Kündigung wegen fehlender Bereitschaft zum Gendern? Der Fall Klaus Roggenthin

Arne berichtet über einen Artikel in der Welt:

Dürfen Unternehmen ihre Angestellten zum Gendern zwingen? Eine gerichtliche Antwort auf diese Frage steht noch aus. Denn obwohl Gender-Vorgaben inzwischen vielerorts zum beruflichen Alltag gehören, zieht kaum ein Betroffener deshalb vor Gericht – bis jetzt. Eine Klage, die WELT vorliegt, hat das Potenzial, erstmals rechtliche Pflöcke in das juristisch kaum erschlossene Gebiet einzuschlagen.

Kläger in dem vom Verein Deutsche Sprache unterstützten Verfahren ist Klaus Roggenthin, promovierter Soziologe und seit 2011 Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S) – einem von sechs Sozialverbänden getragenen und zum Großteil aus Steuermitteln finanzierten Verein, der sich für die Belange von Straftätern einsetzt. Sein Renteneintritt zum Mai 2023 steht eigentlich kurz bevor, doch geht es nach dem Vereinsvorstand, so wird Roggenthins Erwerbsleben schon im Oktober 2022 enden. Zu diesem Datum wurde ihm gekündigt – weil er nicht gendern will.

Das Thema köchelt im Verein schon länger; die Mitgliedsverbände, die jeweils ein Mitglied in den Vorstand der BAG-S entsenden, gendern ihrerseits und wollen dies auch in der BAG-S verpflichtend machen.

Geschäftsführer eines Vereins ist in der Hinsicht ein nicht so günstiger Fall um das umfassend zu klären. Die Bestellung als Geschäftsführer kann zunächst aus meiner Sicht jederzeit widerrufen werden, die Frage wäre dann nur ob er darüber hinaus noch je nach Ausgestaltung seines Vertrages weiterhin Lohn bekommt oder nicht. Und ein Verein wird sicherlich auch gewisse Vorgaben machen dürfen, wie er sich präsentieren will.

Roggenthin hält dagegen: „Eine unserer Veröffentlichungen, der ‚Wegweiser‘, richtet sich an Menschen, die in Haft waren oder sind. Weil Bildungsstand und Sprachkompetenz bei dieser Gruppe oft nur gering ausgeprägt sind, haben wir die Texte eigens von einer Agentur für verständliche Sprache bearbeiten lassen. Es wäre doch absurd, diesen Gewinn an Lesbarkeit dann durch Einführung einer Kunstsprache zunichtezumachen, die den Regeln der deutschen Rechtschreibung widerspricht und an der Lebenswelt der Adressaten völlig vorbeigeht“, sagt er im Gespräch mit WELT.

Da mag er in der Sache recht haben, aber er ist eben nur Geschäftsführer und nicht Vorstand des Vereins. Und die Entscheidung darüber, wie Publikationen gestaltet werden hat eben der Verein bzw dessen Vorstand zu treffen.

Um die Lage zu klären, hielt er auf der Mitgliederversammlung im November 2018 einen mit dem Vorstandsvorsitzenden abgestimmten Vortrag zu dem Thema. „Die Angelegenheit endete, obwohl der Vortrag sachlich-wissenschaftlich aufgebaut war und keine Polemik enthielt, mit einem Eklat. Der Kläger wurde – per Abstimmung – genötigt, seinen Vortrag abzubrechen. Die geplante Diskussion wurde als überflüssig bezeichnet und abgelehnt“, heißt es dazu in der Klageschrift.

„Einige der Anwesenden finden es ungeheuerlich, die Verwendung einer gendergerechten Spracheüberhaupt infrage zu stellen, sodass es zu Unruhen kommt und in Folge Frau Baumann beantragt, den Vortrag an dieser Stelle zu beenden“, hielt das Sitzungsprotokoll zunächst fest; bei Abnahme durch den Vorstand wurde dies zu „Einige der Anwesenden wundern sich“ entschärft und die folgende Passage zum Abbruch des Vortrags gestrichen.

