Hörsaalbesetzung in Jena um Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte zu retten

Arne berichtet über eine Aktion an der Uni Jena:

Ab 2025 will die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität den deutschlandweit einmaligen Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte streichen. Studierenden haben dagegen eine Petition gestartet und demonstriert. Geholfen hat es bislang nichts. Nun sind die jungen Menschen auf eine radikalere Protestform ausgewichen und haben Jenas größten Hörsaal besetzt – auf unbestimmte Zeit.

So wie es aussieht, werden sie eine Weile bleiben. Um die 50 Studierende halten seit Mittwochabend den Hörsaal 1 am Jenaer Ernst-Abbe-Platz besetzt. Zwei Dutzend schlafen sogar dort. Der Hörsaal der Uni Jena ist für etwa 800 Menschen ausgelegt. Jetzt hängen Transparente mit Forderungen an den Wänden, Matratzen liegen dort, wo normalerweise Professorinnen und Professoren für ihre Vorlesungen stehen.

(…) Die Hauptforderung der Besetzer: Der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte, seit 2010 unter der Leitung von Professorin Gisela Mettele, darf nicht wegfallen. Mettele geht 2025 in den Ruhestand. Danach soll es keine Nachfolgerin, keinen Nachfolger geben. So der Plan der Uni. Ein Plan, der aus finanzieller Not heraus gefasst werden musste, sagt Professor Christoph Demmerling, Dekan der Philosophischen Fakultät.

Mettele ist ganz interessant: Ihr Thema scheint einmal Religion und dann Geschlechtergeschichte zu sein, also je nach Standpunkt zwei Religionen.
Ihre Forschung wirkt noch relativ unintersektional. Aber ich vermute die Chance auf eine Neubesetzung ist dort doppelt interessant: Einmal ist es schlicht eine Stelle mehr für Gender Studies Studierende. Dann kann man sie auch noch radikaler neu besetzen

Voraus ging die Verpflichtung, die bisher extern finanzierte Junior-Professur „Digital Humanities“ aus eigenen Mitteln zu bezahlen, und zudem der Wunsch, diese auch noch zu einer ordentlichen Professur aufzuwerten. Das kostet viel Geld. Heißt, an anderer Stelle muss gespart werden.

Zwei Streichkandidaten standen zur Wahl: Geschlechtergeschichte und Mittellatein. Der Fakultätsrat habe sich für ersteren entschieden, weil, wie Demmerling betont, Geschlechterthemen auch an anderen Professuren mitverhandelt und gelehrt werden.

Ich gebe zu, bei der Wahl zwischen Geschlechtergeschichte und Mittellatein würde ich persönlich einfach beide streichen. Und das ohne mich zu informieren, was Mittellatein überhaupt ist.

Das reiche aber nicht aus, finden die Studierenden im Hörsaal 1. Es sei wichtig, dass es für die Geschichtswissenschaft mit Genderperspektive eine zentrale Institution gebe. Nur so könne sichergestellt werden, dass der Ansatz auch umfassend fortentwickelt werde. Zufrieden geben wollen sich die Studierenden mit Geschlechtergeschichte in zufällig abfallender Häppchenform nicht.

Zudem sei die Entscheidung gegen den Lehrstuhl Geschlechtergeschichte undemokratisch und intransparent gefallen. Eine nicht demokratisch legitimierte Kommission – besetzt mit Nicht-Historikern – habe eine Vorauswahl getroffen. Im Fakultätsrat, der die endgültige Entscheidung getroffen hat, hatten die Studierenden nur eine von 17 Stimmen. Sie wünschen sich nun einen deutlich basisdemokratischeren Mitbestimmungsprozess in derartigen Fällen.

Natürlich ist es das gute Recht von Studenten sich gegen eine Streichung einer aus ihrer Sicht wichtigen Stelle auszusprechen. Aber letztendlich sind es aus meiner Sicht Scheinargumente, sie wollen halt eine andere Entscheidung.

Dekan Demmerling sieht das anders. Von undemokratisch könne keine Rede sein. Das Verfahren sei sehr „kleinteilig begutachtet“ worden. Das Rechtsamt habe es ausgeleuchtet – die Strukturkommission dann eine Empfehlung ausgesprochen. Zuvor gab es an der Universität äußerst kontroverse Diskussionen zum Thema.

(…) Nicht alle Jenaer Studierenden sind mit der Besetzung des größten Hörsaals einverstanden. Laut einem Uni-Sprecher gebe es einigen Unmut unter den Kommilitoninnen und Kommilitonen. Vorlesungen anderer Fächer fielen entweder aus oder werden in kleinere Räume verlegt. Das ist auch den Besetzern bewusst. Sie wollten keine Bildung verhindern, sagen sie. Aber sie sähen auch keine andere Möglichkeit, mehr Gehör zu finden. In den kommenden Tagen wollen sie mit der Uni verhandeln.

Das ist einer der großen Vorteile der Gender Studies: Sie sind bereit zu kämpfen und sie haben die Leute dafür, die so etwas machen, weil es eben eine Ideologie mit einer gewissen Fanatisierung ist. Das bringt Vorteile, einfach weil man Widerstand befürchten muss, wenn man etwas in diese Richtung macht. Man weiß eigentlich schon, oder zumindest weiß man es beim nächsten Mal, dass es Ärger geben wird.

Im Prinzip können sie sich überlegen, wie lange sie ohne ihren Hörsaal auskommen, ob sie sich trauen gewaltsam mit Polizei zu räumen oder eben klein bei zu geben.