dass Du eine generelle Richtung vom Einfachen zum Komplexen behauptet hast. Dies stellen wir in seiner Allgemeinheit in Abrede.
Es ging darum, dass Du eine generelle Richtung vom Einfachen zum Komplexen behauptet hast. Dies stellen wir in seiner Allgemeinheit in Abrede.
Komlexität entspricht Ordnung. Je ungeordneter ein System, desto weniger komplex. Der Extremfall ist eine völlig ungeordnete Suppe von Atomen oder Molekülen: Minimale Komplexität, maxmimale Entropie (Unordnung).
In abgeschlossenen Systemen gilt der 2. Hauptsatz der Thermondynamik: Die Entropie steigt.
Lebende Systeme (wie die Biosphäre) sind aber offene, nicht-Gleichgewichts-Systeme, die sich reproduzieren. Solche Systeme nehmen freie Energie (z.b. von der Sonne) um damit Photosynthese u.ä. zu betreiben. Solche Systeme können Ordnung schneller akkumulieren als Entropie sie reduzieren kann. Die Komplexität steigt. Lebende Systeme sind autopoietisch und autokatalytisch: Sie schaffen selbst die Voraussetzung um ihre eigenen Komplexität immer weiter zu erhöhen.
Es ist ein intuitiver Prozess, den jeder kennt. Er gilt sowohl für die Biosphäre (biologische Evolution) als auch für Industrie und Technik (technische Evolution): Wenn eine neue Spezies, Erfindung oder Industrie das Licht der Welt erblickt, dann erzeugt deren bloße Existenz neue Nischen für andere, was wiederum neue Spezies und Erfindungen ermöglicht, die wieder neue Nischen schaffen usw. usf.
Dieser Prozess ist jedem sofort einsichtig, man kann es anhand folgender Frage demonstrieren: War es vor 50.000 Jahren oder heute einfacher, etwas neues (Erfindung, Patent, Gerät, Industrie…) zu machen?
Antwort: Es ist heute viel einfacher. Warum? Weil es mehr Möglichkeiten gibt.
@Renton:
»… eine immer wieder irgendwie geartete (=eine jeweils bestimmte) Gerichtetheit der Evolution dürfte hier doch keiner infrage stellen.«
Dann muss ich jetzt zurückfragen – wenn die Gerichtetheit als solche nicht in Frage steht (ich habe die Einwände so gelesen): welches Kriterium setzt ihr dann an, um sie konknret zu identifizieren? Ich finde, pingpong hat das Plädoyer für ein Komplexitätswachstum recht gut ausgeführt.
@djadmoros
Nicht die Gerichtetheit steht außer Frage, sondern, dass es Gerichtetheiten gibt. Diese ändern sich mit den Umweltbedingungen und können diametral entgegengesetzt sein, Beispiel: Zunächst gibt es eine Evolution in Richtung größerer Exemplare einer Tierart, dann in Richtung kleinerer. Oder, bereits beobachtet, auf einer Insel, auf der die Vegetation abbrennt: Grüne
TiereTierarten werden zur besseren Tarnung auf dem neuerdings kargen Boden bräunlich, um dann mit dem Nachwachsen der Vegetation wieder grün zu werden. Die Richtungen waren hier also Grün->Braun->Grün.________
pingpong bemüht die These, dass man Leben über seine Eigenschaft, Entropie zu verringern, definieren kann. Ich mache jetzt nicht das Fass auf, ob das überhaupt stimmt, sondern übernehme das einfach mal als Arbeitshypothese. Daraus folgt dennoch nicht, dass Leben immer kompliziertere Formen entwickeln wird. Leben kann nur so kompliziert werden, wie die Umwelt es zulässt. Es ist m.E. unmittelbar einsichtig, dass es eine obere Grenze für die Komplexität von Leben unter bestimmten Umweltbedingungen gibt. Nur, weil wir auf unserem Planeten diese Grenze noch nicht erreicht haben*, erscheint es in der Rückschau so, als kennte die Evolution nur eine Richtung auf einer angenommenen Komplexitätsskala.
Ist eigentlich gut vergleichbar mit dem Mann, der vom Hochhaus stürzt. Bei jedem Stockwerk sagt er sich: „Bis jetzt ist alles gutgegangen, wird schon weiter so gehen!“
*Vielleicht war eine solche Grenze aber auch schon einmal für einen langen Zeitraum erreicht! Vgl. meine Bemerkung zu dem Plakat in meinem Kinderzimmer – das Leben könnte mehrere Milliarden Jahre auf ein und demselben Komplexitätsniveau stagniert haben. (Könnte im Sinne von: Genau weiß ich – ich persönlich, bin halt kein Experte auf dem Gebiet – es nicht.)
@renton:
Diese ändern sich mit den Umweltbedingungen und können diametral entgegengesetzt sein
Ja, das sagt aber nichts über die Komplexität aus, und darum ging es.
Man sieht es an deinen Beispielen. Zunächst gibt es größere Tiere, dann kleinere. Ok, das kann sein, hat aber mit der Komplexität nichts zu tun. Kleinere Tiere können noch immer eine komplexere Biosphäre hervorbringen als größere.
pingpong bemüht die These, dass man Leben über seine Eigenschaft, Entropie zu verringern, definieren kann.
Mir wäre nicht aufgefallen, dass ich irgendwo eine Definition des Lebens gegeben hätte.