Wenn die Mitgliederversammlung seinen Vortrag nicht hören wollte, dann werden sie das auch kaum müssen. Es ist zwar schade, dass sie sich eine andere Meinung nicht anhören wollen, aber eine Pflicht dazu besteht eben nicht.

Im Februar 2019 beschloss der Vorstand, dass das Gendern künftig zum Standard erhoben wird. „Mir wurde vom damaligen Vorstandsvorsitzenden aber noch versichert, dass diese Regelung für Namensbeiträge nicht verpflichtend sei“, erzählt Roggenthin. „Wir können Gastautoren, die bei uns schreiben, ja kaum dazu zwingen, ihre Texte zu gendern.

Natürlich kann man Gastautoren nicht zwingen. Aber man kann natürlich jedem Gastautor von vorneherein mitteilen, dass entweder er seinen Text gendert oder man ihn selbst gendern wird und er kann dann entscheiden, ob er unter diesem Gesichtspunkt einen Gastbeitrag verfassen oder einreichen möchte.

Und auch in meinen eigenen Beiträgen und Interviews sollte mir das angeblich freigestellt bleiben.“

Da wird es vielleicht interessant. Kann man jemanden zwingen in eigenen Beiträgen und Interviews zu gendern?
Die Frage ist da erst einmal, ob sie das Dienstverhältnis (nicht die Abberufung als Geschäftsführer) fristgerecht oder außerordentlich gekündigt haben bzw er auslief. Wenn sie ihm vor Ablauf der vereinbarten Zeit das Dienstverhältnis gekündigt haben, weil er dem Gendern gegenüber kritisch war, aber es grundsätzlich, soweit nicht auf ihn bezogen gemacht hat, dann würde sich vielleicht die Frage stellen, ob das Gendern in dem Zusammenhang für diesen konkreten Verein so wesentlich war.

§ 628 Teilvergütung und Schadensersatz bei fristloser Kündigung
(1) 1Wird nach dem Beginn der Dienstleistung das Dienstverhältnis auf Grund des § 626 oder des § 627 gekündigt, so kann der Verpflichtete einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. 2Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teiles, so steht ihm ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben. 3Ist die Vergütung für eine spätere Zeit im Voraus entrichtet, so hat der Verpflichtete sie nach Maßgabe des § 346 oder, wenn die Kündigung wegen eines Umstands erfolgt, den er nicht zu vertreten hat, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzuerstatten.

(2) Wird die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles veranlasst, so ist dieser zum Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet.

Da wäre also die Frage ob ein vertragswidriges Verhalten vorliegt. Dazu müssten sie ihm wahrscheinlich nachweisen, dass er unberechtigterweise Vorgaben des Vereinsvorstands bzw Beschlüsse der Mitgliederversammlung nicht umgesetzt hat.

Bei Texten, bei denen er selbst als Autor nicht namentlich in Erscheinung treten muss – etwa auf der Homepage oder in Pressemitteilungen des Vereins –, hat Roggenthin sich hingegen nach eigener Aussage nie geweigert, zu gendern: „Ich hielt die Grundsatzentscheidung für Gendersprache für bedauerlich, aber solange ich persönlich nicht öffentlich dazu genötigt wurde, konnte ich damit leben.“

Wenn er darauf bestanden hat, seine Texte weiterhin nicht zu gendern, dann wäre die Frage, ob das schon ein hinreichender Verstoß ist. Das wird man je nach Ideologie so oder so sehen können.

(…) Roggenthin wurde nach seiner Darstellung vom Vorstand zusehends unter Druck gesetzt, die Konflikte nahmen zu, der Ton wurde schärfer. Mitte Februar 2022 fasste der Vorstand einen neuen Beschluss, der Gendersprache nunmehr unzweifelhaft und umfassend für verpflichtend erklärt.

Der „schärfere Ton“ und die Konflikte müsste man auch kennen. Wenn das Gericht meint, dass dies bereits einen Ausmaß angenommen hat, die unabhängig von der Frage des Genderns ausreichen, um ihm zu kündigen, dann könnten sie sich elegant um die Beantwortung der Fragen drücken.

