Schweiz: Frauen protestieren dagegen genau so lange arbeiten zu müssen wie die Männer

Hier hatte ich schon mal einen Bericht über die Angleichung des Rentenalters für Frauen an das der Männer in der Schweiz.

Nunmehr ist diese Angleichung per Volksbescheid beschlossen worden.

Einige Frauen protestieren dennoch:

  • Mehrere hundert Frauen haben am Mittag in Bern gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters protestiert.
  • Das Ja des Schweizer Volks vom Sonntag sei ein grosser Rückschritt punkto Gleichstellung, hiess es.
  • Zur Aktion auf dem Bahnhofplatz aufgerufen hatten die SP-Frauen Schweiz mit den Co-Präsidentinnen Tamara Funiciello und Martine Docourt.
  • Es sei nicht undemokratisch, gegen ein Abstimmungsresultat zu demonstrieren, rief Funiciello der Menge zu. Undemokratisch sei vielmehr, dass die seit 40 Jahren in der Verfassung verankerte Gleichstellung noch immer nicht umgesetzt sei.«Es ist eine Schande, was gestern entschieden wurde», sagte Funiciello. Die Protestaktion in Bern sei «die erste Kampfansage an reiche, alte, weisse Männer», die entschieden hätten, dass Frauen länger arbeiten sollten.

    Knappes Resultat

    «Frauen tragen diese Gesellschaft, unbezahlt», sagte Funiciello. Die Politik habe den letzten grossen Frauenstreik von 2019 und dessen Forderungen offenbar vergessen. Es sei Zeit, sie daran zu erinnern.

    «Wir streiken am 14. Juni 2023», hiess es auf einem der mitgeführten Transparente. «Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Rente klaut», skandierte die Menge nach Funiciellos Auftritt.

    Erstmals seit 25 Jahren war am Sonntag eine grosse AHV-Reform beim Schweizer Stimmvolk knapp durchgekommen. Mit 50.6 Prozent Ja-Stimmen wurde eine Rentenaltererhöhung bei den Frauen von 64 auf 65 Jahre beschlossen, und damit die Angleichung an die Männer. Zudem wird per 2024 die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV um 0.4 Prozentpunkte auf 8.1 Prozent angehoben.

Ein anderer Artikel beleuchtet die Abstimmung noch etwas mehr:

Die Frauen gehen auf die Strasse. Die SP ruft nach dem hauchdünnen Ja von 50,6 Prozent zur Erhöhung des Frauenrentenalters für Montag zu einer Protestaktion in Bern auf. Denn am Sonntag haben die Männer bestimmt, dass die Frauen ein Jahr länger arbeiten sollen.

Laut Politologe Claude Longchamp (65), der am Abstimmungssonntag die Ergebnisse auf Blick TV einordnete, lässt der knappe Ausgang darauf schliessen, dass die Frauen der AHV-Vorlage bloss zu 40 Prozent zugestimmt, die Männer dieser aber mit etwa 60 Prozent Ja-Stimmen zum Durchbruch verholfen haben. Wohl ein Rekord – nie wird die Differenz beim Abstimmungsverhalten so gross gewesen sein wie bei diesem Urnengang. Darauf deutet auch eine Nachwahlbefragung im Auftrag des «Tages-Anzeigers» hin. Demnach haben 65 Prozent der Männer Ja zur Reform gesagt, aber nur 37 Prozent der Frauen.

Natürlich war es am Sonntag nicht das erste Mal, dass eine männliche Mehrheit die Bürgerinnen überstimmte. Aber wenn Männer die Frauen gegen deren Willen dazu verdonnern, erst später in Rente gehen zu dürfen, hat dies eine neue Qualität.

„Wenn Männer dafür stimmen, dass die Frauen genau so lange arbeiten müssen wie sie… wäre in der Formulierung wohl genauer. Sie müssen ja nicht länger als die Männer arbeiten.

Das grosse Echo, das der Frauenstreik im Juni 2019 ausgelöst hatte, die Medienberichte zu den Lohnunterschieden zwischen den Geschlechtern und die Absichtserklärungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, könnten die Haltung, die Frauen hätten ja schon viel bekommen und müssten endlich auch mal etwas geben, genauso befördert haben wie das bürgerliche Argument, dass «die Frauen länger leben und nicht ins Militär müssen», so Longchamp.

Einer Mehrheit der Frauen reicht es nicht

Das Stimmverhalten zeigt, dass aus Sicht der Mehrheit der Frauen längst nicht genug passiert ist, um das Pensionsalter auszugleichen. So verfängt bei ihnen der Hinweis der Sozialdemokraten, die Frauen bekämen ein Drittel weniger Rente als Männer und jede zehnte Frau sei nach ihrer Pensionierung auf Ergänzungsleistungen angewiesen.

Selbst dann wäre es ja besser, wenn sie länger arbeiten und damit eine gewisse Zeit mehr Gehalt und mehr Rentenanwartschaften haben

Hätten 58 statt knapp über 50 Prozent der Stimmenden dem höheren Frauenrentenalter zugestimmt, wäre der für Montag angesagte Protest weniger verstanden worden. Mit dem Fotofinish vom Sonntag sieht die Sache anders aus.

Bei der Elefantenrunde auf Blick TV, in der die Präsidenten der bürgerlichen Bundesratsparteien und SP-Chefin Mattea Meyer (34) die Klingen kreuzten, zeichnete sich der knappe Sieg der Befürworter zwar ab, fest stand er aber noch nicht. Doch alle wussten: Es wird eng. So signalisierten die bürgerlichen Parteichefs, man wolle nun den Frauen bei der Reform der zweiten Säule (BVG) entgegenkommen. Meyer hegt daran noch Zweifel.

Auswirkungen auf kommende Initiativen

Der knappe Ausgang der AHV-Abstimmung, das klare Nein der Frauen und der Umstand, dass die Vorlage in der Romandie und im Tessin hochkant gescheitert ist – das alles wirft Schatten auf kommende AHV-Abstimmungen: Sie werden für die bürgerlichen Parteien und ihre Verbände kein Spaziergang.

So dürfte die Initiative zur Schaffung einer 13. AHV-Rente der Gewerkschaften wohl Auftrieb erhalten. Und sollte das Parlament bei der BVG-Revision hinter ihren Versprechungen zurückbleiben, erhöht das die Chancen noch weiter.

Einen Dämpfer erhalten haben auch die Jungfreisinnigen. Ihre Pläne, das Rentenalter von Frauen und Männern auf 66 Jahre zu erhöhen und das Pensionsalter mit wachsender Lebenserwartung weiter zu steigern, scheint derzeit chancenlos.

Ich kann verstehen, dass man sich da um das längere Jahr herummogeln wollte. Dennoch Hut ab für die 40% Frauen, die dafür gestimmt haben. Wer Gleichberechtigung will, der muss auch die Nachteile gleichberechtigt wollen.