Leben kann nur so kompliziert werden, wie die Umwelt es zulässt. Es ist m.E. unmittelbar einsichtig, dass es eine obere Grenze für die Komplexität von Leben unter bestimmten Umweltbedingungen gibt.
Du übersiehst die Pointe, dabei hast du sie sogar selbst erwähnt: Die Umweltbedingungen eines evolvierenden Systems ändern sich ständig. Dein Argument krankt daran, dass es von beschreib- bzw. angebbaren (nicht: fixen!) Umweltbedingungen ausgeht. Das ist nicht der Fall.
In einem evolvierenden System sind die Umweltbedingungen selbst Teil dessen, was evolviert. Man kann höchstens versuchen, sie für einen fixen Zeitpunkt möglichst vollständig zu erfassen und anzugeben, und das dürfte schon ziemlich schwierig sein.
In dem Moment wo die Zeit voranschreitet, ist es aber überhaupt nicht mehr möglich. Stuart Kauffmann bezeichnet das als „prestatability“: Es ist schlicht nicht Möglich, die zukünftigen Umweltbedingungen eines evolvierenden Systems anzugeben.
Du kannst es ja mal versuchen: Was sind alle möglichen Umweltbedingungen für, sagen wir, die nächsten zwei Jahre?
Und das sind noch gar keine evolutionär relevanten Zeiträume. Wenn du statt der nächsten zwei Jahre die nächsten 1000, 10.000, 100.000 Jahre nimmst, wird das Problem nur noch schlimmer.
Dein Satz oben müsste lauten: Leben kann beliebig kompliziert werden, weil durch die bloße Entwicklung des Lebens sich die Umweltbedingungen solcherart verändern, dass es mehr Möglichkeiten für zukünftiges Leben gibt sich zu entwickeln.
Das meinte ich vorhin, als ich schrieb:
„Wenn eine neue Spezies, Erfindung oder Industrie das Licht der Welt erblickt, dann erzeugt deren bloße Existenz neue Nischen für andere, was wiederum neue Spezies und Erfindungen ermöglicht, die wieder neue Nischen schaffen usw. usf.“
Es gibt keine „obere Grenze“ für die Komplexität, weil eine solche obere Grenze auf, du sagst es selbst, „bestimmten Umweltbedingungen“ basieren müsste. Und solche gibt es in einem evolvierenden System nicht.
Dasselbe gilt für die technisch-industrielle Evolution. Wie groß (Anzahl der Güter) war die Wirtschaft vor 20.000 Jahren? Vielleicht ein paar tausend verschiedene Güter. Wie groß ist sie heute? Viele Millionen. Warum? Weil es heute mehr Möglichkeiten gibt.
Die Evolution schafft selbst die Voraussetzungen, um ihre eigene Komplexität immer weiter zu erhöhen. Es ist ein zauberhaftes Wunder.
@pingpong
„…das sagt aber nichts über die Komplexität aus, und darum ging es…“
Worum es mir an einer bestimmten Stelle geht, überlässt Du mal schön mir.
„Mir wäre nicht aufgefallen, dass ich irgendwo eine Definition des Lebens gegeben hätte.“
Mir wäre nicht aufgefallen, dass ich das behauptet hätte.
„Leben kann nur so kompliziert werden, wie die Umwelt es zulässt. Es ist m.E. unmittelbar einsichtig, dass es eine obere Grenze für die Komplexität von Leben unter bestimmten Umweltbedingungen gibt.“ – „Die Umweltbedingungen eines evolvierenden Systems ändern sich ständig…. In einem evolvierenden System sind die Umweltbedingungen selbst Teil dessen, was evolviert. “
Hier muss ich meinen Gedanken offenbar noch genauer formulieren.
Es gibt äußere Parameter eines Planeten, die sich auch bei Entstehung von Leben nicht ändern. Bahn um die Sonne, Intensität der Sonneneinstrahlung, grundsätzliche mineralische Zusammensetzung, Masse und Gravitation. Nur an diese äußeren Parameter dachte ich, als ich von Umweltbedingungen sprach. Diese äußeren Parameter geben einen Zustandsraum vor.
Das Leben kann sich nur innerhalb dieses Zustandsraumes entwickeln. Dabei kann es sich innerhalb dieses Zustandsraumes neue Räume erschließen, indem es z.B. Einfluss auf die Temperatur des Planeten nimmt, die Atmosphärenzusammensetzung verändert, oder indem Lebewesen als (neue) Nahrungsquellen für andere Lebewesen dienen. Die möglichen Zustände sind seeehr viele, aber es sind nicht unbegrenzt viele, da der Zustandsraum beschränkt ist. Deshalb gibt es eine Komplexitätsobergrenze.
Wenn Du nun argumentieren möchtest: Renton, eines Tages wird das Leben Einfluss nehmen auf die Strahlung der Sonne… die Menschheit baut vielleicht eine Dyson-Sphäre, so erwidere ich Dir: Dann ist der Zustandsraum, der die Komplexität des Lebens beschränkt, eben begrenzt durch die äußeren Bedingungen des Sonnensystems anstatt des Planeten. Wenn Du dann zu anderen Sternen reisen möchtest, sind es die äußeren Bedingungen der Galaxis… nur, wenn das Universum unendlich groß, und für uns/das Leben erreichbar sein sollte(!), und es tatsächlich keine Schranken gibt, wie wir nicht zu erkennen vermögen, wäre die Möglichkeit für beliebig komplexes Leben gegeben. Aber das ist völlige Spekulation.