Roggenthin fragte in einer E-Mail nach, wie denn nun zu verfahren sei, wenn etwa Interviewpartner in einem zum Abdruck vorgesehenen Gespräch nicht gegendert hätten; oder wenn die für die BAG-S vorgesehene Doppelpunkt-Schreibweise mit dem in einem der Mitgliedsverbände bevorzugten Unterstrich in Konflikt gerate. Statt einer Antwort erhielt er acht Tage später – und kurz vor Antritt einer psychosomatischen Reha – die Kündigung.

Auch das ließe sich ja durch eine Vorabinformation, dass und wie nachträglich gegendert wird, aus der Welt schaffen. Gegebenenfalls mit der Folge, dass man weniger Texte bekommt. Die reine Nachfrage wäre, wenn sie passend und sachlich gestellt wurde, sicherlich kein Kündigungsgrund.

„Ich war damals psychisch angeschlagen, weil ich von Vorstandsmitgliedern in den letzten Jahren immer wieder persönlich angegriffen und schikaniert worden war“, sagt Roggenthin. Der Verein bestreitet das. E-Mails der Vorstandsmitglieder an Roggenthin, die WELT vorliegen, zeugen teilweise von einem unkollegialen bis feindseligen Ton. „Eine Diskussion in der Sache war weder erwünscht noch möglich“, sagt Roggenthin.

Tatsächlich müssen die Vorstandsmitglieder in der Hinsicht auch keine Diskussion führen – wenn der Job nicht mit seinen Vorstellungen vereinbar ist, dann muss er sich eben einen anderen suchen. Wenn er immer wieder die Diskussion gesucht hat um den Vorstand davon zu überzeugen, dass man nicht gendern soll, dann könnte man ihm das durchaus vorhalten. Wenn er nur nachgefragt hat, wie man mit daraus entstehenden Problemen umgehen soll, dann – je nach Ton dieser Nachfragen – wohl eher nicht.

Die Geisteshaltung im Vorstand laute offenbar: „Gendern ist gut, wer gendert, ist gut – wer es nicht tut, ist böse und wahrscheinlich rechts.“ Dabei verortet Roggenthin sich selbst als Linken, der sich für Reformen wie etwa die Abschaffung der Strafhaft einsetzt. „Nur mit dieser neueren linken Strömung, die sehr stark auf sprachlich-symbolische Moraldarstellung setzt und sich kritische Rückfragen verbittet, kann ich nichts anfangen.“

Es ist noch etwas anderes, weil es da das gleiche Feld betrifft, aber ein Vorstand eines Naturschutzverbandes, bei dem die Mitglieder und der Vorstand entschieden haben, dass sie gegen Atomkraft sind, müsste sicherlich auch nicht hinnehmen, dass sie ein Geschäftsführer über die Vorteile der Atomkraft belehren will.

Wie sich ein Verein nach außen darstellt ist – im Rahmen des legalen – auch dann seine Sache, wenn er auf sprachlich-moralische Moraldarstellungen setzt. Entscheidungen des Vorstandes und des Vereins zu kritisieren steht dem Geschäftsführer eines Vereins eben nur sehr eingeschränkt zu, gerade wenn sie keinen Bezug zum „geschäftlichen“ haben. Im Gegenzug wäre die Frage, was der Vorstand sprachlich von seinem Geschäftsführer verlangen darf. Muss er selbst gendern? Muss er zustimmen, dass Aussagen von ihm gegendert werden? Muss er jede Sprachform des Genderns akzeptieren und erlernen?

Kann der Vorstand darlegen, dass aufgrund seiner öffentlichen Förderung erwartet wird, dass er Gendert und es darüber von seinem Förderer bereits Diskussionen gab und dies dem Geschäftsführer bekannt war, dann wäre dies sicherlich ein Grund ihn abzuberufen.

Ich könnte mir vorstellen, dass das Fragen werden, aber eben nur dann, wenn das Gericht nicht bereits andere Fragen als ausreichend für eine Kündigung bzw eine Abweisung des Schadensersatzanspruches auf entgangenes Gehalt als ausreichend ansieht.