„Die Evolution schafft selbst die Voraussetzungen, um ihre eigene Komplexität
immerweiter zu erhöhen.“So ist der Satz richtig, vorher war er die eben angesprochene Spekulation.
„Es ist ein zauberhaftes Wunder.“
🙂
Viele Menschen haben natürlich auch den Wunsch nach eigenen Kindern, aber das würde wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Art zu erhalten (zumal Kinder großzuziehen ja auch mit viel Aufwand und Unannehmlichkeiten verbunden ist).
Ein Bedürfnis nach einer bestimmten, relativ einfachen Handlung ist in der Evolution sicher wesentlich einfacher herbeizuführen. Und stellt den Erhalt der Art wesentlich besser sicher als der Wunsch nach Kindern. Auch wenn es z.B. dazu führt, dass mehr Kinder gezeugt werden, als man ernähren kann. Oder das Kinder unerwünscht aufwachsen und vernachlässigt werden.
In den Diskussionen zur Evolution kam es erneut wiederholt zur Einwendung, dass die biologischen Theorien bereits insofern falsch seien, weil sie ja auf Fortpflanzung abstellen würden, dabei wollten die Leute nur Sex und Fortpflanzung ist ihnen egal.
Ich denke niemand hier würde ernsthaft behaupten, dass die Evolutionstheorie falsch ist. Auch hat niemand behauptet, dass Fortpflanzung den Menschen generell egal ist. Sie ist nur nicht immer erwünscht (da eben nur der Wunsch nach Sex existiert).
Es reicht vollständig, dass ein Wunsch für eine Handlung aufgebaut wird, die üblicherweise eine Fortpflanzung zur Folge hat.
Richtig. Die Handlung HAT üblicherweise dazu geführt. Und jetzt tut sie es nicht mehr. Der Mensch ist nun mal ein Tier, das ein Bewusstsein für diese Handlung und ihren Zweck entwickelt hat. Darüber hinaus verfügt er über die Intelligenz und die Technologie seinen Wunsch nach Sex weiter auszuleben, die übliche Konsequenz aber zu vermeiden. Das ist genau deswegen möglich, WEIL es eben nur den Drang nach Sex, aber nicht nach Nachwuchs gibt. Daher stimmt folgendes auch:
Hatten sie schon einmal den Drang, ihre Gene weiterzugeben? Vermutlich nicht – denn sie haben vermutlich noch nie den intuitiven Drang verspürt, eine Samenbank zu besuchen und Sie finden vermutlich auch die Vorstellung eher seltsam und nicht in spezifischer Weise befriedigend, daß eine Frau, die sie nicht kennen, von ihrem Sperma schwanger wird.
Ich verstehe ehrlich gesagt dein Problem nicht, Christian. Du scheinst hier tatsächlich in deinem Denken gefangen zu sein. Das Bewusstsein des Menschen und seine Fähigkeiten sind in evolutionären Zeiträumen gesehen etwas völlig neues. Du kannst den Menschen nicht mit jedem beliebigen Tier vergleichen. Das funktioniert nicht (mehr).
„Die Handlung HAT üblicherweise dazu geführt. Und jetzt tut sie es nicht mehr.“
Dazu hatte ich ja gerade einen Artikel, dass Folgen daraus noch lange dauern werden.
„Ich verstehe ehrlich gesagt dein Problem nicht, Christian. Du scheinst hier tatsächlich in deinem Denken gefangen zu sein“
Das kann durchaus sein. Deswegen ist es ja interessant darüber zu reden.
„Das Bewusstsein des Menschen und seine Fähigkeiten sind in evolutionären Zeiträumen gesehen etwas völlig neues. Du kannst den Menschen nicht mit jedem beliebigen Tier vergleichen. Das funktioniert nicht (mehr).“
Wie gesagt:
Der Mensch kann machen, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
Man kann menschliches Verhalten in vielen Fällen genauso stark komprimieren wie bei anderen Tieren, wir sehen das nur nicht, weil wir uns nicht als Tiere sehen.
Ich hatte hier mal etwas dazu geschrieben:
https://allesevolution.wordpress.com/2013/04/09/evolutionare-psychologie-und-evolution-erklarungen-fur-verhalten-bei-menschen-und-tieren/
“Schimpansenmännchen sind größer und stärker als Weibchen, weil sie in intrasexueller Konkurrenz um Status stehen, der ihre Fortpflanzungsaussichten verbessert”
–> plausible biologische These, allgemein akzeptiert, keinerlei Aufschrei
“Schimpansen führen erbitterte Kämpfe um Status, weil ihnen dies bessere Fortpflanzungsmöglichkeiten bietet, da Schimpanzenweibchen sich lieber mit statushohen Affen paaren, weil dies ein genetisches Qualititätsmerkmal ist, weil der Status durch intrasexuelle Konkurrenz gegen die anderen Männchen erkämpft wurde”
–> plausible biologische These, allgemein akzeptiert, keinerlei Aufschrei
“Männer bauen beruflich, sozial und untereinander Status auf, weil ihnen dies bessere Fortpflanzungsmöglichkeiten bietet, da Frauen lieber mit Männern mit zumindest gleichen Status Bindungen eingehen oder Sex haben, weil dies ein genetisches Qualititätsmerkmal ist, weil der Status durch intrasexuelle Konkurrenz gegen die anderen Männer erarbeitet wurde”
—> unbewiesene “Just so story”, Scharlatanerei, ein moderner Mythos, klingt vielleicht logisch, kann sich aber jeder ausdenken, ist abzulehnen?
Der Mensch kann machen, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
Richtig. Der Mensch kann sich nicht dagegen entscheiden Sex haben zu wollen, da der Sexualtrieb nun mal da ist. Er kann ihn nur unterdrücken. Der Mensch kann sich aber dagegen entscheiden Kinder zu haben, da es keinen Fortpflanzungstrieb gibt.
Man kann menschliches Verhalten in vielen Fällen genauso stark komprimieren wie bei anderen Tieren, wir sehen das nur nicht, weil wir uns nicht als Tiere sehen.
Doch wir sind Tiere, aber wir sind sehr hochentwickelte Tiere. Das scheint mir ein Punkt zu sein, den du ausklammerst. Du verabsolutierst hier. Genauso könnte ich fragen: warum fliegen Schimpansen nicht zum Mond? Sind doch auch Tiere.
“Männer bauen beruflich, sozial und untereinander Status auf, weil ihnen dies bessere Fortpflanzungsmöglichkeiten bietet, da Frauen lieber mit Männern mit zumindest gleichen Status Bindungen eingehen oder Sex haben, weil dies ein genetisches Qualititätsmerkmal ist, weil der Status durch intrasexuelle Konkurrenz gegen die anderen Männer erarbeitet wurde”
Hier würde ich dir zustimmen, aber wie gesagt: das eine ist Sexualverhalten und das andere Fortpflanzung. Ich kann mit einer Frau Sex haben, ohne Kinder mit ihr zu wollen. So weit kann ein Schimpanse nicht denken. Schon gar nicht kann er es verhindern.
„warum fliegen Schimpansen nicht zum Mond? Sind doch auch Tiere.“
Weil sie über keine Sprache und damit über kein abstraktes Denken verfügen. Menschen verdanken die Sprache letzten Endes einer Mutation im Rachenraum, die die Entwicklung der Sprache ermöglichte. Bleibt alles im Rahmen von Biologie.
Das war eine rein rhetorische Frage, die eben verdeutlichen sollte, dass Menschen eben nicht so einfach mit anderen Primaten verglichen werden können.
Richtig. Der Mensch kann sich nicht dagegen entscheiden Sex haben zu wollen, da der Sexualtrieb nun mal da ist. Er kann ihn nur unterdrücken. Der Mensch kann sich aber dagegen entscheiden Kinder zu haben, da es keinen Fortpflanzungstrieb gibt.
Korrekt. Je mehr die Menschen aber den Sexualtrieb von der Fortpflanzung abkoppeln, desto mehr wird die Selektion auf ein Fortpflanzungsinteresse erfolgen (oder die Menschheit stirbt halt aus).
Das Problem ist ja, dass wir eine zeitweise Überbrückung haben. Sie schließt die Fortpflanzung nicht aus. Und da jeder verhütungsmittel anwenden kann ist auch die Durchsetzung dieser Mutationen in keiner Weise gesichert. Selbst wenn beispielsweise die erste Generation eine Mutation hätte, bei der sie besonders gerne Kinder möchte heißt das ja nicht, dass die nächste Generation mit der gleichen Mutation dann unbedingt mehr Kinder kriegt. Mit zwei Kindern ist man ja durchaus vollzeitbeschäftigt und hat genug zu tun. Wie soll denn eine Mutation aussehen, die einen unbedingt drei Kinder wünschenswert macht oder die kinderanzahl erheblich erhöht? Selbst eine Mutation, die die Pille unwirksam macht (dies wäre ein ganz gewaltiger Eingriff, der eine komplizierte Mutation zur Folge haben müsste, da der gesamte fortpflanzungsapparat umgebaut werden muss) würde ja wahrscheinlich nach kurzer Zeit ausgebremst werden, weil dann eben eine neue Pille erfunden werden würde.
Ich weiß gar nicht, ob wir dazu unbedingt eine Mutation brauchen. Auch heute schon wird es Unterschiede bei den Menschen geben bezüglich der Neigung, sich bewusst für eigenen Nachwuchs zu entscheiden. Wobei diese Entscheidung sicherlich von der Umwelt beeinflusst wird, aber unter gleichen Bedingungen wird es Menschen geben, die sich aufgrund ihrer Neigungen eher zu eigenem Nachwuchs entschließen als andere, und die erste Gruppe hat dann evolutionär einen Vorteil. Das erscheint mir eigentlich ziemlich trivial.
„Ich weiß gar nicht, ob wir dazu unbedingt eine Mutation brauchen. Auch heute schon wird es Unterschiede bei den Menschen geben bezüglich der Neigung, sich bewusst für eigenen Nachwuchs zu entscheiden. Wobei diese Entscheidung sicherlich von der Umwelt beeinflusst wird, aber unter gleichen Bedingungen wird es Menschen geben, die sich aufgrund ihrer Neigungen eher zu eigenem Nachwuchs entschließen als andere, und die erste Gruppe hat dann evolutionär einen Vorteil.“
Das hätte dann aber wenig mit der Pille zu tun oder? Denn trotz Pille bekommen die Leute ja Nachwuchs. Und die Frage der Anzahl des Nachwuchs ist ja auch in vielen Fällen eine wirtschaftliche (man braucht eben drei Kinderzimmer statt zwei im Haus/in der Wohnung) und man muss sich auch noch einigen.
Die Pille sorgt für das Abkoppeln der Fortpflanzung vom Sexualtrieb. Man pflanzt sich also nur fort, wenn man das möchte. Das heißt logischerweise, dass unter gleichen Umweltbedingungen im Schnitt diejenigen mehr Kinder kriegen werden, deren persönliche Neigungen eher auf Kinder ausgerichtet sind. Diese Menschen sind halt eher bereit, auch ungünstigere Situationen in Kauf zu nehmen, um (mehr) Kinder zu kriegen.
Natürlich kann man Szenarien konstruieren, die dazu führen, dass der Kinderwunsch kein relevanter Faktor bei der Anzahl der Kinder ist, weil andere Einflussfaktoren überwiegen. Aber im Zweifel gehe ich davon aus, dass es keine menschliche Gesellschaft gibt, in der, wenn Sexualtrieb und Fortpflanzung vollständig entkoppelt sind, die persönliche Neigung zu Kindern nicht erhebliche Auswirkungen auf die tatsächliche Anzahl der Kinder hat.
Natürlich kann man Szenarien konstruieren, die dazu führen, dass der Kinderwunsch kein relevanter Faktor bei der Anzahl der Kinder ist, weil andere Einflussfaktoren überwiegen.
Man muss ein solches Szenario gar nicht konstruieren. Schaut man sich die Geburtenraten der Industrienationen von den 1950ern bis heute an, dann geht es steil nach unten. Die einzige Industrienation, die sich zumindest halbwegs erhält, ist Frankreich. Alle anderen liegen unter der dafür notwendigen Fertilitätsrate von 2,1. Auch Christian hätte bisher statistisch gesehen nicht genug Kinder in die Welt gesetzt. Jetzt kann man sich natürlich darüber streiten, warum das so ist. Aber ich denke schon, dass „damals“ mehr Kinder in die Welt gesetzt wurden als erwünscht waren, was bedeutet, dass der Kinderwunsch „damals“ nicht der bestimmende Faktor war. Es ist halt einfach so passiert, weil man nicht verhütet hat.
Aber ich denke schon, dass „damals“ mehr Kinder in die Welt gesetzt wurden als erwünscht waren, was bedeutet, dass der Kinderwunsch „damals“ nicht der bestimmende Faktor war. Es ist halt einfach so passiert, weil man nicht verhütet hat.
Sicherlich. Aber das hat ja keine Relevanz für die Frage, was passiert, wenn Sexualtrieb und Fortpflanzung weitgehend entkoppelt sind. Natürlich sinkt die Anzahl der Kinder dann, aber das ändert halt nichts daran, dass bestimmte Menschen mehr Kinder kriegen werden als andere, und damit ihre Gene besser in den nächsten Generationen bringen.
Aber das hat ja keine Relevanz für die Frage, was passiert, wenn Sexualtrieb und Fortpflanzung weitgehend entkoppelt sind.
Es hat schon eine Relevanz, denn wenn die Fertilitätsrate unter 2,1 liegt, stirbt eine Bevölkerung langsam aber sicher aus. Da bringt es dann halt auch nichts, wenn die eigenen Gene weitergegeben werden.
Wenn es aber Menschen gibt, die aufgrund ihrer genetischen Disposition im Schnitt mehr als diese 2,1 Kinder bekommen, wird deren Anteil, wenn sich die Umweltbedingungen nicht ändern, nach und nach steigen und mit der Zeit den Geburtenschnitt wieder heben.
Das setzt aber voraus, dass
a) die Anzahl der Kinder irgendwie genetisch codiert ist und
b) sich eine neue Codierung auch schnell ändern und durchsetzen kann.
Beides halte ich für unwahrscheinlich.
Warum sollte die Neigung, Kinder haben zu wollen (und dafür ggf. Nachteile in Kauf zu nehmen), nicht genetisch verankert sein, so wie die anderen Eigenschaften auch?
Wie soll das denn aussehen? Ein Bedürfnis nach mehr Kindern müßte etwas sein, was zb zwei Kinder nicht stillen. Und inwiefern lohnt sich so etwas, wenn ohnehin ein Sexualtrieb besteht, der für Kinder sorgt?
„Warum sollte die Neigung, Kinder haben zu wollen (und dafür ggf. Nachteile in Kauf zu nehmen), nicht genetisch verankert sein, so wie die anderen Eigenschaften auch?“
Es reicht für deine These ja schon vollkommen, dass die Neigung zu mehr Kindern mit tatsächlich genetisch verankerten Eigenschaften korreliert.
Wie zum Beispiel Gewissenhaftigkeit/Zuverlässigkeit (conscientiousness, Big Five, ist ziemlich sicher genetisch), die es braucht, um seine Verhütungsmittel so zu verwenden, dass sie wirken.
„Das ist genau deswegen möglich, WEIL es eben nur den Drang nach Sex, aber nicht nach Nachwuchs gibt“
Würde ich so nicht unterschreiben oder warum gibt es Frauen die sich ihren Kinderwunsch(!) mit Hilfe einer Samenbak erfüllen?
Ist auch etwas lächerlich vom „Intuitiven Drang Gene weiter zu geben oder eine Samenbank zu aufzusuchen“ zu sprechen, wie lange wissen wir von der Existenz von Genen, wie lange gibt es Samenbanken? Wie sollte sich so ein Drang entwickelt haben?
Oder wie sollte die Prägung es berfridigend zu finden, das „eine fremde Frau mit meinem Sperma aus der Samenbank schwaner zu werden“ zu höherem Fortpflanzungserfolg führen?
Wenn in einer Spezies Frauen nur so Schwanger werden würden, wie sollte Mann sicherstellen das sein Sperma ausgewählt wird und nicht das eines anderen Mannes?
Von daher ist doch die Ausrichtung auf GV die beste Möglichkeit sicherzustellen das der eigene Samen bei der Eizelle ankommt.
Würde ich so nicht unterschreiben oder warum gibt es Frauen die sich ihren Kinderwunsch(!) mit Hilfe einer Samenbak erfüllen?
Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der es Frauen gibt, die Männer für die Ausgeburt des Bösen halten, die aber trotzdem Kinder haben wollen.
Wir sehen das, glaube ich, viel zu verkopft.
Man muss nur mal Tiere beobachten. Die kopulieren aufgrund ihres Geschlechtstrieb, ohne dabei eventuelle Folgen im Blick zu haben.
Dieser Trieb hat sich evolutorisch so entwickelt, weil er eben zur Fortpflanzung und Vermehrung führt.
Oder anders herum: ohne den Geschlechtstrieb wäre das höhere Leben (so wie wir es auf der Erde kennen – vergessen wir mal Mitose u. dgl.) nicht entstanden, bzw. Spezies ohne ihn wären schnell wieder ausgestorben.
Ein Mechanismus, dass Geschlechtsverkehr (eine aktive Handlung als Voraussetzung für Fortpflanzung) gerne und lustvoll durchgeführt wird, war also eine notwendige Bedingung – eine Art anthropisches Prinzip.
Letztendlich sind wir Menschen ja auch nur Säugetiere. Wer richtig geil ist, denkt doch nicht an Fortpflanzung.
Bingo
Die wenigsten Säugetiere ziehen sich allerdings ein Kondom über oder nehmen die Pille. Und die wenigsten Säugetiere schreien nach Gleichstellung zwischen den Geschlechtern.
Richtig, aber inwieweit ist das für die vorliegende Fragestellung relevant? Daraus ergibt sich do nur, dass die Mechanismen, die sich evolutionär entwickelt haben, beim Menschen nur noch begrenzt funktionieren, was aber nichts dazu aussagt, wie und warum sie sich entwickelt haben.
„was aber nichts dazu aussagt, wie und warum sie sich entwickelt haben.“
Das war aber doch gar nicht der Streitpunkt. Der Streitpunkt war: Rein evolutionäre Erklärungen bringen uns beim modernen Menschen nicht mehr weiter, weil dieser in der Lage sei, evolutionäre Mechanismen zu manipulieren, eben durch Verhütungsmittel.
Der Sexualtrieb hat sich ja nur entwickelt weil dadurch die Fortpflanzung gesichert wird.
Wenn Sex für die Fortpflanzung irrelevant wäre, gäbe es auch keinen Sexualtrieb da er dann keinen Nutzen hätte.
Onanieren und Mastubieren führt ja auch zum Höhepunkt trotzdem dürfte für die meisten Menschen Sex mit einem anderen Erwachsenen mehr Spaß machen.
So wie ich die Diskussion verstanden habe, ging es weniger um das Thema Sexual- oder Fortpflanzungstrieb, sondern um die These, dass Evolution heute beim Menschen anders wirken muss, weil wir unsere Fortpflanzung steuern können. Und in der Tat erleben wir ja, dass tausende junge, fruchtbare Frauen der höchsten Kulturnationen der Erde sich freiwillig aus der Fortpflanzung ausklinken und lieber Influencerin, Gleichstellungsbeauftragte oder Klimaaktivistin werden, während Frauen aus asiatischen Kulturen unbeeindruckt vom Feminismus ihre Kinderwagen mit Kleinkind mitten in der Straßenbahn platzieren (und das natürlich nicht auf den dafür vorgesehen Plätzen) während ihre älteren Kinder die anderen Fahrgäste mit ihrer Nichterziehung nerven.
Was meinst du mit „anders wirken“? Diese Umstände werden, wenn sie sich fortsetzen, perspektivisch einen erheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung bzw. die Eigenschaften der Menschen haben, ja. Aber auch das ist ja letztlich Evolution. Eigenschaften, welche dafür sorgen, dass nur eine begrenzte Anzahl von Kindern geboren wird und das fortpflanzungsfähige Alter erreicht, hat einen evolutionären Nachteil gegenüber Eigenschaften, die das Gegenteil bewirken, und werden sich deshalb vermutlich auf Dauer nicht durchsetzen können.
Grundlegend anders wird die Evolution beim Menschen vermutlich nur bzw. erst, wenn die genetischen Eigenschaften von Kindern gezielt ausgesucht werden können, ohne dass es hierbei auf die Gene der Eltern ankommt.
„Aber auch das ist ja letztlich Evolution.“
Richtig, die interessante Frage ist allerdings, ob beim Menschen nicht evolutionäre Mechanismen greifen, die von Biologen bislang nicht berücksichtigt wurden.
Evolution, so heißt es im klassischen Sinne, wirkt über die Gene. Aber welche Gene sind denn dafür verantwortlich, dass Luisa Neubauer lieber in Talkshows sitzt als ihre Kinder zu erziehen, während Fatima von nebenan ganz selbstverständlich drei Kinder bekommt und sich um Klima und Emanzipation der Frau nicht schert? Hat Luisa andere Gene als Fatima? Und wenn nicht, müssen wir dann nicht konstatieren, dass menschliche Kultur und Ideologie ebenso auf evolutionäre Prozesse einwirken, eben indem sie die Fortpflanzung innerhalb menschlicher Population jenseits genetischer Faktoren beeinflussen?
Sicherlich hat Luisa etwas andere Gene als Fatima, aber vor allem haben selbstverständlich die Lebensbedingungen der Menschen Einfluss auf ihre Entscheidungen. Das ist ja bei Tieren im Grunde nicht anders, nur dass Menschen mit ihrer Denkfähigkeit gewisse Prozesse noch stark verkomplizieren. So richtig ist immer noch nicht klar, worauf du eigentlich hinaus willst. Nichts von dem, was du schreibst, spricht dagegen, dass die Menschen gewisse biologische Mechanismen evolutionären verinnerlicht haben. Wozu das dann letztlich führt, hängt eben stark von den Umständen ab, die auf die jeweiligen Individuen wirken, wozu beim Menschen auch Kultur und Ideologie zählen.
„Wozu das dann letztlich führt, hängt eben stark von den Umständen ab, die auf die jeweiligen Individuen wirken, wozu beim Menschen auch Kultur und Ideologie zählen.“
Aber das ist doch der Streitpunkt. Weder Buss noch der Blogmaster haben kulturelle Mechanismen bislang als Evolutionsfaktor betrachtet. Es wird immer nur über Gene geredet.
Evolution läuft halt nun mal über Gene. Umweltfaktoren haben nur einen Einfluss darauf, welche Gene sich durchsetzen.
Luisas genetischer Antrieb ist Geltungsdrang, der wahrscheinlich ein Selektionsvorteil ist, da Vorteil bei der Partnerwahl. Sie setzt ihn allerdings anders ein.
Fatima würde vielleicht ähnliches tun, wenn sie Zugriff auf die gleichen Ressourcen wie Luisa hätte (Geld, Zeit, Sozialisation) . Hat sie aber nicht, deswegen handelt sie anders.
@anorak2
Und damit sagst Du ja letzlich, dass Gene nicht alles sind.
Luisas genetischer Antrieb ist Geltungsdrang, der wahrscheinlich ein Selektionsvorteil ist, da Vorteil bei der Partnerwahl. Sie setzt ihn allerdings anders ein.
Jetzt stellst du aber einfach die Behauptung auf, dass Luisas Verhalten das Resultat ihrer Gene ist. Dass sich Luisa in einem anderen Umfeld anders entwickelt hätte, ist aber durchaus wahrscheinlich. Narzissten werden ja auch nicht als Narzissten geboren. Der Mensch ist nicht nur das Resultat seines Genoms.
Ja. Warum muss Evolution eigentlich immer langsam und über viele Generationen erfolgen? Finde ich nicht schlüssig. Die Entwicklung und die Anpassung der Menschen erfolgt möglicherweise einfach nur in vollkommen unterschiedlichen Geschwindigkeiten.
Vielleicht gibt es auch unterschiedliche Geschwindigkeitslevel für die selbe Entwicklung.
Angenommen, acht Milliarden Menschen würden wie bei einer übersättigten Zuckerlösung dazu führen, dass das Bevölkerungswachstum stoppt. Das könnte auf verschiedenen Zeitebenen erfolgen. Reduzierung der Fruchtbarkeit und des Sexualtriebs würde viele Generationen dauern. Also gibt es kulturelle und Verhaltensänderungen, die das beschleunigen und teilweise innerhalb einer Generation realisieren. Dazu zählen Verhütung, geschlechtliche Umorientierung, Auslassen von Generationen durch Verschiebung der Fortpflanzung ins höhere Alter.
Womit wir jetzt kämpfen ist, dass der Sexualtrieb so tief und elementar ins menschliche Dasein eingebunden ist, dass er nur sehr langsam schwindet. Vielleicht ist er sogar auch maßgeblicher Quell für Motivation, Leistung, Fortschritt, durch die menschliche Kultur und Zivilisation erst möglich geworden sind.
Im Grunde wird Fortpflanzung inzwischen überwiegend negativ gesehen, auch wenn weiterhin jede ältere Dame kleine Kinder anfummelt und „Wie süß“ sagt. Kinder sind nicht nützlich, sie sind eine Last. Sie blockieren den Lebensweg der Alten, kosten Geld und verbrauchen Superkleber.
Die Verlogenheit, mit der Kinder immer noch als etwas Erwünschtes und Wichtiges benannt werden, obwohl mit ihnen genau gegenteilig umgegangen wird (Fremdbetreuung, Mütter stellen Rechnungen an den Staat, weil sie im Lockdown ihre Kinder betreuen müssen, Maskenpflicht obwohl ungefährdet, queerer Sexualunterricht) erinnert mich an den Umgang mit Heterosexualität, die schließlich die einzige fortpflanzungsfähige Sexualität ist. Hetero ist sehr schnell fast schon zum Schimpfwort geworden.
Angenommen es gäbe eine Überättigung mit Menschen, dann wären solche kulturellen und zivilisatorischen Verhaltensänderungen doch evolutionäre Kurzfristentwicklungen.
Und die werden von keinem gesteuert, gedacht, das passiert einfach. So, wie durch die Industrialisierung und die einhergehende Verbrennung die Erde erheblich grüner wurde.
„Warum muss Evolution eigentlich immer langsam und über viele Generationen erfolgen?“
Weil zunächst erst einmal eine Generation mit einer bestimmten Mutation auftreten muss, die meisten Mutationen sind schädlich oder neutral, eine wirklich positive Mutation muss erst einmal so stattfinden, gegebenenfalls sogar in mehreren Schritten, wenn Sie ein komplexeres System betrifft Punkt dann muss ich diese Mutation durch das Erbgut der Menschheit arbeiten was auch bereits Zeit dauert. Umso komplizierter die Mutation umso weniger ist damit zu rechnen, dass sie an vielen Stellen auftritt, so dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass sie schnell umgesetzt werden kann.
Rechne doch mal durch wie lange es dauert, bis 1000 Menschen die Mutation haben, insbesondere bei einer fortpflanzungsrate von 2,1 oder sogar darunter.
Mutation oder evolutionäre Entwicklung Geschehen ja nicht einfach so oder werden durch die Luft übertragen. Sie müssen jeweils im Erbgut an die nächste Generation weitergegeben werden. das ist einfach ein langsamer Vorgang
Dann taugt aber Evolution nicht, um die Entwicklung der biologischen Einheit Mensch zu erklären, da sie offenbar nur genetische Langfristentwicklungen berücksichtigt und nicht die Einflüsse kultureller Faktoren, die wiederum mit den genetischen interagieren.
Zum Beispiel wird die Fortpflanzungshäufigkeit maßgeblich kulturell bestimmt. Oder Samenbanken nehmen Einfluss auf genetische Vielfalt.
„Zum Beispiel wird die Fortpflanzungshäufigkeit maßgeblich kulturell bestimmt“
klar, wenn jemand in einer Freikirchenfamilie aufwächst oder bei den Mormonen, dann wird er wahrscheinlich mehr Kinder bekommen. Aber das ändert ja wenig an Genen. Es kann eben dann bei den Kindern schon wieder damit vorbei sein, weil sie (aus Sicht der Eltern) auf die schiefe Bahn geraten.
Es ist richtig, dass evolutionär sich der (hohe) Sexualtrieb als besonders fortpflanzungsfähig herausgestellt hat weniger der Kinderwunsch. Die Fokussierung von Männern auf junge gesunde Frauen rührt ebenfalls daher.
Jahrtausende war es so, dass ein hohes Verlangen nach Sex mehr Nachkommen erzeugte, wobei das im besonderen für den Mann galt, wohingegen die wählerischere Frau mehr Nachnachkommen hatte als die Wahllose. Das Alter des Mannes ist hingegen weniger relevant, weil dies eben für den Nachwuchserfolg weniger ausschlaggebend ist als das Alter der Frau.
Wenn man aber nun in das fundamental natürliche Gesetz „Sex->Kinder“ eingreift (und nicht anderes tun die heutigen Verhütungsmittel sehr viel wirksamer als frühere Methoden) dann ändert sich die Wirkkette „hoher Sexdrive (Mann) = viele Nachkommen“.
Früher war der „Wunsch nach Kindern“ wenig relevant, weil durch den Sextrieb überlagert.
Heute kann sowohl Frau als auch Mann mittels Tinder unzählige Sexualkontakte haben und dank Verhütung keinen einzigen Nachwuchs.
Durch diese Änderung des „Systems“ ändern sich natürlich nicht sofort die Präferenzen, d.h. die sexuelle Attraktivität von jungen Frauen sinkt erstmal nicht, aber es ändert sich wer Nachwuchs bekommt, weil der pure hedonistische Sexualtrieb eben viel weniger zu Nachwuchs führt.
Heutzutage hat vermutlich ein attraktiver Mann ohne Bindungswillen mehr Nachwuchs wenn er die Zielgruppe „Damen am Rande der Fruchtbarkeit“ im Visier hat als wenn er die Zielgruppe 18 Jährige anpeilt (bei gleichem Erfolg). Historisch gesehen deren Fruchtbarkeit um Größenordnungen höher war und deshalb auch zu mehr Nachwuchs geführt hat.
Wenn man es einige Jahrtausende beibehalten würde (vielleicht sogar durchsetzen), dass junge Frauen chemisch unfruchtbar sind würde sich die Attraktivität verschieben. Einfach weil kein Leonardo di Caprio mehr Nachwuchs hätte (der Einfachheit halber lasse ich alle anderen Einflüsse weg).
Genauso müsste die Verfügbarkeit von wirksamen Verhütungsmittel zu einer Reduktion der Kuckuckskinder führen – wenn, wovon ich ausgehe, die reale Frau einfach nur Ihrem Sextrieb auf Alphas erliegt und selbst gar nicht auf der Suche nach „besseren Genen“ ist.
Ich denke, dass das Wirkprinzip „mehr Nachwuchs für Alphas durch weibliche Untreue“ auch darauf basiert, dass es ausreichend ist zum Zeitpunkt der Fruchtbarkeit auf „ich will den Gorilla“ zu schalten – ohne dass die Frau wirklich ein Kind von dem Kerl will. Früher war das halt egal, heute aber nicht mehr.
Daher bin ich der Meinung, dass Verhütungsmittel einen Einfluss auf die „Fitness“ verschiedener Paarungsverhalten haben und insbesondere deren relative Erfolgsquote stark beeinflussen. Das Paarungsverhalten selbst resultiert jedoch noch aus der Anpassung an die „alte Welt“.
Bei Bonobos hat der Sex ganz offensichtlich noch andere Gründe als nur die Fortpflanzung. https://de.wikipedia.org/wiki/Bonobo#Sexuelle_Interaktion
Daraus könnte man jetzt die steile These ableiten, dass sich mit zunehmend komplexen Sozialverhalten auch der strikte Zusammenhang zwischen Sex und Fortpflanzung entkoppelt.
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